HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Jul./Aug. 2013
14. Jahrgang
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Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

Voraussetzungen einer faktischen Geschäftsführerstellung und Untreuestrafbarkeit

Kurzanmerkung zu BGH 5 StR 407/12 (Beschl. v. 13.Dezember 2012[LG Berlin]) = HRRS 2013 Nr. 127

Von Frédéric Schneider, Hamburg

I. Einleitung

Das LG Berlin hatte den Angeklagten, der selbst ordnungsgemäß bestellter Geschäftsführer einer GmbH war, mit Urteil vom 12. Dezember 2011 wegen Untreue in sechs Fällen zu Lasten einer anderen GmbH verurteilt, zu der seine Gesellschaft laufende Geschäftsbeziehungen unterhielt. Dabei hatte es seine Vermögensbetreuungspflicht maßgeblich darauf gestützt, dass er als faktischer Geschäftsführer dieser anderen GmbH einzustufen sei.[1]

Der 5. Strafsenat des BGH hat diese Revision zum Anlass genommen, in seinem Beschluss vom 13. Dezember 2012 sowohl zur Begründung einer Vermögensbetreuungspflicht, als auch zu den Voraussetzungen an die Position als faktischer Geschäftsführer Stellung zu beziehen.[2] Die Ausführungen des Senats sind ihrem Ansatz nach lobenswert, überzeugen jedoch lediglich im Ergebnis, nicht hingegen in der Begründung.

II. Sachverhalt

Der Senat ging bei seiner Revisionsentscheidung von folgendem tatgerichtlich festgestellten Sachverhalt aus: Der Angeklagte war Geschäftsführer einer V.A.-GmbH, die als Komplementärin verschiedener Kommanditgesellschaften fungierte. Zweck der Kommanditgesellschaften war die Durchführung von Bausanierungen, welche die Kommanditgesellschaften vollständig an die A-GmbH übertrugen, deren Geschäftsführerin die Mitangeklagte und deren Gesellschafter die C-GmbH war. Die A-GmbH wiederum beauftragte zur Verrichtung tatsächlicher Arbeiten verschiedene Subunternehmen mit der Ausführung der anfallenden Arbeiten. Zur Finanzierung der Vorhaben nahmen die Kommanditgesellschaften – jeweils unter Vorlage von Rechnungen der A-GmbH – Darlehen auf, deren Auszahlung unmittelbar an die A-GmbH erfolgte. Auf Veranlassung des Angeklagten stornierte die Mitangeklagte als Geschäftsführerin der A-GmbH jedenfalls im Zeitraum zwischen April 2004 und August 2005 rechtsgrundlos sechs Rechnungen der A-GmbH an verschiedene Kommanditgesellschaften. Auf diese Weise erfolgte eine Rückzahlung i.H.v. rund 820.000 € von der A-GmbH an die Kommanditgesellschaften, woraufhin die Erstgenannte letztlich Insolvenz anmelden musste.

Aus der rechtsgrundlosen Stornierung von Rechnungen zu Lasten der betroffenen A-GmbH und der darauf beruhenden Auszahlung von Geldern über die Grenze des § 30 GmbHG hinaus ergeben sich nach ständiger Rechtsprechung des BGH unproblematisch eine Pflichtverletzung und eine Vermögensminderung zu Lasten dieser Gesellschaft.[3] Im Fokus der Entscheidung steht somit die Frage, inwieweit dem Angeklagten als Geschäftsführer der Komplementärin eine Vermögensbetreuungspflicht zu Gunsten der A-GmbH als Vertragspartnerin der Kommanditgesellschaften zukommen kann. Die folgende Anmerkung beschränkt sich auf die Erörterung dieses (wesentlichen) Aspekts.

III. Darstellung und Interpretation der Entscheidung des Bundesgerichtshofs

Das LG Berlin hat das Vorliegen einer Vermögensbetreuungspflicht mit dem Hinweis bejaht, der Angeklagte sei faktischer Geschäftsführer der A-GmbH gewesen, weil er "im Einverständnis mit dem jeweiligen Gesellschafter[…]den wesentlichen Teil der klassischen Kernbereiche der Unternehmung bestimmt habe" und die Mitangeklagte seinen Anweisungen stets gefolgt sei. Die Bundesrichter haben der Revision aufgrund fehlender Substantiierung dieser Feststellung stattgegeben und den Fall zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen und sich dabei weiterführend sowohl zur Vermögensbetreuungspflicht, als auch zur faktischen Geschäftsführerschaft geäußert.

