HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Aug./Sept. 2014
15. Jahrgang
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Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

Irrwege und Wege zur Abgrenzung von Sach- und Verfahrensrüge

Von Wiss. Ass. Dr. Mohamad El-Ghazi, Universität Bremen[*]

I. Einleitung

Das häufig gebrauchte Postulat, bei der Revision handelt es sich um eine reine Rechtsinstanz (revisio in jure)[1], ist mit dem geltenden Recht unvereinbar. Die Revision ist natürlich Rechtskontrollinstanz, in gewisser Hinsicht ist sie aber auch Tatsacheninstanz.[2] Diese Feststellung sollte das Verständnis vom Wesen der Revision nicht erschüttern. Wer den Charakter der Revision aber in Gänze verstehen will, der muss zunächst die Unterschiede zwischen Sach- und Verfahrensrüge hinterfragen. Anhand der Wesensdivergenzen lassen sich die Anwendungsbereiche beider Rügekategorien voneinander abgrenzen.

Die Unterscheidung zwischen Sach- und Verfahrensrecht ist nicht neu: Schon der Kassationsrekurs aus dem französischen Recht des beginnenden 19. Jahrhunderts kannte die Dichotomie zwischen Sach- und Verfahrensverletzungen.[3] Die preußische Nichtigkeitsbeschwerde, bei der es sich im Wesentlichen um eine Nachbildung des Kassationsrekurses handelte, adaptierte diese Zweiteilung.[4]

Die Reichsstrafprozessordnung von 1877 sollte sich nach Meinung ihrer Gesetzesväter von den Traditionen des französischen Rechts losreißen[5], die grundlegende Differenzierung zwischen Sach- und Verfahrensnormverletzung konnte aber auch hier nicht aufgegeben werden. Im Unterschied zur französischen Kassation sollte nunmehr jedoch jede Verfahrensnormverletzung zur Aufhebung des Urteils führen können, wenn nur das Urteil auf der Verletzung des Gesetzes beruht.[6]

Die Abgrenzung zwischen einer Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder einer anderen Rechtsnorm (vgl. § 344 Abs. 2 S. 1 StPO) ist heute nicht mehr wirklich umstritten, es lässt sich aber auch nicht konstatieren, dass die Distinktion nach gesicherten Kriterien verläuft. Nach allgemeiner Auffassung sollen die Normen dem Verfahrensrecht zuzuordnen sein, die bestimmen, auf welchem Wege der Richter zur Urteilsfindung berufen oder gelangt ist.[7] Es ist evident, dass diese grobe Umschreibung der Bedeutung der Distinktionsfrage nicht gerecht wird: Die Abgrenzung zwischen Sach- und Verfahrensrüge entscheidet darüber, ob und in welcher Form der Revisionsführer eine von ihm behauptete Gesetzesverletzung zu erheben hat.[8] Handelt es sich um eine solche, die der Kategorie der Verfahrensnormverletzung unterfällt, hat der Revisionsführer die Gesetzesverletzung nicht nur individuell zu erheben, die Revisionsbegründung muss in diesem Punkt auch den rigiden Anforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO genügen.[9]

Im Übrigen folgt das Bedürfnis nach einer klaren Trennlinie zwischen Sach- und Verfahrensrüge auch aus dem verfassungsrechtlichen Gebot der Rechtsmittelklarheit.[10]

II. Geschichte und Inhalt des herrschenden konsensualen Abgrenzungsansatzes

Der Bundesgerichtshof hat die heute allseitig gebrauchte Abgrenzungsformel erstmals in BGHSt 19, 273 verwendet: Ob einer Rechtsnorm verfahrens- oder sachlichrechtlicher Charakter zukommt, hängt nicht von ihrer Stellung innerhalb der Gesetze ab. Es kommt insbesondere nicht darauf an, ob sie in der Strafprozeßordnung, im Strafgesetzbuch oder in einem anderen Gesetz steht. [11] Vielmehr so der 3. Strafsenat weiter: […]wird man allgemein sagen können, daß Verfahrensvorschriften Rechtsnormen sind, die bestimmen, auf welchem Wege der Richter zur Urteilsfindung berufen oder gelangt ist, während alle anderen Vorschriften dem sachlichen Recht angehören. [12]

Dieser Satz, der sich nach und nach zum Leitsatz zur Abgrenzung von Sach- und Verfahrensrüge durchgesetzt hat, war dabei nicht die Schöpfung des Bundesgerichtshofs. Schon Loewenstein verwendete ihn in seiner 3. Auflage seines Werkes zur Revision von 1933.[13] Schon damals bemängelte dieser, dass eine klare Begriffsbestimmung für die Umgrenzung des Anwendungsbereichs der Verfahrensrüge fehle.[14]

Was wird aber mit dem Begriff der Urteilsfindung beschrieben? Das richtige Verständnis dieses Begriffes ist Voraussetzung für die Brauchbarkeit der loewensteinischen Formel. Logisch betrachtet scheint ihr die Vorstellung zugrunde zu liegen, dass sich das tatgerichtliche Strafverfahren aus (mindestens) zwei Phasen zusammensetzt: eine Phase der Urteilsfindung und eine zeitlich davor liegende Phase, die mit Weg zur Urteilsfindung umschrieben wird. Denn wenn es einen Weg zur Urteilsfindung gibt, dann muss es denklogisch auch eine Phase der Urteilsfindung selbst geben. Die Intension des Begriffes Urteilsfindung müsste in der heutigen Rechtsprechung und Literatur mithin essenzielle Bedeutung besitzen. Wem es gelingen will, die Phase (bzw. den Zustand) der Urteilsfindung selbst von dem Weg dorthin abzugrenzen, der muss sich zunächst darüber im Klaren sein, wo sich sein Ziel (die Urteilsfindung) überhaupt befindet und wann er dieses erreicht hat. Wer Auskunft darüber geben will, ob er sich noch auf dem Weg zu seinem Ziel befindet, der muss zunächst wissen, wo (oder worin) sein Ziel eigentlich liegt.

Natürlich gibt es Gesetzesverletzungen, deren Zuordnung zwischen Weg zur Urteilsfindung und Urteilsfindung selbst problemlos, also ohne weitere Ausfüllung des Begriffes Urteilsfindung, gelingt: Dass beispielsweise die Vorschriften über den Umgang mit einem Beweisantrag, die Frage der Rechtmäßigkeit einer Hausdurchsuchung, die Bestimmungen über die Ladung der Beteiligten zur Hauptverhandlung oder diejenigen über die Besetzung des Spruchkörpers allesamt den Weg zur Urteilsfindung betreffen, bedarf keiner näheren Begründung.

