HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Mai 2014
15. Jahrgang
PDF-Download

V. Wirtschaftsstrafrecht und Nebengebiete


Entscheidung

166. BGH 1 StR 106/13 - Beschluss vom 4. Dezember 2013 (LG Stuttgart)

BGHSt; Marktmissbrauch (Verfassungskonformität der Norm: Bestimmtheitsgrundsatz; Täterschaft: Jedermannsdelikt, Anwendbarkeit der allgemeinen Regeln, keine Überlagerung durch § 34b Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 WpHG; Tatbegehung durch sog. Scalping: Offenlegungspflichten; Einwirkung auf den Börsenpreis: Anforderungen an die tatrichterlicher Überzeugung; Verjährung bei Presseinhaltsdelikten); Anordnung des Verfalls (Auffangrechtserwerb des Staates; keine Anwendung auf Altfälle); Grundsatz der Spezialität bei Auslieferungsbewilligungen (Tatbegriff).

§ 38 Abs. 2 i.V.m. § 39 Abs. 1 Nr. 2 WpHG; § 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 WpHG; § 4 Abs. 3 Nr. 2 MaKonV; Art. 103 Abs. 2 GG; § 25 Abs. 2 StGB; § 34b Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 WpHG i.V.m. § 5 FinAnV; § 261 StPO; § 24 Abs. 1 Nr. 1 PresseG BW; § 111i Abs. 2 StPO; § 2 Abs. 5 i.V.m. Abs. 3 StGB; § 83h Abs. 1 Nr. 1 IRG

1. Beim Straftatbestand des § 38 Abs. 2 i.V.m. § 39 Abs. 1 Nr. 2, § 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 4 Abs. 3 Nr. 2 MaKonV handelt es sich um ein Jedermannsdelikt, für das die allgemeinen Regeln zu Täterschaft und Teilnahme gelten. (BGHSt)

2. Die Strafbarkeit nach diesen Vorschriften setzt nicht voraus, dass der Täter mit mehr als fünf Prozent an der betroffenen Gesellschaft beteiligt ist. (BGHSt)

3. Der Senat erachtet - trotz der verschiedentlich im Schrifttum geäußerten Zweifel - die Regelungen der § 38 Abs. 2 i.V.m. § 39 Abs. 1 Nr. 2 WpHG; § 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 WpHG für verfassungsgemäß. (Bearbeiter)

4. Aus § 34b Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 WpHG ergibt sich für Finanzanalysten keine Privilegierung im Hinblick auf die Strafbarkeit wegen verbotener Marktmanipulation. Entgegen einer im Schrifttum wird die Strafbarkeit gemäß § 38 Abs. 2 WpHG i.V.m. § 39 Abs. 1 Nr. 2, § 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 WpHG auch für Finanzanalysten nicht durch den an die fünfprozentige Beteiligungsquote geknüpften Offenlegungsmaßstab gemäß § 34b Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 WpHG i.V.m. § 5 FinAnV limitiert. Denn die die Strafbarkeit gemäß § 38 Abs. 2 WpHG i.V.m. § 39 Abs. 1 Nr. 2, § 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 WpHG betreffenden Regelungen enthalten spezielle und gegenüber denjenigen für die Annahme einer Ordnungswidrigkeit gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 4 (heute Nr. 5), § 34b Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 WpHG i.V.m. § 5 FinAnV selbständig zu beurteilende Voraussetzungen. (Bearbeiter)

5. Es kann offen bleiben, ob bei gemeinschaftlichem Handeln mehrerer Personen für die Bestimmung der Beteiligungsquote die Beteiligungen der Mittäter zusammenzurechnen wären, was freilich angesichts von Sinn und Zweck der Vorschrift des § 38 Abs. 2 WpHG i.V.m. § 39 Abs. 1 Nr. 2, § 20a Abs. 1 Nr. 3 WpHG und den Grundsätzen mittäterschaftlicher Begehungsweise nahe liegt. (Bearbeiter)

6. Pauschal gehaltene Hinweise, wonach Herausgeber und Mitarbeiter potenziell Positionen der in den Veröffentlichungen behandelten Wertpapiere halten können, ohne dass auf den konkret bestehenden Interessenkonflikt eingegangen wird, reichen für eine erforderliche Offenlegung eines Interessenkonflikts nach § 4 Abs. 3 Nr. 2 MaKonV nicht aus. (Bearbeiter).