Der BGH bestätigt in seiner Entscheidung zunächst die grundsätzliche Annahme des Landgerichts, wonach jedenfalls dann eine Vermögensbetreuungspflicht auf-

grund eines "tatsächlichen Treueverhältnisses" i.S.d. § 266 StGB besteht, wenn eine faktische Geschäftsführung anzunehmen ist.[4] Darüber hinaus betont er jedoch, dass eine derartige Pflicht auch aus der bloß "tatsächlichen Übernahme eines nicht ganz unbedeutenden Pflichtenkreises" entstehen kann, die noch keine faktische Organstellung begründet.[5]

Infolgedessen prüft der Strafsenat konsequenterweise zunächst, ob der Angeklagte im konkreten Fall, wie vom Landgericht angenommen, tatsächlich als faktischer Geschäftsführer der A-GmbH einzustufen war.

1. Vermögensbetreuungspflicht aufgrund faktischer Geschäftsführerstellung

Auch dieser Frage nähert sich der BGH mit Hilfe verschiedener, abgestufter Kriterien. Während die Richter zunächst prüfen, ob sich eine faktische Geschäftsführerstellung damit begründen lässt, dass dem Angeklagten rechtswirksam geschäftsführertypische Befugnisse übertragen wurden, betrachten sie in einem zweiten Schritt, ob er solche Befugnisse nur tatsächlich innehatte und stellen zuletzt darauf ab, ob er als faktischer Geschäftsführer eingestuft werden muss, weil er die Geschicke der A-GmbH durch die formell ordnungsgemäß bestellte Geschäftsführerin leitete.

Bei der Prüfung bleibt der BGH jedenfalls durchgängig seiner – häufig kritisierten – Linie treu, wonach nur das Handeln mit Kenntnis der Gesellschafter eine faktische Geschäftsführung begründen kann. Für die Frage, ob sich aus dieser Kenntnis eine konkludente Bestellung ergeben kann, bietet die Entscheidung keine weiteren Erkenntnisse, sodass eine weitere Betrachtung dieses Problems unterbleiben kann.[6]

a. Faktische Geschäftsführerstellung aufgrund rechtswirksamer Übertragung von Befugnissen

Wie soeben angedeutet, prüft der BGH zunächst, ob dem Angeklagten rechtswirksam Befugnisse übertragen wurden, die typischerweise einem Geschäftsführer zustehen. Der erhebliche Einfluss auf die Geschäftstätigkeit der A-GmbH reiche für sich genommen nicht aus, um eine Organstellung anzunehmen, wenn es dem Angeklagten an typischen Befugnissen fehle. Die Richter verneinen das Vorliegen entsprechender Befugnisse im konkreten Fall und erwähnen als solche etwa das Innehaben einer Bankvollmacht oder die Pflichtenübernahme gegenüber Sozialversicherungsträgern und Finanzbehörden.[7]

Angesichts des Fehlens solcher rechtwirksam übertragener Befugnisse schließt der Strafsenat die Annahme einer faktischen Geschäftsführung zwar nicht aus, doch deutet er diesen Umstand für die weitere Prüfung als Indiz gegen die Übernahme eines ausreichenden Pflichtenkreises.[8]

b. Faktische Geschäftsführerstellung aufgrund der Übertragung tatsächlicher Befugnisse

Davon ausgehend prüft das Gericht, ob dem Angeklagten hinreichende Befugnisse zumindest faktisch übertragen wurden. Auch dies könne ausreichen, um die tatsächliche Machtposition um den notwendigen kompetenziellen Unterbau anzureichern.