Es kann aber auch nicht verwundern, dass die Allokation der Verletzung des nemo tenetur-Grundsatzes, des § 51 BZRG, die unzureichende Berücksichtigung einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung und (natürlich) die der sogenannten Darstellungsrüge[15] erhebliche Friktionen bereitet.[16] Wenn mit der Darstellungsrüge die Beweiswürdigung auf ihre Vereinbarkeit mit den Denkgesetzen oder Erfahrungssätzen sowie ihre Plausibilität (Widersprüche, Lückenhaftigkeit) beanstandet werden kann[17], muss, um die Distinktionsproblematik auf den Punkt zu bringen, die Frage beantwortet werden, ob die Beweiswürdigung noch zum Weg zur Urteilsfindung zählt oder schon Bestandteil der Urteilsfindung selbst ist.

Dem loewensteinischen Ansatz fehlt bislang jegliches dogmatisches Fundament, welches man auf seine Berechtigung hinterfragen könnte. Dennoch ist einzugestehen, dass die gebrauchte Formel in der Praxis handhabbar zu sein scheint. Gelingt eine Kategorisierung einer Gesetzesverletzung aber nicht auf Anhieb, so wird – entgegen der Erwartung – nicht danach gefragt, was denn die Urteilsfindung überhaupt ist und ob die Gesetzesverletzung noch auf dem Weg zur Urteilsfindung begangen wurde. Vielmehr wird das zur Leitformel erhobene Postulat kommentarlos verlassen.[18] Der Grund hierfür kann nur darin liegen, dass die angeführten Unterscheidungskriterien bislang zu unbestimmt sind, um wirkliche Problemvorschriften zuordnen zu können.[19] Wissenschaft und Praxis haben bislang aber nur wenig unternommen, um die Mängel bei der Anwendung des loewensteinischen Ansatzes zu beheben. Was ist die Urteilsfindung? Mithilfe des Gesetzes lässt sich dies nicht ergründen.[20] Was sich sicher sagen lässt, ist, dass die Anwendung der Sanktionsnorm auf den festgestellten Untersatz schon nicht mehr zum Weg zur Urteilsfindung, sondern zur Urteilsfindung selbst zählen muss. Weitere Aussagen lassen sich nur induktiv herleiten: Die Anwendung der Vorgaben über die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung dürfte ebenso noch zum Weg zur Urteilsfindung zählen. Zumindest dann, wenn man die Auffassung der Rechtsprechung teilt, die unterlassene Kompensation einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung sei in der Regel mit einer Verfahrensrüge geltend zu machen.[21]

Die Anwendung des Zweifelssatzes hingegen dürfte nach der Rechtsprechung schon zur Urteilsfindung selbst zählen. Andernfalls dürfte sie seine Verletzung nicht bereits auf die allgemeine Sachrüge hin untersuchen.[22]

Der Akt der Urteilsfindung lässt sich damit zwar induktiv eingrenzen, keineswegs ist die Intension damit vollständig umschrieben. Hinzu kommt, dass die induktive Methode zur Bestimmung des Begriffsinhalts natürlich unter dem Vorbehalt steht, dass die Aussagen über die Zuordnung der vorgenannten Rechtssätze (in dubio pro reo, rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung) richtig sind.

Hierin zeigt sich auch die Problematik um den herrschenden loewensteinischen Ansatz: Solange es nicht gelungen ist, die Phasen Weg zur Urteilsfindung - Urteilsfindung sauber zu trennen, muss dieser Ansatz auf seine Grenzen stoßen, wenn es um uneindeutige Gesetzesverletzungen geht.

Mit Hamm lässt sich daher konstatieren: Die heute verbreitete Methode kann "niemanden befriedigen, der auf dogmatische Sauberkeit[…]bedacht ist".[23]

III. Übertragung der Leistungstheorie

In der Essenz bedeutet die Übertragung der Leistungstheorie [24] auf die hier behandelte Frage nach der Abgrenzung der beiden Rügekategorien, dass das Revisionsgericht mit der Sachrüge das leisten muss, was es mit seinen Mitteln rechtlich zu leisten imstande ist.[25] Die Vertreter eines leistungsorientierten Ansatzes berufen sich dabei zu Recht auf den Zweck des § 344 StPO. Der entscheidende Grund für die Pflicht zur Angabe der Mängel sei der Umstand, dass der Revisionsrichter für die Verfahrensmängel keine Ansatz- und Anhaltspunkte habe.[26] Sofern ein Gesetzesmangel demnach vollständig aus den Urteilsgründen herauslesbar ist, sei die infrage stehende Normverletzung schon auf die allgemeine Sachrüge zu untersuchen.

Hamm spricht – in der Tendenz ebenfalls dem Leistungsgedanken folgend – von einer "Verfahrensrüge in der Sachrüge": "In allen Fällen, in denen sich der Verfahrensfehler vollständig aus den Urteilsgründen ergibt"[27], könne auf die Erklärung des Revisionsführers, es läge ein Verfahrensfehler vor, verzichtet werden. Die Verfahrensrüge sei als in der Sachrüge konkludent mitgerügt zu behandeln.[28] Methodisch fordert Hamm (und vor ihm schon Sarstedt)[29] aber etwas ganz anderes, als es Peters tut: Die Forderung, auf die Erhebung einer Verfahrensrüge zu verzichten, erweist sich letztlich als Plädoyer für eine teleologische Reduktion des § 344 StPO. Mitnichten erhebt Hamm damit seinen Ansatz zur kategorischen Formel zur Abgrenzung der Anwendungsbereiche von Sach- und Verfahrensrüge. Denn dem Grunde nach setzt die Forderung nach einem Verzicht auf eine Verfahrensrüge voraus, dass bereits feststeht, dass die aus dem Urteil ableitbare Gesetzesverletzung der Kategorie Verfahrensrüge zugeordnet wurde. Nicht die Distinktion zwischen Sach- und Verfahrensrüge verläuft hier leistungsorientiert, sondern lediglich die Anwendung der rigiden Vorschriften über die Verfahrensrüge. Insbesondere soll auf die Anwendung des § 344 StPO verzichtet werden können, wenn der Gesetzesmangel vollständig aus dem Urteil ersichtlich wird.

