HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Juni 2020
21. Jahrgang
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Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

Gefahrverursachung, Gefahrenquellen und Garanten – Rauschmittelkonsum zwischen Eigenverantwortung und strafbarem Unterlassen Dritter

Anmerkung zu BGH HRRS 2020 Nr. 170

Von Wiss. Mitarbeiter Dr. Felix Ruppert, Universität Bayreuth[*]

I. Garantenpflicht als Anker des Unterlassens

Der Weg zu einer Strafbarkeit wegen eines unechten Unterlassungsdeliktes führt bekanntlich nur über die von § 13 StGB vorausgesetzte Garantenpflicht.[1] Das Erfordernis dieser besonderen Rechtspflicht zum Handeln seitens des Täters erhebt solche Unterlassungsdelikte in die Kategorie der Sonderdelikte.[2]

Wann allerdings der Betroffene handlungspflichtig wird, ist in der Norm kaum konturiert.[3] Die insofern im Hinblick auf den Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 Abs. 2 GG[4] geäußerte Kritik wird zwar dadurch relativiert, dass einerseits der anzulegende Maßstab angesichts der Erfordernisse des Allgemeinen Teils nicht zu überspannen ist[5] und andererseits die in Judikatur sowie Literatur bereits geformten Konturen die vorausgesetzte Garantenpflicht im Lichte der Anforderungen des Bundesverfassungsgericht an die Bestimmtheit einer Norm[6] hinrei-

chend einzugrenzen vermögen.[7] Dennoch ist angesichts des schwerlich zu leugnenden Präzisionsdefizits[8] eine restriktive Interpretation dieses Merkmals geboten.[9] Bereits daher bleibt in Übereinstimmung mit dem Wortlaut der Norm eine Rechtspflicht zum Handeln zu fordern, sodass rein sittliche oder moralische Verpflichtungen nicht genügen.[10] Darüber hinaus scheint auch die Begrenzung auf Konstellationen geboten, in welchen die rechtliche Handlungsverpflichtung eindeutig zu erkennen ist, was durch die zwingende Orientierung an den bestehenden, die Bestimmtheit des § 13 StGB erst schaffenden Fallgruppen gewährleistet werden kann.[11] So vermag auch dem Dilemma begegnet zu werden, einen Konsens bezüglich einer tragfähigen Funktionenlehre zu Inhalt und Umfang einer Garantenpflicht noch nicht gefunden zu haben.[12]

II. Eigenverantwortlichkeit als Grenze der Garantenpflicht

Angesichts der gebotenen restriktiven Handhabung der Garantenpflichten erscheint ferner naheliegend, einer bestehenden Garantenposition im Falle der Kollision mit einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung des Opfers den Rücktritt einzuräumen.[13] Doch auch wer insofern großzügiger agiert wird diesen Schritt gehen müssen, wäre es doch widersprüchlich, im Falle des aktiven Handelns die Strafbarkeit aufgrund der Eigenverantwortlichkeit des Geschädigten zurücknehmen zu müssen, sie demgegenüber jedoch im Falle des Unterlassens aufleben lassen zu wollen.[14] Das Resultat wäre schließlich die straflose Mitwirkung an einer Selbstgefährdung, aus der im Anschluss allerdings die Pflicht entstehen würde, einen aus der Gefahr resultierenden Erfolg abzuwenden. Eine solche rechtliche Einstandspflicht sei jedoch nach der Rechtsprechung anzunehmen, sodass am Ende eine Strafbarkeit steht.[15]

Bereits diesbezüglich liegt die Parallele zu der umstrittenen Rechtsprechung im Rahmen des Suizids, in welcher die Straflosigkeit der Teilnahme an Selbsttötungen durch eine im Zeitpunkt des Tatherrschaftswechsels auflebende Garantenpflicht umgangen werden können soll,[16] auf der Hand. Doch auch deren neueste Wende [17] lässt erkennen, dass selbst nach der Rechtsprechung die freiverantwortliche Entscheidung des Suizidenten die rechtliche Handlungspflicht zu determinieren vermag.[18]

III. Rauschmittelkonsum als Prüfstein der Unterlassens-Grundsätze

Eben jenes lebhaft umstrittene Aufeinanderprallen der Garantenpflicht mit dem Verantwortlichkeitsprinzip[19] ist es, was die Fälle des Rauschmittelkonsums zum Prüfstein der Grundsätze des Unterlassens erhebt. Schließlich wird dort die grundsätzliche Frage der Handhabung einzelner Garantenpflichten[20] in besonderem Maße von

einem eigenverantwortlich selbstgefährdenden Handeln des Geschädigten überlagert.

