HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Dezember 2018
19. Jahrgang
PDF-Download

Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

Notwehr gegen den unvermeidbaren Erlaubnistatumstandsirrtum

Von Constantin Ladwig, Bucerius Law School, Hamburg

I. Einleitung

Der Beitrag soll das Zusammentreffen des selbst hochumstrittenen Erlaubnistatumstandsirrtums (nachfolgend: ETI) und der Notwehr beleuchten. Als Illustration diene folgender Fall:[1]

Eine Frau brachte einen Bekannten abends mit in das eheliche Haus. Beide befanden sich in stark alkoholisierten Zustand (1,7‰). Der Ehemann hatte schon geschlafen, erwachte aber aufgrund des Lärms und verwies den Bekannten des Hauses. Anschließend forderte er seine Frau auf, zu Bett zu gehen, was diese jedoch ablehnte. In der folgenden Auseinandersetzung ließ sie sich – wohl grundloserweise – zu Boden fallen und fing an zu schreien.

Ihr Ehemann verließ daraufhin das Wohnzimmer und begann, sich in der Küche ein Abendessen zuzubereiten, wobei er mit einem langen, spitzen Messer hantierte. Der Bekannte hörte die Schreie und klopfte daher nachdrücklich an die Haustür, die der Ehemann – immer noch das Messer in der Hand haltend – öffnete. In nach Wertung des Gerichts unvermeidbarer Verkennung der Lage ging der Bekannte davon aus, die auf dem Boden liegende Frau werde von ihrem Mann angegriffen und drang daher sofort mit Faustschlägen auf den körperlich weit unterlegenen Ehemann ein. Dieser machte erst Abwehrbewegungen mit dem Messer und brachte dem Bekannten dann, als dieser trotz einiger oberflächlicher Verletzungen weiter auf ihn einschlug, zwei im Ergebnis tödliche Stiche bei.

Wenn man den Fall nur leicht dahingehend modifiziert, dass der, der vom unvermeidbar Irrenden angegriffen wird, dessen Irrtum erkennt, das eigene Leben aber nur durch die Tötung des Irrenden retten kann, erhält man einen geeigneten Ausgangspunkt für diesen Beitrag: Zunächst soll gezeigt werden, dass die wohl herrschende Meinung annimmt, dass der Angegriffene nicht gerechtfertigt ist, wenn er den Irrenden tötet, selbst wenn das die Pflicht bedeutet, sich töten zu lassen. Dieses kontraintuitive Ergebnis soll sodann plausibilisiert werden und zuletzt ein Vorschlag gemacht werden, wie mittels einer Gebotenheitseinschränkung des Notwehrrechts bei Handeln in unsicheren und unübersichtlichen Faktenlagen die Anzahl der problematischen Fallkonstellationen wie auch insgesamt das schädigende Potential der schicksalhaft anmutenden Kausalverlaufe, die beim Angriff unvermeidbar Irrender entstehen, reduziert werden kann.

II. Falllösung nach den hier vertretenen Auffassungen zur Notwehr und zum ETI

Das Bundessozialgericht hatte in seiner Entscheidung im obigen Fall eine Notwehrlage zugunsten des Ehemanns mit dem Verweis, dass das drohenden Erfolgsunrecht die Rechtswidrigkeit des Angriffs indiziere, bejaht und die Rechtfertigung der Tötungshandlung lediglich versagt, weil der Ehemann mit der tödlichen Abwehr die Grenzen der Gebotenheit überschritten habe. Es versäumte leider, die Rechtswidrigkeit des Angriffs gründlich zu untersuchen,[2] wobei sich zwei Fragen stellen:

Erstens, ob drohendes Erfolgsunrecht dem Erfordernis des rechtswidrigen Angriffs genügt oder ob ein Handlungsunrecht hinzutreten muss und zweitens, ob der unvermeidbare ETI nicht nur die Schuld, sondern auch die Rechtswidrigkeit entfallen lässt. Beide Fragen sind Gegenstand umfassender Diskussionen, die hier nicht abgebildet werden können.[3] Der Beitrag beschränkt sich daher auf einen für die folgenden Ausführungen zentralen Aspekt.

Sieht man die Funktion des Strafrechts primär darin, das Verhalten mithilfe von Normen zu steuern[4] und den Rechtsgüterschutz als Reflex der Verhaltenssteuerung,[5] so folgt daraus, dass ein isoliertes Erfolgsunrecht ein Unwerturteil nicht zu begründen vermag. Denn ist es dem sorgfaltsgemäß handelnden Adressaten einer Norm unmöglich, den missbilligten Erfolg zu verhindern und bleibt dies auch für zukünftige ähnliche Situationen, so verfehlt ein Unwerturteil seine steuernde Wirkung.[6]

Im Falle des unvermeidbaren ETIs trägt ein Unwerturteil nicht zur verhaltenssteuernden Funktion des Strafrechts bei. Im Moment der Handlung handelt der Irrende sorgfaltsgemäß. Denn der Normbefehl erreicht ihn zwar, kann ihn aber wegen der unvermeidbaren Verkennung der ihn umgebenden Tatsachen nicht leiten. Aber auch für zukünftige gleichgelagerte Situationen wird sich das Verhalten des Irrenden nicht ändern, da seine Motivation schon beim ersten Mal vollkommen im Einklang mit der Rechtsordnung stand und nicht durch ein Unwerturteil korrigiert werden musste.[7] Ein Unwerturteil ohne Steuerungseffekt ist jedoch nicht tragbar,[8] weshalb die Rechtswidrigkeit des Handelns im unvermeidbaren ETI zu verneinen ist.

Im Ergebnis darf man sich bei der Abwehr des Angriffs eines im unvermeidbaren ETI Handelnden also mangels Rechtswidrigkeit des Angriffs nicht auf ein Notwehrrecht berufen. Es bleiben nur die Verteidigungsbefugnisse, die die Notstandslage einräumt. Deren Reichweite wird noch zu untersuchen sein, vorweggenommen sei jedoch, dass sie ein Recht, den Irrenden zu töten, nicht umfassen, woraus sich das eingangs angesprochenen Ergebnis ergibt: Sollte der Irrende sich vorstellen, die Tötung seines Gegenübers sei ein geeignetes, erforderliches und gebotenes Mittel, den Scheinangriff abzuwehren und ist für das Eingriffsopfer seinerseits allein eine für den Irrenden tödliche Abwehr möglich, so ist diese Tötung rechtswidrig und zu unterlassen, was faktisch der Pflicht entspricht, die eigene Tötung hinzunehmen.

III. Die Duldungspflicht der eigenen Tötung als logische und zugleich sinnvolle Konsequenz aus Notwehrkonzeption und der Konzeption des ETIs

Das gefundene Ergebnis erscheint zunächst befremdlich. Der folgende Abschnitt soll es jedoch ausgehend von Literaturvorschlägen zur Verteilung des Irrtumsrisikos (1.) plausibilisieren (2.).