Auch die Rechtsprechung beschreitet bereits heute einen ähnlichen Weg. Folgen bestimmte Tatsachen bereits aus den Urteilsgründen, so können diese zur Vervollständigung einer vom Revisionsführer angebrachten Verfahrensrüge herangezogen werden.[30] Sie fordert damit – im Unterschied zu Hamm – weiterhin die Anbringung einer auf den jeweiligen Gesetzesverstoß zielenden Verfahrensrüge. Nur auf die Mitteilung der Tatsachen, die sich aus dem Urteil bereits ablesen lassen, wird verzichtet. Die teleologische Reduktion, die die Rechtsprechung an dieser Stelle betreibt, beschränkt sich mithin allein auf § 344 Abs. 2 S. 2 StPO. Die Vorschrift, die die Anbringung der Verfahrensrüge fordert (§ 344 Abs. 2 S. 1 StPO), wird nicht reduziert. Einzig hierin besteht ein Unterschied zu dem Vorschlag von Hamm.

Eine echte Abgrenzung der Anwendungsbereiche von Sach- und Verfahrensrüge anhand des Leistungsansatzes hat sich letztlich aber nicht durchzusetzen vermocht.[31] Zum einen ist der leistungsorientierte Ansatz nicht mit der im Gesetz vorgesehenen strikten Dichotomie zwischen Sach- und Verfahrensfehler vereinbar. Zum anderen hinge die Zuordnung letztlich von der Willkür des Urteilsverfassers und damit aus Sicht des Revisionsgerichts letztlich vom Zufall ab. Ein und dieselbe Gesetzesverletzung könnte in einem Fall der Sachrüge, in einem anderen Fall der Verfahrensrüge unterfallen. Zu Recht hält Frisch der Leistungstheorie daher entgegen, sie verwende ein "querliegendes[…]Kriterium".[32] De lege lata, so Frisch, erweist sich der Ansatz als unhaltbar. Vorschriften, die evident dem Verfahrensrecht zuzuschreiben sind, würden aufgrund einer zufälligen Erkennbarkeit aus den Urteilsgründen ihre Natur verändern. Dies wäre rechtssystematisch in der Tat unerklärlich.[33] Eine solche Transformation ist im Gesetz nicht angelegt. Sie findet keine "Verhaftung" im Wortlaut der Vorschrift. Die in § 344 StPO vorgesehene Zweiteilung zwischen Rechtsnormen über das Verfahren und anderer Rechtsnormen würde damit aufgegeben. Dem Gesetz lässt sich aber die Ent-

scheidung für eine statische Zweiteilung entnehmen (vgl. §§ 352, 357 StPO), die sogar schon vor 1877 anerkannt war. Allein die zufällige Erkennbarkeit einer Gesetzesverletzung aus den Urteilsgründen kann nicht die enormen Unterschiede in der Behandlung zwischen Verfahrens- und Sachnormverletzung rechtfertigen.

I V. Die Wesensdivergenzen als Ausgangspunkt für eine Abgrenzung zwischen Sach- und Verfahrensrüge

Die Herleitung einer Formel zur Abgrenzung der beiden Rügekategorien sollte im Ausgangspunkt bei den Wesensdivergenzen zwischen Sach- und Verfahrensrüge ansetzen: Nicht ohne Grund unternehmen manche Autoren den Versuch, für die Distinktion auf die schriftlichen Urteilsgründe zu rekurrieren. Die schriftlichen Urteilsgründe liefern anerkanntermaßen die ausschließliche Grundlage für die revisionsrechtliche Sachprüfung.[34] Die gegenteilige Annahme bedeutete einen Bruch mit den geltenden Grundpfeilern des Revisionsrechts. Wer die Bindung an die tatsächlichen Feststellungen im Bereich der Sachrüge infrage stellt, so Fezer, der würde zu einer wesensmäßigen Veränderung der Revision hin zu einer Berufung beitragen.[35] Die Tatfrage ist dem Revisionsgericht entzogen.

Eine Überprüfung der Urteilssyllogismen durch das Revisionsgericht kann vor diesem Hintergrund aber nur gelingen, wenn ihm die Untersätze zur Kenntnis gelangen. Die Übermittlung dieser Untersätze wird mittels eines Mediums, den schriftlichen Urteilsgründen, bewerkstelligt. Die Tatsachen zum Schuld- und Rechtsfolgenausspruch sind in der Urteilsurkunde hinreichend sicher festgeschrieben. Zu dieser Festschreibung passt die Irrevisibilität der Tatfrage. Jedoch nehmen nicht alle Tatsachen, die in den Urteilsgründen auftauchen, an dieser Freistellung von der Revisibilität und damit auch an einer Bindungswirkung gegenüber dem Revisionsgericht teil. Letztlich ist die hier notwendige Differenzierung hinsichtlich der Bindungswirkung der Grund, warum die leistungsorientierten Ansätze nicht zu überzeugen vermögen.

Entscheidend ist nicht, welche Rechtsmängel (samt der Tatsachen, die man für ihre Affirmation braucht) aus den schriftlichen Urteilsgründen ersichtlich sind. Entscheidend ist, welche Tatsachen für das Revisionsgericht bindend sind. Nicht alle Tatsachen, die in den Urteilsgründen auftauchen, binden das Revisionsgericht. Es ist aber gerade die tatsachenbezogene Bindungswirkung, die der Sachrüge ihr Wesen verleiht.[36] Die Konzeption der Sachrüge findet ihren Ausgangspunkt aber bereits in den Vorschriften zur Hauptverhandlung. Nicht ohne Grund sind bestimmte Tatsachen für das Revisionsgericht verbindlich. In gewisser Hinsicht ist das Tatgericht dem Revisionsgericht überlegen: Alle Tatsachen, die der sog. Tatfrage zugerechnet werden, unterliegen bereits in der tatgerichtlichen Hauptverhandlung einer gesonderten Behandlung – nämlich dem Strengbeweisverfahren. Dem Tatgericht stehen in der Hauptverhandlung (mindestens) zwei Wege für die Erforschung von Tatsachen bereit. Zum einen das relativ rigide Strengbeweisverfahren, zum anderen das Freibeweisverfahren.[37] In dessen Rahmen kann das Tatgericht losgelöst von den Grundsätzen der Unmittelbarkeit und Mündlichkeit vergleichsweise frei agieren und tatsächliche Feststellungen treffen.[38] Diese Zweispurigkeit, für deren Existenz es im Gesetz an mehreren Stellen Hinweise gibt (vgl. §§ 244 Abs. 1, 251 Abs. 3, § 263 StPO), ist einhellig anerkannt.[39] Dabei ist es auch kein Zufall, dass die Tatsachen, für die das Strengbeweisverfahren gilt, mit den Tatsachen kongruieren, über die sich das Revisionsgericht nicht hinwegsetzen darf. Die Tatsachen, die das Revisionsgericht nicht selbst aufklären kann, sind zwingend in einem strengen Beweisverfahren ermittelt worden. Gerade die Anwendung des rigiden Strengbeweisverfahrens rechtfertigt es, das dabei verifizierte Geschehen als ontologische Wahrheit zu behandeln.

