HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Juni 2017
18. Jahrgang
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Hervorzuhebende Entscheidungen des BGH


I. Materielles Strafrecht - Allgemeiner Teil


Entscheidung

556. BGH 3 StR 455/16 - Beschluss vom 21. Februar 2017 (LG Aurich)

Voraussetzungen der sukzessiven Mittäterschaft bei der (gefährlichen) Körperverletzung (Willensrichtung des Beteiligten; wertende Gesamtbetrachtung; weitergehende Förderung des Erfolges durch eigenes Handeln; bloßes Einverständnis; Billigung einer bereits verwirklichten Tat; Demonstration physischer Präsenz).

§ 25 Abs. 2 StGB; § 223 StGB; § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB

Wer mit mehreren Beteiligten in eine Wohnung hineinstürmt, um dort eine körperliche Auseinandersetzung mit dem Wohnungsinhaber zu suchen, ist nicht ohne weiteres Mittäter einer von einem der Beteiligten begangenen – zum Zeitpunkt des Hineinstürmens bereits vollendeten – Körperverletzung. Die Demonstration einer erheblichen physischen Präsenz und zahlenmäßigen Überlegenheit genügt hierfür ebenso wenig wie das bloße Einverständnis mit Gewalthandlungen und die Billigung einer bereits verwirklichten Tat. Eine etwaige sukzessive Zurechnung setzt vielmehr voraus, dass der Hinzutretende in der Vorstellung handelt, die Herbeiführung des tatbestandsmäßigen Erfolges durch sein eigenes Handeln weiter zu fördern.


Entscheidung

562. BGH 3 StR 517/16 - Beschluss vom 7. März 2017 (LG Kleve)



Keine sukzessive Mittäterschaft bei bereits beendeten Körperverletzungshandlungen; Strafrahmenwahl beim Versuch (Fehlen wesentlicher versuchsbezogener Umstände zur Begründung der Strafrahmenwahl; minder schwerer Fall).

§ 223 StGB; § 224 StGB; § 25 Abs. 2 StGB; § 23 StGB; § 49 StGB

Fasst ein Beteiligter den Entschluss zur mittäterschaftlichen Mitwirkung an körperlichen Misshandlungen erst zu einem Zeitpunkt nach Beginn des Geschehens, so ist eine Zurechnung im Wege der sog. sukzessiven Mittäterschaft hinsichtlich solcher Verletzungshandlungen ausgeschlossen, die zu diesem Zeitpunkt bereits beendet sind.


Entscheidung

589. BGH 5 StR 433/16 - Urteil vom 25. April 2017 (LG Berlin)

Sukzessive Mittäterschaft beim besonders schweren Raub (Kenntnis und Billigung des bisherigen Geschehens; Erstreckung des Einverständnisses auf die Gesamttat; Billigung der Verwendung eines gefährlichen Werkzeugs; kein Teilrücktritt bei vollständiger Verwirklichung des qualifizierenden Umstands; Beweiswürdigung; Rückschluss auf Billigung aus den äußeren Umständen; keine Unterstellung fernliegender Geschehensabläufe).

§ 249 StGB; § 250 StGB; § 25 Abs. 2 StGB; § 261 StPO

Die Feststellung der Billigung eines Mittäterexzesses bei sukzessiver Mittäterschaft erfolgt, sofern der Angeklagte dies bestreitet, nach allgemeinen Grundsätzen vor allem durch Rückschlüsse aus dem äußeren Tatgeschehen. Es ist dabei weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zugunsten eines Angeklagten Geschehensabläufe zu unterstellen, für deren Vorliegen – selbst bei nicht widerlegbaren, aber durch nichts gestützten Angaben des Angeklagten – keine Anhaltspunkte bestehen.


Entscheidung

521. BGH 2 StR 395/16 - Beschluss vom 28. März 2017 (LG Limburg)

Wohnungseinbruchdiebstahl (keine Beihilfe nach Beendigung).

§ 27 Abs. 1 StGB; § 242 Abs. 1; § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB

Eine Verurteilung des Angeklagten wegen Beihilfe zum Wohnungseinbruchdiebstahls scheidet aus, wenn seine Tatbeiträge sich darin erschöpfen, nach Beendigung eines Wohnungseinbruchsdiebstahls geeignetes Werkzeug zum Aufbruch eines zuvor durch die beiden Haupttäter entwendeten Tresors zur Verfügung zu stellen, die Haupttäter zum Ablageort des Tresors zu begleiten, um „gegebenenfalls“ bei dessen Öffnung behilflich zu sein, und den Tresor zu entsorgen.


Entscheidung

522. BGH 2 StR 435/16 - Beschluss vom 7. März 2017 (LG Rostock)

Räuberische Erpressung (Beihilfe: Feststellung des Gehilfenvorsatzes).

§ 27 Abs. 1 StGB; § 253 Abs. 1 und 2 StGB; § 255 StGB

1. Alleine seine Beihilfe zu lange andauernden Misshandlungen und einer Freiheitsberaubung führt nicht ohne weiteres dazu, dass dem Angeklagten auch eine Förderung eines überraschend in einem engeren Teil des Tatzeitraums begangenen Erpressungsversuchs zugerechnet werden kann. Dabei kann es sich um einen „Exzess des Täters“ handeln.

2. Dass der Angeklagte die Nötigung des Geschädigten zum Anerkennen einer vom Haupttäter erfundenen Forderung objektiv gefördert und sich sein – zumindest bedingter – Vorsatz auf jene Haupttat und seine eigene Beihilfehandlung erstreckt hat, ist nicht durch die Feststellung belegt, „auch diese Handlung registrierte der Angeklagte und duldete sie stillschweigend“.


Entscheidung

576. BGH 5 StR 106/17 - Urteil vom 25. April 2017 (LG Braunschweig)

Voraussetzungen einer aktiven Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln durch den Wohnungsinhaber (Kenntnis und Billigung; strafloses Unterlassen; fehlende Garantenstellung; aktive Inbesitznahme).