Vorangestellt sei jedoch, dass der Eindruck der Befremdlichkeit wohl jeder möglichen Falllösung anhaftete: Es wäre wohl kaum weniger kontraintuitiv, wenn der unvermeidbar Irrende, der lobenswerte Motive verfolgt, gerechtfertigt getötet werden dürfte. Mit Zippelius[9] kann man von einer Situation rechtsethischer Ratlosigkeit sprechen. Wenn alle möglichen Ergebnisse unbefriedigend oder ungerecht wirken, kann nicht ein wie auch immer zu definierendes Rechtsempfinden, sondern lediglich eine rational aus dem System ableitbare Begründung den Ausschlag geben.[10]

1. Literaturvorschläge zur Verteilung des Irrtumsrisikos

Als relativ umfangreich erforscht kann der Bereich der zurechenbaren Hervorrufung eines ETIs gelten, beispielsweise im Fall der Bedrohung mit einer Scheinwaffe. Die Diskussion geht in diesem Zusammenhang regelmäßig auch auf die Verteilung des Irrtumsrisikos zwischen den Beteiligten ein. Die folgende Darstellung berücksichtigt ohne Anspruch auf Vollständigkeit solche Ideen und Konzepte, die auch für die Frage des Irrtumsrisikos bei einer nicht zurechen-

baren Auslösung des Irrtums fruchtbar gemacht werden können. Daher bleibt die Ansicht, die bei Angriffen mit Scheinwaffen mit der Willensfreiheit als ex post bedrohtes Rechtsgut ein Notwehrrecht konstruiert,[11] außen vor.

a) Jakobs

Jakobs verbindet die Frage, aus welcher Perspektive (ex ante/ex post) die Elemente der Rechtfertigungsgründe zu bewerten sind, mit der Verteilung des Irrtumsrisikos.[12] Von den drei tragenden Prinzipien, die er dafür entwickelt, ist das sogenannte Solidaritätsprinzip für den vorliegenden Beitrag das wichtigste, da es für die nicht zurechenbaren Auslösung einer Scheingefahr oder Scheinnot-wehrlage konzipiert ist.[13]

Dabei weist er treffend auf den aufzulösenden Interessenskonflikt hin: Auf der einen Seite steht das Interesse des Eingriffsopfers, nur bei wirklicher Not Eingriffe solidarisch dulden zu müssen, auf der anderen das des Irrenden, nicht nachträglich wegen des Fehlens einer tatsächlichen Notwehr- oder Nothilfelage eines rechtswidrigen Verhaltens bezichtigt zu werden. Jakobs’ Lösung bezieht beide Interessen ein und geht von der Prämisse aus, dass ein Eingriffsopfer, dem die "Abwehr" des Irrenden aufgezwungen wird, auf die optimale Ausrichtung des Rettungsverhaltens, das heißt ohne Berücksichtigung individueller Schwächen, vertrauen können muss. Dies führt zu folgenden Abgrenzungen: Ergibt die Beurteilung der Lage ex ante aus Sicht eines objektiven Dritten, dass die rechtfertigenden Umstände vorliegen, so ist gegen die "Abwehr" des Irrenden lediglich Handeln im Rahmen des aggressiven Notstands gerechtfertigt. Ergibt hingegen nur die subjektive Ex-ante-Perspektive, dass die rechtfertigenden Umstände vorliegen, so ist ein Handeln im Rahmen des defensiven Notstands gerechtfertigt.

In der Konsequenz darf das Eingriffsopfer den, der sich in einem unvermeidbaren ETI befindet, nicht töten, selbst wenn dies bedeutet, die eigene Tötung dulden zu müssen. Jakobs unterwirft das Eingriffsopfer sogar insofern besonders harten Voraussetzungen, da er bei einem unvermeidbaren ETI dem Eingriffsopfer lediglich den aggressiven Notstand (und nicht den defensiven) zubilligt und damit ein wesentliches Überwiegen der angegriffenen Güter fordert. Leider bleibt Jakobs – wenn man davon absieht, dass er offenbar von einer bestehenden Grundsolidarität zwischen den Mitgliedern einer Gesellschaft ausgeht – die Begründung dafür schuldig, warum das Eingriffsopfer grundsätzlich das Irrtumsrisiko bei einer ihm nicht zurechenbaren Verursachung einer scheinbaren Rechtfertigungslage zu tragen hat.

b) Puppe

Im Gegensatz zu Jakobs[14] lehnt Puppe es ab, das Eingriffsopfer auf den Aggressivnotstand (s.o.) zu verweisen, wenn dem Irrenden keine Sorgfaltspflichtverletzung vorzuwerfen sei. Dieser Ansatz stelle den Angegriffenen rechtlos, da der rechtfertigende Notstand grundsätzlich jedem Mitglied der Rechtsgemeinschaft jederzeit offen stünde, wenn es nur überwiegende Interessen vorweisen könne.[15] Sie sieht das Irrtumsrisiko grundsätzlich beim Irrenden,[16] wenn nicht dem Eingriffsopfer selbst das Hervorrufen des Irrtums zuzurechnen sei. Damit aber sei dem Eingriffsopfer ein Defensivnotstand nach § 228 BGB[17] zuzubilligen, der das passende Abwehrrecht für den Fall sei, dass ein anderer als der von Natur aus Betroffene ein Risiko von Rechts wegen zu tragen habe. Der unvermeidbar irrende Angreifer sei "im Unrecht".[18]

Puppes Vorschlag ist sehr klar, zwingt jedoch in den betrachteten Fallkonstellationen zur Annahme, dass der Defensivnotstand einen Eingriff in das Leben des Irrenden erlaubt. Sonst käme man zu der paradoxen Risikoverteilung, dass der Irrende das Irrtumsrisiko nur solange trägt, bis sein Leben gegen das des Eingriffsopfers steht. Das Risiko würde also gleichsam ab einer lebensbedrohlichen Gefahr "umschlagen". Eine starke Literaturansicht bejaht zwar, dass ein Eingriff in das Leben desjenigen, aus dessen Sphäre die Gefahr stammt, grundsätzlich im Rahmen des Defensivnotstandes möglich ist.[19] Allerdings ist dies keineswegs unbestritten.[20] Zudem sollte zweierlei bedacht werden: Erstens ist durchaus zweifelhaft, dass es sich vorliegend überhaupt um einen "klassischen" Defensivnotstand handelt und zweitens ist zu fragen, ob der Defensivnotstand, wenn man ihn bejahte, auch dann ein Tötungsrecht beinhaltet, wenn die Gefahr in nicht vorwerfbarer Weise aus der Sphäre desjenigen stammt, gegen den sich die Abwehr im Rahmen des Notstands richtet (dazu sogleich: III.2.a).

c) Börgers

In seiner Dissertation über das Gefahrurteil im Strafrecht beschäftigt sich Börgers unter der Bezeichnung "riskante Äußerung" mit der zurechenbaren Verursachung eines ETIs. Er verneint zunächst die Willensfreiheit als notwehrfähiges Rechtsgut bei Scheinangriffen[21] und fordert anschließend eine Lösung außerhalb der Notrechte, da diese einen tatsächlichen Rechtsgüterkonflikt verlangten.[22]

Das Problem, dass derjenige, der eine scheinbare Gefahrenlage zurechenbar etwa durch den Angriff mit einer Scheinwaffe auslöst, seine Notrechte behält, da der ETI grundsätzlich eine bloße Handlungsbefugnis des Irrenden ohne korrespondierende Duldungspflicht des Eingriffsopfers begründet, löst er durch eine Einwilligungsfiktion,[23] die er aus dem zivilrechtlichen Grundsatz "venire contra factum proprium nulli conceditur" und Überlegungen zur als Rechtfertigungsgrund gedeuteten Einwilligung ableitet. Die Tragfähigkeit dieser Konstruktion ist durchaus zweifelhaft. Zum einen widersprechen Einwilligungsfiktionen grundsätzlich dem materiellen Grundgedanken der Einwilligung als Instrument der Freiheitsbetätigung durch bewusste Rechtsgutpreisga-

be.[24] Zum anderen bleibt ungelöst, dass auch die fingierte Einwilligung – so man sie denn für möglich hält – den objektiven Einwilligungsschranken der §§ 216, 228 StGB unterliegt. Wenn also infolge eines Scheinangriffs der unvermeidbar Irrende glaubt, seinen Angreifer nur mittels einer lebensgefährlichen Verletzung abwehren zu können, griffe § 216 StGB ein und versagte eine Rechtfertigung des Verhaltens mit der Konsequenz, dass der Scheinangreifer trotz zurechenbarer Auslösung einer Scheingefahr von jeder Duldungspflicht befreit wäre.[25]