Insbesondere den jüngeren Fällen liegt dabei im Wesentlichen die Konstellation zugrunde, dass der jeweilige Täter über eine Flasche als Rauschmittel verwendbares Reinigungsmittel[21] verfügt, welches er in geringer Dosis konsumiert und für andere Anwesende frei zugänglich offen stehen lässt.[22] Später nimmt auch eine der anwesenden Personen das Mittel selbstständig ein, wobei sie die Dosierung zu hoch wählt und daraufhin verstirbt. Der jeweilige Täter erkennt dabei den Konsum des Mittels, leitet jedoch keine oder nur unzureichende Gegenmaßnahmen ein.

Auch die jüngste Entscheidung ist davon gezeichnet, dass der Angeklagte einen mit Spice hergestellten Joint mit dem Wirkstoff 5F-ADB, welcher per se zum Tatzeitpunkt weder dem BtMG noch dem NpSG unterfällt und insofern nicht illegal ist, zu einem Zusammentreffen mit weiteren Personen mitbringt. In Eigenregie nimmt der Geschädigte diesen an sich, inhaliert zwei Züge und bricht sodann regungslos zusammen, bevor er letztlich verstirbt.

1. Bisheriger Kurs der Rechtsprechung

Die bisherige Rechtsprechung beruht auf bereits angeschnittener, gedanklicher Trennung des Geschehens. Aufgrund der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung des Opfers im Zeitpunkt des Konsums des Mittels ist der Verletzungserfolg einzig dem Opfer zuzurechnen[23] , auch wenn sich wie vorliegend mit dem Täter ein Dritter an dem Konsum beteiligt, indem er diesen erst ermöglicht.[24] Das Schaffen der Konsummöglichkeit bzw. der Zugang zur opferseitigen Gefährdung stellt somit keine strafrechtlich zu ahndende Handlung dar. In anderen Worten ist die Mitwirkung an einer Selbstgefährdung nach zuvor Dargelegtem straflos.

Die Strafbarkeit erwächst jedoch aus dem zweiten Part des Geschehens: sobald das Opfer die Selbstgefährdung vorgenommen hat, soll die Pflicht des Täters zur Erfolgsabwendung, welche nie entfallen sei, wieder aufleben.[25] Das von der Gefahrenquelle ausgehende Gefährdungspotenzial sei nunmehr durch die Abwendung des Erfolges zu nivellieren. Im Ergebnis steht also eine Unterlassensstrafbarkeit, da aus der straflosen Mitwirkung an der Selbstgefährdung eine strafbewehrte Erfolgsabwendungspflicht resultiere.

In der aktuellen Entscheidung lehnt jedoch auch der erkennende Senat eine Strafbarkeit wegen Unterlassens nunmehr ab, da weder eine aus der Konsumgemeinschaft, einem pflichtwidrigen Vorverhalten oder der Gefahrschaffung resultierende Abwendungspflicht vorliege (dazu sogleich, III. 2). Auf die Eigenverantwortlichkeit wird dies jedoch nur mittelbar zurückgeführt. Es soll daher eruiert werden, ob das Urteil rein punktuell und parameterbedingt von der gelebten Handhabung abweicht oder in ihm vielmehr ein erstes, wenn auch mitunter vorsichtiges Bekenntnis zur Ansicht der Literatur zu erblicken ist (III. 3).

2. Garantenpflicht

a) Gefahrengemeinschaft

Soweit eine Garantenstellung nicht aus der Zugehörigkeit einer Gemeinschaft geschlossen wird, bleibt dem Urteil vollumfänglich zuzustimmen. Denn eine solche würde zunächst mehr als einen losen Zusammenschluss von Zechkumpanen oder Rauschgiftkonsumenten voraussetzen,[26] namentlich eine über die bloße Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft – welche vorliegend aufgrund des zufälligen Zusammentreffens bereits höchst fraglich erscheint – hinausgehende Schutzfunktion gegenüber hilfsbedürftigen Gruppenangehörigen.[27] Eine solche sollte aber zu keinem Zeitpunkt übernommen werden, schließlich lehnten es die Angeklagten sogar ab, den Betroffenen überhaupt in die bloße Konsumgemeinschaft aufzunehmen, verweigerten sie ihm doch den Konsum, sodass dieser den Joint erst an sich nehmen musste.

b) Herrschaft über eine Gefahrenquelle

Interessant muten demgegenüber die Ausführungen zur Garantenstellung aufgrund der im eigenen Herrschaftsbereich liegenden Gefahrenquelle an. Eine solche ist dem Grunde nach in Rechtsprechung und Literatur anerkannt[28] und wird seitens der Judikatur in den Fällen des Mitbringens von Rauschmitteln bemüht.[29] Dem zugrunde liegt das Prinzip der Verantwortlichkeit für eigene Gefahrenquellen, die zur Sicherung vor der ausgehenden Gefahr verpflichten.[30] Doch bereits dies verdeutlicht, dass der