§ 29 BtMG; § 27 StGB; § 13 StGB

Für den Wohnungsinhaber erfüllt allein die Kenntnis und Billigung einer Lagerung, Aufbereitung oder des Vertriebs von Betäubungsmitteln in seiner Wohnung durch einen Mitbewohner noch nicht die Voraussetzung strafbarer Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitten, da ihm damit hinsichtlich dieses Handeltreibens im Falle einer fehlenden Garantenstellung ein lediglich strafloses Unterlassen zur Last gelegt wird. Anders verhält es sich, wenn der Wohnungsinhaber den Betäubungsmittelhandel eines Dritten aktiv unterstützt, indem er ihm etwa die Wohnung in Kenntnis des beabsichtigten Handeltreibens überlässt oder die Betäubungsmittel für den Täter in Besitz nimmt und verwahrt.


Entscheidung

534. BGH 4 StR 59/17 - Beschluss vom 13. April 2017 (LG Bielefeld)

Konkurrenzen (gefährliche Körperverletzung und schwere Körperverletzung).

§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB; § 226 Abs. 1 Nr. 1 StGB

Die Annahme von Tateinheit zwischen gefährlicher Körperverletzung gemäß und schwerer Körperverletzung steht nicht im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung, die insoweit von Gesetzeskonkurrenz ausgeht.


Entscheidung

560. BGH 3 StR 505/16 - Beschluss vom 7. März 2017 (LG Bad Kreuznach)

Beurteilung der Konkurrenzverhältnisse nach dem individuellen Tatbeitrag des Beteiligten (Förderung von in Tatmehrheit stehenden Taten durch eine einheitliche Beihilfehandlung).

§ 25 StGB; § 27 StGB; § 52 StGB; § 53 StGB

Die Frage der Handlungseinheit oder -mehrheit ist nach dem individuellen Tatbeitrag eines jeden Beteiligten zu beurteilen. Das gilt auch für Gehilfen im Sinne des § 27 StGB. Wer daher durch dieselbe Beihilfehandlung mehrere – sei es auch ggf. untereinander in Tatmehrheit stehende – Taten fördert, ist stets wegen tateinheitlich begangener Beihilfe zu diesen unterschiedlichen Taten zu bestrafen.


Entscheidung

569. BGH 5 StR 22/17 - Beschluss vom 22. März 2017 (LG Berlin)



Verhältnis von Feststellung der verminderten Einsichtsfähigkeit und tatsächlich fehlender Unrechtseinsicht.

§ 21 StGB

Nimmt das Tatgericht eine erheblich verminderte Einsichtsfähigkeit des Täters an, so muss es darüber befinden, ob diese zum Fehlen der Unrechtseinsicht geführt oder ob der Täter gleichwohl das Unrecht der Tat eingesehen hat. Hat dagegen der Angeklagte ungeachtet seiner erheblich verminderten Einsichtsfähigkeit das Unrecht seines Tuns zum Tatzeitpunkt tatsächlich eingesehen, so ist seine Schuld nicht gemindert und § 21 StGB nicht anwendbar.


II. Materielles Strafrecht – Besonderer Teil


Entscheidung

513. BGH 1 StR 466/16 - Beschluss vom 8. März 2017 (LG Würzburg)

BGHSt; Betrug (Täuschung durch Unterlassen: Aufklärungspflicht, Garantenstellung, Zumutbarkeit der Aufdeckung früherer Straftaten, keine „Umwälzung“ von Tatbestandsmerkmalen, Ingerenz und Erklärungsdelikt; Vermögensschaden: Berechnung bei Kommanditgesellschaften, Fälle des sog. blind poolings); Untreue (Vermögensbetreuungspflicht: kein Widerspruch mit Aufklärungspflicht).

§ 13 Abs. 1 StGB; § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB; § 263 Abs. 1 StGB; § 266 Abs. 1 StGB

1. Vorangegangenes gefährliches Tun (Ingerenz) kann eine Aufklärungspflicht nicht nur bei Vorverhalten mit objektivem Täuschungscharakter begründen. Werden durch das Vorverhalten diejenigen vermögensrelevanten Umstände verändert, deren Fortbestehen Grundlage weiterer Vermögensverfügungen des Getäuschten ist, kann dies ebenfalls eine Aufklärungspflicht begründen, die bei Nichterfüllung zu einer Täuschung durch Unterlassen führt. (BGHSt)

2. Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann die Schädigung des Vermögens einer Kommanditgesellschaft lediglich zu einem straftatbestandsmäßigen Vermögensnachteil führen, wenn sie gleichzeitig das Vermögen der Gesellschafter „berührt“. Es bedarf hinsichtlich des Vermögensschadens aber dann keiner näheren Feststellungen zu der Anzahl der jeweils betroffenen Gesellschafter und dem Umfang ihrer jeweiligen Beteiligung an den Gesellschaftsvermögen, wenn für alle zur Verurteilung führenden Fälle ausgeschlossen ist, dass die jeweils nicht wertentsprechend ausgeglichenen Entnahmen aus dem Gesellschaftsvermögen sich nicht auch nachteilig auf die Vermögen der Gesellschafter ausgewirkt haben, weil nach dem Anlagekonzept der betroffenen Fondsgesellschaften der Wert der Beteiligung daran von der Höhe des Gesellschaftsvermögens abhing. (Bearbeiter)

3. Eine Strafbarkeit wegen Betrugs durch Unterlassen entweder als Täter oder als Teilnehmer kommt für alle Personen in Frage, die eine Pflicht zur Aufklärung anderer über vermögensrelevante Tatsachen haben. Unabhängig vom Entstehungsgrund muss die Pflicht stets darauf gerichtet sein, unrichtigen oder unvollständigen Vorstellungen des Getäuschten über Tatsachen, die zu einer Vermögensschädigung führen können, durch aktive Aufklärung entgegenzuwirken. (Bearbeiter)

