HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

November 2019
20. Jahrgang
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Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

Zur höchstrichterlichen Relativierung des absoluten Revisionsgrundes des § 338 Nr. 6 StPO

Zugleich Anmerkung zu BGH HRRS 2019 Nr. 716

Von Dr. Martin Heuser, Regensburg [*]

I. Zur Relativierung absoluter Revisionsgründe im Fall des § 338 Nr. 6 StPO

Gemäß § 338 Nr. 6 StPO gilt: "Ein Urteil ist stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen,[…] wenn das Urteil auf Grund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt sind;[…]." Doch der Schein dieser gesetzlichen Ausgestaltung einer Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes (§ 169 GVG, Art. 6 Abs. 1 EMRK) als absoluter Revisionsgrund trügt bekanntlich. Die praktische Handhabung dieser Norm ordnet sich nämlich ein in eine allgemeine Tendenz der Rechtsprechung zur "Relativierung absoluter Revisionsgründe".[1] Sieht man von der Möglichkeit einer Heilung[2] ab, dann relativieren mindestens drei Einschränkungen die absolute Revisibilität einer Verletzung der Vorschriften über die Öffentlichkeit erheblich und nähern diesen Verfahrensfehler bisweilen einem relativen Revisionsgrund an, denn:

  • nur die ungesetzliche Beschränkung der Öffentlichkeit gilt überhaupt als (möglicher) absoluter Revisionsgrund, während die ungesetzliche Erweiterung der Öffentlichkeit als relativer Revisionsgrund angesehen wird;[3]
  • nur eine vom Spruchkörper selbst verschuldete ungesetzliche Beschränkung der Öffentlichkeit gilt als (möglicher) absoluter Revisionsgrund, während jede sonstige ungesetzliche Beschränkung nicht als revisibler Verstoß gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz angesehen wird;[4]
  • nur eine solche ungesetzliche Beschränkung der Öffentlichkeit, bei deren Vorliegen das Beruhen nicht von vornherein ausgeschlossen erscheint, gilt als absoluter Revisionsgrund.[5]

Insbesondere die letztgenannte Relativierung im Sinne einer teleologischen Reduktion des § 338 Nr. 6 StPO[6] betrifft vornehmlich die verfahrensrechtlichen Formalien eines gesetzlichen Ausschlusses der Öffentlichkeit während der mündlichen Verhandlung, sodass mit diesem Kriterium große Teile der entsprechenden Verfahrensverstöße einzelfallbezogen bzw. ergebnisorientiert aus dem Kreis der absoluten Revisionsgründe ausgeschieden werden können.[7] Denkbar sind dabei mit Blick auf das ein-

zuhaltende Verfahren nach § 174 Abs. 1 GVG insbesondere eine Ausschlussverhandlung in nicht öffentlicher Sitzung (vgl. S. 1),[8] ein fehlender bzw. nicht öffentlich verkündeter Beschluss (S. 2),[9] sowie die fehlende bzw. fehlerhafte Begründung des Beschlusses (S. 3).[10]

1. Die Rechtsprechung bis zur Jahrtausendwende

Anhand der ihr vorgelegten Verstöße gegen die Begründungspflicht des § 174 Abs. 1 S. 3 GVG[11] entwickelte die Rechtsprechung maßgeblich ihre teleologische Reduktion für den Revisionsgrund des § 338 Nr. 6 StPO beim Ausschluss des Beruhens. Dabei nahm der BGH[12] im Anschluss an die reichsgerichtliche Rechtsprechung[13] jedoch zunächst noch an, dass bei der Verkündung des die Öffentlichkeit ausschließenden Beschlusses stets der Grund anzugeben sei. Demnach war ein Begründungsfehler immer revisibel, auch wenn sich der nicht mitgeteilte Ausschließungsgrund mittelbar schlüssig aus dem Sachzusammenhang oder früheren Beschlüssen bzw. Anträgen ergab: "Jedes Absehen von der zwingenden Grundangabe im Beschluß selbst würde die Vorschrift in nicht weiter abgrenzbarer Weise aushöhlen.[…]Die Öffentlichkeit der Hauptverhandlung gehört zu den Grundlagen des Strafverfahrens. Der Gesetzgeber legt der Einhaltung der darüber erlassenen Vorschriften entscheidendes Gewicht bei; sonst würde er in ihrer Verletzung keinen unbedingten Revisionsgrund (§ 338 Nr. 6 StPO) sehen.[…] Wesentliche praktische Verfahrensgründe stehen dem nicht entgegen. Das Gesetz fordert damit vom Gericht auch nichts schwer Erfüllbares[…]. Der unbedingte Revisionsgrund[…]nötigt somit zur Aufhebung und Zurückverweisung."[14] "Diese Folgerung ist nicht etwa formalistisch, sie beruht vielmehr auf grundlegenden Rechtsgedanken, die in den §§ 169 ff. GVG verkörpert sind."[15]

2. Die Rechtsprechung seit der Jahrtausendwende

Indessen verfährt die Rechtsprechung seit der Jahrtausendwende entgegengesetzt, wenn die materielle Richtigkeit des Öffentlichkeitsausschlusses im Ergebnis festzustehen scheint: Eine fehlerhafte bzw. fehlende Begründung ist demnach kein absoluter Revisionsgrund mehr, wenn sich aus den Urteilsgründen sowie dem Sitzungsprotokoll der Verfahrensablauf ergibt und sich dadurch herausstellt, dass – erstens – der Bezug des Öffentlichkeitsausschlusses auf die entsprechenden Prozesshandlungen für jedermann erkennbar war, und dass – zweitens – auch aufgrund dessen das Revisionsgericht eine andere Entscheidung des Tatgerichts nach der konkreten Sachlage aus rechtlichen Gründen sicher ausschließen kann.[16] Wenn nämlich der Verfahrensfehler nicht zu einer (materiell) unzulässigen Beschränkung der Öffentlichkeit geführt habe, sei der Verstoß "nicht so schwer, daß deshalb der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 6 StPO zu bejahen wäre"[17]. Dies wohl deshalb, weil dann auch das Urteil im materiellen Ergebnis nicht

betroffen scheint. Damit führt der formell fehlerhafte Öffentlichkeitsausschluss nicht zum Revisionserfolg, obwohl mit ihm ein Verfahrensfehler vorliegt, der an sich einen absoluten Revisionsgrund (§ 338 Nr. 6 StPO) begründen würde, weil durch ihn die gesetzlich zugelassene Öffentlichkeit in gesetzlich unzulässiger Weise beschränkt wurde. Dass also das inhaltliche Beruhen des Urteils auf dem Verfahrensfehler im Ergebnis ausgeschlossen erscheint, dürfte der eigentliche Gehalt dieser etwas kryptischen "Schwereformel" der Rechtsprechung sein.[18] Sie verneint somit den absoluten Revisionsgrund trotz Verstoß gegen § 169 Abs. 1 S. 1 GVG, wenn und weil einer der Ausschlussgründe der §§ 171a ff. GVG zwingend gegeben scheint.