Dabei verläuft die tradierte Unterscheidung zwischen Frei- und Strengbeweisverfahren kohärent zur Aufgabenteilung zwischen Tat- und Revisionsinstanz. Findet das Strengbeweisverfahren Anwendung, löst dieses eine Bindungswirkung für das Revisionsgericht aus. Dem Revisionsgericht selbst steht das Strengbeweisverfahren rechtlich nicht zur Verfügung. Die Tatsachen, die das Tatgericht im Strengbeweisverfahren zu eruieren hat, kann das Revisionsgericht natürlich nicht unter Anwendung eines weniger rigiden Beweiserhebungsverfahrens erneut aufklären.

Wenn wir das Wesen der Verfahrensrüge betrachten, werden weitere Korrelationen zum Beweisrecht der

Hauptverhandlung deutlich. Im Ausgangspunkt ist zunächst davon auszugehen, dass das Revisionsgericht hinsichtlich bestimmter Tatsachen eine eigene Tatsachenfeststellungskompetenz besitzt.[40] Dies lässt sich normativ aus §§ 344 Abs. 2 S. 2, 352 StPO ableiten: Erstere Vorschrift verpflichtet den Revisionsführer dazu, einen Tatsachenvortrag anzubringen. Diese Verpflichtung ließe sich – auch verfassungsrechtlich – nicht rechtfertigen, wenn diese Tatsachen nicht auf ihre Wahrhaftigkeit überprüft werden dürften. Dass diese Kompetenz dem Revisionsgericht zukommen muss, findet in § 352 Abs. 2 StPO Bestätigung. Hier ist von unrichtigen Tatsachen die Rede. Wie soll das Revisionsgericht eine Aussage über die Richtigkeit bzw. Unrichtigkeit treffen, wenn es eine solche Kompetenz nicht besäße. Hier wird mithin stillschweigend vorausgesetzt, dass in Bezug auf die in § 344 Abs. 2 S. 2 StPO genannten Tatsachen eine Tatsachenfeststellungskompetenz existiert.

Das Wesen der Verfahrensrüge wird aber gerade durch diese Tatsachenfeststellungskompetenz geprägt. Die Tatsachen, die das Tatgericht freibeweislich aufklären durfte (nicht musste)[41], lösen eine solche Bindungswirkung nicht aus. Dies geht mit der Befugnis des Revisionsgerichts einher, derartige Tatsachen eigenständig zu ergründen.

Die angedeuteten Korrelationen lassen sich damit wie folgt auf den Punkt bringen: Untersätze, die das Tatgericht vollständig im Strengbeweis ergründen muss, sind für das Revisionsgericht bindend. Es hat diese Untersätze seiner Subsumtion zugrunde zu legen. Die Bindungswirkung, die das Strengbeweisverfahren auslöst, prägt aber gerade das Wesen der Sachrüge. Das Strengbeweisverfahren geht mithin mit einer Bindungswirkung einher, welche wiederum in einer Wechselbeziehung zum Anwendungsbereich der Sachrüge steht.

Entsprechende Korrelationen finden wir zwischen dem Anwendungsfeld des Freibeweisverfahrens und der Verfahrensrüge. Die "Untersätze", die nicht obligatorisch dem Strengbeweis unterliegen, lösen keine Bindungswirkung gegenüber dem Revisionsgericht aus. Sowohl Tat- als auch Revisionsgericht könnten die hier infrage stehenden Tatsachen frei (von den Direktiven des Strengbeweises und ohne Bindungswirkung) ergründen. Gerade die fehlende Bindungswirkung (mit einhergehender Tatsachenfeststellungskompetenz des Revisionsgerichts) prägt aber eben nur das Wesen der Verfahrensrüge. Die Eröffnung des Freibeweisverfahrens für das Tatgericht, die Nichtbindung des Revisionsgerichts und die damit einhergehende Prüfungskompetenz in Bezug auf die freibeweislich festgestellten Tatsachen stehen damit ebenfalls in einem Abhängigkeitsverhältnis. Es ist daher nur konsequent, wenn § 344 Abs. 2 S. 2 StPO den Befehl ausspricht, die den Mangel enthaltenden Tatsachen anzugeben. Ein Bedürfnis dafür besteht nur für solche Rechtsnormen, deren Untersätze entweder keine oder nur eine partielle Bindungswirkung gegenüber dem Revisionsgericht auslösen. Es erweist sich damit auch als systematisch kohärent, dass dem Revisionsführer ein Tatsachenvortrag nur abverlangt wird, soweit die Tatsachen der Disposition des Revisionsgerichts unterliegen. § 344 Abs. 2 S. 2 StPO ist sowohl Beleg als auch Ausdruck der Wesensambivalenz zwischen den Anwendungsfeldern von Sach- und Verfahrensrüge.

V. Schlussfolgerungen:

Von diesen Erkenntnissen ausgehend lassen sich die Anwendungsbereiche von Sach- und Verfahrensrüge alternativ umschreiben: Mit Blick auf die Wesensmerkmale von Sach- und Verfahrensrüge muss es darauf ankommen, welche Art von Tatsachenmaterial das Revisionsgericht benötigt, um einen Gesetzesverstoß verifizieren zu können. Eine Tatsache, die tatgerichtlich nicht zwingend den Direktiven des Strengbeweisverfahrens unterliegt, kann nur im Rahmen einer Verfahrensrüge eine Rolle spielen. Oder anders formuliert: Im Anwendungsbereich der Sachrüge darf nicht eine einzige Tatsache eine rechtliche Bedeutung besitzen, die nicht im Wege des Strengbeweises von Seiten des Tatgerichts zu ergründen wäre. Stets dann, wenn eine Tatsache von Seiten des Tatgerichts freibeweislich ergründet werden könnte, bedeutet dies, dass jede Gesetzesverletzung, in der dieselbe Tatsache eine Relevanz besitzt, nur mithilfe einer Verfahrensrüge beanstandet werden kann.

Damit lässt sich auch die folgende Regel formulieren: Eine Rechtsnormverletzung ist stets dann mit einer Verfahrensrüge geltend zu machen, wenn das Revisionsgericht für ihre Beurteilung mindestens auch auf eine Tatsache zurückgreifen muss, die das Tatgericht nicht im Strengbeweis aufzuklären hätte.[42] Diese Tatsache, mag sie auch von noch so beiläufiger Bedeutung für die Rechtsnormverletzung sein, löst für das Revisionsgericht keine Bindungswirkung aus. Es ist damit diesbezüglich auf seine eigene Freibeweiskompetenz angewiesen, die es nur im Anwendungsbereich der Verfahrensrüge besitzt. Oder anders gesprochen: Hinsichtlich dieser einen Tatsache mangelt es an der das Wesen der Sachrüge prägenden Bindungswirkung.

