HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Mai 2016
17. Jahrgang
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V. Wirtschaftsstrafrecht und Nebengebiete


Entscheidung

409. BGH 1 StR 337/15 - Beschluss vom 14. März 2016 (LG Nürnberg-Fürth)

BGHSt; Bankrott (Verheimlichen von Vermögensbestandteilen: Beendigung bei fortdauerndem Verheimlichen: Restschuldbefreiung; Begriff des Verheimlichen; Dauerdelikt; Rechtsgut der Insolvenzdelikte).

§ 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB; § 78a Satz 1 StGB; § 370 AO

1. Vorsätzlicher Bankrott durch Verheimlichen von Bestandteilen des Vermögens im Sinne von § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB ist im Falle der Insolvenz einer natürlichen Person bei fortdauerndem Verheimlichen bis zur Restschuldbefreiung erst dann beendet, wenn diese erteilt wird. (BGHSt)

2. Nach dem vom Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung angewendeten materiellen Beendigungsbegriff ist die Tat erst beendet, wenn der Täter sein rechtsverneinendes Tun insgesamt abschließt, das Tatunrecht mithin tatsächlich in vollem Umfang verwirklicht ist (vgl. BGHSt 43, 1, 7). Dies bedeutet, dass die Beendigung der Tat nicht allein an die weitere Verwirklichung tatbestandlich umschriebener Merkmale der Straftat nach deren Vollendung anknüpft; vielmehr umfasst die Tatbeendigung auch solche Umstände, die – etwa weil der Gesetzgeber zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsgüterschutzes einen Deliktstypus mit vorverlagertem Vollendungszeitpunkt gewählt hat – zwar nicht mehr von der objektiven Tatbestandsbeschreibung erfasst werden, aber dennoch das materielle Unrecht der Tat vertiefen, weil sie den Angriff auf das geschützte Rechtsgut perpetuieren oder gar intensivieren (vgl. BGHSt 52, 300, 303 mwN). (Bearbeiter)

3. Das Rechtsgut der Insolvenzdelikte besteht im Schutz der Insolvenzmasse vor unwirtschaftlicher Verringerung, Verheimlichung und ungerechter Verteilung zum Nachteil der Gesamtgläubigerschaft. (Bearbeiter)

4. Verheimlichen im Sinne des § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB ist dabei jedes Verhalten, durch das ein Vermögensbestandteil oder dessen Zugehörigkeit zur Insolvenzmasse der Kenntnis der Gläubiger oder der des Insolvenzverwalters entzogen wird. Verheimlichen kann daher sowohl durch falsche Angaben als auch durch Unterlassen bei Verletzung einer Auskunfts- oder Anzeigepflicht verwirklicht werden. (Bearbeiter)

5. Auch wenn mehrere als Verheimlichen zu wertende tatbestandsmäßige Bankrotthandlungen im Sinne von § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB begangen werden, indem Vermögensbestandteile erst durch Falschangaben und später durch pflichtwidriges Unterlassen verheimlicht werden, stehen diese Handlungen jedoch nicht isoliert und rechtlich unabhängig nebeneinander. Vielmehr bildet das gesamte, von einem einheitlichen Willen zur Verheimlichung des im Ausland angelegten Vermögens getragene Verhalten des Angeklagten bis zur Restschuldbefreiung ein einheitliches Delikt des Bankrotts (vgl. BGHSt 11, 145, 146). (Bearbeiter)

6. Beim Verheimlichen von Vermögensbestandteilen gemäß § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB besteht der tatbestandliche Erfolg nicht in einer Rechtsgutsverletzung, sondern in einer Gefährdung des geschützten Rechtsguts. Damit handelt es sich bei diesem Bankrotttatbestand rechtsgutsbezogen um ein abstraktes Gefährdungsdelikt. Da der Taterfolg tatobjektsbezogen ausgestaltet ist, sind die Kategorien „Gefährdungsdelikt“ und „Erfolgsdelikt“ kein gegensätzliches, sich gegenseitig ausschließendes Begriffspaar. Da nicht nur die Rechtspflicht zur Offenbarung des verheimlichten Vermögensgegenstandes fortbe-

steht, sondern auch die Gefährdungslage, die noch in eine (endgültige) Verletzung des Rechtsguts umschlagen kann und nach dem Willen des Täters auch soll, handelt es sich beim Verheimlichen gemäß § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB im Ergebnis um ein Dauerdelikt. (Bearbeiter)