4. Ein besonderes Vertrauensverhältnis, aus dem eine solche Aufklärungspflicht resultiert, kann zwischen an Fondsgesellschaften beteiligten Anlegern und den Gesellschaften bestehen, wenn diese auf dem Konzept des sog. blind pools beruhen. Dabei ist Anlegern weder bei Eingehen der Beteiligung noch während der Zeiträume der Erbringung der Anlagebeiträge bekannt, in welcher konkreten Weise die Anlagemittel durch die jeweils für die Fondsgesellschaften handelnden Personen eingesetzt werden. (Bearbeiter)

5. Den gesellschaftsrechtlichen Beteiligungen der hier fraglichen Formen wohnt auch ein Beratungselement inne, bei dem der einzelne Anleger den Sachverstand der das Anlageprojekt auflegenden und verwaltenden (natürlichen) Personen in Anspruch nimmt. (Bearbeiter)

6. Die Vertretungsorgane von Fondsgesellschaften oder die Vertretungsorgane der die Gesellschaft vertretenden juristischen Person sind darum in eigener Person aufklärungspflichtig. Als natürliche Personen stehen sie zwar in keiner unmittelbaren (gesellschafts)vertraglichen Beziehung zu den Anlegern der Fondsgesellschaften. Ihre Garantenstellung und ihre daraus folgende Aufklärungspflicht gegenüber den Anlegern findet ihre Grundlage aber in der tatsächlichen Übernahme der Stellung als Vertretungsorgan der Fondsgesellschaften selbst. Der Heranziehung von § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB bedarf es nicht. Die Vorschrift ist auf unechte Unterlassungsdelikte nicht anwendbar. (Bearbeiter)

7. Diese Aufklärungspflicht steht nicht in Widerspruch zu den Voraussetzungen der Vermögensbetreuungspflicht im Sinne des Untreuetatbestandes, wenn die Angeklagten aufgrund ihrer gesellschaftsrechtlichen Stellung gegenüber den Vermögen der Anleger als an den Gesellschaften Beteiligte ohnehin betreuungspflichtig sind. (Bearbeiter)

8. Ist mit der Vornahme der rechtlich gebotenen Handlung die Gefahr der Aufdeckung eigener Straftaten des Garanten verbunden, steht dies der Zumutbarkeit normgemäßen Verhaltens gerade wegen des eigenen rechtswidrigen Verhaltens im Vorfeld regelmäßig nicht entgegen. Im Rahmen der insoweit erforderlichen Abwägung können hier die Interessen der zahlreichen Anleger, nicht weiter „wertlose“ Einzahlungen in die Fondsgesellschaften zu leisten, höher gewichtet werden als die Interessen der Angeklagten daran, sich nicht der Gefahr eigener Strafverfolgung auszusetzen. Ob anderes zu gelten hätte, wenn die rechtlich gebotene Handlung während eines laufenden Strafverfahrens notwendig mit einem Geständnis einherginge, bedarf hier keiner Entscheidung. (Bearbeiter)


Entscheidung

490. BGH 1 StR 540/16 - Beschluss vom 8. März 2017 (LG Würzburg)

Betrug durch Unterlassen (erforderliche vermögensbezogene Aufklärungspflicht: Informationspflicht des Geschäftsführers einer Fondgesellschaft über Vermögensentnahmen gegenüber seinen Anlegern, hier: bei laufenden Einzahlungen der Anleger in sog. „blind pools“, erforderliche Aufklärung über strafbar Handlungen); Untreue (Vermögensnachteil: Berechnung, relevanter Zeitpunkt der pflichtwidrigen Handlung; erforderliche Feststellungen zu Nachteilen der Gesellschafter bei Untreue zu Lasten einer KG).

§ 263 Abs. 1 StGB; § 13 Abs. 1 StGB; § 266 Abs. 1 StGB

1. Jedenfalls bei nach dem Konzept des sog. blind pools angelegten Fondsgesellschaften, bei denen den Anlegern weder bei Eingehen der Beteiligung noch während der Zeiträume der Erbringung der Anlagebeiträge bekannt ist, in welcher konkreten Weise die Anlagemittel durch die jeweils für die Fondsgesellschaften handelnden Personen eingesetzt werden, besteht eine in den gesellschaftsrechtlichen Beziehungen gründende Aufklärungspflicht für die Geschäftsführer der Fondgesellschaft über den erfolgten Entzug von Gesellschaftsvermögen gegenüber den Anlegern der Gesellschaft. Soweit die Anleger laufend Zahlungen in den Fond leisten, besteht die Aufklärungspflicht auch während des gesamten Zeitraums der gesellschaftsvertraglichen Bindung der Anleger als an den Fondsgesellschaften Beteiligte und nicht nur im Zeitpunkt der Anlageentscheidung.

2. Unabhängig vom Entstehungsgrund muss die die Strafbarkeit nach §§ 263 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB begründende Pflicht zur Aufklärung eines Dritten über vermögensrelevante Umstände Pflicht stets darauf gerichtet sein, unrichtigen oder unvollständigen Vorstellungen des Getäuschten über Tatsachen, die zu einer Vermögensschädigung führen können, durch aktive Aufklärung entgegenzuwirken.

3. Die Entscheidung, ob ein bestimmtes, den strafrechtlich missbilligten Erfolg abwendendes Verhalten zumutbar ist, muss grundsätzlich von dem dazu berufenen Tatrichter im Rahmen einer wertenden Gesamtwürdigung des Einzelfalles getroffen werden, in die einerseits die widerstreitenden Interessen der Beteiligten und andererseits die Gefahr für das bedrohte Rechtsgut einzubeziehen sind (vgl. BGHSt 43, 381, 398 f.). Ist mit der Vornahme der rechtlich gebotenen Handlung die Gefahr der Aufdeckung eigener Straftaten des Garanten verbunden, steht dies der Zumutbarkeit normgemäßen Verhaltens gerade wegen des eigenen rechtswidrigen Verhaltens im Vorfeld regelmäßig nicht entgegen (vgl. BGHSt 11, 353, 355 f.). Auch aus dem Verfassungsrecht lässt sich nicht ableiten, dass Selbstbegünstigung als Ausfluss persönlicher Freiheit stets straflos oder darüber hinausgehend sogar erlaubt sein müsse (vgl. BVerfGE 16, 191, 194). Ebenso wenig schließt das Verfassungsrecht aus, Selbstbegünstigungshandlungen unter Strafe zu stellen, wenn durch diese strafrechtlich geschützte Rechtsgüter Dritter beeinträchtigt werden (vgl. BVerfGE 16, 191, 194; BGHSt 60, 198, 204 f. Rn. 35 f.).