Verweis auf die Schaffung einer Gefahrenquelle in Fällen des freiverantwortlichen Rauschmittelkonsums nur verfehlt sein kann: denn ungeachtet der Diskussion, ob der Verkehrssicherungspflichtige nur die seiner Herrschaft unterliegende Gefahrensphäre gegenüber dem Umschlagen in eine Schädigung abzusichern hat (also nach dem Umschlag niemanden retten müsste)[31] oder ihm darüber hinaus in Fällen der Gefahrrealisierung noch eine besondere Rettungspflicht obliegt,[32] so gilt dies auch nach überwiegendem Part letzter Ansicht lediglich im Falle der pflichtwidrigen Untätigkeit,[33] geht es doch um die Verantwortlichkeit eigener Organisation.[34] Nimmt der Geschädigte aber das Rauschmittel selbstständig zu sich, so kann eine der Gefahrenquelle nachfolgende Garantenposition mangels Pflichtwidrigkeit seitens des Gefahrenverantwortlichen nicht mehr zur Abwendung des Erfolgs verpflichten, ohne zugleich auf dem Gedanken einer Garantenpflicht gegenüber dem sich selbst Schädigenden zu begründen. Schließlich braucht die Gefahrenquelle nicht mehr von dem den Umschlag von Gefährdung in Schädigung bewusst Riskierenden abgeschirmt werden, da dieser gerade auf diesen Schutz verzichtet, zumal er sich vorliegend gerade über diesen hinwegsetzt.[35]

Unbesehen dessen erscheint es verständlich, die Garantenpflicht mit der bisherigen Rechtsprechung bezüglich der als Rauschmittel verwendeten Reinigungsmittel grundsätzlich auf Fälle möglicher – im vorliegenden Urteil nicht gegebener – Zweckentfremdung auszudehnen, sofern diese erkennbar und naheliegend sind.[36] Denn es ist die diesen Mitteln innewohnende Gefahr, deren Realisierung insbesondere auch nach den Gesamtumständen vorhersehbar ist, sodass nach allgemeinen Maßstäben Maßnahmen ergriffen werden müssten.[37] Sofern die Rechtsprechung nunmehr versucht, die objektive Gefährlichkeit des Joints mit dem Wirkstoff 5F-ADB[38] im öffentlich zugänglichen Bereich einer Schule unter Anwesenheit Mehrerer abzulehnen, da keine nahe liegende Gefahr der Rechtsgutverletzung Anderer begründet werde, würden doch keine Zugriffsmöglichkeiten gewährt, so unterscheidet sich der Sachverhalt freilich von der offenen Zurverfügungstellung auf dem Tisch. Dennoch wird so der Blick von der objektiven Gefahrenquelle (Gefährlichkeit des Wirkstoffs) in Richtung des spezifischen Verhaltens des Täters (Nicht-Gewähren von Zugriffsmöglichkeiten) gelenkt, was bei Lichte betrachtet der Ingerenz vorbehalten bleiben dürfte und daher abzulehnen bleibt.

Doch auch die Negation der Garantenpflicht im konkreten Fall, welche mit dem Hinweis auf die Warnung des Täters, es handle sich um "starkes Zeug" begründet wird, zeigt das Bestreben des BGH, die Beurteilung der Garantenpflicht aus einer Gefahrenquelle systemwidrig um das konkrete Vorverhalten des Täters aufzuladen.[39] Bei näherer Betrachtung scheint der Senat eine rechtliche Sonderpflicht gar anzunehmen, diese jedoch durch die Warnung auf die Gefährlichkeit als erfüllt anzusehen.[40] Darin dürfte jedoch kein Bekenntnis zu jener Ansicht zu erblicken sein, welche im Falle des Umschlagens der Gefahr in eine Schädigung eine besondere Rettungspflicht ablehnt.[41] Vielmehr ist diese Formulierung das Produkt der selbst geschaffenen Bredouille, das Vorverhalten als Vorbedingung für die Garantenpflicht aus der Herrschaft über eine Gefahrenquelle zu begreifen; der Widerspruch zwischen Negation objektiver Gefährlichkeit und Erfüllung der aus der Schaffung der Gefahrenquelle resultierender Pflicht ist konfus, bei einer derartigen Vermengung der Bezugspunkte aber nahezu folgerichtige Konsequenz. Die im Urteil getroffene Ablehnung der Erfolgsabwendungspflicht stellt somit ein im Ergebnis begrüßenswertes, in ihrem Zustandekommen jedoch zufälliges Resultat dar. Denn die Frage der Garantenpflicht aus pflichtwidrigem Vorverhalten ist alleine eine solche unter dem Blickwinkel der Ingerenz. Würden bestehende Fallgruppen der Garantenpflichten derart beliebig vermengt, so wäre das Ergebnis nicht nur hinsichtlich der Begründung holprig, sondern auch im Hinblick auf die angesichts der geringen Bestimmtheit notwendige restriktive Interpretation nur wenig haltbar.