3. Das revisionsrechtliche Grundproblem der neuen Rechtsprechung

Es kann kaum zweifelhaft sein, dass die Rechtsprechung mit dieser mittlerweile wohl unumkehrbaren Entwicklung "contra legem" diejenige Beruhensprüfung installiert hat, die nach § 338 Nr. 6 StPO eigentlich deshalb ausgeschlossen ist, weil es auf das Beruhen von vornherein nicht ankommt.[19] Genau zu sprechen kommt es auf ein Beruhen nämlich jedenfalls nicht in dem von der Rechtsprechung angenommenen unmittelbaren Sinne an, dass am Ende des Verfahrens nur ein materiell unrichtiges Urteil steht. Vielmehr ist ein Beruhen des Urteils auf dem Verfahrensverstoß im Falle des § 338 Nr. 6 StPO alleine in dem mittelbaren Sinne maßgeblich, dass am Ende des Verfahrens ein Urteil steht, das in seinem Zustandekommen jedenfalls an einem Punkt zumindest auf einem verfahrensrechtlich fehlerhaften Ausschluss der Öffentlichkeit, damit aber zugleich auf einem insgesamt nichtigen Verfahren beruht.[20] Denn dann war diejenige Form der Rechtlichkeit, die durch die grundsätzliche Öffentlichkeit des Verfahrens gewährleistet werden soll,[21] nicht durchgängig gewährleistet, womit auch das im Ergebnis materiell richtig erscheinende Urteil gleichwohl zwangsläufig bemakelt ist. Der Verfahrensfehler ist also nur scheinbar "rein formeller" Natur. Fehlt dem Ausschluss der Öffentlichkeit nämlich die nach § 174 Abs. 1 S. 3 GVG vorgeschriebene Begründung, beruht damit das ganze Verfahren auf einem formell rechtswidrigen, weil verfahrensfehlerhaften Ausschluss der nach § 169 GVG zwingend vorgeschriebenen Öffentlichkeit.

Insofern vermag die von der Rechtsprechung hinsichtlich des materiellen Ergebnisses vorgenommene Ausschlussprüfung, die den Eigenwert dieser schützenden Rechtsförmlichkeit[22] unterläuft, das nach § 338 Nr. 6 StPO in formeller Hinsicht maßgebliche Beruhen gar nicht zu erfassen. Die Rechtsprechung wird also nur allzu oft und leicht zu einem gleichsam "denkgesetzlichen" Ausschluss des Beruhens gelangt sein wollen.[23] Deshalb erscheint der Rechtsprechung ein solcher Verfahrensfehler mitunter auch gar nicht als "Verfahrensfehler"[24]; und falls dies doch einmal der Fall ist, kommt ihr seine Aufhebung lediglich als "bloße Förmelei"[25] vor. Doch welches "Denkgesetz" schließt es aus, dass eine verfahrensfehlerhafte Einschränkung der Öffentlichkeit eine nichtige Hauptverhandlung und insofern ein nichtiges und mit der Revision aufzuhebendes Urteil zur Folge hat? Es gilt für die Einhaltung maßgeblicher Rechtsförmlichkeiten noch immer eine treffende Bemerkung Karl Peters: "Vom Einzelfall her gesehen kann das unliebsame, ja kaum vermittelbare, kostspielige Folgen haben."[26] Dies war auch der älteren Rechtsprechung bewusst, die einmal vorausschauend notierte: "Die Bestimmungen über die Öffentlichkeit der Hauptverhandlung schreiben keine leere Form vor. Sie gewährleisten, daß[…]die Öffentlichkeit, wenn ein gesetzlicher Grund dafür vorliegt, nur unter Beachtung der gesetzlichen Formen ausgeschlossen werden darf. Die in ihnen gezogenen Grenzen sind daher streng zu beachten, weil die Verfahrenssicherheit der Öffentlichkeit sonst[…]in die Gefahr gerät, sich in eine nicht weiter abgrenzbare bloße Förmlichkeit aufzulösen."[27]

4. Die verfahrensrechtliche Problematik der neuen Rechtsprechung

Auch wenn sich der Rechtsprechungswandel und damit die zunehmende Beachtlichkeit von außerhalb des Beschlusses gelegenen Umständen zuvor angedeutet haben,[28] kann man an diesem Punkt wohl nicht mehr davon sprechen, der BGH habe § 338 Nr. 6 StPO "wohldosiert" seine Wirkungsmacht genommen;[29] schon eher hat er dieser Norm "die Zähne gezogen"[30]. Denn zuvor war eine Begründung mitsamt ihrer öffentlichen Verkündung[31] stets für erforderlich erachtet worden.[32] Lediglich die Möglichkeit einer ausdrücklichen Bezugnahme des Tatgerichts innerhalb seines Beschlusses auf außerhalb gelegene Umstände, namentlich auf die Begründung eines vorangegangenen Beschlusses, war als zulässig erkannt worden.[33] Dabei war für die Begründung erforderlich, dass dem Beschluss der gesetzliche Grund für den Ausschluss der Öffentlichkeit eindeutig zu entnehmen ist.[34] Deshalb reichte die bloße Angabe einer Gesetzesnorm jedenfalls dann nicht, wenn diese mehrere Ausschlussgründe in sich enthielt.[35]

Dagegen wurde und wird die Mitteilung der entsprechenden Tatsachen überwiegend nicht gefordert.[36] Doch dies ist keineswegs ganz selbstverständlich. Denn wenn man dem Revisionsgericht – außerhalb des gesetzlichen Ausschlusses gemäß § 171b Abs. 5 GVG – eine Prüfungskompetenz hinsichtlich des tatbestandlichen Vorliegens eines etwaigen Ausschlussgrundes zuspricht,[37] dann liegt das revisionsgerichtliche Verlangen nach Angabe der tatsächlichen Umstände in der Beschlussbegründung[38] des Tatgerichts jedenfalls nicht fern,[39] da diese Prüfungskompetenz ansonsten allenfalls nach Aktenlage ausgefüllt werden kann.[40] Wird sie aber – wie es gängiger Rechtsprechung entspricht – nach Aktenlage ausgefüllt, muss das Tatgericht auch zwingend auf die von ihm im Beschluss anderweitig angegebene Begründung festgelegt sein, da andernfalls die erforderliche Beschlussbegründung rechtlich nicht notwendig mit denen aus der Akte zu ersehenden Tatsachen übereinstimmen würde. Deshalb verbietet sich die revisionsgerichtliche Ersetzung eines vom Tatgericht unzutreffend begründeten Ablehnungsgrundes.[41] In diesem Umfang ist schließlich auch der Satz[42] zutreffend, wonach sich aus § 174 Abs. 1 S. 3 GVG ein Verbot für das Revisionsgericht ergibt, außerhalb des Beschlusses selbst liegende Umstände zu berücksichtigen. – Hieraus folgt zweierlei:

Erstens: Wenn es dem Revisionsgericht im Rahmen der ihm zustehenden Prüfungskompetenz verwehrt ist, die vom Tatgericht angegebenen Gründe zu ersetzen, dann muss dies erst recht dort gelten, wo dem Revisionsgericht die Überprüfung des tatsächlichen Vorliegens der Ausschlussgründe des § 171b GVG gemäß dessen Abs. 5 (i.V.m. § 336 S. 2 StPO) bereits von vornherein gänzlich versagt ist;[43] schlicht deshalb, weil es sie damit in rechtli-

cher Hinsicht nicht prüfen kann. Damit geht es aber jedenfalls bei einem potentiellen Ausschluss der Öffentlichkeit nach § 171b GVG nicht an, denjenigen Fall unzureichender Begründung revisionsgerichtlich für irrevisibel zu erklären, in dem sich der tatsächliche Grund für den Öffentlichkeitsausschluss nicht aus dem Beschluss, sondern erst aus der Akte ergibt. Denn diese Tatsachenerkenntnis ist dem Revisionsgericht nach seiner verhinderten Prüfungskompetenz gemäß § 171b Abs. 5 GVG rechtlich verwehrt. Der BGH durfte in seinem gegenteiligen Judikat[44] also nach eigenen Prüfungsmaßstäben richtigerweise gar nicht feststellen, ob sich der Ausschluss tatsächlich nach § 171b GVG rechtfertigt.[45] Folglich durfte er genau diese Frage ohne zulässige Erkenntnismöglichkeit aber auch nicht zum maßgeblichen Kriterium der Irrevisibilität erklären, da er sie in rechtlicher Hinsicht schlicht nicht beantworten kann. Und selbst wenn sich der Öffentlichkeitsausschluss in dem von ihm entschiedenen Fall zusätzlich noch nach § 172 Nr. 1 GVG materiell hätte begründen lassen, durfte er diese – in seine Prüfungskompetenz fallende – Norm der Beschlussbegründung des Tatgerichts nicht einfach unterschieben, da er nicht sicher sein konnte, ob das Tatgericht den Ausschluss nicht tatsächlich ausschließlich auf § 171b GVG hatte stützen wollen.

Zweitens: Wenn es dem Revisionsgericht im Rahmen der ihm zustehenden Prüfungskompetenz schon verboten ist, die vom Tatgericht angegebenen Gründe zu ersetzen, dann muss dies erst recht dort gelten, wo es gänzlich an einem solchen Beschluss des Tatgerichts fehlt.[46] Dies muss wiederum besonders dann gelten, wenn dem Revisionsgericht eine Überprüfung der tatsächlichen Voraussetzungen des Ausschlussgrundes rechtlich verwehrt ist (§ 171b GVG). Denn dann fehlt ihm in rechtlicher Hinsicht jegliche Erkenntnisgrundlage zur Beurteilung der materiellen Begründungslage. Außerdem hat der gänzliche Verzicht auf den die Öffentlichkeit ausschließenden Beschluss formell nochmals eine substanziellere Qualität als bloß eine fehlende Begründung. Nämlich die, dass die gesetzlich nach § 169 GVG zugelassene Öffentlichkeit ohne Beschluss rechtlich überhaupt gar nicht ausgeschlossen ist, sodass der faktische Öffentlichkeitsausschluss gänzlich rechtsgrundlos erfolgt. Möglicherweise deshalb sahen sich solche Fälle[47] bislang auch nicht ernsthaft durch die revisionsgerichtliche Praxis mit der Beruhensfrage konfrontiert.[48] Dies hat sich jedoch jüngst geändert:

II. Die Irrevisibilität des fehlenden Beschlusses bei § 171b Abs. 3 S. 2 GVG

Zunächst hatte der 5. Senat[49] einmal beiläufig, aber ernsthaft erwogen, ob die nach § 338 Nr. 6 StPO zwingende Aufhebung im Falle eines fehlenden Beschlusses "allein wegen eines formellen Fehlers" jedenfalls dann den "heutigen Vorstellungen von Verfahrensgerechtigkeit in unerträglichem Maß widerspricht", wenn der Beschwerdeführer zuvor selbst auf Ausschluss der Öffentlichkeit angetragen hat. Er meinte jedoch, diese Frage nicht beantworten zu müssen, da er die Verfahrensrüge schon nicht für zulässig erhoben erachtete, weil diese keine Tatsachen zum denkgesetzlichen Beruhensausschluss vortrug. In einem Beschluss des 4. Senats, der Eingang in die amtliche Sammlung gefunden hat, und der mit der bloßen Anordnung durch den Vorsitzenden einen Fall des fehlenden Beschlusses betraf, vermisst man Ausführungen zu diesem Verfahrensfehler.[50] Selbst wenn die fehlende Beschlussfassung nicht gerügt worden war, hätte der Fall nämlich immerhin Anlass zu einem entsprechenden Hinweis geboten. In einer wenig später ergangenen Entscheidung hat der 2. Senat[51] die höchstrichterlichen Maßstäbe zur Irrevisibilität im Fall fehlender Begründung sodann auf den des fehlenden Beschlusses übertragen. Allerdings vermochte er den Ausschlussgrund tatsächlich nicht hinreichend eindeutig aus Urteil und Protokoll zu ersehen, weshalb die Revision gleichwohl erfolgreich blieb. Spätestens mit dieser Entscheidung hat die Rechtsprechung also den die zugelassene Öffentlichkeit (§ 169 Abs. 1 S. 1 GVG) ausschließenden Beschluss (§ 174 Abs. 1 S. 2 GVG) an sich zu einer "bloße[n]Förmlichkeit" degradiert. Damit war der Weg zur Irrevisibilität des fehlenden Beschlusses bereitet, den jüngst der 4. Senat beschritten hat.

1. BGH Beschluss v. 9. Mai 2019, 4 StR 605/18

Die der Entscheidung[52] zugrundeliegende Verfahrensrüge betrifft eine Konstellation, in der die Öffentlichkeit während der Schlussvorträge gemäß § 171b Abs. 3 S. 2 GVG auch ohne Antrag gesetzlich zwingend auszuschließen war, weil sie zuvor bereits für einen Teil der Hauptverhandlung auf Antrag des Nebenklagevertreters gemäß § 171b Abs. 3 S. 1 GVG ausgeschlossen wurde. Allerdings hatte das Tatgericht nicht vergessen die Öffentlichkeit für die Schlussvorträge tatsächlich auszuschließen, sondern einen entsprechenden Gerichtsbeschluss (§ 174 Abs. 1 S. 2 GVG) zu fassen (Rn. 5).[53] Es stand daher

ausnahmsweise kein relativer Revisionsgrund wegen ungesetzlicher Erweiterung, sondern ein absoluter wegen ungesetzlichem Ausschluss der gesetzlich zugelassenen Öffentlichkeit zur Debatte.