4. Bei Untreue zu Lasten einer Kommanditgesellschaft sind nähere Feststellungen zu der Anzahl der jeweils betroffenen Gesellschafter und dem Umfang ihrer jeweiligen Beteiligung an den Gesellschaftsvermögen weder für den Schuldspruch noch für den strafzumessungsrelevanten Schuldumfang ausnahmsweise nicht erforderlich, wenn ausgeschlossen ist, dass die jeweils nicht wertentsprechend ausgeglichenen Entnahmen aus dem Gesellschaftsvermögen sich nicht auch nachteilig auf die Vermögen der Gesellschafter ausgewirkt haben und der Gesamtumfang der den betroffenen Anlegern zugefügten Vermögensnachteile mit der Höhe des Nachteils für die fragliche Fondsgesellschaft übereinstimmt.


Entscheidung

543. BGH 3 StR 144/16 - Beschluss vom 10. Januar 2017 (LG Nürnberg-Fürth)

Grundsätze der Mengen- und Kettenverbreitung bei Volksverhetzung und Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole (Tätigkeitsdelikt; kein Verbreitungserfolg; Auf-den-Weg-bringen der Schrift; Vorsatz im Zeitpunkt der ersten Übergabe; Zugänglichmachen an einen größeren Personenkreis).

§ 90a StGB; § 130 StGB

1. Eine Schrift verbreitet i.S.d. §§ 90a, 130 StGB, wer sie ihrer Substanz nach einem größeren Personenkreis zugänglich macht, wobei dieser nach Zahl und Individualität unbestimmt oder jedenfalls so groß sein muss, dass er für den Täter nicht mehr kontrollierbar ist. Eines Verbreitungserfolgs in dem Sinne, dass ein größerer Personenkreis tatsächlich von der Schrift Kenntnis genommen haben muss oder diese zumindest erlangt hat, bedarf es dabei nicht, da es sich um Tätigkeitsdelikte handelt. Verbreiten ist daher die Verbreitungstätigkeit an sich, also auch schon das Auf-den-Weg-bringen der Schrift als erster Verbreitungsakt.

2. Für die sog. „Mengen- und Kettenverbreitung“ gelten insofern die folgenden Grundsätze:

a) Bei der Mengenverbreitung ist ein vollendetes Verbreiten bereits dann anzunehmen, wenn der Täter das erste Exemplar einer Mehrzahl von ihm zur Verbreitung bestimmter Schriften an einen einzelnen Bezieher abgegeben hat.

b) In der Fallgruppe der Kettenverbreitung ist das Tatbestandsmerkmal mit der Weitergabe der Schrift an einen

einzelnen Empfänger schon dann erfüllt, wenn diese seitens des Täters mit dem Willen geschieht, dass der Empfänger die Schrift durch körperliche Weitergabe einem größeren Personenkreis zugänglich machen werde, oder wenn der Täter mit der Weitergabe an eine größere, nicht mehr zu kontrollierende Zahl von Personen rechnet.

c) In beiden Fallkonstellationen muss zur Tatvollendung nicht objektiv gesichert sein, dass es zu weiteren Überlassungen der Schrift an eine oder mehrere Personen kommen wird. Soweit darauf abgestellt wird, es müsse feststehen, dass der Empfänger seinerseits die Schrift an Dritte weiterreichen werde, ist dies so zu verstehen, dass damit der im Zeitpunkt der (ersten) Übergabe der Schrift erforderliche Vorsatz des Täters im Hinblick auf den weiteren Kausalverlauf präzisiert wird.


Entscheidung

511. BGH 4 StR 592/16 - Urteil vom 27. April 2017 (LG Essen)

Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer (Voraussetzungen); Rücktritt vom Versuch (Voraussetzungen des fehlgeschlagenen Versuchs); Kognitionspflicht des Gerichts.

§ 316a StGB; § 24 Abs. 1 StGB; § 264 StPO

1. Nach § 316a Abs. 1 StGB macht sich wegen räuberischen Angriffs auf einen Kraftfahrer strafbar, wer zur Begehung eines Raubes, eines räuberischen Diebstahls oder einer räuberischen Erpressung einen Angriff auf Leib oder Leben oder die Entschlussfreiheit des Führers eines Kraftfahrzeugs oder eines Mitfahrers verübt und dabei die besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs ausnutzt. Führer eines Kraftfahrzeuges im Sinne dieser Bestimmung ist, wer das Fahrzeug in Bewegung zu setzen beginnt, es in Bewegung hält oder allgemein mit dem Betrieb des Fahrzeugs oder mit der Bewältigung von Verkehrsvorgängen beschäftigt ist. Bringt ein Kraftfahrer sein Fahrzeug nicht verkehrsbedingt zum Stehen, bleibt er solange Führer des Kraftfahrzeugs, wie er sich noch im Fahrzeug aufhält und mit dessen Betrieb oder mit der Bewältigung von Verkehrsvorgängen beschäftigt ist. Dies ist regelmäßig erst dann nicht mehr der Fall, wenn er sein Fahrzeug zum Halten gebracht und den Motor ausgestellt hat (vgl. BGHSt 50, 169, 171).

2. Die besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs werden ausgenutzt, wenn der Fahrzeugführer im Zeitpunkt des Angriffs noch in einer Weise mit der Beherrschung seines Kraftfahrzeugs oder mit der Bewältigung von Verkehrsvorgängen beschäftigt ist, dass er gerade deshalb leichter zu einem Angriffsobjekt eines Überfalls werden kann (st. Rspr.). Dies kann auch bei einem nicht verkehrsbedingten Halt der Fall sein, wenn verkehrsspezifische Umstände vorliegen, die zu einer Beeinträchtigung der Abwehrmöglichkeiten des angegriffenen Fahrzeugführers geführt haben (vgl. BGH NStZ-RR 2006, 185, 186).