Lässt sich eine Gesetzesverletzung hingegen ohne Kenntnis einer Freibeweistatsache bejahen, findet sie (die Gesetzesverletzung) bereits allein auf die Sachrüge hin die Beachtung des Revisionsgerichts. Ein Tatsachenvortrag i. S. d. § 344 Abs. 2 S. 2 StPO kann – aufgrund der Bindungswirkung – nicht gefordert sein, weil er sinnlos wäre.

Der Grund, warum die Gesetzesverletzungen mit gemischter Tatsachengrundlage (sowohl die Kenntnis von Freibe-

weis- als auch Strengbeweistatsachen ist für die Bewertung des Mangels notwendig) der Verfahrensrüge und nicht der Sachrüge unterfallen, liegt darin, dass das Vorhandensein einer Freibeweistatsache es notwendig macht, dem Revisionsführer einen (begrenzten) Tatsachenvortrag abzuverlangen. Tatsachen, die nicht bindend sind, kann das Revisionsgericht selbst im Rahmen der Verfahrensrüge eruieren. Um sich aber nicht selbst auf die Suche nach nicht bindenden Tatsachen begeben zu müssen, ist die Anwendung der Regelungen über die Verfahrensrüge insoweit geboten. Die gemischte Rüge passt damit wesensmäßig in den Anwendungsbereich der Verfahrensrüge, und zwar auch dann, wenn bezüglich der Strengbeweistatsachen eine Bindungswirkung zulasten des Revisionsgerichts besteht. Nur die Verfahrensrüge eröffnet dem Revisionsgericht hinsichtlich der Freibeweistatsachen seine Tatsachenfeststellungskompetenz.[43]

VI. Abgrenzung zwischen Streng- und Freibeweistatsachen

Der hiermit formulierte Abgrenzungsansatz ist mit einer Verlagerung der Distinktionsproblematik verbunden: Bezüglich welcher Tatsachen findet das Strengbeweisverfahren Anwendung und wann genügt der Freibeweis?

Der Diskurs um die Abgrenzung von Streng- und Freibeweis verläuft weitestgehend in sicheren Bahnen. Da der Angeklagte durch die überobligatorische Anwendung des Strengbeweisverfahrens nicht belastet wird und auch die freiwillige Anwendung der Strengbeweisdirektive auf eigentliche Freibeweistatsachen nicht zu einer Bindungswirkung führen kann[44], konnte die Frage nach der Abgrenzung bislang dahinstehen, wenn das Tatgericht sicher geht und bei der Feststellung von Tatsachen vorsorglich die Vorgaben des Strengbeweises beachtet.

Nach überkommener Auffassung ist der Strengbeweis auf solche Tatsachen anzuwenden, die unmittelbar den Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch betreffen.[45] Diese Beschränkung des Anwendungsbereichs des Strengbeweises ist heute allgemein anerkannt. Der Strengbeweis beansprucht somit dann Geltung, wenn Tatsachen betroffen sind, auf denen das tatrichterliche Urteil seinem sachlichen Gehalt nach beruht.[46] Er gilt damit für Umstände, die den Hergang der Tat, die Schuld des Täters und die Art und das Ausmaß der strafrechtlichen Folgen betreffen.[47] Zu den Schuldspruchtatsachen zählen alle tatsächlichen Feststellungen zum objektiven und subjektiven Tatbestand sowie alle Tatsachen, die einen Rechtfertigungs-, Entschuldigungs-, Schuldausschließungs-, Strafausschließungs- oder Strafaufhebungsgrund tragen. Dem Rechtsfolgenausspruch zuzurechnen sind (u. a.) alle Tatsachen zu den Haupt- und Nebenstrafen, den Nebenfolgen, den Maßregeln der Besserung und Sicherung sowie die Tatsachen, deren Kenntnis für die Anordnung von Verfall und Einziehung notwendig sind.[48]

Tatsachen, die keine unmittelbare Bedeutung für den Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch aufweisen, mithin nicht zu den Schuldspruch- oder Rechtsfolgentatsachen zählen, müssen vom Tatgericht hingegen nicht unter Anwendung der Strengbeweisregelungen aufgeklärt werden. Die Frage, ob ein Angeklagter als damaliger Beschuldigter in seiner ersten polizeilichen Vernehmung ordnungsgemäß (§163a Abs. 4 S. 2 i. V. m. § 136 Abs. 1 S. 2 StPO) belehrt worden ist, sagt selbst unmittelbar nichts über das Schuld- oder Rechtsfolgengeschehen aus.[49]

Die Abgrenzung zwischen Streng- und Freibeweis verläuft überwiegend kongruent zu § 263 Abs. 1 StPO. Danach ist für jede dem Angeklagten benachteiligende Entscheidung über die Schuldfrage und die Rechtsfolgen der Tat eine Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen des Spruchkörpers notwendig. Sämtliche Entscheidungen, die der Spruchkörper mit dieser qualifizierten Mehrheit zu treffen hat, müssen auf einem Untersatz beruhen, der im Strengbeweisverfahren festgestellt worden ist.

Es soll hier nicht der Eindruck vermittelt werden, die Distinktion zwischen Streng- und Freibeweis verlaufe stets problemlos. Auch hier gilt: Je tiefer man gedanklich in die Materie eintaucht, umso mehr Kontradiktionen treten auf. Zweifelsohne verdienen die bisherigen Leitsätze zur Abgrenzung von Streng- und Freibeweistatsachen weitere Konkretisierung. Dies haben andere zum Teil schon geleistet.[50] Zur Veranschaulichung des beweisakzessorischen Ansatzes sollen hier die vorangegangenen Ausführungen genügen.[51]

VII. Ein Anwendungsbeispiel

Um die Handhabbarkeit einer beweisakzessorischen Anknüpfung zu demonstrieren, bietet es sich an, die vorgeschlagene Regel an Hand eines Beispiels durchzuspielen:

Nicht selten hört man von Seiten (manchmal auch nur scheinbar) engagierter Strafverteidiger den Vorwurf an die Strafgerichte, das Urteil spiegele nicht den Inhalt der Hauptverhandlung wider. Zeugen oder Sachverständige hätten überhaupt nicht, oder zumindest anders als im Urteil geschildert, in der Hauptverhandlung ausgesagt. Urkunden hätten nicht den im Urteil vermittelten Inhalt. Augenscheinsobjekte würden im Urteil falsch beschrieben. Als Außenstehender, der die Hauptverhandlung nicht persönlich verfolgt hat, kann man die Berechtigung derartiger Vorwürfe nur schwer einschätzen. Zumindest das eigene Gerechtigkeitsempfinden sträubt sich der Vorstellung, die zur Urteilsfindung berufenen Personen würden Tatsachen bewusst (dieser Vorwurf schwingt stets mit) verfälschen, um ihren Urteilsspruch müheloser begründen zu können.