Gleichwohl war der Revision Erfolg versagt: Das Tatgericht habe zwar die Verfahrensbestimmung des § 174 Abs. 1 S. 2 GVG verletzt, indem es nicht den wegen § 171b Abs. 3 S. 2 GVG erforderlichen Beschluss gefasst habe. Allerdings unterfalle dieser Verfahrensverstoß bei einschränkender Auslegung nicht der Vorschrift des § 338 Nr. 6 StPO (Rn. 7, 9, 14). Zwar erfasse diese Norm grundsätzlich nicht nur materielle, sondern insbesondere auch formelle Beschränkungen der Öffentlichkeit (Rn. 10). Indessen gelte dies nicht uneingeschränkt. Denn insbesondere die verfahrensfehlerhafte Verletzung der Begründungspflicht gemäß § 174 Abs. 1 S. 3 GVG stelle nach der Rechtsprechung[54] dann keinen absoluten Revisionsgrund dar, wenn "auf der Grundlage eines sicher feststehenden Verfahrensablaufs eine unzulässige Beschränkung der Öffentlichkeit auszuschließen ist und der Ausschlussgrund für alle Verfahrensbeteiligten und die Öffentlichkeit eindeutig zu erkennen war" (Rn. 11). Eine solche restriktive Auslegung sei auch geboten, "wenn bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 171b Abs. 3 S. 2 GVG die Schlussvorträge entsprechend der zwingenden gesetzlichen Vorgabe in nicht öffentlicher Sitzung gehalten wurden, ohne dass der Öffentlichkeitsausschluss zuvor durch einen Gerichtsbeschluss angeordnet worden war" (Rn. 12). Maßgeblich hierfür seien die "verfahrensmäßigen Besonderheiten, die sich aus der gesetzlichen Ausgestaltung des Ausschließungsgrundes des § 171b Abs. 3 S. 2 GVG ergeben" (Rn. 12):

Denn diese Norm sehe den Öffentlichkeitsausschluss im Umfang der Schlussanträge gesetzlich zwingend vor, sodass auf Rechtsfolgenseite keinerlei Spielraum bestehe (Rn. 13). Der "tatbestandliche Rückbezug auf eine feststehende innerprozessuale Tatsache" führe dazu, dass auch auf Tatbestandsseite keinerlei Beurteilungsspielraum verbleibe (Rn. 13). Außerdem sei "das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des Ausschlussgrundes nach § 171b Abs. 3 S. 2 GVG aus dem bloßen Verfahrensablauf heraus sowohl für die Beteiligten als auch für die Öffentlichkeit eindeutig zu erkennen" (Rn. 13). Insoweit sei die Lage nicht anders, als bei einer zulässigen Begründung des Öffentlichkeitsausschlusses durch ausdrückliche Bezugnahme auf einen vorherigen Gerichtsbeschluss (Rn. 13). Angesichts der gesetzlichen Ausgestaltung des Ausschließungsgrundes sei es also ausgeschlossen, dass ein Verstoß gegen das Beschlusserfordernis "zu einer irgendwie gearteten Beeinträchtigung des materiellen Gehalts der Öffentlichkeitsmaxime führt" (Rn. 14). Dies rechtfertige die Einschränkung des § 338 Nr. 6 GVG (Rn. 14).

2. Bewertung der neuen Rechtsprechung

Fehlt es an einem Gerichtsbeschluss gemäß § 174 Abs. 1 S. 2 GVG, so ist die gemäß § 169 Abs. 1 S. 1 GVG gesetzlich zugelassene Öffentlichkeit nicht verfahrensrechtlich zulässig – d. h. nicht in rechtlicher Form – ausgeschlossen. Dies begründet den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 6 StPO, da somit das ganze Verfahren an einem maßgeblichen Formfehler leidet. Tatsächlich liegen sogar mehrere Revisionsgründe vor, weil sich das rechtsförmige Ausschlussverfahren wesentlich durch Beschluss bestimmt:

  • fehlende Verhandlung über den Ausschluss, §§ 174 Abs. 1 S. 1 GVG, 337 StPO;
  • fehlende Beschlussfassung, §§ 174 Abs. 1 S. 2GVG , 338 Nr. 6 StPO;
  • fehlende (öffentliche) Beschlussverkündung, §§ 174 Abs. 1 S. 2 GVG, 338 Nr. 6 StPO;
  • fehlende (öffentliche) Beschlussbegründung, §§ 174 Abs. 1 S. 2 GVG, 338 Nr. 6 StPO.

In seiner Entscheidung schließt der BGH aber aus der von ihm behaupteten Irrevisibilität von (bloßen) Begründungsfehlern auf die sogar des gänzlich fehlenden Beschlusses, der damit verfahrensrechtlich insgesamt für unerheblich erklärt wird, wenn der "materielle Gehalt" des Öffentlichkeitsgrundsatzes im Ergebnis nicht beeinträchtigt, d. h. eine "unzulässige" Beschränkung der Öffentlichkeit auszuschließen sei. Nun besteht der "materielle Gehalt" des Öffentlichkeitsgrundsatzes jedoch gerade darin, dass die gesetzlich zugelassene Öffentlichkeit nicht ungesetzlich vom Verfahren ausgeschlossen werden darf. Da sie ohne gesetzlich vorgeschriebenen Beschluss (§ 174 Abs. 1 S. 2 GVG) – immerhin eine wesentliche Förmlichkeit[55] – aber im Einzelfall nicht gesetzlich ausgeschlossen ist, handelt es sich beim faktisch gleichwohl vollzogenen Ausschluss auch notwendig um eine ungesetzliche und deshalb "unzulässige" Beschränkung der Öffentlichkeit, die den "materiellen Gehalt" des Öffentlichkeitsgrundsatzes sehr wohl verletzt.[56] Die vom BGH behauptete teleologische Reduktion des § 338 Nr. 6 StPO ist also nur eine ungesetzliche Reduktion. Es muss daher schon die Prämisse angezweifelt werden, wonach maßgeblich sein sollen die "verfahrensmäßigen Besonderheiten, die sich aus der gesetzlichen Ausgestaltung des Ausschließungsgrundes des § 171b Abs. 3 S. 2 GVG ergeben" (Rn. 12). Denn die gesetzliche Ausgestaltung spricht für das gerade Gegenteil, was der BGH sogar selbst hätte bemerken müssen als er notierte:

a) Verstoß gegen die gesetzgeberische Konzeption bei § 171b Abs. 3 S. 2 GVG

"Der für die Schlussvorträge vorgesehene Ausschluss der Öffentlichkeit dient der Absicherung derselben Geheimhaltungsinteressen, die für den im Verlauf der Hauptverhandlung zuvor erfolgten Ausschluss der Öffentlichkeit

maßgeblich waren. Um diese auf den vorausgegangenen Öffentlichkeitsausschluss bezogene Schutzwirkung zu erreichen, hat der Gesetzgeber nicht die Möglichkeit gewählt, die Reichweite des Ausschlusses durch eine gesetzliche Regelung von vornherein auch auf die Schlussvorträge zu erstrecken. Er hat sich vielmehr – anknüpfend an die Systematik der Ausschließungsgründe im Gerichtsverfassungsgesetz – für die Schaffung eines neuen zwingenden Ausschlusstatbestands entschieden, für den[…] das allgemein in § 174 GVG geregelte Ausschließungsverfahren Anwendung findet. Nach § 174 Abs. 1 S. 2 GVG ist auch der Ausschluss der Öffentlichkeit für die Schlussvorträge gem. § 171b Abs. 3 S. 2 GVG durch einen zu verkündenden Gerichtsbeschluss anzuordnen." (Rn. 8)