Entscheidung

524. BGH 2 StR 573/15 - Urteil vom 22. Februar 2017 (LG Gera)

Betrug (Täuschung: konkludente Täuschung durch Übersendung von Rechnungen, mehraktiges Geschehen; Irrtum: Feststellungen des Tatrichters); Verbotsirrtum (Vermeidbarkeit bei anwaltlichem Rat); Tatmehrheit (Deliktsserien).

§ 17 Satz 1 StGB; § 53 Abs. 1 StGB; § 263 Abs. 1 StGB

1. In der Geltendmachung einer Forderung, auf die kein Anspruch besteht, kann eine schlüssige Täuschung über Tatsachen liegen. Voraussetzung dafür ist, dass die Erklärung über die Äußerung einer Rechtsauffassung hinausgeht, die als Werturteil nicht Gegenstand einer Täuschung sein kann, und zugleich einen greifbaren, dem Beweis zugänglichen „Tatsachenkern“ enthält. Dies ist der Fall, wenn mit dem Einfordern der Leistung ein Bezug zu einer unzutreffenden Tatsachenbasis hergestellt oder das Vorliegen eines den Anspruch begründenden Sachverhalts behauptet wird.

2. Wann der Rechtsverkehr der Geltendmachung einer Forderung schlüssig zugleich die Behauptung bestimmter anspruchsbegründender Tatsachen beimisst, ist Tatfrage (vgl. BGH NStZ 2015, 591, 593).

3. Die Übersendung von Rechnungen geht über die Äußerung einer bloßen Rechtsauffassung über das Bestehen eines Anspruchs hinaus, wenn das einzelne Rechnungsschreiben nicht als isolierte Erklärung betrachtet, sondern im Zusammenhang mit einem mehraktigen Geschehensablauf gesehen werden muss.

4. Mit der Formulierung „die Rechnung bezieht sich auf Ihren Vertrag, den sie mit unserem Außendienstmitarbeiter geschlossen haben“ nimmt der Angeklagte auf ein mehraktige Geschehen und die zum Abschluss des Vertrags führende Haustürsituation Bezug und täuscht dadurch konkludent über die Tatsache, dass sich Außendienstmitarbeiter und Kunde im Rahmen des Vertragsabschlusses auch darüber geeinigt haben, die „Beratung“ sei im Falle des Widerrufs des Vertrags vergütungspflichtig.

5. Das Vertrauen auf eingeholten rechtsanwaltlichen Rat vermag nicht in jedem Fall einen unvermeidbaren Verbotsirrtum des Täters zu begründen. Wendet der Täter sich bei einem zufälligen Zusammentreffen an einen Rechtsanwalt und erhält auf eine spontane Nachfrage hin – also regelrecht zwischen „Tür und Angel“ – eine mündliche Auskunft ohne vertiefte Prüfung und als kostenlose Freundschaftsleistung, darf er nicht auf deren Richtigkeit vertrauen.

6. Ob ein betrugsrelevanter Irrtum gegeben ist, ist vom Tatrichter unter Ausschöpfung aller Beweismittel festzustellen. Regelmäßig ist es deshalb erforderlich, die irrende Person zu ermitteln und in der Hauptverhandlung über die tatrelevante Vorstellung zu vernehmen. Ausnahmsweise kann in Fällen eines normativ geprägten Vorstellungsbildes des Verfügenden die Vernehmung weniger Zeugen genügen. Belegen deren Angaben das Vorliegen eines Irrtums in den sie betreffenden Fällen, kann auf die Erregung eines Irrtums auch bei anderen Verfügenden geschlossen werden. Nicht ausreichend ist es, wenn die Strafkammer ihre Überzeugung lediglich auf Plausibilitätserwägungen stützt.


Entscheidung

487. BGH 1 StR 362/16 - Beschluss vom 23. Februar 2017 (LG Augsburg)



Entziehung Minderjähriger (Begriff des Entziehens: faktische Beeinträchtigung des Rechts zur Personensorge, erforderliche Dauer: umfassende Gesamtbetrachtung im Einzelfall, konkrete Gefährlichkeit für das Kind); Berufsverbot (Missbrauch des Berufs oder Gewerbes oder grobe Verletzung der mit ihnen verbundenen Pflichten: berufstypischer Zusammenhang der Tat, hier: Arzt und Medikamentenmissbrauch); Schuldunfähigkeit (Pädophilie als andere schwere seelische Abartigkeit und erhebliche Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit).

§ 235 Abs. 1 StGB; § 1631 BGB; § 70 Abs. 1 StGB; § 20 StGB

1. Ein Entziehen im Sinne des § 235 Abs. 1 StGB liegt vor, wenn der Täter den wesentlichen Inhalt des Rechts auf Personensorge, nämlich Pflege, Erziehung und Aufenthaltsbestimmung (§ 1631 BGB) durch räumliche Trennung von gewisser Dauer beeinträchtigt. Den Eltern „entzogen“ ist ein Minderjähriger dabei schon dann, wenn das Recht zur Erziehung, Beaufsichtigung und Aufenthaltsbestimmung durch räumliche Trennung für eine gewisse, nicht ganz vorübergehende Dauer so beeinträchtigt wird, dass es nicht ausgeübt werden kann (vgl. BGHSt 1, 199, 200).

2. Zur Erfüllung des Tatbestands reicht jede Handlung aus, durch welche die Sorgeberechtigten faktisch gehindert werden, ihr Obhutsrecht zu verwirklichen. Ein Entziehen kann selbst dann gegeben sein, wenn der Sorgeberechtigte sein Obhutsrecht im Tatzeitpunkt tatsächlich nicht ausübt. Auch muss die Tat nicht im Herrschaftsbereich des Berechtigten seinen Ausgang nehmen; sie kann vielmehr auch an einem Kind begangen werden, das unbeaufsichtigt auf der Straße spielt (vgl. BGHSt 16, 58, 61 f).

