HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Mai 2014
15. Jahrgang
PDF-Download

III. Strafzumessungs- und Maßregelrecht


Entscheidung

432. BGH 2 StR 436/13 - Beschluss vom 12. März 2014 (LG Bonn)

Bedeutung der Sprachunkundigkeit für die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt.

§ 64 StGB

Auch nach der Umgestaltung des § 64 StGB zur Sollvorschrift mit der Gesetzesnovelle vom 16. Juli 2007 sollte es im Grundsatz dabei verbleiben, dass die Sprachunkundigkeit eines Ausländers nicht ohne Weiteres allein ein Grund für einen Verzicht auf seine Unterbringung sein kann. Zwar muss nicht gegen jeden Sprachunkundigen, insbesondere wenn eine therapeutisch sinnvolle Kommunikation mit ihm schwer möglich sein wird, eine Unterbringung nach § 64 StGB angeordnet werden. Der Tatrichter hat insoweit aber eine Ermessensentscheidung zu treffen, die für das Revisionsgericht nachprüfbar sein muss.


Entscheidung

400. BGH 2 StR 496/13 - Urteil vom 5. März 2014 (LG Köln)

Täter-Opfer-Ausgleich (Voraussetzungen bei mehreren Geschädigten).

§ 46a Nr. 2 StGB

1. Werden durch eine Straftat mehrere Opfer betroffen, muss hinsichtlich jedes Geschädigten zumindest eine Alternative des § 46a StGB erfüllt sein.

2. Ob darauf verzichtet werden kann, wenn ein Geschädigter ohne erhebliche persönliche Leistungen oder persönlichen Verzicht des Täters im Sinne von § 46a Nr. 2 StGB vollständige oder überwiegende Entschädigung erlangt hat und hinsichtlich eines weiteren Opfers die Voraussetzungen eines Täter-Opfer-Ausgleichs gegeben sind, kann offen bleiben. Eine solche Ausnahme kommt jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn ein Täter eine ihm mögliche vollständige Schadenswiedergutmachung unterlässt, indem er Teile der Beute für sich behält, und der Schaden nur dadurch vollständig ausgeglichen wird, dass eine Versicherung Entschädigung in Höhe des verbleibenden Restschadens leistet. Bei dieser Sachlage fehlt es trotz Zustimmung zur Aushändigung der bei dem Angeklagten fast vollständig sichergestellten Tatbeute jedenfalls an der nach dem Willen des Gesetzgebers erforderlichen Übernahme von Verantwortung für die Tat, auf die grundsätzlich auch in Fällen vollständiger Entschädigung des materiell Geschädigten ohne erhebliche persönliche Leistungen oder persönlichen Verzicht des Täters nicht verzichtet werden kann.


Entscheidung

429. BGH 2 StR 4/14 - Beschluss vom 13. März 2014 (LG Frankfurt a. M.)

Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung (besondere Umstände: erforderliche Gesamtwürdigung bei geleisteter Aufklärungshilfe, unzulässige Verknüpfung mit der Untersuchungshaft und der Strafhöhe).

§ 56 Abs. 2 StGB; § 31 BtMG

1. Besondere Umstände im Sinne von § 56 Abs. 2 StGB sind Milderungsgründe von erheblichem Gewicht, die eine Strafaussetzung trotz des Unrechts- und Schuldgehalts, der sich in der über einem Jahr liegenden Strafhöhe widerspiegelt, nicht unangebracht erscheinen lassen (BGH StV 2013, 85). Dabei ist eine Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Verurteilten in einer für das Revisionsgericht nachprüfbaren Weise vorzunehmen; zu den zu berücksichtigenden Faktoren können solche gehören, die bereits für die Prognose nach § 56 Abs. 1 StGB von Bedeutung waren sowie Umstände, die erst nach der Tat eingetreten sind (BGHSt 29, 370, 372).