Mit anderen Worten: Hätte der Gesetzgeber einen Beschluss zur Gesetzeskonkretisierung auf den Einzelfall bei § 171b Abs. 3 S. 2 GVG nicht für notwendig erachtet, und/oder einen Verstoß gegen das Beschlusserfordernis irrevisibel ausgestalten wollen, so hätte er einen kraft Gesetzes eintretenden Öffentlichkeitsausschluss installiert. Dies holt der BGH mit seiner Entscheidung nun im Wege höchstrichterlicher Ersatzgesetzgebung kurzerhand selbst nach. Denn mit ihr schafft er nicht – wie bisher – nur einen einzelfallbezogenen, sondern einen generell-abstrakten Ausschluss der Revisibilität für alle Fälle mangelnder Beschlussfassung bei § 171b Abs. 3 S. 2 GVG. Die "Ausnahme" ist die Regel. Es wird mit diesem Freibrief aus Karlsruhe langfristig aber kein vernünftig denkendes Tatgericht mehr das Risiko eingehen, mit einer fehlerhaften Beschlussverkündung/-begründung in der späteren Revision aufgehoben zu werden. Das Beschlusserfordernis ist demnach bei § 171b Abs. 3 S. 2 GVG faktisch abgeschafft.

b) Verstoß gegen die revisionsgerichtlichen Erkenntnismöglichkeiten

Wenn der BGH zur Begründung dieses Ergebnisses überdies darauf abhebt, das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des Ausschlussgrundes nach § 171b Abs. 3 S. 2 GVG sei aus dem bloßen Verfahrensablauf heraus sowohl für die Beteiligten als auch für die Öffentlichkeit eindeutig zu erkennen, dann ist zuzugestehen, dass dies so sein mag. Alleine für das Revisionsgericht ist dies wegen § 171b Abs. 5 GVG aus rechtlichen Gründen nicht zu erkennen, weshalb der BGH auch das Vorliegen der von ihm behaupteten Kriterien der Irrevisibilität mit Recht überhaupt gar nicht festzustellen vermag. Denn durch § 171b Abs. 5 GVG ist dem Revisionsgericht die Prüfung, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen der Abs. 1-4 dieser Vorschrift vorliegen, verboten.[57] Wenn ihm in diesem Zusammenhang aber auch die Ersetzung etwaiger Beschlussgründe versagt ist,[58] dann gilt dies erst recht für den ganzen Beschluss: Ein vom Tatgericht gar nicht gefasster Beschluss kann nicht einfach im Wege einer diesem nicht zustehenden Prüfung gesetzlicher Tatbestandsmerkmale eines etwaigen Öffentlichkeitsausschlusses durch das Revisionsgericht fiktiv ersetzt werden. Deshalb besteht auch die vom BGH (Rn. 13) behauptete Vergleichbarkeit mit derjenigen Situation nicht, in der zum Zwecke einer Beschlussbegründung eine Bezugnahme auf einen früheren Beschluss ausreicht. Denn an einem Beschluss, durch den in der beschlussförmigen Gesetzeskonkretisierung Bezug genommen werden könnte, fehlt es ja gerade.

Bei der hier gegebenen ungesetzlichen Beschränkung der Öffentlichkeit liegt auch keine Ausnahme vom Ausschluss revisionsgerichtlicher Prüfungskompetenz vor, etwa weil mangels Beschluss vermeintlich gar keine "Entscheidung" im Sinne von § 171b Abs. 5 GVG getroffen worden wäre.[59] Denn dann könnte sich das Tatgericht jeglicher revisionsgerichtlicher Kontrolle entziehen, indem es der Öffentlichkeit bloß faktisch und ohne Beschluss die Tür weist. Ebenso liegt keine Ausnahme vor, etwa weil das Tatgericht die Regelung des § 171b Abs. 3 S. 2 GVG verkannt und deshalb die Öffentlichkeit gesetzeswidrig nicht ausgeschlossen hätte, sodass nur ein relativer Revisionsgrund gegeben gewesen wäre.[60] Denn vorliegend hat das Tatgericht die Bedeutung dieser Norm zutreffend erkannt und die Öffentlichkeit ausgeschlossen.

Schließlich ist die vorliegende Konstellation auch nicht mit derjenigen nach § 174 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GVG vergleichbar, in der mangels Ermessensausübung die bloße Anordnung des Vorsitzenden für ausreichend erachtet wird[61]. Zwar ist beiden Konstellationen gemein, dass es sich nicht um eine Ermessensentscheidung handelt. Allerdings betrifft die Letztgenannte nur ein Inzidentverfahren und nicht die Hauptverhandlung.

c) Fazit

Der Verfahrensfehler mangelnder Beschlussfassung gemäß § 174 Abs. 1 S. 2 GVG ist von Rechts wegen revisibel. Die Rechtsprechung schränkt das geltende Recht (§ 338 Nr. 6 StPO) dagegen in rechtsverkürzender Weise zulasten des Revisionsführers weiter ein. Damit ist abzusehen, dass die Entscheidung auf breite Zustimmung der Praxis stoßen wird, allerdings nicht auf Seiten der Verteidigung. Denn auf eine tatgerichtliche Beschlussfassung, ‑verkündung und ‑begründung in öffentlicher Verhandlung kommt es – mangels Revisibilität dieser Verfahrenserfordernisse – im Falle von § 171b Abs. 3 S. 2 StGB faktisch nicht mehr an. Der BGH verzichtet mit dem Beschlusserfordernis anlässlich eines Öffentlichkeitsausschlusses folglich auf die – nur gerichtsbeschlussförmig mögliche – Konkretisierung der abstrakt-gesetzlichen Regelung zur gesetzlich im Einzelfall zulässigen Öffentlichkeit (§§ 169, 171b GVG). Es muss insofern also lediglich noch besorgt sein, dass die Öffentlichkeit zu den Schlussvorträgen auch tatsächlich des Saales verwiesen ist. Umso besser natürlich, wenn es tatsächlich gar kein Publikum gibt. Ob für die leeren Bänke im Gerichtssaal dann im Grunde das Gericht, der Vorsitzende, der Angeklagte selbst oder gar der Pedell

sorgt, dürfte nach der Logik der Rechtsprechung denkgesetzlich unerheblich sein. In einigen Entscheidungen der ersten Bände hat der BGH eine solche Erosion der Rechtsförmlichkeit als Folge des Absehens vom Begründungserfordernis vorausgesagt.[62] Auch damit dürfte der BGH Recht behalten.


[*] Der Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Internationales Strafrecht und Rechtsphilosophie (Prof. Dr. Katrin Gierhake, LL.M.), Universität Regensburg.