Die Mittel der Verteidigung, sich gegen die (behauptete) Inkonsistenz mit der Revision zur Wehr zu setzen, sind rar – aber vorhanden: Im Ausgangspunkt kann § 261 StPO nicht nur das Verbot entnommen werden, keine Erkenntnisse heranzuziehen, die nicht Inbegriff der Hauptverhandlung waren.[52] Dieser Vorschrift kann auch das Gebot entnommen werden, alle wesentlichen Erkenntnisse, die in der Hauptverhandlung Erwähnung gefunden haben, bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen und dies in den Urteilsgründen kenntlich zu machen (Ausschöpfungsgebot).[53] Im Grundsatz kann auch die Verletzung des Ausschöpfungsgebotes revisionsrechtlich beanstandet werden.[54] Diese Grunderkenntnis klingt vielleicht zu schön, um wahr zu sein. Letztlich ist sie es auch nicht ganz. Zum Scheitern ist diese Form der umgekehrten Inbegriffsrüge häufig deshalb[55], weil ihr das ungeschriebene Postulat vom Verbot der Rekonstruktion der Hauptverhandlung entgegensteht.[56] Dieses besagt, dass es nicht Aufgabe des Revisionsgerichts sein kann, den Inhalt der Beweisaufnahme durch Rekonstruktion aufzuklären. Demnach seien die Revisionsgerichte gerade nicht befugt, freibeweislich zu ermitteln, welchen Inhalt eine Zeugenaussage hatte oder welche Fragen dem Zeugen von Seiten des Gerichts gestellt worden sind. Dies widerspräche der Ordnung des Revisionsverfahrens.[57] Eine Ausnahme von diesem (in seiner Herleitung zweifelhaften[58] ) Verbot macht die Rechtsprechung dann, wenn der Inhalt einer Beweiserhebung zweifelsfrei und ohne Weiteres auch dem Revisionsgericht zur Verfügung steht. Dies soll (u. a.) dann der Fall sein, wenn sich der Gehalt einer Beweiserhebung bereits aus dem Inhalt einer in der Hauptverhandlung verlesenen Urkunde oder anderen schriftlichen Erklärung ergibt.[59] Behauptet der Urteilsverfasser in den schriftlichen Urteilsgründen beispielsweise, der Angeklagte habe von Anfang an nicht die Absicht gehabt, seinem Betrugsopfer den vertraglich vereinbarten Kaufpreis in Höhe von 100.000 EUR zu bezahlen, dann kann dies revisionsrechtlich erfolgversprechend angegriffen werden, wenn der in der Hauptverhandlung verlesene Kaufvertrag einen geringeren Kaufpreis ausweist. Auch die Rechtsprechung will mit solch eindeutig belegbaren Widersprüchen zwischen materieller Wahrheit und Urteilswahrheit nicht leben. Mit anderen Inkonsistenzen, die zwar tatsächlich beweisbar wären, jedoch aus Sicht des Revisionsgerichts nicht evident sind, will sich die Rechtsprechung hingegen abfinden.

Kommen wir aber zurück zur hier behandelten Kernfrage: Die revisionsrechtliche Beanstandung eines solchen (ohne Weiteres beweisbaren) Mangels setzt auch nach der hier vorgeschlagenen beweisakzessorischen Anknüpfung eine Verfahrensrüge voraus. Diese muss den Anforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO gerecht werden. Fragen wir nämlich danach, ob für die Beurteilung der Gesetzesverletzung die Kenntnis einer Tatsache notwendig ist, die nicht dem Regime des Strengbeweises untersteht, so ist die Zuordnung hier eindeutig. Wie gesagt, die Rüge, das Gericht habe das Gebot der Ausschöpfung verletzt, kann nur dann Erfolg haben, wenn das Beweismittel auch Inbegriff der Hauptverhandlung war. Das Revisionsgericht muss mithin wissen, ob das Beweismittel in der Hauptverhandlung erhoben worden ist. Diese Tatsache besitzt jedoch offenkundig keine unmittelbare Bedeutung für den Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch. Sie liefert unmittelbar keine Erkenntnisse über den Sachverhalt, der unter die Sanktionsnorm subsumiert werden soll. Auch die Rechtsfolgenfrage wird von ihr nicht unmittelbar berührt. Da schon diese Tatsache nicht dem Strengbeweis unterfällt, müssen wir uns im Anwendungsbereich der Verfahrensrüge bewegen. Für die Sachrüge ist hier kein Raum.


[*] Der Autor ist wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Strafrecht und Strafprozessrecht von Frau Prof. Dr. Ingeborg Zerbes (Universität Bremen).

[1] Z. B. BGH NStZ 2011, 230; Roxin/Schünemann, 27. Auflage (2012), § 55 Rn. 1.

[2] Vgl. EL-Ghazi, Die Zuordnung von Gesetzesverletzungen zu Sach- und Verfahrensrüge in der strafprozessualen Revision, 2014, S. 47 ff.

[3] Zur Entwicklung und Inhalt der Kassation im französischen Recht (auch vor dem Hintergrund der französischen Revolution vgl. Braum, Geschichte der Revision im Strafverfahren von 1877 bis zur Gegenwart, 1996, S. 20 f. ; vgl. auch von Daniels, Grundsätze des rheinischen und französischen Strafverfahrens, 1849, S. 212 ff.

[4] Vgl. Schwinge, Grundlagen des Revisionsrechts, 2. Auflage (1960), S. 6.

[5] Hahn/Mugdan, Bd. 3, S. 249: "(Die Nichtigkeitsbeschwerde) ist wesentlich eine Nachbildung des französischen Kassationsrekurses. Wenngleich man in Deutschland die Grundsätze dieses letzteren Rechtsmittels nicht streng festgehalten, sondern dasselbe zu verbessern gesucht hat, so sind doch die der Nichtigkeitsbeschwerde anhaftenden großen Mängel seit langer Zeit tief empfunden worden. Vermöge der formalen Natur dieses Rechtsmittels muß der Nichtigkeitsrichter einerseits oft genug Entscheidungen vernichten, welche eine materielle Rechtsverletzungen durchaus nicht enthalten, während er andererseits sich nicht selten gezwungen sieht, einer fachlich begründeten Beschwerde lediglich aus prozessualischen Gründen die Abhilfe zu versagen.".