An dieser Stelle kritisiert der Strafsenat die pauschale Feststellung des LG Berlin, das sich damit begnügt hatte, festzuhalten, der Angeklagte habe "im Einvernehmen mit der Gesellschafter-GmbH von Anfang an die Stellung des Geschäftsführers" eingenommen. Das LG hatte zur Begründung ausschließlich angeführt, dass die Mitangeklagte Geschäftsführerin der A-GmbH durch den Angeklagten eingestellt worden war und sich auf Anweisung des Gesellschafters in Geschäftsführungsfragen an den Angeklagten wenden sollte. Der BGH deutet zu Recht an, dass diese Umstände wiederum nur geeignet seien, seine tatsächliche Machtposition zu verbildlichen. Inwieweit ihm hierdurch jedoch tatsächlich Befugnisse zukamen, die typischerweise einem Geschäftsführer zustehen, werde vom Landgericht nicht näher ergründet, weshalb dessen Feststellungen nicht Grundlage für die Annahme einer faktischen Geschäftsführerstellung sein könnten.[9]

c. Faktische Geschäftsführerstellung aufgrund der Anweisungsmöglichkeit gegenüber dem formell ordnungsgemäß bestellten Geschäftsführer

Der 5. Strafsenat weist in einem letzten Schritt darauf hin, dass eine faktische Geschäftsführerstellung nach höchstrichterlicher Rechtsprechung teilweise auch entstehen könne, wenn jemand die Möglichkeit habe, einen formell ordnungsgemäß bestellten Geschäftsführer dergestalt anzuweisen, dass dieser durch den Geschäftsführer "die Geschäftspolitik des Unternehmens tatsächlich bestimmt".[10]

Während sich die faktische Geschäftsführerstellung in den ersten beiden Fällen aus tatsächlicher Macht in Verbindung mit eigenen Kompetenzen ergeben soll, resultiert sie hier aus tatsächlicher Einwirkungsmacht auf den ordentlichen Geschäftsführer in Kombination mit dessen Kompetenzen.

Der 5. Strafsenat schränkt diesen letzten Prüfungspunkt jedoch umgehend selbst ein und betont, dass es einer besonders kritischen Prüfung bedürfe, wenn der potentiell faktische Geschäftsführer – wie in diesem Fall der Angeklagte – der geschädigten Gesellschaft als Vertrags-

partner gegenübersteht. Die kritische Betrachtung rechtfertige sich bereits dadurch, dass die Annahme einer faktischen Geschäftsführung dann gegenläufige Vermögensbetreuungspflichten begründen würde. Jedenfalls könne die Feststellung einer bloß faktischen Einflussnahme hier ebenfalls nicht genügen, weil jene sich auch aus wirtschaftlicher Macht und Abhängigkeit sowie besonderem Verhandlungsgeschick ergeben könne – mithin Umständen, die nicht geeignet sind, eine Pflicht zu begründen, die Geschicke des Vertragspartners zu leiten und deshalb dessen Vermögen zu schützen.

Auch für diese Konstellation mahnt der BGH mithin einen formalisierten Hintergrund an, auf dem die tatsächlichen Einwirkungsmöglichkeiten beruhen müssen.

Der Strafsenat schlägt als Lösung sodann vor, die Blickrichtung – anders als es das Landgericht getan habe – auf die Gesellschafterebene zu verlagern und eine faktische Geschäftsführerstellung erst dann anzunehmen, wenn die Macht gegenüber dem ordnungsgemäß bestellten Geschäftsführer auf einer Machtstellung innerhalb der Gesellschafterebene beruht. Dies sei der Fall, wenn der Betroffene in der Lage sei, "die Unternehmensentscheidungen zu determinieren", jedenfalls wenn ein bewusstes Zusammenwirken mit den Gesellschaftern erfolge oder jene aus anderen Gründen derart abhängig von ihm seien, dass ihre Gesellschaft nicht mehr als eine "abhängige und unselbständige Strohmannfirma" für das eigene Unternehmen des faktischen Geschäftsführers sei.[11] Erst dies rechtfertige die Annahme einer zusätzlichen, gegenläufigen Vermögensbetreuungspflicht.