c) Ingerenz

Unter dem Stichwort der Ingerenz ist anerkannt, dass ein pflichtwidrig gefährdendes Vorverhalten eine Garantenstellung bedingen kann,[42] insofern das Verhalten nach

allgemeiner Lebenserfahrung geeignet ist, den tatbestandsmäßigen Erfolg herbeizuführen.[43] Die Frage nach der Ingerenz ist also jene, in welcher sämtliche das Vorverhalten betreffende Aspekte im Einzelfall aufzugehen haben. Im Zusammenhang mit der Abgabe von Betäubungsmitteln oder der Ermöglichung deren Konsums ist nach der Rechtsprechung jedenfalls ein pflichtwidriges Vorverhalten anzunehmen, wenn die Handlung selbst strafbar ist.[44] Der Konsum des Joints war jedoch zum Tatzeitpunkt nicht mit Strafe belegt, sodass sich ein Pflichtwidrigkeitsvorwurf nicht darauf stützen kann. Freilich wäre ein isolierter Blick auf die Strafbarkeit des Drogensurrogats mitunter zu pauschal für die Frage nach der Pflichtwidrigkeit, wie sich gerade an den Fällen des auf gemeinsamer Drogenparty konsumierten Reinigungsmittels zeigt. Doch von einem gemeinsam auch nur konkludent bedachten Konsum kann vorliegend nicht die Rede sein. Auch kann der Vorwurf nicht in dem Überlassen des Joints erblickt werden, wurde dem Geschädigten doch der erbetene Konsum gerade nicht gewährt, sondern dessen Bitte abgelehnt, woraufhin sich dieser den Joint nahm. Daher kann bereits aufgrund der tatsächlichen Umstände kein Verhaltensvorwurf erhoben werden, kann doch nicht verlangt werden, sich gegenüber fremden Wegnahme-Versuchen stets erfolgreich zu verteidigen. Auch konnte mit dieser Wegnahme nicht gerechnet werden, sodass sie als überraschend und nicht vorhersehbar auch nicht zuzurechnen bleibt.[45] Es fehlt daher vorliegend bereits daher an einer Garantenpflicht.

3. Einfluss des Verantwortungsprinzips?

Daher ist es für das Ergebnis letztlich unschädlich, dass die Frage des Verhältnisses der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung zur Garantenpflicht allenfalls jeweils hilfsweise angeschnitten wird und ein klares Bekenntnis ausbleibt. Dennoch ist bedauerlich, dass der Senat diese Chance verstreichen lässt und so einen potenziellen Mehrwert auszudrücken verpasst. Denn angesichts der bereits erfolgten Klarstellung in den Fällen der Suizidbeihilfe[46] hätte die Chance bestanden, eine Trendwende hin zu mehr Eigenverantwortlichkeit zu vollziehen.[47]

Zwar hält der erkennende Senat fest, dass die Straflosigkeit einer aktiven Handlung es nicht per se ausschließt, Garantenpflichten für den Zeitpunkt zu begründen, in welchem sich das Risiko erkennbar verwirklicht.[48] Dennoch sollte nicht übersehen werden, dass die Frage der Eigenverantwortlichkeit hilfsweise und punktuell in die Negation der einzelnen Garantenpflichten einfließt und damit dem Bestreben Ausdruck verleiht, das Verantwortungsprinzip stärker zu berücksichtigen. Dass dies nicht unter deutlicher Klarstellung erfolgt ist mitunter dem Umstand geschuldet, dass die Rechtsprechung sich in falschen Ausgangsprämissen – namentlich der Vermengung der Beherrschung einer Gefahrenquelle sowie sonstigem pflichtwidrigem Vorverhalten – gefangen sieht und die Frage dem jeweiligen Vorverhalten unterordnet. Insofern krankt auch das vorliegende Urteil an dem Mangel an Einordnung der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung innerhalb der Rechtsprechung.[49] Darüber hinaus dürfte jedoch auch eine Rolle spielen, dass der vorliegende Fall des erheblich Betrunkenen, sich selbst Gefährdenden auch auf Boden einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung höchst umstritten sein dürfte, kannte der Geschädigte doch zudem nicht um die genauen Gefahren des Wirkstoffs, sodass die Eigenverantwortlichkeit in Frage zu stellen sein dürfte.[50] Die Implementierung der Verantwortlichkeit in die Erörterung der einzelnen Pflichten verlagert daher den Fokus weg von einer isolierten Betrachtung der Verantwortlichkeit hin zu einer Gesamtbetrachtung des Vorverhaltens der Beteiligten, was zwar strukturell abzulehnen bleibt, allerdings den Weg in die Richtung zur stärkeren Berücksichtigung der Selbstgefährdung ebnet.[51] Denn so wird, insbesondere da der Senat abschließend auf eine Garantenpflicht für den Zeitpunkt der Risikoverwirklichung nicht mehr eingeht, faktisch doch eine grundlegende Garantenpflicht mittels des Aspekts der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung abgelehnt, welche in der Folge auch nicht wieder aufleben gelassen werden soll. So nähert sich der BGH zwar weder methodisch noch argumentativ, im Sinne des Ergebnisses jedoch deutlich der Literaturansicht an.