[6] Zur Begründung des § 376 RStPO vgl. Hahn/Mugdan, Bd. 3, S. 251.

[7] In der Rechtsprechung erstmals BGHSt 19, 273, 275; aus der Lit.: LR-StPO/Franke, 26. Auflage (2013), § 337 Rn. 41; LR-StPO/Hanack, 25. Auflage (2003), § 337 Rn. 66; SK-StPO/Frisch, § 337 (37. Aufbau-Lfg.) Rn. 61; HK/Temming, 5. Auflage (2012), § 337 Rn. 6; AnwaltKommentar-StPO/Lohse, 2. Auflage (2010), § 337 Rn. 7; Meyer-Goßner/Schmitt, 57. Auflage (2014), § 337 Rn. 8; Pfeiffer, § 337 Rn. 3.

[8] Ausführlich zur (weiteren) Bedeutung der Destinktionsfrage vgl. El-Ghazi, (Fn. 2), S. 52 ff.

[9] Vgl. Hamm, 8. Auflage (2010), Rn. 222; Herdegen StaFo 1995, 31, 36; ausführlich Ritter, Die Begründungsanforderungen bei der Erhebung einer der Verfahrensrüge gemäß § 344 Abs. 2 S. 2 StPO, 2007.

[10] Hierzu BVerfG WM 2009, 893, 894; BVerfGE 107, 395, 416.

[11] BGHSt 19, 273, 275; ausführlich zu diesem Judikat El-Ghazi, (Fn. 2), S. 104 ff.

[12] BGHSt 19, 273, 275.

[13] Loewenstein, Einlegung und Begründung der Revision in Strafsachen, 3. Auflage (1933), S. 10.

[14] Loewenstein, (Fn. 13), S. 10.

[15] Zur Entwicklung der Darstellungsrüge (auch erweiterte Revision genannt) vgl. Peters, in: FS Schäfer, 1980, S. 137, 143; vgl. auch Schünemann JA 1982, 123, 125.

[16] Vgl. Jähnke, in: FS Meyer-Goßner, 2001, S. 559, 560 f.; ausführlich zu den Problemfällen und zu ihrer Zuordnung nach dem herrschenden Abgrenzungsansatz El-Ghazi, (Fn. 2), S. 132 ff.

[17] Aus der Rechtsprechung: BGHSt 29, 18, 20; 15, 347 ff.; 10, 208, 210. Vgl. auch Schmid ZStW 85 (1973), S. 360 ff.

[18] Z. B. BGH StraFo 2004, 356 = HRRS 2004 Nr. 629; BGH wistra 2004, 470 = HRRS 2004 Nr. 688; BGH, B. v. 23.06.2004, 1 ARs 5/04.

[19] Ausführlich zur Kritik El-Ghazi, (Fn. 2), S. 162 ff.

[20] Ein Versuch der Einschränkung El-Ghazi, (Fn. 2), S. 166 ff.

[21] Vgl. nur BGH StraFo 2004, 356 = HRRS 2004 Nr. 629.

[22] Vgl. hierzu KK/Ott, 7. Auflage (2013), § 261 Rn. 87.

[23] Hamm, (Fn. 9), Rn. 15.

[24] Die Leistungstheorie wurde von Peters ursprünglich zur Abgrenzung der Tat- und der Rechtsfrage entwickelt, vgl. Peters ZStW 57 (1938), S. 52 ff.; Peters, Strafprozeß, 4. Auflage (1985), S. 640 f.

[25] Peters, (Fn. 24), S. 653.

[26] Peters, (Fn. 24), S. 653.

[27] Hamm, in: FS Rissing-van Saan, 2011, S. 195, 203.

[28] Hamm, (Fn. 27), S. 195, 203.

[29] Schon Sarstedt/Hamm, 6. Auflage (1998), Rn. 15 und Rn. 272.

[30] BGHSt 36, 384, 385; BGH StV 1982, 55; BGH NJW 1992, 2304, 2305; BGHSt 45, 203, 204 f.; BGH NStZ-RR 1997, 304, 305; BGH StV 1995, 564, 565; 2000, 604, 605; BGH wistra 2011, 276, 277 = HRRS 2011 Nr. 493.

[31] Jähnke, (Fn. 16), S. 559, 568; SK-StPO/Frisch, (Fn. 7), § 337 Rn. 64; LR-StPO/Franke, (Fn. 7), § 337 Rn. 42; Hanack JR 1981, 433, 434; Schäfer, in: FS Rieß, 2002, S. 477, 482; vgl. auch BGH NStZ 2004, 639, 642 = HRRS 2004 Nr. 327.

[32] SK-StPO/Frisch, (Fn. 7), § 337 Rn. 64.

[33] Jähnke, (Fn. 16), S. 559, 568.

[34] Vgl. Eisenberg, 7. Auflage (2012), Rn. 38; LR-StPO/Franke, (Fn. 7), § 337 Rn. 75; SK-StPO/Frisch, (Fn. 7)§ 337 Rn. 101; Meyer-Goßner/Schmitt, (Fn. 7), § 337 Rn. 22; Graf/Wiedner, (Ed. 15) § 337 Rn. 78; Pfitzner, Bindung der Revisionsgerichte an vorinstanzliche Feststellungen im Strafverfahren, 1988, S. 25; Widmaier/Dahs, § 12 Rn. 238; Fezer, in: Ebert (Hrsg.), Aktuelle Probleme der Strafrechtspflege, 1991, S. 89, 104 f.; Schmid ZStW 85 (1973), 893, 902; Rieß NJW 1978, 2265, 2270; Pelz NStZ 1993, 361, 362; BGHSt 2, 248, 249; 15, 347, 350; BGH bei Dallinger MDR 1972, 569, 572; BGHSt 35, 238, 241.

[35] Fezer, (Fn. 34), S. 89, 105.

[36] Näher El-Ghazi, (Fn. 2), S. 240 ff.