2. Es ist rechtsfehlerhaft, bei der Prüfung des § 56 Abs. 2 StGB zu berücksichtigen, dass sich ein Angeklagter „noch nicht sehr lange in Untersuchungshaft befindet und eine nahe Entlassungsperspektive hat"; insoweit wird in unzulässiger Weise die mutmaßliche Dauer der Vollstreckung der Freiheitsstrafe mit der vorrangig und unabhängig davon zu prüfenden Frage verknüpft, ob die verhängte Strafe überhaupt zu vollstrecken ist.


Entscheidung

394. BGH 1 StR 655/13 - Urteil vom 11. März 2014 (LG Augsburg)

Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsklinik (Begriff des Hangs, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen); Unmittelbarkeitsgrundsatz (Zulässigkeit des Zeugens vom Hörensagen); tatrichterliche Beweiswürdigung (Würdigung von Sachverständigengutachten, revisionsrechtliche Überprüfbarkeit).

§ 64 StGB; § 250 StPO; § 261 StPO

1. Für einen Hang ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, ausreichend, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betroffene auf Grund seiner psychischen Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (st. Rspr).

2. Nicht erforderlich ist, dass beim Täter bereits eine Persönlichkeitsdepravation eingetreten ist (vgl. BGH NStZ-RR 2008, 7). Dem Umstand, dass durch den Rauschmittelkonsum die Gesundheit sowie die Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Betroffenen beeinträchtigt sind, kommt nur eine indizielle Bedeutung zu. Das Fehlen solcher Beeinträchtigungen schließt nicht notwendiger-

weise die Bejahung eines Hangs aus (vgl. BGH NStZ-RR 2008, 198, 199).

3. Die Würdigung der Beweise ist Sache des Tatrichters. Ihm obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Die Prüfung der tatrichterlichen Beweiswürdigung durch das Revisionsgericht ist auf das Vorliegen von Rechtsfehlern beschränkt. Solche Rechtsfehler liegen in sachlich-rechtlicher Hinsicht bei der Beweiswürdigung lediglich dann vor, wenn diese widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze verstößt oder wenn der Tatrichter zu hohe Anforderungen an die Überzeugungsbildung gestellt hat. Rechtsfehlerhaft ist es zudem, wenn das Tatgericht es versäumt, sich im Urteil mit anderen naheliegenden Möglichkeiten auseinanderzusetzen, und dadurch über schwerwiegende Verdachtsmomente ohne ausreichende Erörterung hinweggeht.

4. § 250 Abs. 1 Satz 1 StPO regelt lediglich den Vorrang des Personalbeweises vor dem Sachbeweis. Dagegen gebietet die Vorschrift gerade nicht, den „sachnächsten“ Zeugen, meist also denjenigen, der die zu beweisende Tatsache selbst wahrgenommen hat, zu hören.


Entscheidung

396. BGH 1 StR 86/14 - Beschluss vom 25. März 2014 (LG Coburg)

Revisionsrechtliche Überprüfbarkeit der Nichtanordnung einer Maßregeln (Unterbringung in einer Entziehungsanstalt; Verschlechterungsverbot).

§ 64 StGB; § 352 Abs. 1 StPO; § 358 Abs. 2 Satz 3 StPO

Auch wenn die Nichtanordnung der Maßregel des § 64 StGB den Angeklagten nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht beschwert, ist das Revisionsgericht nicht gehindert, auf eine zulässig erhobene, die Nichtanwendung von § 64 StGB nicht ausnehmende Revision des Angeklagten hin, das Urteil aufzuheben, wenn eine Prüfung der Maßregel unterblieben ist, obwohl die tatrichterlichen Feststellungen - wie hier - dazu gedrängt haben (st. Rspr). Daran hat sich durch die Änderung des § 64 StGB durch das Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16. Juli 2007 (BGBl. I S. 1327) nichts geändert (vgl. BGH, NStZ 2009, 261). Das Verschlechterungsverbot steht ebenfalls nicht entgegen (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO).


Entscheidung

399. BGH 2 StR 434/13 - Beschluss vom 21. Januar 2014 (LG Frankfurt a. M.)

Minder schwerer Fall der gefährlichen Körperverletzung (Bedeutung von auf eingeschränkter Schuldfähigkeit beruhender strafschärfende Umstände); Adhäsionsverfahren (Anerkenntnis durch den Angeklagten: Form der Adhäsionsentscheidung).