IV. Systematik statt Gesamtbetrachtung

So nahe die Ergebnisse von Rechtsprechung und Literatur im Einzelfall auch beieinanderliegen mögen, so weit entfernen sich doch die Herangehensweisen. So ist zwar auch nach Maßgabe der Rechtsprechung im vorliegenden Fall eine Garantenpflicht abzulehnen, die wünschenswerterweise entgegen früherer Judikate sodann auch nicht wiederaufleben gelassen wird.

Allerdings verschiebt die erfolgte Berücksichtigung der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung auf Ebene der Entstehung einer Garantenpflicht den Maßstab zu einer – von der fälschlichen Implementierung des Vorverhaltens in die Herrschaft über eine Gefahrenquelle zusätzlich begünstigten – Gesamtbetrachtung tätereigenen sowie -fremden Verhaltens. In diesem Zuge wird zwar eine Selbstgefährdung des Opfers umso schneller anzunehmen und eine Garantenpflicht entsprechend öfter abzulehnen sein. Außen vor bleibt dann jedoch der die Selbstgefährdung prägende Part der Eigenverantwortlichkeit, welcher vom dezisiven Kriterium zu einem Merkmal unter vielen degradiert wird. Mehr noch wird die Selbstgefährdung als Merkmal zur Bestimmung des pflichtwid-

rigen Vorverhaltens des Täters in den Ring geworfen und nicht nur daher die Bezugspunkte vermengt.

Es bleibt dementsprechend zu hoffen, dass die Rechtsprechung der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung künftig in Gänze die Aufmerksamkeit zuteilwerden lässt, welche ihr in diesem Urteil im Ergebnis, methodisch jedoch verfehlt bereits zugestanden wird. Unerlässlich dazu dürfte jedoch sein, die verfehlte Gesamtbetrachtung aufzugeben und stattdessen die Garantenpflichten zu entwirren sowie den systematischen Standpunkt der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung zu klären.


[*] Der Verfasser ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht und Medizinstrafrecht von Herrn Prof. Dr Brian Valerius in Bayreuth.

[1] Heinrich, AT, 6. Aufl. 2019, Rn. 853, 856; Rengier, AT, 11. Aufl. 2019, § 50 Rn. 1. Ergibt sich die Möglichkeit der Verwirklichung zum Unterlassen bereits aus dem Straftatbestand selbst (wie im Falle des prominenten § 323c StGB), so ist § 13 StGB nicht von Bedeutung, Schünemann ZStW 96 (1984), 287, 303 f.

[2] NK-StGB/Gaede, 5. Aufl. 2017, § 13 Rn. 29; Schönke/Schröder/Bosch, 30. Aufl. 2019, § 13 Rn. 2.

[3] Von einem gesetzlichen Vakuum spricht daher Lenk NStZ 2019, 638, 639. Die mangelnden Konturen wären auf Grundlage der BGH-Rechtsprechung, welche in § 13 StGB nur eine Klarstellung erblickt, verständlich, vgl. BGHSt 36, 227; zustimmend Freund/Timm HRRS 2012, 223, 223 ff.; dazu MK-StGB/Freund, 3. Aufl. 2017, § 13 Rn. 53.

[4] Die Bedenken hinsichtlich des Analogieverbotes haben sich dagegen mit Inkrafttreten des § 13 StGB weitgehend erledigt, Seebode, Festschrift Spendel, 1992, S. 317, 345; Roxin JuS 1973, 197, 197 f.; aA jedoch Bung ZStW 120 (2008), 526, 539 f.