7. Für die Beurteilung der Frage, ob durch die marktmanipulative Handlung tatsächlich eine Einwirkung auf den Börsenpreis eingetreten ist, dürfen angesichts der Vielzahl der - neben der Tathandlung - regelmäßig an der Preisbildung mitwirkenden Faktoren keine überspannten Anforderungen gestellt werden. Vergleiche von bisherigem Kursverlauf und Umsatz sowie die Kurs- und Umsatzentwicklung des betreffenden Papiers können eine Kurseinwirkung hinreichend belegen; eine Befragung der Marktteilnehmer ist nicht veranlasst (vgl. BGHSt 48, 373). (Bearbeiter)

8. Die verschiedentlich im Schrifttum geäußerten Bedenken, es fehle bei Kaufempfehlungen ohne Offenlegung eingegangener Positionen an der Preiseinwirkungseignung bzw. der Kausalität für die Preiseinwirkung, da die Offenlegung die Empfehlungswirkung allenfalls verstärken würde und deshalb das Verschweigen derartiger Positionen für den Anleger wenig bedeutsam sei, stehen einem tatbestandsmäßigen Verhalten nicht entgegen. (Bearbeiter)

9. Die sechsmonatige presserechtliche Verjährungsfrist gemäß § 24 Abs. 1 Nr. 1 PresseG BW (zur Bestimmung des anzuwendenden Landesrechts vgl. BGH NJW 1995, 893) bezieht sich nur auf die Strafverfolgung von Vergehen und Verbrechen, die durch Veröffentlichung oder Verbreitung von Druckwerken strafbaren Inhalts begangen werden (vgl. BGH wistra 2004, 339;). Zwar können sonstigen Täuschungshandlungen i.S.v. § 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 WpHG jedenfalls zum Teil durch Veröffentlichung von Empfehlungen in Druckwerken i.S.d. PresseG BW erfolgen. Durch die Veröffentlichungen allein sind jedoch noch nicht alle Merkmale des Straftatbestands erfüllt. Es bedarf über die sonstige Täuschungshandlung hinaus noch einer Einwirkung auf den inländischen Börsen- oder Marktpreis eines Finanzinstruments (§ 38 Abs. 2 WpHG). (Bearbeiter)

10. Der dem Spezialitätsgrundsatz zugrunde liegende Tatbegriff umfasst den gesamten mitgeteilten Lebens-

sachverhalt, innerhalb dessen der Verfolgte einen oder mehrere Straftatbestände erfüllt haben soll (st. Rspr). Der Begriff der „anderen Tat“ i.S.d. § 83h Abs. 1 Nr. 1 IRG knüpft allein an die Beschreibung der Straftat in der Auslieferungsbewilligung, diese wiederum an den Europäischen Haftbefehl an. Eine „andere Tat“ liegt nicht vor, wenn sich die Angaben im Europäischen Haftbefehl und diejenigen im späteren Urteil hinreichend entsprechen. (Bearbeiter)


Entscheidung

375. BGH 3 StR 347/13 - Beschluss vom 4. Februar 2014 (LG Duisburg)

Rechtsfehlerhafter Strafausspruch beim Kreditbetrug (fehlende Bezifferung des Vermögensschadens als wesentliches Strafzumessungskriterium; Maßgeblichkeit der Schadenshöhe im Verfügungszeitpunkt; täuschungsbedingtes Risikoungleichgewicht; nachvollziehbare Darlegung; bankübliche Grundsätze).

§ 263 StGB; Art. 103 Abs. 2 GG

Der betrugsbedingte Vermögensschaden ist beim Kreditbetrug, da es sich bei der Darlehensgewährung um einen Unterfall des sog. Risikogeschäfts handelt, durch die Bewertung des täuschungsbedingten Risikoungleichgewichts zu ermitteln, für dessen Berechnung maßgeblich ist, ob und in welchem Umfang die das Darlehen ausreichende Bank ein höheres Ausfallrisiko trifft, als es bestanden hätte, wenn die risikobestimmenden Faktoren vom Täter zutreffend angegeben worden wären. Das hiernach insbesondere maßgebliche Ausfallrisiko ist nachvollziehbar darzulegen und ggf. unter Hinzuziehung banküblicher Bewertungsverfahren für die Wertberichtigung zu ermitteln.