Dennoch bleiben die Überlegungen insbesondere aus der Übertragung zivilrechtlicher Streitfragen für die hier betrachteten Fälle einer nicht vorwerfbaren Auslösung eines Irrtums interessant. Der herangezogene Grundsatz "venire contra factum proprium nulli conceditur" wird herrschend[26] als Fallgruppe des § 242 BGB betrachtet, die entscheidend von dem Aspekt des Vertrauensschutzes geprägt ist. Gemeint ist, dass sich derjenige, der ein berechtigtes Vertrauen hervorruft, sich an diesem festhalten lassen muss oder mit anderen Worten die Folgen eines gesetzten Rechtsscheins tragen und die eigenen Interessen zurückstellen muss, wenn sich die Gegenseite berechtigterweise auf den Rechtsschein einlässt.[27] Neben dem objektiven Anknüpfungspunkt, der in einer ausdrücklichen oder konkludenten Äußerung besteht, sind an die subjektiven Voraussetzungen geringe Anforderungen zu stellen: Die vertrauensbegründenden Umstände müssen von dem, der den Rechtsschein setzt, lediglich beherrscht und der Rechtsschein vermieden werden können, was objektiv zu beurteilen ist. Es ist jedoch weder Verschulden noch Arglist zu fordern.[28]

Börgers überträgt die zivilrechtlichen Wertungen auf das Strafrecht, indem er das Verhalten, das den Irrtum auslöst, als objektiven Erklärungstatbestand einer (fingierten) Einwilligungserklärung betrachtet.[29] Für die Anforderungen an die subjektive Seite müssten Verkehrsschutz und Selbstbestimmung in praktische Konkordanz gebracht werden, wodurch sich auch die Verteilung der Irrtumsrisiken ergebe.[30] Eine Übertragung der §§ 116 ff. BGB, die den Erklärenden auch an Willenserklärungen ohne Geschäftswillen binden, lehnt er für das Strafrecht wegen des Fehlens einer Anfechtungsmöglichkeit mit Ex-tunc-Wirkung,[31] die im Zivilrecht die Selbstbestimmung schützt, ab.[32] Da jedoch auch im Strafrecht die Willenserklärung der individuellen Selbstbestimmung diene und gleichzeitig die Erfordernisse des Verkehrsschutzes zu berücksichtigen seien, gehe es zwar wegen des Fehlens der Anfechtungsmöglichkeit nicht an, die Wirksamkeit der Willenserklärung rein objektiv zu bestimmen, da sonst die Selbstbestimmung als Abwägungsaspekt vollkommen in den Hintergrund trete. Indes dürfe auch nicht rein subjektiv auf den tatsächlichen Willen desjenigen, der den Rechtsschein setzt, abgestellt werden. Insofern genüge die individuelle Erkennbarkeit des Erklärungsinhaltes, ohne dass der Erklärungsinhalt auch tatsächlich erkannt wurde. Aus der Übertragung der zivilrechtlichen Wertungen folge, dass der, der in zurechenbarer (nicht schuldhafter!) Weise einen ETI hervorruft, nach dem Grundsatz "venire contra factum proprium" in unzulässiger Weise handelt, wenn er sich gegen die "Abwehr" des Irrenden verteidigt.

2. Begründung der Pflicht, die eigene Tötung hinzunehmen

Die Literaturvorschläge bieten für die hier in Frage stehende Notwehr gegen den unvermeidbaren ETI wichtige Ausgangspunkte. Zu begründen bleibt jedoch noch, warum eine Entlastung zugunsten des Irrenden vorzugswürdig ist.

a) Ablehnung eines Tötungsrechts im Rahmen des Defensivnotstandes

Von den betrachteten Literaturvorschlägen sah der Puppes die klarste Verteilung der Irrtumsrisiken vor: Der Irrende solle stets das Irrtumsrisiko tragen, das Eingriffsopfer hingegen dürfe sich im Rahmen des Defensivnotstandes auch in tödlicher Weise verteidigen, wenn dies erforderlich und geboten sei. Schon oben wurde indes angedeutet, dass die Wertung, dass alle Eingriffe in die Rechtsgüter desjenigen, aus dessen Sphäre die Gefahr stammt, gerechtfertigt sind, wenn sie nicht "außer Verhältnis" zum geschützten Rechtsgut stehen, für die hier betrachteten Fallkonstellationen nicht überzeugt. Erstens ist zweifelhaft, aus wessen Sphäre die Gefahr ursprünglich stammt. Denkbar wäre auch, den Auslöser für den schädigenden Kausalverlauf in der Sphäre des Eingriffsopfers zu sehen, das den Schein einer Nothilfelage gesetzt hat. Doch selbst wenn man dieses Henne-Ei-Problem zu Lasten des Irrenden löst, kann die radikale Wertung, die aus einer Übertragung des § 228 BGB gewonnen wird, kaum auf Fälle angewendet werden, in denen zwei Menschen in unglücklicher Weise in einen schädigenden Kausalverlauf hineingezwungen werden.[33] Denn diese Ansicht beruht auf der Vorstellung, dass der Defensivnotstand als Spiegelbild des Aggressivnotstands demjenigen, der sich einer Gefahr für seine Rechtsgüter gegen-

übersieht, nur dann ein Handeln verbietet, wenn sein Gegenüber seinerseits in einem Aggressivnotstand gerechtfertigt wäre.[34] Nach dieser Logik verlangen Aggressiv- und Defensivnotstand dasselbe Sonderopfer ab. Damit wird jedoch verkannt, dass im Fall eines Defensivnotstandes gerade nicht wie beim Aggressivnotstand ein völlig Unbeteiligter durch die Notstandshandlung in den schädigenden Kausalverlauf hineingezogen wird. Vielmehr sind beide Seiten in schicksalhafter Weise verbunden, wobei für eine erweiterte Abwehrbefugnis zwar das für die hier betrachteten Fälle bereits als problematisch erkannte Argument, dass die Gefahr aus der Sphäre des Irrenden stammt,[35] sprechen mag. Dieses wird allerdings mindestens dadurch ausgeglichen, dass es der im Defensivnotstand Handelnde ist, der vorsätzlich fremde Rechtsgüter verletzt, um dem Kausalverlauf eine für ihn günstigere Fügung zu geben.[36] Das Schicksal träfe nämlich eigentlich ihn und nicht den Irrenden, dessen Solidarität durch das Handeln im Defensivnotstand in Anspruch genommen wird.[37] Damit kann die nicht vorwerfbare Ursächlichkeit der Gefahr aus der Sphäre eines der Beteiligten höchstens als ein Abwägungsfaktor unter vielen im Rahmen der Rechtfertigung durch Notstand gelten,[38] jedoch keinesfalls allein die Tötung des Gefahrträgers rechtfertigen.[39]

Wenn man damit allerdings in den hier betrachteten Konstellationen ein Tötungsrecht im Rahmen des Defensivnotstandes ablehnt, verliert Puppes Vorschlag seine Kohärenz, da es zum angesprochenen "Umschlagen" der Risikoverteilung käme.

b) Positive Begründung für die Duldungspflicht der eigenen Tötung

Unbefriedigend wäre allerdings der Befund, dass die Risikoverteilung nur aufgrund systematischer Entscheidungen zum ETI beziehungsweise der Notwehr und dem Defensivnotstand zugunsten des Irrenden ausfällt. Dass dies auch positiv begründbar ist, zeigen die folgenden Überlegungen.

aa) Verkehrsschutz als zusätzlicher Abwägungsfaktor

Schon im Rahmen der Überlegungen von Börgers wurde der Verkehrsschutz als maßgebliches Abwägungselement eingebracht und darauf verwiesen, dass dieser zwar zivilrechtlicher Wertungen entstammt, aber als Spezialfall des Vertrauensgrundsatzes auch dem Strafrecht nicht fremd ist.[40] Der Verkehrsschutz beziehungsweise die Flüssigkeit des Rechtsverkehrs spricht als schützenswertes Gut in den Fällen des unvermeidbaren ETIs für den Irrenden. Denn der Rechtsverkehr ist maßgeblich davon abhängig, dass einem Rechtsschein eine ebenso bindende Wirkung zukommt wie einer tatsächlichen Äußerung. Im Zivilrecht ist dies umfangreich kodifiziert oder aber durch richterliche Rechtsfortbildung[41] bestätigt.[42] Das Bedürfnis besteht aber im Strafrecht in gleicher Weise: Wenn nach einer sorgfaltsgemäßen Prüfung ein objektiver Dritter zu dem Schluss kommen muss, dass eine Notwehr- beziehungsweise Nothilfelage gegeben ist, so ist sein Eingreifen von der Rechtsordnung gebilligt oder im Falle einer Garantenstellung sogar gefordert. Eine derartige Forderung an den einzelnen wäre nicht damit vereinbar, dass die Rechtsordnung ihm zugleich das Irrtumsrisiko aufbürdete.