Entscheidung

484. BGH 3 StR 517/15 - Beschluss vom 22. März 2016 (LG Krefeld)

Schadensberechnung beim sog. „Sozialleistungsbetrug“ (Berechnungsdarstellung: eigene Prüfung des Tatgerichts nach den Grundsätzen der für die Leistungsbewilligung geltenden Vorschriften; stark differierende Einnahmen des Beziehers; genaue Darstellung der Verteilung von Zuflüssen; Abgrenzung von Tun und Unterlassen bei verschwiegenen Einkünften und vorheriger Erklärung); Verfall (Ansprüche von Verletzten; gesamtschuldnerische Haftung mehrerer Mittäter).

§ 263 StGB; § 73 StGB; § 111i Abs. 2 StPO; § 11 Abs. 3 SGB II

1. In Fällen des sogenannten Sozialleistungsbetrugs hat das Tatgericht nach den Grundsätzen der für die Leistungsbewilligung geltenden Vorschriften selbständig zu prüfen, ob und inwieweit tatsächlich kein Anspruch auf die beantragten Leistungen bestand. Um den Eintritt eines Schadens zu belegen, muss aus den Feststellungen in nachvollziehbarer Weise hervorgehen, dass und inwieweit nach den tatsächlichen Gegebenheiten auf die sozialrechtliche Leistung kein Anspruch bestand; mit einer allgemeinen Verweisung auf behördliche Schadensaufstellungen darf sich das Urteil nicht begnügen.

2. Bei der Höhe nach stark differierenden Einnahmen eines Beziehers von Sozialleistungen bedarf es insoweit mit Blick auf die Regelungen zur Berücksichtigung und gegebenenfalls Aufteilung von Zuflüssen in § 11 Abs. 3 Satz 2 und 3 SGB II konkreter Darlegungen, wie sich das zu berücksichtigende Einkommen in den jeweiligen Monaten darstellte.

3. Ist die Summe der gegen mehrere Beteiligte festgesetzten Verfallsbeträge höher, als ein dem jeweiligen Verletzten zustehender Anspruch, muss, um einerseits die Abschöpfung des aus der Tat Erlangten zu ermöglichen und zugleich zu verhindern, dass dies mehrfach geschieht, von einer Gesamtschuld der Mittäter ausgegangen und deren Bestehen bzw. Umfang in den Urteilsgründen erörtert werden.


Entscheidung

422. BGH 1 StR 628/15 - Beschluss vom 17. März 2016 (LG Würzburg)

Verfall (Begriff des Erlangen aus der Tat: faktische Verfügungsgewalt, Erlangen bei mehreren Tatbeteiligten); Handeln für einen anderen beim Bankrott (Handeln als vertretungsberechtigtes Organ einer juristischen Person im Geschäftskreis des Vertretenen; Folgen der Aufgabe der Interessentheorie; Beiseiteschaffen).

§ 73 Abs. 1 Satz 1 StGB; § 73 Abs. 1 StGB; § 28 Abs. 1 StGB; § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB; § 283 Abs. 1 StGB

1. Nachdem der Bundesgerichtshof bei der Auslegung von § 14 StGB die sog. „Interessentheorie“ aufgegeben hat, ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung noch nicht in allen Einzelheiten geklärt, unter welchen Voraussetzungen ein Handeln als Vertreter oder Organ bzw. Beauftragter vorliegt. Jedenfalls agiert der Handelnde aber in seiner Eigenschaft als vertretungsberechtigtes Organ, wenn er im Geschäftskreis des Vertretenen tätig wird.

2. Aus der Tat sind alle Vermögenswerte erlangt, die dem Täter (oder Teilnehmer) unmittelbar aus der Verwirklichung des Tatbestandes selbst in irgendeiner Phase des Tatablaufs zufließen (st. Rspr). Erlangt im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 1 und § 73a Satz 1 StGB ist ein Vermögenswert nur dann, wenn der Täter oder Teilnehmer die faktische Verfügungsgewalt über den entsprechenden Vermögensgegenstand erworben hat (vgl. BGH NStZ 2003, 198, 199).

3. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt ein Erlangen im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 1, § 73a Satz 1 StGB in Bezug auf mehrere (als Mittäter) an der Tat Beteiligte auch dann in Betracht, wenn diese sich darüber einig waren, dass ihnen jeweils zumindest Mitverfügungsgewalt über Taterlöse zukommen sollte und sie diese auch tatsächlich innehatten (vgl. BGH NStZ-RR 2009, 320 mwN). Dies wird grundsätzlich auch auf Teilnehmer, etwa Gehilfen, übertragen werden können.


Entscheidung

415. BGH 1 StR 431/15 - Beschluss vom 6. April 2016 (LG Dresden)

Steuerhinterziehung (Erfolg der Steuerverkürzung: Eintritt bei Steueranmeldungen, Umsatzsteuerhinterziehung; Ausschluss der Strafmilderung wegen Versuchs: Beruhen).

§ 370 Abs. 1 AO; § 150 Abs. 1 Satz 3 AO; § 168 AO; § 18 Abs. 1 Satz 1 UStG; § 23 Abs. 2 StGB; § 337 StPO

1. Taterfolg der Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 AO nicht die Nichtentrichtung geschuldeter Umsatzsteuer. Vielmehr besteht er im Verkürzen von Steuern oder im Erlangen nicht gerechtfertigter Steuervorteile für sich oder einen anderen. Steuern sind namentlich dann verkürzt, wenn sie nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden (§ 370 Abs. 4 Satz 1 AO).

2. Bei Steueranmeldungen (§ 150 Abs. 1 Satz 3 AO) – wie hier den Umsatzsteuervoranmeldungen (vgl. § 18 Abs. 1 Satz 1 UStG) – tritt der Taterfolg der Steuerverkürzung dann ein, wenn sie unter den Voraussetzungen des § 168 AO einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleichstehen. Bei einer auf Steuervergütung gerichteten Umsatzsteuervoranmeldung ist dies erst dann der Fall, wenn das Finanzamt der Anmeldung zustimmt, was allerdings keiner Form bedarf (§ 168 Satz 2 und 3 AO).


Entscheidung

421. BGH 1 StR 619/15 - Beschluss vom 2. März 2016 (LG Würzburg)

Steuerhinterziehung (Berechnungsdarstellung: Anforderungen an die Urteilsbegründung).

§ 370 Abs. 1 AO; § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO

Bei einer Verurteilung wegen Steuerhinterziehung (§ 370 AO) reicht es regelmäßig nicht aus, dass die den Straftatbestand ausfüllende steuerrechtliche Norm be-

zeichnet und die Summe der verkürzten Steuern in den Urteilsgründen mitgeteilt wird. Vielmehr müssen die Urteilsgründe gemäß § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO für jede Steuerart und jeden Besteuerungszeitraum unter Schuldgesichtspunkten so klare Feststellungen treffen, dass sowohl die dem Schuldspruch zugrunde liegenden steuerrechtlichen Gesichtspunkte als auch die Berechnung der verkürzten Steuern der Höhe nach erkennbar werden. Dazu gehören jedenfalls diejenigen Tatsachen, die den staatlichen Steueranspruch begründen, und diejenigen Tatsachen, die für die Höhe der geschuldeten und der verkürzten Steuern von Bedeutung sind (st. Rspr.)


Entscheidung

458. BGH 4 StR 42/16 - Beschluss vom 16. März 2016 (LG Dortmund)

Unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (Begriff des Handeltreibens: Eigennützigkeit).

§ 29 Abs.1 Satz 1 Nr. 1 BtMG

Handeltreiben mit Betäubungsmitteln im Sinne des § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG setzt eigennütziges Handeln voraus (vgl. BGHSt 50, 252, 256). Eigennützig ist eine Tätigkeit, wenn das Tun des Täters vom Streben nach Gewinn geleitet wird oder wenn er sich irgendeinen anderen persönlichen Vorteil davon verspricht, durch den er materiell oder – objektiv messbar – immateriell bessergestellt wird (st. Rspr). Da der Vorteil weder tatsächlich erlangt werden noch unmittelbar aus dem Umsatzgeschäft resultieren muss (vgl. BGH StV 1981, 238), reicht die Erwartung mittelbarer Vorteile aus, um die Eigennützigkeit zu begründen.