2. Vermögensbetreuungspflicht aufgrund anderer tatsächlicher Umstände

Abschließend prüfen die Leipziger Richter die Annahme einer Vermögensbetreuungspflicht ohne Rekurs auf eine faktische Geschäftsführerstellung aufgrund tatsächlicher Übernahme vermögenswirksamer Verpflichtungen.[12] Auch an dieser Stelle weisen sie darauf hin, dass es zur Annahme einer solchen Pflicht zumindest konkreter Anhaltspunkte dafür bedürfe, dass dem Vermögensbetreuungspflichtigen das Vermögen der infrage stehenden Gesellschaft anvertraut worden sei und es insbesondere einer Abgrenzung zur bloßen – gegebenenfalls auch dauerhaften – Durchsetzung der eigenen Interessen in der ökonomischen Auseinandersetzung bedürfe. Der Strafsenat stellt fest, dass das landgerichtliche Urteil derartige Feststellungen vermissen lasse, gibt allerdings selbst keine weiteren Kriterien vor.

IV. Bewertung der Entscheidung

Die vorliegende Entscheidung des BGH ist grundsätzlich begrüßenswert und zwar bereits deshalb, weil es dem 5. Strafsenat gelingt, unmissverständlich zu formulieren, dass es gerade bei der Anwendung des sehr weiten Straftatbestandes der Untreue stets einer klar umrissenen Rückkoppelung abstrakter Tatbestandsmerkmale an konkrete Lebensumstände bedarf. Er bewegt sich dabei auf der Linie des BVerfG,[13] das den Strafgerichten in seinem viel beachteten Beschluss vom 23. Juni 2010 eindeutig ins Stammbuch geschrieben hat, dass jedem Tatbestandsmerkmal des Untreuetatbestandes eigenes Restriktionspotential innewohnt und daher stets eine eigenständige Prüfung erforderlich ist.[14] Die Annahme einer Vermögensbetreuungspflicht aufgrund des bloßen Hinweises auf eine faktische Geschäftsführerstellung basierend auf tatsächlichen Einflussnahmen im Rahmen der Geschäftstätigkeit einer GmbH kann diesen Anforderungen jedenfalls nicht gerecht werden. Zu Recht mahnt der BGH in seiner Entscheidung mehrfach an, dass eine faktische Geschäftsführerstellung einer kompetenziellen Begründung bedarf.

Erfreulich ist insbesondere, dass der BGH sich nicht darauf beschränkt, die fehlende Konkretisierung des LG zu kritisieren, sondern seinen Beschluss vielmehr dazu nutzt, auch einige Leitlinien kundzutun, anhand derer eine Prüfung erfolgen sollte. Dabei geht er von einem Stufenverhältnis aus, wonach eine Vermögensbetreuungspflicht jedenfalls dann gegeben ist, wenn ein Angeklagter als faktischer Geschäftsführer eingestuft werden kann, weshalb erst in einem zweiten Schritt der Fokus darauf zu richten ist, ob sich die Vermögensbetreuungspflicht aus tatsächlichen Umständen ergibt, die eine faktische Geschäftsführerschaft nicht zu begründen vermögen. Diese Differenzierung erscheint deshalb erstaunlich, weil es einer solchen nicht zwingend bedurft hätte. Immerhin dürften alle Fälle einer faktischen Geschäftsführung auch mit anderen tatsächlichen Umständen einhergehen, die geeignet sind, eine Vermögensbetreuungspflicht zu begründen.[15] Die Aufteilung zeugt davon, dass der 5. Strafsenat bei seiner Entscheidung im Blick hatte, dass die Kriterien des § 266 StGB zum Wohle der Klarheit und Vorhersehbarkeit einer Konkretisierung bedürfen.

Umso bedauerlicher ist es, dass dem Senat gegen Ende seines Beschlusses scheinbar die Puste ausgeht und er es nicht schafft, zu präzisieren, inwieweit sich die Kriterien, welche eine Vermögensbetreuungspflicht aufgrund der Annahme einer faktischen Geschäftsführung begründen, von denjenigen unterscheiden, die eine solche Pflicht aus bloß tatsächlichen Umständen herzuleiten vermögen. Insbesondere bei Letzteren mahnt er nur die Notwendigkeit an, sie an die Umstände des jeweiligen Falls rückzukoppeln. Der lobenswerte restriktive Ansatz verpufft somit bei der eher diffusen konkreten Umsetzung.