bb) Nutzenmaximierung

Damit einher geht ein Aspekt, der bisher lediglich gestreift wurde. In den Fällen des unvermeidbaren ETIs handelt der Irrende auf Grundlage einer sorgfaltsgemäßen Prüfung der Situation (sonst würde das Fahrlässigkeitsunrecht der Gegenpartei ein Notwehrrecht geben) und kommt entgegen der tatsächlichen Umstände zum Ergebnis, dass ein Eingreifen nötig ist. Das heißt aber auch, dass der Irrende in der Mehrzahl der Fälle, die sich vergleichbar präsentieren, mit seiner Einschätzung Recht hätte, denn sonst könnte man kaum von einem unvermeidbaren ETI sprechen. Um es am Eingangsbeispiel festzumachen: In der wohl deutlich überwiegenden Anzahl von Fällen, in denen die Ehefrau schreiend im Wohnzimmer liegt und der Ehemann mit einem Messer in der Hand die Tür öffnet, ist eine Nothilfelage tatsächlich gegeben. Das heißt aber auch, dass derjenige, der eingreift, dies in der überwiegenden Anzahl von Fällen von der Rechtsordnung gebilligt tut. Indem man den Eingreifenden vom Irrtumsrisiko entlastet, schafft man einen wichtigen Anreiz, Nothilfe zu leisten. Belastet man dagegen denjenigen, der sich in einer Nothilfelage in nicht vorwerfbarer Weise wähnt – ob sie nun gegeben ist oder auch nicht – mit dem Irrtumsrisiko, so dürften die meisten potentiellen Nothelfer ein Eingreifen dankend ablehnen, wenn sie dazu nicht gerade durch eine Garantenpflicht gezwungen sind. Da ihr Eingreifen aber in der überwiegenden Zahl von Fällen gewünscht ist und Rechtsgüter vor einer rechtswidrigen Verletzung bewahrt, ist der Nutzen insgesamt größer, wenn immer eingegriffen wird als wenn nie eingegriffen wird.

Als Prüfstein soll folgende einfache Frage dienen: Will man, dass jemand eingreift und Hilfe leistet, wenn ein objektiver Dritter in seiner Situation annähme, dass die Rechtsgüter eines Dritten in rechtswidriger Weise bedroht sind?

Die Antwort lautet wohl ja. Dann darf man ihn aber auch nicht durch das Irrtumsrisiko belasten.

cc) Generalprävention

Eng damit verknüpft ist, dass die Notwehr auch durch den Gedanken der Rechtsbewährung und damit Generalprävention geprägt ist.[43] Die Motivation , in einer Nothilfelage einzugreifen, wenn man dabei das Irrtumsrisiko trägt, dürfte sich auf die Fälle beschränken, in denen man eingreifen muss. Damit verlöre das schneidige Notwehr- beziehungsweise Nothilferecht jedoch maßgeblich an abschreckender Wirkung, da der Verbrecher bei rechtswidrigem Handeln sich darauf einstellen könnte, dass ein Dritter im Zweifel das Risiko scheut, sich zu irren und daher von einem Eingriff absieht. Dies verfehlte die rechtsstabilisierende Zielrichtung des § 32 StGB,[44] weshalb auch unter diesem Aspekt eine Auflösung der Situation zugunsten des unvermeidbar Irrenden angezeigt scheint.

dd) Ergebnis

Die hier präsentierte Lösung kommt dem, was Jakobs unter dem Stichwort des Solidaritätsprinzips formuliert hat, recht nahe. Abgewogen wird das Vertrauen des unvermeidbar Irrenden auf den in nicht vorwerfbarer Weise gesetzten Rechtsschein einerseits und das Interesse des Eingriffsopfers, nur solche Eingriffe in seine Rechtsgüter dulden zu müssen, die auf einer tatsächlich existierenden Notwehr- beziehungsweise Nothilfelage beruhen. Hinzu treten Gründe, die das Interesse des unvermeidbar Irrenden verstärken, namentlich der Schutz des Rechtsverkehrs und die Tatsache, dass eine Belastung mit dem Irrtumsrisiko einen potentiellen Nothelfer vom Eingreifen abhalten dürfte, was aber insgesamt dazu führte, dass das Notwehrrecht einen Teil seiner rechtsstabilisierenden Wirkung verlöre und daneben dem Ziel, maximal viele Rechtsgüter zu bewahren, schadete.

Dem, der sich dem Angriff des Irrenden ausgesetzt sieht, steht im Falle einer eigenen konkreten Lebensgefahr in der eskalierenden Situation die Entschuldigung über § 35 StGB offen. Ihn trifft die Last der Entscheidung, das eigene Leben zu retten, indem er einen erkannt Irrenden vorsätzlich tötet. Die Rechtsordnung billigt diese Tötung nicht, hat dafür aber Verständnis, womit eine Lösung auf Schuldebene durchaus adäquat erscheint.

IV. Vorschläge zur Minimierung des Schadenspotentials: Notwendigkeit einer Gebotenheitseinschränkung im Falle einer Entscheidung in unklarer Sachlage

Im zweiten Teil des Beitrags soll versucht werden, das gefundene Ergebnis zu optimieren, indem das schädigende Potential dieser Kausalverläufe durch eine Gebotenheitseinschränkung des Notwehrrechts des Irrenden reduziert und so dafür gesorgt wird, dass sich das Problem einer Pflicht, die eigene Tötung zu dulden, nur noch in einer verminderten Zahl von Fällen stellt.

1. Einleitende Gedanken

Als Ausgangspunkt soll die Problematik dienen, dass der Mensch in der häufig zugespitzten Situation eines ETIs auf Grundlage einer auch für ihn selbst unsicheren Faktenlage agieren muss, in der er zwar die Möglichkeit zu irren erkennt, aber dennoch die Notwendigkeit seines Handelns für überwiegend wahrscheinlich hält. Im Folgenden soll gezeigt werden, warum aus der Notwehrkonzeption hervorgeht, dass auch der, der sich bei unsicherer Faktenlage bei überwiegender Wahrscheinlichkeit des Vorliegens einer Notwehr- bzw. Nothilfelage zum Handeln entschließt, gerechtfertigt ist und die so geschaffene Handlungsbefugnis als ultima ratio ein Tötungsrecht umfassen muss. Zugleich wird sich jedoch zeigen, dass wenn aus objektivierter Ex-ante-Perspektive die Sachlage Unklarheiten aufweist, dies zu Einschränkungen der Notwehrbefugnisse führen muss, die auf Ebene der Gebotenheit zu berücksichtigen sind.

Damit soll der wohl realistischen Annahme, dass absolute Sicherheit über die rechtfertigenden Umstände im Falle eines ETIs selten sein dürfte,[45] Rechnung getragen werden und das Risiko eines tödlichen Ausgangs minimiert werden.

