HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

März 2012
13. Jahrgang
PDF-Download

III. Strafzumessungs- und Maßregelrecht


Entscheidung

217. BGH 5 StR 535/11 – Beschluss vom 24. Januar 2012 (LG Berlin)

Unterbringung in der Sicherungsverwahrung (strikte Verhältnismäßigkeitsprüfung; schwere Gewalttaten; besonders schwerer Raub).

§ 66 StGB; § 66a StGB; § 249 StGB; § 250 Abs. 2 StGB

1. Ob es sich bei von einem Täter in Zukunft zu erwartenden Taten um schwere Gewalttaten im Sinne der vom Bundesverfassungsgericht (HRRS 2011 Nr. 488) gesetzten Maßstäbe handelt, ist nicht alleine anhand der gesetzgeberischen Abstufung der Anlassdelikte der Sicherungsverwahrung zu entscheiden, etwa nach den Kata-

logen in § 66 Abs. 1 Nr. 1, § 66 Abs. 3 Satz 1 und § 66a Abs. 2 Nr. 1 StGB nF; diese bietet allenfalls eine erste Orientierung.

2. Vorsätzliche Tötungsdelikte und Vorsatzdelikte mit qualifizierender Todesfolge sind grundsätzlich als schwere Gewaltstraftaten anzusehen.

3. Dies gilt dies für Raubdelikte ungeachtet der in den Fällen der §§ 249, 250, 255 StGB hohen Strafdrohungen und der für die Tatopfer oftmals gewichtigen psychischen Auswirkungen nicht ohne Weiteres. Sie können vielmehr nur in Abhängigkeit von ihren – auf der Grundlage konkreter Umstände in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen – vorhersehbaren individuellen Umständen als schwere Gewalttaten gewertet werden. Dabei spielt vor allem das Ausmaß der eingesetzten oder angedrohten Gewalt bei den zu prognostizierenden Straftaten eine mitbestimmende Rolle.

4. Die „strikte Verhältnismäßigkeitsprüfung“ im Sinne von BVerfG HRRS 2011 Nr. 488 verlangt, dass bei beiden Elementen der Gefährlichkeit (Erheblichkeit weiterer Straftaten und Wahrscheinlichkeit ihrer Begehung) ein gegenüber der bisherigen Rechtsanwendung strengerer Maßstab angelegt wird.


Entscheidung

233. BGH 1 StR 580/11 – Urteil vom 10. Januar 2012 (LG Baden-Baden)

Versuchter Prozessbetrug; Strafaussetzung zur Bewährung (besondere Gründe: mangelndes Geständnis; Selbstbelastungsfreiheit); Gesamtstrafenbildung in vollen Jahren und Monaten; Abfassung der Urteilsgründe (überflüssige Ausführungen).

Art. 1 GG; Art. 2 Abs. 1 GG; Art. 6 EMRK; § 263 StGB; § 22 StGB; § 39 StGB; § 56 StGB; § 267 StPO

1. Besondere Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB dürfen nicht deshalb verneint werden, weil die Angeklagte nicht geständig war. Im Einzelfall kann in entsprechenden Ausführungen aber lediglich ein Hinweis auf das Fehlen eines Geständnisses liegen.

2. Hypothetische Überlegungen dazu, wie es sich auswirken könnte, wenn etwas, was nicht vorliegt, doch vorläge oder umgekehrt, sind in einem Urteil überflüssig. Sie können die Klarheit von Feststellungen oder Wertungen beeinträchtigen, zu Missdeutungen Anlass geben, letztlich sogar den Bestand eines Urteils gefährden und sollten unterbleiben.


Entscheidung

262. BGH 1 StR 559/11 – Beschluss vom 12. Januar 2012 (LG Augsburg)

Strafzumessung (Auswirkungen der Verurteilung auf das Berufsleben: Vorbereitungsdienst, zwingende Entlassung aus dem Beamtenverhältnis, Erörterungsmangel).

§ 46 StGB; § 24 Abs. 1 BeamtStG; § 5 Abs. 1 BayLBG

Tritt ein Referendar seinen Vorbereitungsdienst in Kenntnis des gegen ihn wegen bandenmäßigen Anbaus von Betäubungsmitteln geführten Strafverfahrens an, braucht das Tatgericht in einem Wegfall der Anwärterbezüge oder der in dieser Zeit erworbenen (allenfalls sehr geringen) Versorgungsanwartschaften keinen bestimmenden und daher erörterungsbedürftigen Strafzumessungsgrund zu sehen.