Bei seinen Erwägungen zur Bestimmung der faktischen Geschäftsführerschaft begründet der BGH ebenfalls ein Stufenverhältnis, wonach sich die faktische Geschäftsführung zunächst daraus ergeben kann, dass einem Angeklagten rechtswirksam typische Befugnisse eines Ge-

schäftsführers eingeräumt worden sind und anschließend daraus, dass eine solche Befugniserteilung nur tatsächlich erfolgte – wobei der BGH mit erfreulicher Klarheit äußert, dass das Fehlen rechtswirksamer Beauftragungen als Indiz gegen eine faktische Geschäftsführerschaft wirkt. Die Fälle bloß tatsächlicher Befugniserteilung dürften vor diesem Hintergrund zukünftig einen noch intensiveren Begründungsaufwand mit sich bringen.[16] Zur weiteren Konkretisierung der vorliegenden Entscheidung erscheint eine Anknüpfung an die Kriterien angebracht, welche das BayOblG in seiner grundlegenden Entscheidung aus 1997 aufgestellt hat, wonach neben der Gehaltshöhe typische Geschäftsführerbefugnisse auch das Bestimmen der Unternehmenspolitik und Unternehmensorganisation, das Innehaben von Personalhoheit, die Pflege externer Geschäftsbeziehungen, die Verhandlung mit Kreditgebern sowie die Entscheidung in Steuer- und Buchhaltungsfragen sind.[17]

Die Erwägungen des Strafsenats zur faktischen Geschäftsführung aufgrund der Steuerung eines Unternehmens durch dessen formell ordnungsgemäß bestellten Geschäftsführer können indes nur teilweise überzeugen. Völlig zu Recht betont der BGH auch hier zwar die Notwendigkeit einer genauen Betrachtung des zu Grunde liegenden Lebenssachverhalts und stellt mit begrüßenswerter Klarheit fest, dass gerade im Rahmen von Geschäftsbeziehungen der Fall einer faktischen Geschäftsführung von demjenigen zu unterscheiden ist, in welchem sich ein Vertragspartner aufgrund ökonomischer Stärke oder besonderen Verhandlungsgeschicks stets durchsetzen kann. Ebenfalls richtigerweise weist er darauf hin, dass die Annahme zweier gegenläufiger Vermögenbetreuungspflichten bei sich gegenüberstehenden Vertragsparteien einen Ausnahmefall darstellen muss. Interessant ist in diesem Zusammenhang außerdem, dass die Richter das Erfordernis einer überragenden Stellung gegenüber dem formell ordnungsgemäß bestellten Geschäftsführer scheinbar nicht mehr als Ausschlusskriterium einer faktischen Geschäftsführung nutzen, sondern dieser überragenden Stellung einen eigenen, positionsbegründenden Inhalt beimessen.[18] Dies ist deshalb begrüßenswert, weil sich der BGH damit von der falschen Annahme löst, es reiche aus, wenn eine Person hafte, weshalb es eines faktischen neben einem ordentlichen Geschäftsführer nicht bedürfe; zutreffend ist dagegen, dass die faktische Geschäftsführung – so man sie denn anerkennt – auf eigenen Kriterien fußen muss, die nichts mit der potentiellen Haftbarkeit einer anderen Person zu tun haben.[19]