2. Leitlinien
a) Begründung der Notwehr nach dem dualistischen Prinzip der h.M.

Nach heute herrschender Ansicht bilden das Individualschutz- und das Rechtsbewährungsprinzip die tragenden Säulen der Notwehr.[46] Hinter dem sogenannten Rechtsbewährungsprinzip verbirgt sich vor allem der Gedanke der Generalprävention,[47] das heißt der Schneidigkeit des Notwehrrechts wird die Wirkung zugeschrieben, die Rechtsordnung zu stabilisieren, indem sie potenzielle Verbrecher durch die Furcht vor dem "Zurückschlagen" des Angegriffenen vom Bruch der Rechtsordnung abhält. Aus dem Rechtsbewährungsprinzip beziehungsweise dem Fehlen eines Interesses an der Rechtsbewährung lassen sich diejenigen Grenzen konkretisieren, die als "sozialethischen Einschränkungen" der Notwehr diskutiert werden.[48]

Bei einer Entscheidung auf unsicherer Faktengrundlage lässt sich daraus zweierlei ableiten: Zunächst ist festzu-

halten, dass das Rechtsbewährungsprinzip in diesen Fällen abgeschwächt ist, da die Möglichkeit besteht, dass eine Rechtsbewährung mangels rechtswidrigen Angriffs gar nicht notwendig ist. Daher hat der scheinbar Angegriffene bzw. Nothelfer die bedrohten Rechtsgüter durch Ausweichen zu schützen, dann zur Schutzwehr zu greifen und darf erst zuletzt zur Trutzwehr übergehen.[49]

Andererseits folgt gerade aus dem Rechtsbewährungsprinzip auch, dass es ein - wenn auch eingeschränktes - Notwehrrecht im Rahmen des ETIs als Handlungsbefugnis geben muss. Denn würde man dem scheinbaren Nothelfer kein solches zubilligen, wäre er in einem Fall, in dem er wie auch ein objektiver Dritter das Vorliegen eines rechtswidrigen Angriffs mit einer Wahrscheinlichkeit von 60% bewertet, besser beraten, nicht einzugreifen beziehungsweise einen tatsächlich rechtswidrigen Angriff hinzunehmen, da ihm lediglich die Rechtfertigung aus § 34 StGB offen stünde, die ihm in einer zugespitzten Situation die Rettung seines eigenen Lebens durch die Tötung des Kontrahenten nicht erlaubte. Diese Unsicherheit führte dazu, dass die Generalprävention, die erklärter Wille des Gesetzgebers bei der Formulierung des neuen § 32 StGB war, erheblich geschwächt würde.[50]

b) Solidaritätsprinzip

Der Gedanke der Solidarität ist überwiegend vom Notstand nach § 34 StGB bekannt und begründet dort die Rechtfertigung eines Eingriffs in die Rechte unbeteiligter Dritter.[51] Während ihm in § 34 StGB also die Funktion zukommt, das Eingriffsrecht in die Rechtsgüter Dritter zu begründen und so einen möglichst nutzenmaximalen Ausgleich zwischen den Interessen der Beteiligten herbeizuführen, hat er bei der Notwehr in unsicherer Faktenlage einen das Eingriffsrecht beschränkenden Charakter. Wenn man sich nicht sicher ist, ob eine Notwehrlage vorliegt, sondern dies nur für wahrscheinlich hält, müssen die Interessen des Eingriffsopfers stärker berücksichtigt werden und muss unter Umständen auch eine Notwehr- oder Nothilfehandlung gewählt werden, die weniger sicher, aber auch weniger eingriffsintensiv ist.[52]

Damit ist auch schon die Perspektive vorgezeichnet, aus der diese Fallgruppe der Gebotenheitseinschränkung zu beurteilen ist. Um einerseits zu vermeiden, dass die Entscheidung, in welchem Ausmaß eine Eingriffsbefugnis besteht, dem individuellen Gutdünken überantwortet und willkürlich oder irrational in die Rechte Dritter eingegriffen wird, aber andererseits auch das Interesse des Irrenden, der unvermeidbar eine Notwehr- oder Hilfelage annimmt wird, zu berücksichtigen, kann nur eine objektivierte Ex-ante-Perspektive unter Zugrundelegung der wahrnehmbaren Sachlage eingenommen werden.[53]

3. Zweiseitige Deeskalation

Überschreitet der, der irrig eine Notwehrlage annimmt, die so gezogene Grenze der Gebotenheit, entfällt die Rechtfertigung durch den ETI mit der Folge, dass dem Angegriffenen die Befugnisse des § 32 StGB offenstehen. Diese sind freilich ihrerseits wieder eingeschränkt durch die sozialethische Fallgruppe des Handelns gegen schuldlos Irrende,[54] wenn der Irrtum über die Grenzen des Notwehrrechts auf individueller Unzulänglichkeit beruht. Die hier angedachte Fallgruppe ist gleichsam Spiegelbild und logische Ergänzung der sozialethischen Einschränkung der Notwehr gegen schuldlos Irrende. Während der Eingreifende grundsätzlich berücksichtigen muss, dass er sich irren könnte, wird dem Eingriffsopfer aufgetragen, auf den anderen Rücksicht zu nehmen, weil dieser sich irrt. Damit wird das angedachte Ziel erreicht, einerseits Handlungsbefugnisse auch in der unsicheren Situation zu bewahren und zugleich einen angemessenen Interessensausgleich herzustellen. Indem beide Seiten dazu angehalten sind, ein möglichst mildes Mittel zu wählen, das regelmäßig darin bestehen wird, eine Klärung der Sachlage zu bewirken, könnten in vielen Konstellation Eskalationen mit tödlichem Ausgang vermieden werden.

4. Handeln mit dolus eventualis?

Gegen die Annahme, dass das Fürmöglichhalten der rechtfertigenden Umstände schon für die Rechtfertigung auch nur im Rahmen des ETIs ausreicht, spricht vordergründig, dass auch das Gegenteil, nämlich die ungerechtfertigte Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes, für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen wird, was hieße mit dolus eventualis zu handeln.[55] Daher wird für die Wahrnehmung von Rechtfertigungsgründen verbreitet sicheres Wissen von der Rechtfertigungslage gefordert.[56]

Grundsätzlich ist dieser Kritik auch insofern zuzustimmen, dass Rechtfertigungs­gründe mindestens Handlungsbefugnisse geben und somit eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Rechtfertigung zu fordern ist. Offen bleibt damit jedoch die rechtliche Behandlung einer Lage, in der auch ein objektiver Dritter eine Notwehr- oder Nothilfelage für wahrscheinlich, aber nicht sicher betrachtete, zugleich aber schwerste Rechtsgutsbeeinträchtigungen drohen, wenn nicht eingegriffen wird und sich die Befürchtungen bewahrheiten.[57] Zwar enthält

§ 34 StGB mit der "Gefahr" ein prognostisches Element, sodass eine Notstandslage oft ohne weiteres vorliegt,[58] jedoch hilft der Notstand in der zugespitzten Situation, in der Leben gegen Leben steht, nicht weiter.[59] Eine Entschuldigung anzunehmen, wenn dennoch gehandelt wird, ist gerade bei der Nothilfe schwierig, da oft der einzige Weg über einen übergesetzlichen entschuldigenden Notstand führt und ist darüber hinaus unbefriedigend, da faktisch gesteigerte Zivilcourage als Unrecht bezeichnet würde. Weiterhin ist höchst fraglich, ob die Forderung nach positiver Kenntnis oder sicherem Wissen in den oft unübersichtlichen Notwehrlagen nicht zu starr ist.[60] Schließlich ist gerade der Bereich der Notrechte klassischerweise von zweideutigen Konstellationen bestimmt: Ist der Kaufhausbesucher, der eine Ware mit nach draußen nimmt, ein Dieb oder möchte er die Ware nur bei Tageslicht prüfen?[61] Wer hier Gewissheit über das Vorliegen der Notwehrlage fordert, privilegiert den, der ohne lange nachzudenken, einfach zuschlägt, bevor ihm Zweifel kommen könnten.[62]