3. Wann die Dauer einer Entziehung so erheblich ist, dass sie dem Tatbestand unterfällt, ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und des Zwecks der Strafvorschrift zu entscheiden, also Tatfrage (vgl. BGHSt 10, 376, 378). Maßgeblich sind dafür auch das Alter des Kindes, seine Schutz- und Zuwendungsbedürftigkeit sowie Aufsichtserfordernisse und die Intensität des Eingriffs. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann daher bei einem vierjährigen Kind auch bereits eine Dauer von zehn Minuten für ein Entziehen genügen (BGHSt 16, 58).

4. Für die Beurteilung im Einzelfall, ob das Sorgerecht durch die Trennung erheblich beeinträchtigt worden ist, ist auch von Bedeutung, ob der Minderjährige durch die Tat Nachteile erlitten hat, insbesondere, ob er in körperlicher oder geistiger Hinsicht gefährdet worden ist. Lässt sich feststellen, dass es schon in kurzen Zeiträumen zu konkreten Gefahren für das körperliche oder geistige Wohl des Kindes gekommen ist, können auch kleinere Zeiteinheiten genügen.

5. Ein Missbrauch von Beruf oder Gewerbe im Sinne des § 70 StGB liegt nur dann vor, wenn der Täter unter bewusster Missachtung der ihm gerade durch seinen Beruf oder sein Gewerbe gestellten Aufgaben seine Tätigkeit ausnutzt, um einen diesen Aufgaben zuwiderlaufenden Zweck zu verfolgen. Dazu genügt ein bloß äußerer Zusammenhang in dem Sinne, dass der Beruf dem Täter lediglich die Möglichkeit gibt, Straftaten zu begehen, nicht. Die strafbare Handlung muss vielmehr Ausfluss der jeweiligen Berufs- oder Gewerbetätigkeit sein und einen berufstypischen Zusammenhang erkennen lassen (st. Rspr.); sie muss symptomatisch für die Unzuverlässigkeit des Täters im Beruf erscheinen.

6. Eine Verletzung der mit dem Beruf oder Gewerbe verbundenen Pflichten im Sinne des § 70 StGB liegt nur dann vor, wenn der Täter bei Tatbegehung gegen eine der speziellen Pflichten, die ihm bei der Ausübung seines Berufs oder Gewerbes auferlegt sind, verstößt. Auch dafür bedarf es eines berufstypischen Zusammenhangs der Tat zu der beruflichen Tätigkeit. Hierfür genügt es nicht, dass der Täter zur Betäubung der Opfer Medikamente eingesetzt hat, auf die er möglicherweise als Arzt Zugriff hat (vgl. BGH StV 2008, 80).

7. Ein abweichendes Sexualverhalten, etwa in Form einer Pädophilie, kann nicht ohne weiteres einer schweren Persönlichkeitsstörung gleichgesetzt und dem Eingangsmerkmal der schweren anderen seelischen Abartigkeit i.S.v. §§ 20 StGB zugeordnet werden (st. Rspr.). Eine festgestellte Pädophilie kann aber im Einzelfall eine schwere andere seelische Abartigkeit und eine hierdurch erheblich beeinträchtigte Steuerungsfähigkeit begründen, wenn Sexualpraktiken zu einer eingeschliffenen Verhaltensschablone geworden sind, die sich durch abnehmende Befriedigung, zunehmende Frequenz der devianten Handlungen, Ausbau des Raffinements und gedankliche Einengung des Täters auf diese Praktik auszeichnen. Ob die sexuelle Devianz in Form einer Pädophilie einen Ausprägungsgrad erreicht, der dem Eingangsmerkmal der schweren anderen seelischen Abartigkeit zugeordnet werden kann, ist aufgrund einer Gesamtschau der Täterpersönlichkeit und seiner Taten zu beurteilen. Dabei kommt es darauf an, ob die sexuellen Neigungen die Persönlichkeit des Täters so verändert haben, dass er zur Bekämpfung seiner Triebe nicht die erforderlichen Hemmungen aufzubringen vermag (vgl. BGH RuP 2010, 226 f).


Entscheidung

509. BGH 4 StR 472/16 - Beschluss vom 15. März 2017 (LG Kaiserslautern)

Betrug (Vermögensschaden: Berechnung bei Anlagebetrug).

§ 263 Abs. 1 StGB

Übergibt der Getäuschte dem Täter später zurückzuzahlende Gelder, damit dieser davon Aktien kauft und Spekulationsgeschäfte vornimmt, an deren Ertrag der Getäuschte teilhaben soll, liegt ein Vermögensschaden in voller Höhe vor, wenn der Täter von Anfang an keine Anlage tätigen und das Geld nicht zurückzahlen will. Hat er lediglich die Absicht, die zugesagten Anlagegeschäfte nicht vorzunehmen und das Geld bei fortbestehender Rückzahlungsbereitschaft anderweitig zu verwenden, kommt es darauf an, ob und inwieweit der Rückzahlungsanspruch dadurch entwertet wird. Ein eventueller Minderwert ist dabei nach wirtschaftlicher Betrachtungsweise zu beurteilen und der Vermögensschaden unter Berücksichtigung banküblicher Bewertungsansätze konkret festzustellen und zu beziffern (vgl. BVerfGE 130, 1, 47).


Entscheidung

506. BGH 2 StR 656/13 - Urteil vom 22. März 2017 (LG Köln)



Mord aus niedrigen Beweggründen (Voraussetzungen: Tötung aus Wut, Ärger, Hass oder Rache); Verbot der Verwertung einer vor der Hauptverhandlung gemachten Zeugenaussage bei Berufung auf Zeugnisverweigerungsrecht (kein umfassendes Verwertungsverbot: zulässige Vernehmung der richterlichen Verhörsperson; keine Belehrung über Reichweite des Verwertungsverbots erforderlich).