[5] Satzger/Schluckebier/Widmaier/Kudlich, 4. Aufl. 2018, § 13 Rn. 3; SK-StGB/Wolter, 9. Aufl. 2017, § 13 Rn. 15; Kühl JuS 2007, 497, 498 f.; a.A. MK-StGB/Freund (Fn. 3), § 13 Rn. 26.

[6] So soll insbesondere eine im Rahmen der Auslegung verbleibende Rechtsunsicherheit im Wege der Präzisierung sowie Konturierung durch die Rechtsprechung geheilt werden können, BVerfGE 45, 363, 372; 85, 69, 73; speziell zu § 13 StGB BVerfGE 96, 68, 98 m. krit. Anm. Seebode JZ 2004, 3005; die Literatur erblickt darin nicht zu Unrecht die Substitution des Bestimmtheitsgrundsatzes durch einen Grundsatz der Bestimmbarkeit, siehe Rotsch ZJS 2008, 132, 138 f.; Erne, Das Bestimmtheitsgebot im nationalen und internationalen Strafrecht am Beispiel des Straftatbestands der Verfolgung, 2016, S. 48 f.

[7] So die h.A.: BVerfGE 96, 68, 98; NJW 2003, 1030; Lackner/Kühl/Heger, 29. Aufl. 2018, § 13 Rn. 21; Satzger/Schluckebier/Widmaier/Kudlich (Fn. 5), § 13 Rn. 3; Schönke/Schröder/Bosch (Fn.  2 ), § 13 Rn. 5/6; Fünfsinn, Der Aufbau des fahrlässigen Verletzungsdelikts durch Unterlassen im Strafrecht, 1985, S. 9.

[8] Welches angesichts der mangelnden Verschriftlichung bereits zwangsläufig aus der seitens des Bundesverfassungsgerichts vorgenommenen Verlagerung der Bestimmtheit von der Legislative auf die Judikative zu folgen hat, dazu insgesamt Ruppert, Die Sozialadäquanz im Strafrecht, 2019, S. 174 ff.

[9] NK-StGB/Gaede (Fn. 2), § 13 Rn. 3; Schönke/Schröder/Bosch, § 13 Rn. 5/6; Otto, Grundkurs. Allgemeine Strafrechtslehre, 7. Aufl. 2004, § 9 Rn. 57; Arm. Kaufmann JuS 1961, 173, 176; Rönnau JR 2004, 158, 160.

[10] BVerfGE 96, 68, 98; BGHSt 7, 268. 271; 30, 391. 393 f.

[11] NK-StGB/Gaede (Fn. 2), § 13 Rn. 29; Satzger/Schluckebier/Widmaier/Kudlich (Fn. 5), § 13 Rn. 13; freilich kann insofern keine starre Begrenzung gefordert werden, gewährleistet doch die Ableitung von Garantenpflichten von bereits anerkannten Pflichtenstellungen bei hinreichend erkennbarer Methodik die Vorhersehbarkeit der Rechtsanwendung, Schönke/Schröder/Bosch (Fn. 2), § 13 Rn. 5/6.

[12] Exemplarisch insofern Schönke/Schröder/Bosch (Fn. 2), § 13 Rn. 9 zur herrschenden Unterteilung in Beschützer- und Überwachungsgaranten: "Diese substanzlose, aber zu einer sog. Funktionenlehre überhöhte Einteilung hat allenfalls systematische Bedeutung; sie sagt über Inhalt und Umfang der dem Garanten obliegenden Pflichten wenig aus"; zur anschaulichen Systematisierung der Garantenpflichten in Überwachungs- und Beschützergaranten Kaufmann, Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte, 1959, S. 283 ff.; Rudolphi JR 1987, 336, 337; kritisch statt vieler Schünemann, ZStW 96 (1984), 287, 305; zu den zahlreichen materiellen Begründungsmodellen der Garantenposition Satzger/Schluckebier/Widmaier/Kudlich (Fn. 5), § 13 Rn. 14 ff. m.w.N. und von traditioneller zu heutiger Lehre NK-StGB/Gaede (Fn. 2), § 13 Rn. 30 ff. m.w.N.

[13] NK-StGB/Gaede (Fn. 2), § 13 Rn. 47; Schönke/Schröder/Bosch (Fn. 2), § 13 Rn. 22; Heinrich (Fn. 1), Rn. 939; Roxin, AT I, 4. Aufl. 2006, § 11 Rn. 12; Kühl JuS 2007, 497, 502; i.E. anders die Rechtsprechung, statt vieler BGH HRRS 2016 Nr. 39 und ähnlich Satzger/Schluckebier/Widmaier/Kudlich (Fn. 5), § 13 Rn. 12; eingehend zur Figur der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung Kaspar HRRS 2014, 436, 437 ff.