[1] Siehe dazu Dahs GA 1976, 371 ff.; Kuckein StraFo 2000, 397 ff.; Kudlich, FS Fezer (2008), S. 435 ff.; Mehle, FS Dahs (2005), S. 381 ff.; SSW-StPO/Mommsen, 3. Aufl. (2018), § 338 StGB Rn. 2, 52; Widmaier, in: Ebert (Hrsg.): Aktuelle Probleme der Strafrechtspflege (1991), S. 79 ff.

[2] Siehe nur SK-StPO/Frisch, VII, 5. Aufl. (2018), § 338 StPO Rn. 7 m.w.N.

[3] Siehe nur Frisch a.a.O. (Fn. 2), § 338 StPO Rn. 126 ff. m.w.N.

[4] Siehe nur Frisch a.a.O. (Fn. 2), § 338 StPO Rn. 136 ff. m.w.N.

[5] BGH NJW 1996, 138; BGH NStZ 1999, 371; NStZ 1999, 372 f.; BGH NJW 2003, 2761, 2763; NJW 2004, 865, 867 = HRRS 2004 Nr. 105; BGH NStZ 2008, 354 = HRRS 2008 Nr. 130 = StV 2008, 123 (m. Anm. Ventzke); BGH StraFo 2018, 472 f. – Diese Rechtsprechung beruht wiederum maßgeblich auf dem Beschl. des BGH v. 31.07.1992, 4 StR 250/92 = BGHR StPO § 338 Beruhen 1 zu § 338 Nr. 5 StPO. Allerdings stützt sich dieser Beschluss in seiner Begründung, insbesondere mit seinem Hinweis auf BGH NJW 1977, 433, seinerseits maßgeblich auf eine inhaltlich nicht belastbare Fundstelle, wie Ventzke StV 2000, 248, 251 überzeugend nachgewiesen hat.

[6] Tendenziell affirmativ dazu etwa MüKO-StPO/Knauer/Kudlich, III/1, 1. Aufl. (2019), § 338 Rn. 12 ff.; differenzierend LR‑StPO/Franke, VII/2, 26. Aufl. (2013), § 338 StPO Rn. 104.

[7] Falls die entsprechenden Verfahrensrügen das damit zugleich mitunter möglicherweise als erhöht angesehene Begründungserfordernis als Zulässigkeitsschwelle überschreiten; siehe dazu einerseits etwa BGH Beschl. v. 20.04.2004, 4 StR 67/04 – juris = HRRS 2004 Nr. 836; BGH NStZ 2008, 354 = HRRS 2008 Nr. 130 = StV 2008, 123 (m. Anm. Ventzke); anderseits aber auch BGH NStZ-RR 2018, 324 = HRRS 2018 Nr. 847.

[8] BGH NStZ-RR 2018, 324 = HRRS 2018 Nr. 847. – Soll dagegen bereits die Ausschließungsverhandlung nicht öffentlich durchgeführt werden, so bedarf es im Falle von § 174 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GVG keines Gerichtsbeschlusses, sondern lediglich einer Anordnung des Vorsitzenden, da es sich um eine gebundene Entscheidung im Inzidentverfahren handelt: BGH NStZ 1999, 372 f.; BGHSt 60, 58 ff. = HRRS 2015 Nr. 187 = NStZ 2015, 477 ff. (m. Anm. Heine)= StV 2015, 475 ff. (m. Anm. Rosenstock).

[9] Siehe wegen fehlender (ggf. erneuter) Beschlussfassung des Gerichts etwa BGHSt 4, 279, 280; 17, 220, 222; BGH NJW 1979, 276; NJW 1980, 2088; BGH NStZ 1992, 447; NStZ 1999, 371 f.; NStZ 2008, 476 f. = HRRS 2008 Nr. 15; BGH NStZ 2009, 286 f. = HRRS 2009 Nr. 150; BGH NStZ-RR 2009, 213 f. = HRRS 2010 Nr. 821; BGH StV 2012, 140 = HRRS 2011 Nr. 1023; BGH NStZ-RR 2013, 221 f. = HRRS 2013 Nr. 464; BGH StraFo 2018, 472 f.; BGH NStZ 2018, 679 = HRRS 2018 Nr. 658; wobei eine Anordnung des Vorsitzenden nicht ausreichend ist: BGH StV, 1984, 499; BGH NStZ 1999, 371 f.; BGH NStZ 2008, 476 f. = HRRS 2008 Nr. 15; BGH StV 2012, 140 = HRRS 2011 Nr. 1023; BGH NStZ-RR 2013, 221 f. = HRRS 2013 Nr. 464; BGH NStZ 2018, 679 = HRRS 2018 Nr. 658; worüber BGH NStZ 2008, 354 = HRRS 2008 Nr. 130; BGHSt 63, 23, 24 = HRRS 2018 Nr. 199 allerdings hinweggeht. – Siehe wegen fehlender öffentlicher Verkündung des Beschlusses BGH NJW 1980, 2088 m.w.N.; BGH NStZ 1985, 37; NStZ 1996, 202 f.; BGH NStZ-RR 2018, 324 = HRRS 2018 Nr. 847.

[10] Dazu sogleich.

[11] Solche Verstöße machen den Großteil der entsprechend erfolgreichen Revisionen aus: Dahs, Die Revision im Strafprozess, 9. Aufl. (2017), Rn. 203; Rieß, FS Wassermann (1985), S. 969, 979.

[12] BGHSt 1, 334 ff.; 2, 56 ff.; 7, 218, 220 f.; 27, 117, 118; 27, 187, 188; 30, 298, 301; 38, 248; 41, 145, 146; BGH GA 1975, 283 f.; BGH Beschl. v. 23.11.1977, 3 StR 417/77 – juris; BGH StV 1981, 3; BGH NStZ 1982, 169 f.; NStZ 1983, 324; BGH StV 1984, 146; StV 1986, 376; BGH Beschl. v. 27.11.1987, 2 StR 591/87 – juris.

[13] RGSt 25, 249; 26, 396; 70, 112; RGZ 128, 216 m.w.N.

[14] BGHSt 1, 334, 335 f.

[15] BGHSt 2, 56, 57.