Entscheidung

189. BGH 3 StR 374/11 – Beschluss vom 20. Dezember 2011 (LG Hannover)

Nachträgliche Bildung der Gesamtstrafe; Verschlechterungsverbot; Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (Hang); mehrere Maßregeln (Verhältnismäßigkeit; mildere Maßregel; Unsicherheiten).

§ 55 StGB; § 301 StPO; § 358 StPO; § 64 StGB; § 66 StGB; § 72 StGB

1. Bei Aufhebung einer Gesamtstrafe durch das Revisionsgericht und Zurückverweisung der Sache an das Tatgericht ist die Gesamtstrafe auch im zweiten Durchgang nach Maßgabe der Vollstreckungssituation zum Zeitpunkt der ersten tatrichterlichen Verhandlung vorzunehmen.

2. Liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen mehrerer Maßregeln der Besserung und Sicherung vor, so ist gem. § 72 Abs. 1 StGB die mildere anzuordnen, sofern der Zweck der Maßregeln durch sie allein erreicht werden kann. Unsicherheiten über den Erfolg allein der milderen Maßnahme führen zur kumulativen Anordnung der Maßregeln.


Entscheidung

192. BGH 3 StR 413/11 – Urteil vom 19. Januar 2012 (LG Wuppertal)

Strafzumessung (ausdrückliche Erörterung bereits erwähnter Umstände; Beseitigung von Tatspuren; besondere Haftempfindlichkeit; unvertretbare Milde; gerechter Schuldausgleich).

§ 46 StGB

1. Dass in den Strafzumessungsgründen eine Erwägung nicht ausdrücklich wiederholt wird, lässt nicht ohne weiteres den Schluss zu, das Tatgericht habe sie bei der Zumessung der Strafe übersehen.

2. Den Versuch eines Angeklagten, Tatspuren zu beseitigen, darf der Tatrichter nicht zu seinen Lasten werten.


Entscheidung

188. BGH 3 StR 370/11 – Beschluss vom 10. Januar 2012 (LG Berlin)

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus; schwere andere seelische Abartigkeit (paranoide Persönlichkeitsstörung).

§ 63 StGB; § 20 StGB

Ob eine paranoide Persönlichkeitsstörung als schwere andere seelische Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB qualifiziert werden kann, hängt davon ab, ob es im Alltag des Täters zu Einschränkungen des beruflichen oder sozialen Handlungsvermögens gekommen ist und die Persönlichkeitsstörung sein Leben vergleichbar nachhaltig und mit ähnlichen Folgen belastet oder einengt wie eine krankhafte seelische Störung.


Entscheidung

249. BGH 4 StR 487/11 – Beschluss vom 20. Dezember 2011 (LG Paderborn)

Rechtsfehlerhaftes Absehen von der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (konkrete Erfolgsaussicht).

§ 64 StGB

Soweit das Tatgericht die Anordnung der Maßregel gemäß § 64 Satz 2 StGB wegen einer mangelnden hinreichend konkreten Erfolgsaussicht verneinen will, weil „Erfahrungen in der Vergangenheit“ gegen diese sprechen, muss das Tatgericht dazu konkrete tatsächliche Feststellungen treffen, die das Revisionsgericht in die Lage versetzen, die Maßregelentscheidung beurteilen zu können.


Entscheidung

195. BGH 3 StR 421/11 – Beschluss vom 20. Dezember 2011 (LG Verden)

Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (Hang).

§ 64 StGB

1. Der Hang im Sinne von § 64 StGB verlangt eine chronische, auf körperlicher Sucht beruhende Abhängigkeit oder zumindest eine eingewurzelte, auf psychischer Disposition beruhende oder durch Übung erworbene intensive Neigung, immer wieder Alkohol oder andere Rauschmittel zu sich zu nehmen.

2. Ausreichend für die Annahme eines Hangs zum übermäßigen Genuss von Rauschmitteln ist jedenfalls, dass der Betroffene aufgrund seiner Konsumgewohnheiten sozial gefährdet oder gefährlich erscheint.