[14] Eisele JuS 2016, 276, 278; Jäger JA 2016, 392, 394; Roxin NStZ 1985, 319, 321; Schiemann NJW 2016, 176, 178.

[15] BGH NStZ 1984, 452; NJW 1985, 690; HRRS 2012 Nr. 333; HRRS 2016 Nr. 39.

[16] Insbes. BGH NJW 1984, 2639; darauf abstellend auch OLG Hamburg NStZ 2016, 530; kritisch Berghäuser ZStW 128 (2016), 741, 749; Duttge medstra 2018, 124, 124; Hillenkamp MedR 2018, 379, 383; a.A. auch LG Gießen NStZ 2013, 43, 44; StA München I NStZ 2011, 345, 345.

[17] BGH HRRS 2019 Nr. 1052 und 1059; eingehend Coenen medstra 2020, 84 passim und Lorenz HRRS 2019, 351 passim; wenngleich Kubiciel NJW 2019, 3033, 3033 festhält, die Entscheidungen beglaubigen lediglich eine gelebte Rechtspraxis.

[18] Gleichwohl, ob diese völlig aufgehoben oder inhaltlich beschränkt wird, vgl. Hillenkamp MedR 2018, 379, 381 f. und Sowada NStZ 2019, 666, 670 f.; eingehend (und auch zu gegenläufigen Tendenzen) Coenen medstra 2020, 84, 88 ff.; zur Reichweite des Selbstbestimmungsrechts beim tödlichen Behandlungsabbruch bereits zuvor BGH NJW 2010, 2963; zu dem damaligen Novum Gaede NJW 2010, 2925, 2926 f. und Kubiciel ZJS 2010, 656 passim.

[19] Generell zur eigenverantwortlichen Selbstgefährdung Eisele JuS 2012, 577, 578; Roxin, AT I, 4. Aufl. 2006, § 11 Rn. 107; ferner BGHSt 32, 262, 264 f.

[20] In welcher der Vorwurf der Vermengung der einzelnen Pflichten berechtigt erscheint, Herbertz JR 2016, 545, 548.

[21] Mit dem Wirkstoff Gammabutyrolacton (GBL), BGH HRRS 2012 Nr. 333; HRRS 2016 Nr. 39.

[22] Zu diesen und auch älteren Fällen Kretschmer medstra 2016, 167, 167.

[23] Wobei die Rechtsprechung entgegen der Literatur, welche die eigenverantwortliche Selbstgefährdung auf Ebene der objektiven Zurechnung einordnet, die Verantwortlichkeit in systematischer Hinsicht kaum strukturiert, dazu eingehend Kaspar HRRS 2014, 435, 437 m.w.N.

[24] BGH HRRS 2016 Nr. 39; was insoweit auch von der Literatur geteilt wird, siehe Eisele JuS 2016, 276, 277 f.; Jäger JA 2016, 392, 394; Schiemann NJW 2016, 178, 178; ebenso BGH HRRS 2012 Nr. 333, insofern zustimmend Murmann NStZ 2012, 387, 387 ff.

[25] Ebenda, jüngst BGH NStZ 2017, 219, 220 f. m.w.N.; zustimmend Satzger/Schluckebier/Widmaier/Kudlich (Fn. 5), § 13 Rn. 12; insoweit aber kritisch Eisele JuS 2016, 276, 278; Jäger JA 2016, 392, 394; Murmann NStZ 2012, 387, 387 ff.; Schiemann NJW 2016, 178, 178.

[26] BGH NJW 1954, 1047, 1048; NStZ 2008, 276, 277; OLG Stuttgart NJW 1981, 182.

[27] BGH NStZ 2008, 276, 277; Lackner/Kühl/Heger (Fn. 7), § 13 Rn. 10.

[28] BGHSt 53, 38, 41 f.; HRRS 2012 Nr. 333; 2017, 223, 225; Satzger/Schluckebier/Widmaier/Kudlich, § 13 Rn. 30; SK-StGB/Wolter (Fn. 5), § 13 Rn. 27 ff.

[29] BGH HRRS 2012 Nr. 333; HRRS 2016 Nr. 39; kritisch Herbertz JR 2016, 545, 548; Murmann NStZ 2012, 387, 389.