[16] BGHSt 45, 117 ff. (1. Senat) = NStZ 1999, 474 ff. (m. abl. Anm. Gössel NStZ 2000, 181 ff.) = StV 2000, 244 (m. abl. Anm. Park) = JR 2000, 251 (mit Anm. Rieß). – Zuvor hatte der 1. Senat (NStZ 1999, 92) bei den übrigen Senaten angefragt (§ 132 Abs. 3 GVG), ob sie an ihrer entgegenstehenden Rechtsprechung festzuhalten beabsichtigen, und dabei womöglich ein wenig übereifrig ausgeführt, er sehe trotz fehlender Begründung nicht nur den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 6 StPO, sondern sogar einen Verstoß gegen die Verfahrensvorschrift des § 174 Abs. 1 S. 3 GVG nicht als gegeben an (dazu auch Rieß JR 2000, 253, 254; undifferenziert MüKO-StPO/Kulhanek, III/2, 1. Aufl. (2018), § 174 GVG Rn. 17; für fehlenden Verfahrensverstoß auch RH-StPO/Feldmann (2011), § 171b GVG Rn. 21). Insbesondere der 3. Senat (NStZ-RR 1999, 263; NStZ 1999, 372 f.) ist dem Anliegen sodann mit der einschränkenden Maßgabe beigetreten, dass ein Verstoß gegen die Verfahrensvorschrift im entsprechenden Fall kein absoluter Revisionsgrund im Sinne des § 338 Nr. 6 StPO sei. Ähnlich äußerte sich auch der 5. Senat. Dagegen konnte sich der 4. Senat nicht zu einer eindeutigen Stellungnahme durchringen und sprach sich gegen einen Richtungswechsel aus, billigte aber gleichwohl die Entscheidungsabsicht des 1. Senats im konkreten Fall.

[17] BGHSt 45, 117, 120; offen gelassen vom 5. Senat in BGH StV 2000, 243 f.

[18] In diesem Sinne auch Rieß JR 2000, 253, 255 Fn. 31; dagegen geht Mehle a.a.O. (Fn. 1), S. 381, 395 f. von einer durch den BGH nicht weiter explizierten "Abwägungslehre" aus. – Die sich affirmativ auf BGHSt 45, 117 ff. beziehenden Entscheidungen BGH NStZ-RR 2002, 262 und 2004, 235, 236 = HRRS 2004 Nr. 504 stellen dann auch ohne weitere Begründung noch mehr auf die (bloße) Behauptung ab, dass nicht jeder formale Verstoß den absoluten Revisionsgrund begründe.

[19] Kritisch in diesem Sinne Mehle a.a.O. (Fn. 1), S. 381, 386 f.; Park StV 2000, 244, 246 ff.; Rieß JR 2000, 253, 254 f.; SK-StPO/Velten, IX, 5. Aufl. (2016), § 174 GVG Rn. 7; affirmativ zur Entscheidung des BGH etwa Frisch a.a.O. (Fn. 2), § 338 StPO Rn. 133, 141a; Knauer/Kudlich a.a.O. (Fn. 6), § 338 Rn. 13 Fn. 26; für Verständnis werbend LR‑StPO/Wickern, X, 26. Aufl. (2010), § 169 GVG Rn. 64, § 174 GVG Rn. 18.

[20] Das ergibt sich bereits aus den Materialien: "Gewisse Prozeßvorschriften sind, obgleich sie außerhalb jeder Beziehung zu dem materiellen Inhalt des Urtheils stehen, dennoch solche, welche die Grundlagen des Verfahrens berühren. Diese Vorschriften sind in bestehenden deutschen Gesetzgebungen meistens als absolut wesentliche, d. h. als solche bezeichnet, deren Verletzung stets die Nichtigkeit des Verfahrens zur Folge haben soll. Auch der Entwurf mußte hinsichtlich der Bestimmungen der gedachten Art jeden Zweifel darüber ausschließen, daß eine Verletzung derselben stets die Aufhebung des Urtheils nach sich ziehe, gleichviel, ob ein ursachlicher Zusammenhang zwischen der Verletzung und dem Inhalt des Urtheils für möglich zu erachten sei oder nicht. Er schreibt deshalb vor, daß bei gewissen Gesetzesverletzungen das Urtheil stets als auf denselben beruhend anzusehen sei (§ 301)." (Hahn[Hrsg.], Die gesammten Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen, III/1, 2. Aufl.[1885], S. 251).

[21] Zu den geistesgeschichtlichen Hintergründen Gierhake JZ 2013, 1030 ff.

[22] Dazu maßgeblich Eb. Schmidt, Lehrkommentar StPO I, 2. Aufl. (1964), Rn. 22 f.

[23] Siehe auch Dahs a.a.O. (Fn. 11), Rn. 203.

[24] So BGH NStZ 1999, 92; siehe außerdem schon oben Fn. 16.

[25] Dafür sogar mit Blick auf den gänzlich fehlenden Beschluss nunmehr jedenfalls potentiell BGH StraFo 2018, 472 f.; allgemein auch Cramer, FS Peters (1974), S. 239, 245 f.: "banale Verfahrensverstöße"; Foth NStZ 1999, 373, 374: "Lappalien".

[26] Peters, Strafprozessrecht, 4. Aufl. (1985), § 75 II 6.

[27] BGHSt 7, 218, 221.

[28] BGH NStZ 1994, 591 hatte in nicht entscheidungserheblicher Weise seine Neigung bekannt, eine gänzlich unterbliebene Begründung dann nicht als absoluten Revisionsgrund zu behandeln, wenn sich der Ausschließungsgrund des § 171b GVG aus einer Bezugnahme des (nicht begründeten) Beschlusses auf einen in öffentlicher Verhandlung hinreichend begründeten Ausschließungsantrag ergebe, falls der Inhalt des Antrages in einer dem Beschluss entsprechenden Weise protokolliert sei. Unter den gegebenen Umständen sah der 5. Senat schließlich auch (noch) keinen Klärungsbedarf für die (schließlich vom 1. Senat[o. Fn. 16] entschiedene) Frage, ob der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 6 StPO entgegen damaliger Rechtsprechung dann nicht gegeben sei, wenn der Ausschließungsgrund auch ohne Begründung auf der Hand liege.

[29] Vgl. aber Norouzi StV 2016, 590, 592; wie hier schon Gössel NStZ 2000, 181, 182; Mehle a.a.O. (Fn. 1), S. 381, 396.

[30] Widmaier StraFo 2010, 310, 313.

[31] BGH NStZ 1985, 37 f.; BGH StV 1985, 223.

[32] Ausführlich zur alten Rechtslage Mösl, FS Pfeiffer (1988), S. 339, 341 ff.

[33] BGHSt 30, 298 ff. in Abkehr insbesondere von BGH MDR 1976, 988; BGH NJW 1979, 276 = JR 1979, 434, 435 m. Anm. Gollwitzer; offen gelassen von BGH NStZ 1982, 169 f.

[34] BGHSt 27, 117, 118; 30, 212, 213 ff. (m. Anm. Gössel NStZ 1982, 141 ff.); BGH NStZ 1986, 179 f. (m. Anm. Gössel) = JR 1986, 215 f. (m. Anm. Böttcher).

[35] BGHSt 27, 187, 188; BGH Beschl. v. 23.11.1977, 3 StR 417/77 – juris; BGH NStZ 1983, 324; BGH StV 1984, 146; StV 1986, 376; BGH Beschl. v. 06.01.1987, 5 StR 573/86 – juris; Beschl. v. 17.02.1987, 5 StR 14/87 – juris; Beschl. v. 27.11.1987, 2 StR 591/87 – juris; Beschl. v. 24.04.1990, 1 StR 211/90 – juris; BGH NStZ-RR 1996, 139 f. (m. Anm. Park NJW 1996, 2213 ff.); BGH NStZ 1996, 202 f.; auf der Grenze BGHSt 41, 145 ff. = StV 1996, 135 ff. (m. Anm. Park).