Entscheidung

392. BGH 1 StR 561/13 - Beschluss vom 29. Januar 2014 (LG Augsburg)

Steuerhinterziehung (Berechnung der verkürzten Steuern: Zulässigkeit der Schätzung); Aufklärungsrüge.

§ 370 Abs. 1 AO; § 261 StPO; § 244 Abs. 2 StPO

Eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen ist zulässig, wenn feststeht, dass der Steuerpflichtige einen Besteuerungstatbestand erfüllt hat, das Ausmaß der verwirklichten Besteuerungsgrundlagen aber ungewiss ist. Zur Durchführung der Schätzung kommen die auch im Besteuerungsverfahren anerkannten Schätzungsmethoden zur Anwendung. Der Tatrichter muss dann in den Urteilsgründen für das Revisionsgericht nachvollziehbar darlegen, wie er zu den Schätzungsergebnissen gelangt ist. Erweist sich eine konkrete Ermittlung oder Schätzung der tatsächlichen Umsätze von vorneherein oder nach entsprechenden Berechnungsversuchen als nicht möglich, kann pauschal geschätzt werden, auch unter Heranziehung der Richtwerte für Rohgewinnaufschlagsätze aus der Richtsatzsammlung des Bundesministeriums der Finanzen (vgl. BGH NStZ 2011, 233).


Entscheidung

435. BGH 2 StR 563/13 - Beschluss vom 20. Februar 2014 (LG Erfurt)

Anforderungen an das täterschaftliche Handeltreiben (Feststellung der Eigennützigkeit).

§ 29 BtMG; § 25 StGB

1. Eine Verurteilung wegen täterschaftlichen unerlaubten Handeltreibens von Betäubungsmitteln setzt voraus, dass der Handelnde selbst eigennützige Bemühungen entfaltet, die darauf gerichtet sind, den Umsatz mit Betäubungsmitteln zu ermöglichen oder zu fördern. Nicht ausreichend ist es hingegen, wenn ein Täter nur den Eigennutz eines anderen mit seinem Tatbeitrag unterstützen will (BGH NStZ-RR 2013, 282).

2. Ausdrückliche Feststellungen zur Eigennützigkeit sind nicht deshalb von vornherein entbehrlich, weil es sich bei dem abgeurteilten Betäubungsmitteldelikt um ein Geschäft mit einer gewissen Größenordnung handelte. Auch in einem solchen Fall ist nicht regelmäßig davon auszugehen, dass sie von einem Streben nach Gewinn geleitet sind. Vielmehr sind auch insoweit konkrete Feststellungen zur Eigennützigkeit des Handelns vonnöten; sie dienen im Übrigen als Gradmesser für das Tatinteresse eines Angeklagten, welches maßgebliche Bedeutung für die Frage erlangt, ob er als Mittäter oder Gehilfe zu bestrafen ist (BGH aaO).


Entscheidung

398. BGH 2 StR 413/13 - Urteil vom 19. Februar 2014 (LG Bonn)

Verhängung einer Jugendstrafe (Voraussetzungen: Schwere der Schuld; Strafzumessung: Beachtung des Erziehungsgedanken, Vorliegen eines nach allgemeinem Strafrecht minder schweren Falls).

§ 17 Abs. 2 JGG; § 18 Abs. 2 JGG

1. Bei der Beurteilung der Schuldschwere im Sinne des § 17 Abs. 2 JGG kommt dem äußeren Unrechtsgehalt der Tat und ihrer Einstufung nach allgemeinem Strafrecht keine selbständige Bedeutung zu. In erster Linie ist auf die innere Tatseite abzustellen. Der äußere Unrechtsgehalt der Tat ist aber jedenfalls insofern von Belang, als aus ihm Schlüsse auf die Persönlichkeit des Täters und die Höhe der Schuld gezogen werden können (vgl. BGH NStZ 2010, 281 mwN).

2. Gemäß § 18 Abs. 2 JGG bemisst sich die Höhe der Jugendstrafe - auch wenn deren Verhängung vollständig auf die Schwere der Schuld gestützt wird - vorrangig nach erzieherischen Gesichtspunkten. Die Urteilsgründe müssen deshalb erkennen lassen, dass dem Erziehungsgedanken die ihm zukommende Beachtung geschenkt und bei der Bemessung der Jugendstrafe das Gewicht des Tatunrechts gegen die Folgen der Strafe für die weitere Entwicklung des Heranwachsenden abgewogen worden ist (st. Rspr.)