Die umfangreichen Analysen Frischs[63] liefern ein weiteres Argument: Nach Frisch liegen allen Rechtfertigungsgründen prognostische Elemente zugrunde.[64] Auch bei der Notwehr, die vordergründig das tatsächliche Vorliegen einer Notwehrlage und damit korrespondierend auf der subjektiven Seite Gewissheit über diese Umstände zu verlangen scheint, sei bei Unklarheit über die zukünftige Entwicklung[65] allgemein anerkannt, dass Abwehrhandlungen auch dann gerechtfertigt seien, selbst wenn nicht sicher sei, dass sie geeignet und erforderlich sind.[66] Wenn hier ein Wahrscheinlichkeitsurteil ausreiche, weil die Zukunft sich dem menschlichen Erkenntnisvermögen grundsätzlich entzieht, könne für gegenwärtigen Elemente des Rechtfertigungsgrundes, die nicht voll erfassbar sind, nichts anderes gelten. Denn letztlich sind die Zweifel über die künftige Entwicklung Zweifel über die gegenwärtige Wirklichkeit. Wäre diese vollständig erfassbar, ließe sich wahrscheinlich auch die Zukunft voraussagen.[67]

Im Ergebnis zeigt sich, dass es sinnvoll ist, auch bei Risikoentscheidungen eine Rechtfertigung anzunehmen und dem Handelnden ein auf Ebene der Gebotenheit eingeschränktes Notwehrrecht zu geben. Schroth, der sich für eine vergleichbare Lösung ausspricht,[68] weist daraufhin, dass in der unsicheren Situation die einzigen rationalen Handlungsoptionen seien, den eigenen oder den Gesamtnutzen zu maximieren und begründet dann, dass unter dem Gesichtspunkt, dass unter Umständen irrig in fremde Güter eingegriffen werde, einzig die Maximierung des Gesamtnutzens adäquat sei (Maximax-Regel), was einer durch Gebotenheit eingeschränkten, verhältnismäßig ausgeübten Notwehr, die als ultima ratio weiter alle Handlungsoptionen offen lässt, entspricht.[69]

5. Anwendung auf den Fall

Im Beispielsfall kann die Gebotenheitseinschränkung erste Früchte tragen. Zwar wertete das Gericht den ETI als unvermeidbar. Dies heißt jedoch nicht zwingend, dass der Irrende sich irren musste, sondern dass er sich irren durfte,[70] dass er die Sachlage in einer nachvollziehbaren Weise würdigte und verständliche Schlüsse zog. Die Tatsache, dass er sich tatsächlich in einem Irrtum befand, zeigt aber, dass die Sachlage in mindestens einer weiteren, nämlich so, wie sie tatsächlich gegeben war, interpretiert werden konnte. Durchaus fraglich scheint, ob sich ein objektiver Dritter in der Lage des Bekannten der scheinbaren Nothilfelage so sicher gewesen wäre. Immerhin drang er in ein fremdes Haus ein, immerhin ist es nicht so ungewöhnlich, dass eine stark alkoholisierte Person grundlos oder irrational um Hilfe schreit, dagegen riefe die Tatsache, dass der Ehemann, der nach der Vorstellung des Bekannten ja gerade seine Frau bedrohte, die Türe mehr oder minder sofort auf das Klopfen hin öffnete, bei einem objektiven Dritten wohl Zweifel an der Nothilfelage hervor.

Dabei soll das nicht heißen, dass die Wertung des Gerichts, der ETI sei unvermeidbar gewesen, in Frage gestellt wird. Gezeigt werden soll lediglich, dass ein objektiver Dritter an Stelle des Bekannten eine Risikoentscheidung getroffen hätte. Unter Berücksichtigung der erarbeiteten Gebotenheitseinschränkung ergäbe sich, dass ihm zumindest zunächst gar kein Tötungsrecht zugestanden hätte, sodass sich das Problem einer korrespondierenden Duldungspflicht seines Gegenübers, die eigene Tötung zuzulassen, gar nicht stellt. Er müsste zuerst auf mildere Mittel zurückgreifen und unter Umständen eigene Beeinträchtigungen hinnehmen. Ginge er sofort zu tödlichen Maßnahmen über, so überschritte er die Grenze der Handlungsbefugnis, die ihm im ETI gegeben ist. Damit wäre sein Angriff rechtswidrig und seinem Gegenüber stünde ein Notwehrrecht nach § 32 StGB zu.

Ein ähnliches Ergebnis erzielt zunächst auch die Anwendung des § 34 StGB.[71] Allerdings zeigt gerade auch dieser Beispielsfall, dass diese Lösung zu starr ist. Denn wer würde in einer solch kritischen Situation eingreifen, wenn er wüsste, dass ihm im Zweifel nach § 34 StGB kein Tötungsrecht im Eskalationsfall zustünde? Besonders absurd wird die Situation, wenn den zweifelnden Nothelfer gegenüber der scheinbar angegriffenen Person eine Garantenpflicht nach § 13 StGB trifft. Griffe er nicht ein, weil er einzig mithilfe eines tödlichen Eingriffs seiner Garantenstellung gerecht würde, dieser aber durch den Aggressivnotstand nicht gerechtfertigt wird, und bewahrheiteten sich seine Befürchtungen, so wäre er je nach vertretener Ansicht[72] entweder Täter durch Unterlassen oder leistete Beihilfe zu einer Straftat. Griffe er dagegen in tödlicher Weise ein, so beginge er mit dolus eventualis einen Totschlag, da er durch § 34 StGB nicht gerechtfertigt ist oder aber, wenn er mit seinen Befürchtungen Recht hätte und damit eine Notwehrlage im Sinne des § 32 StGB vorläge, mangels subjektiven Rechtfertigungselements einen versuchten Totschlag. Es stünde wohl nur eine Entschuldigung nach § 35 Abs.1 oder 2 StGB offen.[73] Sein Verhalten wäre aber immer rechtswidrig.[74] Darum ist es wichtig, ihm als ultima ratio die Tötungsbefugnis nach § 32 StGB in der ungewissen Sachlage grundsätzlich zu erhalten und im konkreten Fall auf Ebene der Gebotenheit zu prüfen, ob unter Berücksichtigung der Wahrscheinlichkeit der Rechtfertigungslage aus objektivierter Ex-ante-Sicht, möglicher Handlungsalternativen und der Bedeutung der im Raume stehenden Rechtsgüter die Schwere der Verletzung des Eingriffsguts außer Verhältnis zum (scheinbar) verteidigten Interesse steht.[75]

V. Fazit

Die neu eingeführte Gebotenheitseinschränkung scheint prinzipiell geeignet, erstens ein realistischeres Bild von der Entscheidungssituation des (scheinbar) Notwehr- oder Nothilfeübenden zu liefern und führt zudem dazu, dass das Eskalationsrisiko sowie die Zahl der Fälle, in denen es zu der problematischen Tötungspflicht kommt, deutlich reduziert wird. In den verbleibenden Fällen, in denen es dennoch zu einem für beide Seiten potenziell tödlichen Verlauf kommt, sprechen die überzeugenderen Gründe für eine Auflösung zugunsten des Irrenden.


[1] BSG JZ 2000, 97 mit Anm. Roxin. Einen vergleichbaren Fall stellt OLG Hamm NJW 1977, 590 dar, den Puppe, AT, 1. Aufl. 2002, § 23 Rn. 8 ff. diskutiert.

[2] Roxin JZ 2000, 96, 99.

[3] Zur ersten Frage: Drohendes Erfolgsunrecht reicht für die Rechtswidrigkeit des Angriffs nach Ansicht von Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts Allgemeiner Teil, 1996, S. 341 aus. A.A. Roxin, AT, 4. Aufl. 2006, § 15 Rn. 14; ders., in: Festschrift für Jescheck (1985), S. 457, 473 f.; Hirsch, in: Festschrift für Dreher (1977), S. 211, 214; Sinn GA 2003, 96, 104 ff.; LK-Rönnau/Hohn, 12. Aufl. 2006, § 32 Rn. 109; Wessels/Beulke/Satzger, AT, 47. Aufl. 2017, § 8 Rn. 495. Zur zweiten Frage: Wichtig für den Beitrag ist ausschließlich die Frage nach der Rechtswidrigkeit des Handelns im unvermeidbaren ETI: Diese bejahen die sog. rechtsfolgenverweisende Schuldtheorie vertreten von Wessels/Beulke/Satzger , AT, § 14 Rn. 705 m.w.N. und die sog. strenge Schuldtheorie vertreten von Paeffgen, in: Gedächtnisschrift für Armin Kaufmann (1989), S. 399, 412 et passim; Erb, in: Festschrift für Paeffgen (2015), S. 205, 210 et passim; als sogenannte unselbständige Schuldtheorie auch Jakobs, AT, 2. Aufl. 1991, Abschn. 11 Rn. 58; mit radikal normativierendem Ansatz Heuchemer, Der Erlaubnistatbestandsirrtum, 2005, S. 292 ff.