[30] Schönke/Schröder/Bosch (Fn. 2), § 13 Rn. 44; SK-StGB/Wolter (Fn. 5), § 13 Rn. 37: "Der Inhalt dieser aus der tatsächlichen Herrschaft über eine sachliche Gefahrenquelle erwachsenden Garantenpflicht ist auf die Eindämmung der Gefahrenquelle beschränkt. Es besteht lediglich die Pflicht, den eigenen Herrschaftsbereich so abzusichern, dass sich für Dritte keine Gefahren ergeben".

[31] So SK-StGB/Wolter (Fn. 5), § 13 Rn. 37; Schünemann ZStW 96 (1984), 287, 309.

[32] LK/Weigend, § 13 Rn. 59; NK-StGB/Gaede (Fn. 2), § 13 Rn. 49; Brammsen, Die Entstehungsvoraussetzungen der Garantenpflichten, 1986, S. 241 ff.; Herzberg, Die Unterlassung im Strafrecht und das Garantenprinzip, 1972, S. 322 ff.

[33] NK-StGB/Gaede (Fn. 2), § 13 Rn. 49; Schönke/Schröder/Bosch (Fn. 2), § 13 Rn. 44; Brammsen, Die Entstehungsvoraussetzungen der Garantenpflichten, 1986, S. 241 ff.; Herzberg, Die Unterlassung im Strafrecht und das Garantenprinzip, 1972, S. 322 ff.

[34] NK-StGB/Gaede (Fn. 2), § 13 Rn. 49.

[35] Ähnlich Jäger JA 2016, 392, 394, der festhält, dass die Verantwortlichkeit die Überwachergarantenstellung ausschließen muss.

[36] Eine Beschränkung auf die übliche Verwendungsweise fordern aber Herbertz JR 2016, 545, 548 f., Kretschmer medstra 2016, 167, 168 f. und Murmann NStZ 2012, 387, 388.

[37] Was sich insbesondere bei Herbertz JR 2016, 545, 549 zeigt, die unter Verweis auf BGHSt 53, 38, 41 ff. solche Maßnahmen fordert, die nach den Gesamtumständen zumutbar sind und ein verständiger und umsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält. Bei den in Rede stehenden Mitteln kann sich aber die Gefahr erst aus der Zweckentfremdung, dem Konsum als Rauschmittel, ergeben. Eine solche ist aber in dem betroffenen Kreis gelebter Usus und somit nach den Gesamtumständen zu erwarten, sodass ein umsichtiger Mensch Vorsorge zu leisten hätte.

[38] Welche objektiv unumstritten ist.

[39] Dazu zuvor bereits kritisch anhand der älteren Rechtsprechung NK-StGB/Gaede (Fn. 2), § 13 Rn. 47; Herbertz JR 2016, 545, 548; Kretschmer medstra 2016, 167, 168 f.; Roxin StV 2016, 428, 429; anders aber Kuhli HRRS 2012, 331, 332.

[40] "Der Angeklagte A. hatte somit mit seinen Hinweisen auf die Wirksamkeit des in dem Joint erforderlichen (sic) Stoffs alle diejenigen Maßnahmen ergriffen, die ein verständiger und umsichtiger Mensch in dieser Situation für ausreichend und notwendig halten durfte, um andere vor Schaden zu bewahren".

[41] Siehe Fn.  31 .

[42] St. Rspr., grundlegend bereits RGSt 24, 339, 340; exemplarisch BGHSt 4, 20, 22, Satzger/Schluckebier/Wiedmaier/Kudlich (Fn. 5), § 13 Rn. 23 m.w.N.

[43] NK-StGB/Gaede (Fn. 2), § 13 Rn. 43 m.z.N.

[44] BGHSt 33, 66; 53, 288, 291; NStZ 1984, 452.

[45] Vgl. dazu BGH NStZ 1998, 83, 84; NJW 1999, 69, 72.

[46] Vgl. Fn.  17 .

[47] Was nur umso mehr angesichts des Umstands gilt, dass vorliegend niemals ein Suizid, sondern lediglich eine Selbstgefährdung beabsichtigt war, sodass die Klärung dieser Divergenz besondere Bedeutung gehabt hätte.

[48] Insofern unter Verweis auf BGH NStZ 1984, 452; NJW 1985, 690, 691.

[49] Siehe oben und Kaspar HRRS 2014, 436, 437.

[50] Zu derartigen Problemen bereits Jäger JA 2016, 392, 394.

[51] Im Ergebnis dürfte so zwar das Kriterium der Selbstgefährdung weit mehr Berücksichtigung finden, da es dem Entstehen einer Garantenpflicht entgegengehalten wird. Allerdings wird demgegenüber das Merkmal der Eigenverantwortlichkeit herabgestuft, da bedeutende Punkte wie die Unkenntnis sowie Trunkenheit des Betroffenen übergangen werden.