§ 211 StGB; § 252 StPO

1. Beweggründe sind im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB niedrig, wenn sie nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und deshalb besonders verachtenswert sind. Die Beurteilung der Frage, ob Beweggründe zur Tat „niedrig“ sind und – in deutlich weiter reichendem Maße als bei einem Totschlag – als verachtenswert erscheinen, hat auf Grund einer Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren, insbesondere der Umstände der Tat, der Lebensverhältnisse des Täters und seiner Persönlichkeit zu erfolgen (vgl. BGHSt 47, 128, 130).

2. Bei einer Tötung aus Wut, Ärger, Hass oder Rache kommt es darauf an, ob diese Antriebsregungen ihrerseits auf einer niedrigen Gesinnung beruhen (st. Rspr).

3. In subjektiver Hinsicht muss hinzukommen, dass der Täter die Umstände, die die Niedrigkeit seiner Beweggründe ausmachen, in ihrer Bedeutung für die Tatausführung ins Bewusstsein aufgenommen hat und, soweit gefühlsmäßige oder triebhafte Regungen in Betracht kommen, diese gedanklich beherrschen und willensmäßig steuern kann. Dies ist nicht der Fall, wenn der Täter außer Stande ist, sich von seinen gefühlsmäßigen und triebhaften Regungen freizumachen.

4. Nach der Entscheidung des Großen Senats vom 15. Juli 2016 (GSSt 1/16) enthält § 252 StPO kein umfassendes Verwertungsverbot, das die Vernehmung eines Richters über den Inhalt der Aussage eines Zeugen ausschließt, den der Richter in dem die konkrete Tat betreffenden Ermittlungsverfahren vor der Hauptverhandlung vernommen hat. Die Einführung und Verwertung des Inhalts der Bekundungen des (Angaben in der Hauptverhandlung verweigernden) Zeugen erfordert lediglich, dass der Richter ihn über sein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 StPO belehrt hat; einer weitergehenden (qualifizierten) Belehrung auch über die Möglichkeit der Einführung und Verwertung seiner Aussage im weiteren Verfahren bedarf es hierfür nicht.


Entscheidung

499. BGH 2 StR 370/16 - Beschluss vom 14. März 2017 (LG Erfurt)

Verdeckungsmord (erforderliche Verdeckung einer anderen Tat: erforderliche Zäsur zwischen vorheriger Tathandlung und Tötungshandlung mit Verdeckungsabsicht).

§ 211 StGB

1. Zwar steht der Annahme eines Verdeckungsmordes grundsätzlich nicht entgegen, dass sich bereits die zu verdeckende Vortat gegen Leib und Leben des Opfers richtet (vgl. BGHSt 35, 116). Um eine andere – zu verdeckende – Straftat im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB handelt es sich jedoch dann nicht, wenn der Täter nur diejenige Tat verdecken will, die er gerade begeht. Will der Täter im Zuge der Tatausführung den Tötungserfolg zusätzlich herbeiführen, um seine vorherigen Tathandlungen zu verdecken, ist daher für die Annahme eines Verdeckungsmordes dann kein Raum, wenn der Täter bereits von Anfang an mit Tötungsvorsatz gegen das Opfer gehandelt hat. In diesem Fall macht allein das Hinzutreten der Verdeckungsabsicht die davor begangenen Einzelakte nicht zu einer anderen Tat (st. Rspr.).

2. Anders ist die Rechtslage nur dann zu beurteilen, wenn zwischen einer vorsätzlichen Tötungshandlung und einer mit Verdeckungsabsicht vorgenommenen weiteren Tötungshandlung eine deutliche Zäsur liegt (vgl. NStZ 2003, 259 Rn. 16). In den Fällen, in denen ein äußerlich ununterbrochenes Handeln zunächst nur mit Körperverletzungsvorsatz beginnt und dann mit Tötungsvorsatz weitergeführt wird, liegt die erforderliche Zäsur schon in diesem Vorsatzwechsel selbst (vgl. BGH NJW 2016, 179 Rn. 16).


Entscheidung

570. BGH 5 StR 50/17 - Beschluss vom 5. April 2017 (LG Potsdam)

Geladene Schreckschusspistole als Waffe (nach vorne austretender Explosionsdruck).

§ 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB

Eine geladene Schreckschusspistole unterfällt nur dann dem Waffenbegriff des § 250 StGB, wenn feststeht, dass beim Abfeuern der Explosionsdruck nach vorne aus dem Lauf austritt und die Waffe deshalb nach ihrer Beschaffenheit geeignet ist, erhebliche Verletzungen hervorzurufen. Dies ist bei Schreckschusswaffen nicht selbstverständlich.


Entscheidung

564. BGH 3 StR 529/16 - Beschluss vom 9. März 2017 (LG Hildesheim)

Gewerbsmäßigkeit als besonders schwerer Fall (Diebstahl; Betrug; Erpressung; Wiederholungsabsicht in Bezug auf das jeweilige Delikt; spontaner Tatentschluss).

§ 242 StGB; § 243 StGB; § 253 StGB; § 263 StGB

Das Merkmal der Gewerbsmäßigkeit setzt voraus, dass sich die Wiederholungsabsicht gerade auf dasjenige Delikt beziehen, dessen Tatbestand durch das Merkmal der Gewerbsmäßigkeit qualifiziert oder als besonders schwerer Fall einzustufen ist.


Entscheidung

498. BGH 2 StR 345/16 - Beschluss vom 11. April 2017 (LG Kassel)

Unterlassene Hilfeleistung (Straftat als Unglücksfall; Darstellung der Tatbestandsmerkmale im Urteil).

§ 323c StGB

Auch eine Straftat kann für das Opfer ein Unglücksfall im Sinne des § 323c StGB sein, sofern das Risiko erheblicher Verletzung besteht. Die Feststellungen müssen indes auch in diesem Fall aufzeigen, welche Hilfeleistung für die Angeklagte möglich und zumutbar gewesen wäre. Allein der Umstand, dass die Angeklagte Mieterin der Wohnung gewesen ist, in der die Straftaten (hier; Miss-

handlungen) jeweils stattgefunden haben, besagt für sich genommen noch nichts.