[37] RGSt 4, 205 f.; 4, 264 (265); 6, 161 (162 f.); 51, 71 (72); 55, 231; BGH bei Dallinger MDR 1955, 143 f.; BGHSt 16, 164 (166); 21, 81; 46, 349 (351 ff.); Graf/Bachler, § 244 (Ed. 15) Rn. 8; Meyer-Goßner/Schmitt, (Fn. 7), § 244 Rn. 7; Alsberg/Dallmeyer, Der Beweisantrag im Strafprozess, 6. Auflage (2013), Rn. 230 ff.; LR-StPO/Becker, 26. Auflage (2009), § 244 Rn. 18, 30; LR- StPO/Sander/Cirener, 26. Auflage (2009), § 251 Rn. 71 ff.; Eb. Schmidt, Lehrkommentar StPO und GVG, Teil II, (1957), vor §§ 244-256, Rn. 18; Roxin/Schünemann, (Fn. 1), § 24 Rn. 2 ff.; Volk, 7. Auflage (2010), § 23, 1, 7 ff.; KK/Krehl, 7. Auflage (2013), § 244 Rn. 8; KMR/Paulus, § 244 (30. Lfg.) Rn. 351; Schlüchter, 2. Auflage (1983), Rn. 474; v. Hippel, Der deutsche Strafprozeß, 1941, S. 472; E. Peters, Der sogenannte Freibeweis im Zivilprozeß, 1962, S. 28; Schwinge, (Fn. 4), S. 165; Stützel, Der Beweisantrag im Strafverfahren, 1932, S. 6; Willms, in: Ehrengabe Heusinger, 1968, S. 393, 394 f.; Alsberg GA 62 (1916), 1 ff.; Kindhäuser, 3. Auflage (2013), § 21, Rn. 3 ff.; Kühne, 8. Auflage (2010), Rn. 760; zur Abgrenzung im Zivilverfahren vgl. Reißmann JR 2012, 182 ff.

[38] Näher KK/Krehl, (Fn. 37), § 244 Rn. 16 ff.

[39] Vgl. Nachweise in Fn. 37.

[40] Vgl. BGH NJW 1979, 115; BGH bei Dallinger MDR 1972, 569, 572; BGH NJW 1961, 1979, 1980; BGH NJW 1960, 1115; BGHSt 30, 215, 218; KK/Krehl, (Fn. 37), § 244 Rn. 8 ff.; SK-StPO/Frisch, (Fn. 7), § 337 Rn. 70 ff.; LR-StPO/Becker, (Fn. 37), § 244 Rn. 30 ff.; LR-StPO/Franke, (Fn. 7), § 337 Rn. 31 f., 49 f.; Alsberg/Dallmeyer, (Fn. 37), Rn. 238 ff.; Beling, in: FS Binding II, 1911, S. 89, 92; Herdegen, in: FS Salger, 1995, S. 301, 305); Pfitzner, (Fn. 34), S. 25.

[41] Das Gleiche gilt, wenn das Tatgericht freiwillig die Regelungen zum Strengbeweis anwendet. Andernfalls läge es in der Hand des Tatgerichts, zu entscheiden, welche Tatsachen für das Revisionsgericht bindend sind. Hierzu ausführlich El-Ghazi, (Fn. 2), S. 49 ff.

[42] Ausführlich El-Ghazi, (Fn. 2), S. 263 ff.

[43] Damit lassen sich aber auch die leistungsorientierten Ansätze einer Neubewertung unterziehen: Nicht die Erkennbarkeit aus den Urteilsgründen, sondern die Bindungswirkung ist das entscheidende Kriterium. Ausnahmsweise kann die Bindungswirkung einer Strengbeweistatsache auf eine regulär nicht bindende Freibeweistatsache ausstrahlen. Das ist insbesondere bei sog. doppelrelevanten Tatsachen der Fall. Bei diesen doppelrelevanten Tatsachen kann auf die Anwendung des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO verzichtet werden. Nur insoweit ist eine teleologische Reduktion des § 344 Abs. 2 StPO gerechtfertigt, vgl. El-Ghazi, (Fn. 2), S. 265 f.

[44] El-Ghazi, (Fn. 2), S. 49 ff.

[45] Vgl. Nachweise in Fn. 37.

[46] So KK/Krehl, (Fn. 37), § 244 Rn. 8.

[47] So Roxin/Schünemann, (Fn. 1), § 24 Rn. 2.

[48] Insgesamt hierzu Alsberg/Dallmeyer, (Fn. 37), Rn. 239 f.

[49] Nur mittelbar kann die Belehrungsfrage für den Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch Bedeutung besitzen. Allein diese mittelbare Bedeutung genügt nicht, um die Anwendung des Strengbeweises auszulösen, vgl. LR-StPO/Becker, (Fn. 37), § 244 Rn. 30; Alsberg/Dallmeyer, (Fn. 37), Rn. 244; im Ansatz bereits E. Peters, (Fn. 37), S. 54, Wroblewski, Freibeweis im Strafverfahren, 1935, S. 40; näher zur Konkretisierung der Abgrenzung zwischen Streng- und Freibeweis: El-Ghazi, (Fn. 2), S. 285 ff.

[50] Vgl. z. B.: Ditzen, Dreierlei Beweis im Strafverfahren, 1926; E. Peters, (Fn. 37); Wroblewski, (Fn. 49).

[51] Näher El-Ghazi, (Fn. 2), S. 285 ff., insb. 290 ff.

[52] Näher KK/Ott, (Fn. 22), § 261 Rn. 7 ff.; zur Inbegriffsrüge nur Schäfer StV 1995, 147, 151.

[53] Ausführlich LR-StPO/Sander, 26. Auflage (2013), § 261 Rn. 14 ff.; zuletzt Mosbacher JuS 2014, 702, 703.

[54] Vgl. zuletzt etwa BGH HRRS 2014 Nr. 368; vgl. auch Eschelbach, in: FS Widmaier, 2008, S. 127, 132, der von einer "verfahrensrechtlichen Darstellungsrüge" spricht.

[55] Vgl. die Beispiele bei Schlothauer StV 1992, 134, 137 ff.

[56] Vgl. BGHSt 15, 347, 349; 38, 14, 17; 43, 212, 213 f.; Meyer-Goßner/Schmitt, (Fn. 7), § 261 Rn. 38a. Ein interessantes Beispiel findet sich auch bei Hebenstreit, in: FS Widmaier, 2008, S. 267, 271 ff.

[57] BGH NStZ-RR 1998, 17; BGH NJW 1992, 2840.

[58] Kritisch Fezer JZ 1996, 655, 665; Döhmer SVR 2009, 47 ff.

[59] Zuletzt BGHSt 29, 21; BGH NStZ 1997, 450, 451; BGH NStZ-RR 2011, 214 f. = HRRS 2011 Nr. 517. Zu den weiteren Ausnahmen: Pfitzner, (Fn. 34), S. 107.