Unzureichend erscheint hingegen der Ausgleich fehlender kompetenzieller Verankerung einer tatsächlichen Machtposition mittels eines Blickes auf die Gesellschafterebene und die Annahme einer faktischen Geschäftsführung bei "faktischer Gesellschaftertätigkeit".[20] Zunächst einmal bleibt der BGH eine Antwort darauf schuldig, weshalb der Einfluss auf die Gesellschafterebene die Stellung als faktischen Geschäftsführer überhaupt berühren soll. Wäre dies der Fall, müsste zumindest jeder Gesellschafter auch stets faktischer Geschäftsführer sein.[21] Weiterhin wird das Grundproblem hier nur verlagert, fehlt es doch auf der Gesellschafterebene ebenfalls an Kriterien, die eine Abgrenzung gegenüber denjenigen Situationen bieten, die der BGH in dieser selben Entscheidung auf Geschäftsführerebene zu Recht kritisiert hat. Auch auf der Gesellschafterebene kann die Machtstellung aus ökonomischer Stärke resultieren oder auf besonderem Verhandlungsgeschick basieren. Kompetenzielle Befugnisse, welche – wie vom Senat im Ausgangspunkt zu Recht gefordert – die Grundlage einer faktischen Geschäftsführerstellung sein sollen, indem sie die bloße Macht um einen notwendigen Status bereichern, ergeben sich beim potentiell faktischen Geschäftsführer jedenfalls nicht zwangsläufig aus der Möglichkeit, Einfluss auf die Gesellschafter zu nehmen. Der Transfer des Problems auf die Gesellschafterebene bietet für sich genommen mithin keinen Mehrwert, erklärt er doch wiederum nur, weshalb dem angeblich faktischen Geschäftsführer eine besondere Machtposition zukommt, aber nicht, weshalb sich aus dieser schlichten Einflussnahmemöglichkeit auf den ordentlichen Geschäftsführer eine Zurechnung von dessen besonderen Geschäftsführerkompetenzen ergeben muss.

Die Reduzierung einer Geschäftsführerschaft – sei es auch nur einer faktischen – auf bloße Machtpositionen ohne eigene Kompetenzen widerspricht dem Kern der Geschäftsführerschaft, die ihre Machtposition richtigerweise gerade aus diesen besonderen Kompetenzen schöpft.[22]

Hier unterscheidet sich die faktische Geschäftsführung etwa von der Untreue, welche – auch wenn jene in der vorliegenden Entscheidung unzureichend konkretisiert wird – angesichts ihres Wortlauts sehr wohl Pflichten zur Betreuung von Vermögen schaffen kann, ohne dass diesen ein kompetenzieller Unterbau zu Grund liegt.

Nicht zuletzt müsste die Rechtsprechung bei Annahme einer faktischen Geschäftsführung wegen der Einflussnahme auf den ordentlichen Geschäftsführer aufgrund "faktischer Gesellschaftertätigkeit" erklären, warum sich aus dieser Stellung im Rahmen der Untreue jedenfalls bis zur Grenze des § 30 GmbHG keine Rechtfertigung der Anweisung einer Vermögensweggabe ergibt.[23] Sie müsste

überdies weiter erläutern, ob eine derart begründete faktische Geschäftsführung nicht immer dann ausgeschlossen werden muss, wenn die Kompetenzen des (faktischen) Gesellschafters – etwa aufgrund eines Verstoßes seiner Anweisungen gegen § 30 GmbHG – gegenüber dem ordentlich bestellten Geschäftsführer enden.[24] Zumindest für den Fall der Untreue ergäbe sich daraus, dass der auf diese Weise geschaffene faktische Geschäftsführer entweder mangels Pflichtverletzung des ordnungsgemäßen Geschäftsführers oder mangels Vermögensbetreuungspflicht des faktischen Gesellschafters/Geschäftsführers straflos wäre.

V. Fazit

Die Entscheidung zeugt vom lobenswerten Versuch einer steten Konkretisierung des weiten Untreuetatbestandes, scheitert jedoch in der konkreten Ausgestaltung eben dieser Konkretisierung.

Insbesondere die Annahme einer faktischen Geschäftsführerstellung bei tatsächlicher Einflussnahme auf einen ordnungsgemäß bestellten Geschäftsführer im Falle erheblichen Einflusses auch auf die Gesellschafterebene kann nicht überzeugen. Hier fehlt es an einer kompetenziellen Begründung dieser Stellung, der es zur Annahme jeder Organschaft bedarf.


[1] LG Berlin Urt. v. 12. Dezember 2011, Az: 514 KLs 1/11.

[2] BGH 5 StR 407/12 = NJW 2013, 624 = HRRS 2013 Nr. 127 m. Anm. Corsten BB 2013, 660; Gutmann FD-StrafR 2013, 342502.