[36] BGH Beschl. v. 07.09.1976, 1 StR 514/76 – juris; BGHSt 30, 212, 213 (m. Anm. Gössel NStZ 1982, 141 ff.); BGH NStZ 1986, 179 f. (m. Anm. Gössel) = JR 1986, 215 f. (m. Anm. Böttcher).

[37] BGHSt 9, 280, 285; BGHSt 30, 193, 194 ff. (m. Anm. Gössel NStZ 1982, 141, 144).

[38] Dafür BGHSt 9, 280, 284 f.

[39] Für die ausnahmsweise Erforderlichkeit der Tatsachenangabe (im Beschluss) Park NJW 1996, 2213, 2214 f. m. Fn. 26.

[40] Für einen gänzlichen Ausschluss der Prüfungskompetenz infolge mangelnder Begründungspflicht daher Gössel NStZ 1982, 141, 143; ders. NStZ 1986, 180; dies mit Recht ablehnend Park NJW 1996, 2213, 2215; schließlich ein Dilemma des BGH diagnostizierend Gössel NStZ 2000, 181, 183.

[41] BGHSt 30, 193, 196; BGH NStZ-RR 1996, 139 f. (m. Anm. Park NJW 1996, 2213 ff.); Hamm, Die Revision in Strafsachen, 7. Aufl. (2010), Rn. 466 Fn. 1057; Kulhanek a.a.O. (Fn. 16), § 174 GVG Rn. 17; Meyer-Goßner/Schmidt, StPO, 62. Aufl. (2019), § 174 GVG Rn. 21; Graf-StPO/Wiedner, 3. Aufl. (2018), § 338 StPO Rn. 155; Wickern a.a.O. (Fn. 19), § 169 GVG Rn. 62.

[42] Park NJW 1996, 2213, 2215; ders. StV 2000, 244, 247 f.

[43] Siehe für diese Beschränkung der Prüfungskompetenz in historischer Reihenfolge etwa BGH Beschl. v. 27.11.1987, 2 StR 591/87 – juris = BGHR StPO § 338 Nr 6 Begründungsmangel 2 (Gründe); BGH NStZ 1996, 243; BGH Beschl. v. 14.01.1998, 3 StR 617/97 – juris = BGHR GVG § 171b Unanfechtbarkeit 2 (Gründe); BGH StV 1998, 364; BGH NJW 2004, 865, 867 = HRRS 2004 Nr. 105; BGH StV 2012, 140 = HRRS 2011 Nr. 1023; BGHSt 57, 273, 275 = HRRS 2012 Nr. 719; BGH StV 2015, 79, 80 = HRRS 2015 Nr. 57; BGH NStZ 2016, 180 f. (m. Anm. Arnoldi) = HRRS 2016 Nr. 64; BGH StV 2017, 369 f. = HRRS 2017 Nr. 362; BGHSt 63, 23, 24 = HRRS 2018 Nr. 199; aus der Literatur KK-StGB/Diemer, 8. Aufl. (2019), § 171b GVG Rn. 8; Feldmann a.a.O. (Fn. 16), § 171b GVG Rn. 17; Kulhanek a.a.O. (Fn. 16), § 171b GVG Rn. 18; SSW-StPO/Quentin, 3. Aufl. (2018), § 171b GVG Rn. 10; Graf-StPO/Walther, 3. Aufl. (2018), § 171b Rn. 8; Wickern a.a.O. (Fn. 19), § 171b Rn. 25; kritisch dazu Velten a.a.O. (Fn. 19), § 171b GVG Rn. 15 f.

[44] BGHSt 45, 117 ff.

[45] So wohl auch schon Gössel NStZ 2000, 181, 182 f.; siehe auch Park StV 2000, 244, 248.

[46] Park StV 2000, 244, 247 f.; Püschel, in: AnwK-StPO, 2. Aufl. (2010), § 174 Rn. 9.

[47] Vgl. oben Fn. 9.

[48] Vgl. dazu auch Mösl a.a.O. (Fn. 32), S. 339 f.

[49] BGH NStZ 2008, 354 = HRRS 2008 Nr. 130 = StV 2008, 123 f. (mit abl. Anm. Ventzke); krit. auch Baumhöfener StRR 2014, 475 f.

[50] BGHSt 63, 23 ff. = HRRS 2018 Nr. 199 = JR 2018, 295 (m. Anm. Eisenberg).

[51] BGH StraFo 2018, 472 f.

[52] BGH NJW 2019, 2184 ff. = HRRS 2019 Nr. 716 = NStZ 2019, 549 ff. (mit i.E. zust. Anm. Ventzke); außerdem zust. Kudlich JA 2019, 708 ff.; abl. Lorenz StrafR 13/2019, 418292. – Die im folgenden Text zitierten Rn. beziehen sich auf diesen Beschluss.

[53] Der Gesetzgeber hat mit der Einfügung des § 171b Abs. 3 S. 2 GVG durch das "Gesetz zur Stärkung der Rechte von Opfern sexuellen Missbrauchs" vom 26.03.2013 (BGBl. I 2013, 1805) eine "bitterböse Revisionsfalle" geschaffen (Hinz JR 2017, 536), was sich an den vermehrten Fällen offenbart, die in jüngerer Zeit zu entscheiden waren und die allesamt den mangelnden Ausschluss der Öffentlichkeit betreffen: BGH StV 2015, 79, 80; BGH NStZ 2016, 180 f. (m. Anm. Arnoldi) = HRRS 2016 Nr. 64; BGH StV 2016, 788 = HRRS 2016 Nr. 173; BGH Beschl. v. 04.02.2016, 4 StR 493/15 – juris = HRRS 2016 Nr. 380; BGH JR 2017, 535 f. (m. Anm. Hinz) = HRRS 2016 Nr. 1131; BGH StV 2017, 369 f. = HRRS 2017 Nr. 140; BGH NStZ-RR 2017, 54 = HRRS 2017 Nr. 156; BGH StraFo 2017, 285.

[54] Oben Fn. 16.

[55] BGHSt 27, 187, 189.

[56] Zum darin liegenden Grundproblem schon oben unter I. 3.

[57] Nachweise oben Fn. 43.

[58] Nachweise oben Fn. 41.

[59] Vgl. Kulhanek a.a.O. (Fn. 16), § 171b GVG Rn. 19 unter Hinweis auf Arnoldi NStZ 2016, 181 für den hier nicht gegebenen Fall mangelnder Beschlussfassung im Falle eines Antrages nach § 171b Abs. 3 S. 1 GVG.

[60] Vgl. Kulhanek a.a.O. (Fn. 16), § 171b GVG Rn. 20 m.w.N. (siehe i.Ü. die Nachweise oben Fn. 53).

[61] Nachweise oben Fn. 8.

[62] Oben Fn. 14, 15.