§ 224 Abs. 1 StGB; § 21 StGB; § 406 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 StPO

1. Die ansonsten strafschärfend zu berücksichtigende „Tatausführung“ kann Ausdruck der erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit sein; dem Angeklagten dürfen aber solche Umstände nicht strafschärfend angelastet werden, die unverschuldete Folgen dieses Zustands darstellen. Allerdings ist auch der im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert schuldfähige Täter für die von ihm begangene Tat in ihrer konkreten Ausgestaltung verantwortlich, so dass für eine strafschärfende Verwertung durchaus Raum bleibt, jedoch nur nach dem Maß der geminderten Schuld (vgl. BGH StV 2005, 495 mwN).

2. § 406 Abs. 2 StPO schreibt als insoweit speziellere Regelung zu § 406 Abs. 1 Satz 1 StPO nicht vor, einen Adhäsionsantrag selbst im Falle eines Teilanerkenntnisses im Strafurteil zu bescheiden. Dafür gibt es im Gegensatz zu sonstigen Urteilen im Adhäsionsverfahren auch keinen Anlass. Die strafrechtliche Beurteilung des Sachverhaltes ist bei einem (Teil-) Anerkenntnis des Adhäsionsanspruchs – als Ausdruck der im Zivilprozess geltenden Dispositionsmaxime – regelmäßig ohne Bedeutung.


Entscheidung

413. BGH 4 StR 572/13 - Beschluss vom 12. März 2014 (LG Frankfurt a. M.)

Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (Vorliegen eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen Hang und Anlasstat); Adhäsionsverfahren (Schmerzensgeld: Berücksichtigung von Mitverschulden des Opfers).

§ 64 StGB; § 403 StPO

1. Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt setzt nach § 64 Satz 1 StGB – neben dem Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen – voraus, dass die Anlasstat im Rausch begangen wurde oder zumindest mitursächlich auf den Hang zurückgeht, wobei die erste auf die Intoxikationswirkung des Rauschmittels abstellende Alternative einen Unterfall der zweiten Alternative darstellt. Erforderlich ist, dass die konkrete Tat in dem Hang ihre Wurzel findet, sie also Symptomwert für den Hang des Täters zum Missbrauch von Alkohol oder anderen berauschenden Mitteln hat, indem sich in ihr seine hangbedingte Gefährlichkeit äußert (vgl. BGH NStZ-RR 2014, 75).

2. Bei Taten, die nicht auf die Erlangung von Rauschmitteln selbst oder von Geld zu deren Beschaffung abzielen, bedarf die Annahme eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen Hang und Anlasstat besonderer hierfür sprechender Umstände. Insbesondere bei Konflikttaten oder bei Taten, denen eine Provokation des Täters durch das Opfer vorausging, liegt ein solcher Zusammenhang wenig nahe (vgl. BGH NStZ-RR 2012, 72, 74).

3. Da es sich bei der Unterbringung nach § 64 StGB um eine den Angeklagten beschwerende Maßregel handelt (vgl. BGHSt 38, 4, 7), muss der symptomatische Zusammenhang ebenso wie die weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen des § 64 StGB bei einer Anordnung sicher feststehen (vgl. BGH StraFo 2003, 431).


Entscheidung

458. BGH 4 StR 483/13 - Urteil vom 13. März 2014 (LG Halle)

Unterschreitung der Strafuntergrenze und Ablehnung eines minder schweren Falles.

§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG; § 29a Abs. 2 BtMG; 52 StGB

Nach § 52 Abs. 2 Satz 1 StGB wird, wenn mehrere Straf-

gesetze verletzt sind, die Strafe nach dem Gesetz bestimmt, das die schwerste Strafe androht. Hierbei kommt es nicht auf den jeweiligen Regelstrafrahmen der beiden zueinander in Tateinheit stehenden Tatbestände, sondern auf die konkret in Betracht kommenden Strafrahmen unter Berücksichtigung von Ausnahmestrafrahmen wie bei minder oder besonders schweren Fällen an (BGH NStZ 2004, 109, 110).