[3] S. nur BGHSt 35, 333, 337   f.; 49, 147, 158 = HRRS 2004 Nr. 604; BGH NStZ-RR 2005, 86 = HRRS 2005 Nr. 53; vgl. Kindhäuser, NK-StGB, 4. Aufl. (2013), § 266 Rn. 71 m.w.N.

[4] BGH NJW 2013, 624, 625 = HRRS 2013 Nr. 127; s. auch Fischer, StGB, 60. Aufl. (2013), § 266 Rn. 40 ff.; Schünemann, LK-StGB, 12. Aufl. (2012), § 266 Rn. 61, 65 – jew. m.w.N.

[5] BGH NJW 2013, 624, 625 unter Verweis auf BGH NStZ 1999, 558.

[6] Weiterführend BGHSt 6, 314, 315 f.; 31, 118, 122; BGH NJW 2000, 2285; NStZ 2000, 34 f.; Merz, in: Graf/Jäger/Wittig (Hrsg.), Wirtschafts- und Steuerstrafrecht (2011), § 14 Rn. 53, 60 m.w.N.; ablehnend Radtke, MüKo-StGB, 2. Aufl. (2011), § 14 Rn. 118; Marxen/Böse, NK-StGB, 3. Aufl. (2010), § 14 Rn. 41 ff.

[7] BGH NJW 2013, 624, 625; s. auch BGH NZG 2005, 755; BayOblG NJW 1997, 1936; Dierlamm NStZ 1996, 153, 156.

[8] S. auch BGH ZIP 2005, 1414.

[9] BGH NJW 2013, 624, 625.

[10] BGH NJW 2013, 624, 625; BGH NJW 1998, 767; auch BGHZ 150, 61.

[11] BGH NJW 2013, 624, 625 unter Verweis auf BGH NJW 1997, 66.

[12] Vgl. BGH NJW 1997, 66; NStZ 1999, 558; Fischer, StGB, § 266 Rn. 33; zu Auswirkungen dieser Ausführungen auf den faktischen Konzern Corsten BB 2013, 660.

[13] So ebenfalls Gutmann FD-StrafR 2013, 342502.

[14] BVerfG NJW 2010, 3209 = HRRS 2010 Nr. 656 m. Anm. Becker HRRS 2010, 383.

[15] Vgl. BGH NStZ 1996, 540 mit Kritik bei Dierlamm NStZ 1997, 534, 535.

[16] Kritisch zum weiten Verständnis der faktischen Geschäftsführerschaft insbesondere Dierlamm NStZ 1996, 153, 154.

[17] BayOblG NJW 1997, 1936; vgl. Dierlamm NStZ 1996, 153, 156; Wegner wistra 1998, 283, 284.

[18] Zur Voraussetzung einer überragenden Stellung BGHSt 46, 62, 64; NStZ 2000, 34; Schmucker ZJS 2011, 30, 36.

[19] Anders die h.M. s. nur Dierlamm NStZ 1996, 153, 156; Löffeler wistra 1989, 121, 125; Waßmer, MüKo-Bilanzrecht (2012), HGB § 331 Rn. 15 ff. – jew. m.w.N.

[20] Zum faktischen Gesellschafter im Zivilrecht Servatius, Beck'scher Online-Kommentar GmbHG (Stand 1.12.2012), Rn. 487.1.

[21] Zur notwendigen Abgrenzung zwischen gesellschafterlichem Weisungsrecht und faktischer Geschäftsführerschaft Wißmann, MüKo-GmbHG (2011), § 82 Rn. 48 m.w.N.

[22] Vgl. Corsten BB 2013, 660; zur Notwendigkeit von Befugnissen zur Begründung einer faktischen Geschäftsführung in der zivilrechtlichen Rechtsprechung vgl. nur BGH NJW 2002, 1803; NJW 1988, 1789.

[23] Grundlegend zur Möglichkeit eines Einverständnisses durch GmbH-Gesellschafter Kindhäuser (Fn. 3), § 266 Rn. 68 ff.; speziell zum Einverständnis im Zusammenhang mit einem faktischen Geschäftsführer Wessing/Krawczyk NZG 2011, 1297 ff.

[24] Hierzu Kindhäuser (Fn. 3), § 266 Rn. 71.