[4] Wolter, Objektive und personale Zurechnung von Verhalten, Gefahr und Verletzung in einem funktionalen Straftatsystem, 1981, S. 25 ff.; Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, 1992, S. 56 f., 81, 125; allgemein: Zippelius, Rechtsphilosophie, 6. Aufl. 2011, S. 21 ff.

[5] Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten und Zurechnung des Erfolges, 1988, S. 77; Freund, Erfolgsdelikt (Fn. 4), S. 56 f., 75 ff.

[6] Wolter, Zurechnung (Fn. 4), S. 30, 40, 76; Frisch, Vorsatz und Risiko, 1983, S. 121 ff.; ders., Tatbestandsmäßiges Verhalten (Fn. 5), S. 71 f.; Freund, Erfolgsdelikt (Fn. 4), S. 59 f.; ders. GA 1991, 387, 391.

[7] BGHSt 3, 105, 107; Kühl, AT, 8. Aufl. 2017, § 13 Rn. 72; LK-Rönnau, 12. Aufl. 2006, Vor § 32 Rn. 96.

[8] Freund, Erfolgsdelikt (Fn. 4), S. 57 ff., 111.

[9] Zippelius, Juristische Methodenlehre, 11. Aufl. 2012, S. 14.

[10] Nicht überzeugen kann der scheinbar verlockende Gedanke, sich eines Urteils über die Rechtmäßigkeit bzw. Rechtswidrigkeit des Handelns zu enthalten. Die Rechtsordnung muss jedenfalls dann eine Entscheidung über die Rechtmäßigkeit treffen, wenn ein Verhalten tatbestandsmäßig ist, es sei denn, man nimmt an, es gäbe so etwas wie einen rechtsfreien Raum, was bei tatbestandmäßigen Verhalten wenig überzeugt; vgl. zur Kritik: Roxin, AT (Fn. 3), § 14 Rn. 26 ff.; LK-Rönnau, 12. Aufl. 2006, Vor § 32 Rn. 33.

[11] Roxin, AT (Fn. 3), § 15 Rn. 9.

[12] Jakobs, AT (Fn. 3), Abschn. 11 Rn. 9.

[13] Die anderen Prinzipien, das Prinzip der Verantwortung oder Veranlassung (AT, Abschn. 11 Rn. 9) und das Prinzip Interessensdefinition durch das Eingriffsopfer (AT, Abschn. 11, Rn. 11), setzen die zurechenbare Auslösung einer Scheinnotwehrlage voraus, also beispielsweise den Angriff mit einer Spielzeugwaffe.

[14] Und auch Roxin, AT (Fn. 2), § 15 Rn. 14.

[15] Puppe, AT (Fn. 1), § 23 Rn. 18 m.w.N.

[16] Puppe, AT (Fn. 1), § 12 Rn. 18, Rn. 21.

[17] Ob damit die Bildung eines selbstständigen Rechtfertigungsgrundes (so z.B. NK-Neumann, 5. Aufl. 2017, § 34 Rn. 86) einhergeht oder ob die Aussage des § 228 BGB in § 34 StGB enthalten ist, soll hier dahinstehen; vgl. dazu Schönke/Schröder-Perron, 29. Aufl. 2014, § 34 Rn. 30.

[18] Puppe, AT (Fn. 1), § 23 Rn. 18.

[19] Gropp, AT, 4. Aufl. 2015, § 5 Rn. 251; Roxin, AT (Fn. 3), § 16 Rn. 78; NK-Neumann, 5. Aufl. 2017, § 34 Rn. 87 ff. m.w.N.

[20] BGHSt 48, 255, 257; Schönke/Schröder-Perron, 29. Aufl. 2014, § 34 Rn. 30; LK-Zieschang, 12. Aufl. 2006, § 34 Rn. 74.

[21] Börgers, Studien zum Gefahrurteil im Strafrecht: Ein Abschied vom objektiven Dritten, 2008, S. 161.

[22] Dies führt ihn zu einer Ablehnung der Ansicht von Jakobs, Börgers, Gefahrurteil (Fn. 21), S. 162.

[23] Börgers, Gefahrurteil (Fn. 21), S. 190 ff.

[24] LK-Rönnau, 12. Aufl. 2006, Vor § 32 Rn. 168; im Falle der riskanten Äußerungen erscheint sie besonders fragwürdig, da der Scheinangreifer ja eindeutig nicht will, dass in seine Rechtsgüter eingegriffen wird; Kindhäuser GA 2009, 501, 504.

[25] Kindhäuser GA 2009, 501, 504.

[26] Die Gegenansicht hält eine Anwendung des § 242 BGB für überflüssig und nimmt in den entsprechenden Fällen einen konkludenten Verzicht auf ein Recht an; vgl. dazu Staudinger-Olzen/Looschelders, Neubearbeitung 2014, § 242 Rn. 285.

[27] Staudinger-Olzen/Looschelders, Neubearbeitung 2014, § 242 Rn. 286 f.

[28] Staudinger-Olzen/Looschelders, Neubearbeitung 2014, § 242 Rn. 290; Palandt-Grüneberg, 78. Aufl. 2018, § 242 Rn. 55.

[29] Börgers, Gefahrurteil (Fn. 21), S. 202.

[30] Börgers, Gefahrurteil (Fn. 21), S. 198.

[31] Sondern lediglich die Möglichkeit eines Widerrufs mit Ex-nunc-Wirkung; vgl. Börgers, Gefahrurteil (Fn. 21), S. 199.

[32] Entgegen der h.M., nach der das Anfechtungsrecht die Selbstbestimmung hinreichend sichert (z.B. BGHZ 91, 324, 329 f.), fordert Börgers auch im Zivilrecht die individuelle Geschäftserkennbarkeit für die Wirksamkeit einer Willenserklärung, Börgers, Gefahrurteil (Fn. 21), S. 201.

[33] MüKo-Erb, 3. Aufl. 2017, § 34 Rn. 157; eingehend dazu auch Roxin, FS-Jescheck (Fn. 3), S. 457, 466, der eine direkte oder analoge Anwendung des § 228 BGB für Fälle, die keine Sachgefahren darstellen, ablehnt und diesem lediglich zuschreibt, den wichtigen Gedanken zu enthalten, dass in der Abwägung nach § 34 StGB die Herkunft der Gefahr zu berücksichtigen sei.

[34] NK-Neumann, 5. Aufl. 2017, § 34 Rn. 86, 88 m.w.N.

[35] Köhler, in: Festschrift für Schroeder (2006), 257, 260 ff.

[36] MüKo-Erb, 3. Aufl. 2017, § 34 Rn. 157.

[37] MüKo-Erb, 3. Aufl. 2017, § 34 Rn. 158.

[38] Roxin, FS-Jescheck (Fn. 3), 457 ff.; ders., AT (Fn. 3), § 16 Rn. 75; MüKo-Erb, 3. Aufl. 2017, § 34 Rn. 158.

[39] Bott, In dubio pro Straffreiheit – Untersuchungen zum Lebensnotstand, 2010, S. 97 ff.; MüKo-Erb, 3. Aufl. 2017, § 34 Rn. 159, LK-Zieschang, 12. Aufl. 2006, § 34 Rn 78; a.A. Roxin, AT (Fn. 3), § 16 Rn. 78; Köhler, FS-Schroeder (Fn. 35), 257, 260 ff. Damit geht jedoch nicht zwingend die Ablehnung eines Tötungsrechts im Rahmen des Defensivnotstandes einher, wenn die Gefahr durch pflichtwidriges Verhalten ausgelöst wird; vgl. MüKo-Erb, 3. Aufl. 2017, § 34 Rn. 167; Krey/Esser, AT, 6. Aufl. 2016, Rn. 624 f.