Entscheidung

537. BGH 4 StR 581/16 - Beschluss vom 13. April 2017 (LG Darmstadt)

Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr (Verdichtung zur konkreten Gefahr; Wertgrenze zur Sache von bedeutendem Wert; Konkurrenzen).

§ 315b Abs. 1 StGB

1. Ein vollendeter gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr liegt erst dann vor, wenn durch eine der genannten Tathandlungen eine Beeinträchtigung der Sicherheit des Straßenverkehrs herbeigeführt worden ist und sich diese abstrakte Gefahrenlage zu einer konkreten Gefährdung von Leib und Leben eines anderen Menschen oder fremder Sachen von bedeutendem Wert verdichtet hat.

2. Dabei liegt die Wertgrenze für die Annahme der Gefährdung einer Sache von bedeutendem Wert bei mindestens 750 €, wobei die Gefährdung des vom Täter geführten Fahrzeugs außer Betracht zu bleiben hat.

3. Stehen versuchter Totschlag und gefährliche Körperverletzung jeweils in Tateinheit mit einem rechtsfehlerhaft angenommenen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr, ist die Aufhebung des Urteils auf diese Delikte zu erstrecken.


Entscheidung

554. BGH 3 StR 422/16 - Beschluss vom 15. Dezember 2016 (LG Koblenz)

Wegnahmebegriff beim Raub (Gewahrsam, Sachherrschaft; Fesselung des ursprünglichen Gewahrsamsinhabers; Ausdruck der neuen Sachherrschaft).

§ 249 StGB

Werden dem gefesselten Opfer in Anwesenheit mehrerer Tatbeteiligter Gegenstände aus seinen Jackentaschen entnommen und anschließend offen (hier: auf der Motorhaube eines Autos) ausgebreitet, so ist in der Regel bereits zu diesem Zeitpunkt die Wegnahme i.S.d. § 249 StGB vollendet, da der Gefesselte keine Sachherrschaft mehr über die Gegenstände ausüben kann. Sofern die Beteiligten erst zu einem späteren Zeitpunkt die Zueignungsabsicht hinsichtlich der Gegenstände bilden, scheidet ein Raub insoweit aus, da dieser das Bestehen von Zueignungsabsicht im Wegnahmezeitpunkt erfordert.


Entscheidung

526. BGH 2 StR 78/17 - Beschluss vom 29. März 2017 (LG Frankfurt am Main)

Räuberischer Diebstahl (besonders schwerer Fall); Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (Nachholung der Anordnung: kein Verbot der Schlechterstellung).

§ 64 StGB; § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB; § 252 StGB; § 358 Abs. 2 Satz 3 StPO

1. Verwirklicht der Angeklagte neben dem Grundtatbestand des räuberischen Diebstahls auch die Voraussetzungen des schweren Raubes unter Verwendung einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeuges, ist die Verwirklichung dieses Qualifikationsmerkmals im Schuldspruch durch die Bezeichnung der Tat als besonders schwerer räuberischer Diebstahl zum Ausdruck zu bringen.

2. Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert eine Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht, wenn der Angeklagte deren Nichtanwendung durch das Tatgericht nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen hat.


Entscheidung

495. BGH 2 StR 188/16 - Beschluss vom 24. Januar 2017 (LG Neubrandenburg)

Gefährliche Körperverletzung (gemeinschaftliche Begehung: Voraussetzungen, Erhöhung der Gefährlichkeit der konkreten Tatsituation); tatrichterliche Beweiswürdigung (revisionsrechtliche Überprüfbarkeit).

§ 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB; § 261 StPO

Für eine gemeinschaftliche Begehung im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB wird weder Eigenhändigkeit noch Mittäterschaft vorausgesetzt; ausreichend ist vielmehr schon das gemeinsame Wirken eines Täters und eines Gehilfen bei der Begehung einer Körperverletzung (vgl. BGHSt 47, 383, 386). Vorausgesetzt ist eine Beteiligung, durch die sich die Gefährlichkeit der konkreten Tatsituation erhöht.


Entscheidung

558. BGH 3 StR 488/16 - Beschluss vom 7. Februar 2017 (LG Wuppertal)

Kein Raub bei bloßem Ausnutzen der Angst des Opfers vor erneuter Gewaltanwendung (hilflose Lage; konkludente Drohung; bestimmtes Verhalten; hilflose Lage).

§ 249 StGB

Es genügt zur Bejahung des § 249 StGB, wenn die zunächst zu anderen Zwecken begonnene Gewaltanwendung beim Fassen des Wegnahmevorsatzes fortgesetzt wird. Jedoch enthält das bloße Ausnutzen der Angst des Opfers vor erneuter Gewaltanwendung für sich genommen noch keine Drohung. Erforderlich hierfür ist, dass der Täter die Gefahr für Leib oder Leben deutlich in Aussicht stellt, sie also durch ein bestimmtes Verhalten genügend erkennbar macht. Das bloße Ausnutzen der Angst eines der Einwirkung des Täters schutzlos ausgelieferten Opfers mag sich als das Ausnutzen einer hilflosen Lage darstellen, die vom Gesetzgeber indes ausschließlich in § 177 Abs. 5 StGB neben Gewalt oder Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben zu einem selbstständigen tatbestandlichen Nötigungsmittel erhoben wurde.


Entscheidung

539. BGH 4 StR 609/16 - Beschluss vom 27. April 2017 (LG Bochum)

Diebstahl (Zueignungsabsicht hinsichtlich des Inhaltes geschlossener Behältnisse; fehlgeschlagener Versuch).

§ 22 StGB; § 23 Abs. 1 StGB; § 242 Abs. 1 StGB

1. Will sich der Täter nicht das Behältnis, sondern in der Hoffnung auf möglichst große Beute allein dessen vermuteten Inhalt aneignen, fehlt es hinsichtlich des Behältnisses am Zueignungswillen zum Zeitpunkt der Wegnahme.

2. Hat der Angeklagte hinsichtlich des tatsächlichen Inhalts keine Zueignungsabsicht, liegt insoweit lediglich ein – aus Sicht des Täters fehlgeschlagener – Versuch des Diebstahls vor.