[40] Börgers, Gefahrurteil, S. 199 (Fn. 21); auch Jakobs, AT (Fn. 3), Abschn. 7 Rn. 162; Abschn. 11 Rn. 3.

[41] Z.B. in Form der Anscheinsvollmacht, vgl. Faust, BGB AT, 6. Aufl. 2018, § 26 Rn. 38.

[42] Diesem Interesse wird sogar ein so hoher Stellenwert eingeräumt, dass der Auslöser eines Rechtsscheins diesen sogar ohne eigenes Verschulden gegen sich gelten lassen muss (s.o.).

[43] LK-Rönnau/Hohn, 12. Aufl. 2006, § 32 Rn. 66; Schönke/Schröder-Perron, 29. Aufl. 2014, § 32 Rn. 1 f.

[44] Siehe auch noch unten IV.2.a.

[45] So auch Frisch, Vorsatz (Fn. 6), S. 415.

[46] Roxin , AT (Fn. 3), § 15 Rn 1; ders., ZStW 93 (1981), 64, 70; Schönke/Schröder-Perron, 29. Aufl. 2014, § 32 Rn. 1; Hirsch, in: Festschrift für Dreher, 1977, S. 211, 217; Kühl JURA 1993, 57, 64. A.A. Individualistischer bzw. monistischer Ansatz. Dabei stützen sich die Autoren entweder nur auf eine überindividuelle Sicht, z.B. Schmidhäuser GA 1991, 97, 115 ff. ("Selbstbehauptung des Recht als eine bestimmende Macht") oder nur auf das Individualschutzprinzip, z.B. Frister GA 1988, 291, 295 ff.

[47] BT-Drucks. IV/650 S. 158; Roxin, AT (Fn. 3), § 15 Rn. 2; LK-Rönnau/Hohn, 12. Aufl. 2006, § 32 Rn. 66, die allerdings in Frage stellen, ob es sich dann tatsächlich um ein "dualistisches" Konzept handelt.

[48] Roxin ZStW 93 (1981), 68, 103 f.

[49] NK-Kindhäuser, 5. Aufl. 2017, § 32 Rn. 108 f.; Roxin, AT, § 15 Rn. 61 in Bezug auf schuldlos handelnde Personen und schuldlos Irrende.

[50] BT-Drucks. IV/650 S. 158 weist ausdrücklich darauf hin, dass das Notwehrrecht nicht so anspruchsvoll ausgestaltet werden darf, dass der "Abwehrwille des gewissenhaften Bürgers hierdurch gelähmt" würde.

[51] Roxin, AT (Fn. 3), § 16 Rn. 10.

[52] Oder auch ganz auf ein Eingreifen verzichtet werden, wenn mit dem Eingriff eine erhebliche Rechtsgutsbeeinträchtigung verbunden ist, mit der nur ein marginales Interesse verteidigt wird.

[53] Zur Maßgeblichkeit der objektiven Ex-ante-Perspektive bei der Begründung von Verhaltensnormen: Freund, Erfolgsdelikt (Fn. 5), S. 52 ff.; Frisch, Vorsatz (Fn. 6), S. 76, 121 ff.; ders., Tatbestandsmäßiges Verhalten (Fn. 5), S. 71 f.

[54] Schönke/Schröder-Perron, 29. Aufl. 2014, § 32 Rn. 52.

[55] Zum Meinungsstand der Bestimmung des dolus eventualis: Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben/Schuster, 29. Aufl. 2014, § 15 Rn. 72 ff.

[56] Für die Notwehr: Schüler, Das Zweifeln über das Vorliegen einer Rechtfertigungslage, 2004, S. 123 ff.; allgemein: Rönnau JuS 2009, 594, 596; LK-Rönnau, 12. Aufl. 2006, Vor § 32 Rn. 84 ff.

[57] Zur damit verbundenen Zwangslage: Schüler, Rechtfertigungslage (Fn. 55), S. 112 ff.

[58] In § 34 sehen daher auch Schüler, Rechtfertigungslage (Fn. 55), S. 169 und Roxin, AT (Fn. 3), § 14 Rn. 90 ff. die "Lösung" des Problems des Handelns in einer zweifelhaften Notwehr- bzw. Nothilfelage.

[59] Roxin, AT (Fn. 3), § 14 Rn. 93; Vom "Versagen" des eigenen Lösungsansatzes spricht auch Schüler, Rechtfertigungslage (Fn. 55), S. 172 bei Kollision existentieller Güter.

[60] So Schroth, Vorsatz und Irrtum, 1998, S. 126.

[61] Beispiel von Frisch, Vorsatz (Fn. 6), S. 421 f.

[62] Frisch, Vorsatz (Fn. 6), S. 426; Schüler, Rechtfertigungslage (Fn. 55), S. 159 f.; Nestler JURA 2018, 135, 142.

[63] Frisch, Vorsatz (Fn. 6), S. 415-463.

[64] Einen Sonderfall stellt die Einwilligung dar; vgl. dazu Frisch, Vorsatz (Fn. 6), S. 430.

[65] Beispielsweise hängt es von der Frage ab, ob ein Schuss treffen wird oder durch den Wind abgelenkt wird, ob es erforderlich ist, dem Schützen in den Arm zu fallen; Beispiel nach Frisch, Vorsatz (Fn. 6), S. 422.

[66] Vgl. nur Kühl, AT, 8. Aufl. 2017, § 7 Rn. 98 m.w.N.

[67] Frisch, Vorsatz (Fn. 6), S. 432.

[68] Schroth, Vorsatz (Fn. 59), S. 127.

[69] Auch Frisch, Vorsatz (Fn. 6), S. 428ff. kommt zu einem ähnlichen Ergebnis, indem er fordert, dass bei Risikoentscheidungen ein "angemessenes Verhältnis" zwischen Eingriffsgut und verteidigten Interesse bestehen muss, wobei in die Abwägung die Wahrscheinlichkeit der Rechtfertigungslage einzufließen habe. Schüler, Rechtfertigungslage (Fn. 55), S. 155 ff. kritisiert daran, dass die Zweifel des Verteidigers keine Entlastung des Angreifers herbeiführen könnten und daher die Annahme eines "verhältnismäßigen" Notwehrrechts verfehlt sei. Er wählt daher den Weg einer Rechtfertigung über § 34, der mE jedoch unzureichend ist (vgl. unten).

[70] Frisch, Vorsatz (Fn. 6), S. 413 ff., 431 ff.; Wolter, Zurechnung (Fn. 5), S. 38, 137 ff.; Freund GA 1991, 387, 407.

[71] Schüler, Rechtfertigungslage (Fn. 55), S. 162 ff.; Roxin, AT (Fn. 3), § 14 Rn. 92.

[72] Zum Meinungstand vgl. MüKo-Freund, 3. Aufl. 2017, § 13 Rn. 266 ff.

[73] Je nachdem, ob er mit seinen Befürchtungen Recht hat oder nicht.

[74] Darauf, dass es wenig sinnvoll wäre, dass das Recht eine Pflicht statuiert, jedoch deren Erfüllung zugleich als rechtswidrig bezeichnet, hat schon LK-Spendel, 11. Aufl. 1995, § 323c Rn. 29 hingewiesen. Auch Schüler, Rechtfertigungslage (Fn. 55), S. 150 ff. nutzt das hier dargestellte Gedankenexperiment, um zu zeigen, dass eine Lösung auf Schuldebene nicht überzeugt. Damit begibt er sich mE jedoch in Wertungswidersprüche, wenn er selbst bei Kollision existenzieller Güter eine Lösung auf Schuldebene (S. 172) vertritt.

[75] Wie Fn. 69.