HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Juni/Juli 2011
12. Jahrgang
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Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

Praktische Folgerungen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Sicherungsverwahrung vom 4. Mai 2011 – 2 BvR 2365/09 u. a. – HRRS 2011 Nr. 488

Von Vors. Richter am LG Dr. Andreas Mosbacher, Berlin

A. Die aktuellen Folgen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts

I. Einleitung und Überblick

Mit Urteil vom 4. Mai 2011 (2 BvR 2365/09 u.a., HRRS 2011 Nr. 488) hat das BVerfG nahezu alle Regelungen über die Anordnung von Sicherungsverwahrung für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt. Ebenso unvereinbar mit dem Grundgesetz sind nach dem Urteil des BVerfG Regelungen, die Rückwirkungsfälle betreffen, also die rückwirkende Verlängerung von Sicherungsverwahrung über zehn Jahre hinaus bei Anlasstaten vor dem 31. Januar 1998 und die Fälle der nachträglichen Sicherungsverwahrung. Allerdings bleiben sämtliche mit dem Grundgesetz unvereinbaren Regelungen bis zur Neuregelung durch den Gesetzgeber, höchstens bis 31. Mai 2013, weiterhin anwendbar. Die Anwendung unterliegt allerdings unterschiedlichen Einschränkungen, die für Rückwirkungsfälle weitergehen als in den anderen Fällen. Der 5. Strafsenat des BGH hat in seiner Leitsatzentscheidung vom 23. Mai 2011 – 5 StR 394/10 u. a. = HRRS 2011 Nr. 637 (in diesem Heft) – die Entscheidung des BVerfG umgesetzt.

Im Folgenden wird versucht, die praktischen Konsequenzen des Urteils des BVerfG (und der Entscheidung des BGH) aufzuzeigen und die derzeit bestehende Rechtslage nach den Änderungen durch das Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und begleitender Regelungen (vom 22. 12. 2010, BGBl. I. S. 2300) und dem Urteil des BVerfG für die Anordnung, Invollzugsetzung und Fortdauerüberprüfung darzustellen. Zu unterscheiden sind aufgrund der gesetzlichen Regelung dabei ganz verschiedene Konstellationen.

Vorab aber die wichtigsten Konsequenzen für aktuell anstehende Entscheidungen bezüglich der Anordnung, Invollzugsetzung oder Fortdauer von Sicherungsverwahrung:

1. Alle bislang geltenden Vorschriften sind weiterhin, längstens bis 31. Mai 2013 anwendbar. Es gibt aber erhebliche inhaltliche Einschränkungen.

2. Die Anordnung von Sicherungsverwahrung und der Vorbehalt von Sicherungsverwahrung (sowie Fortdauerentscheidungen) sind nur noch möglich, wenn neben den jeweiligen gesetzlichen Anforderungen der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz strikt gewahrt ist; in aller Regel muss die Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualstrafen aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten sein.

3. Nachträgliche Sicherungsverwahrung und die Fortdauer von Sicherungsverwahrung in Altfällen (Anlasstat vor 31. 1. 1998) über 10 Jahre hinaus (sowie bei nachträglicher Sicherungsverwahrung) dürfen nur noch angeordnet werden, wenn eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist und dieser an einer psychischen Störung i.S. von § 1 Abs. 1 Nr. 1 ThuG leidet.

4. In Fällen des Vollzugs nachträglicher Sicherungsverwahrung und Sicherungsverwahrung in Altfällen (Anlasstat vor 31. 1. 1998) über 10 Jahre hinaus muss unverzüglich eine Überprüfung stattfinden, ob die Voraussetzungen der Fortdauer einer Sicherungsverwahrung noch vorliegen, anderenfalls spätestens zum 31. 12. 2011 die Freilassung angeordnet werden muss. Die Überprüfungsfrist beträgt in diesen Fällen nunmehr 1 Jahr, bei § 7 Abs. 2 JGG sogar nur 6 Monate.

II. Die neue Rechtslage nach der Entscheidung des BVerfG im Überblick

Im Kern verlangt die BVerfG-Entscheidung bei den nunmehr zu treffenden Entscheidungen über Anordnung, Vollzug und Fortdauer von Sicherungsverwahrung aufgrund der Verfassungswidrigkeit der Regelungen aus Gründen der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes einen erhöhten Maßstab bei der Prognose zu erwartender Taten und teils bei der Diagnose. Hier sind zwei Fallgruppen von Entscheidungen zu unterscheiden.

1. Fallgruppe: Alle Konstellationen ohne verschärfte Vertrauensschutzproblematik

In der ersten Fallgruppe ist bei allen Entscheidungen neben den bestehenden gesetzlichen Voraussetzungen die Gefahr notwendig, dass der Betroffene schwere Gewalt- oder Sexualstraftaten begehen wird. Dies gilt nach dem für folgende Entscheidungen:

a) Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB n. F. und § 66 StGB a. F.

b) Vorbehalt der Sicherungsverwahrung nach § 66a Abs. 1 und 2 StGB n. F., § 66a Abs. 1 StGB a. F., § 106 Abs. 3 S. 2 und 3 JGG n. F. und § 106 Abs. 3 S. 2 und 3 JGG a. F.

c) Anordnung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung nach § 66a Abs. 3 StGB n. F., § 66a Abs. 2 StGB a. F., § 106 Abs. 3 S. 2 und 3 JGG n. F., § 106 Abs. 3 S. 2 und 3 JGG a. F.

d) Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung bei Erledigung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus mangels Krankheit gemäß § 66b StGB n. F., § 66b Abs. 3 StGB a. F., § 7 Abs. 3 JGG n. F., § 7 Abs. 3 JGG a. F. sowie § 106 Abs. 6 JGG n. F. und § 106 Abs. 6 JGG a. F.

e) Entscheidung über die Fortdauer der Sicherungsverwahrung nach § 67d Abs. 2, 3 StGB

f) Entscheidung über den Vollzug von Sicherungsverwahrung nach § 67c Abs. 1 StGB

Hinweis: Nicht ganz klar wird aus dem Urteil des BVerfG, ob der erhöhte Prognosemaßstab auch für alle Entscheidungen gilt, in denen es um die "Invollzugsetzung" einer rechtskräftig angeordneten (§ 67c Abs. 1 StGB) und die Fortdauer bereits vollzogener Sicherungsverwahrung geht. Ausdrücklich für mit dem GG unvereinbar erklärt sind insoweit "nur" § 67d Abs. 2 Satz 1 (soweit zur Anordnung der Fortdauer von Sicherungsverwahrung über 10 Jahre hinaus in "Altfällen" ermächtigend) und Abs. 3 Satz 1 StGB; nur insoweit gilt nach dem Tenor, dass diese Vorschriften "nach Maßgabe der Gründe" anwendbar bleiben. Indes betrifft die Entscheidung des BVerfG ersichtlich das Gesamtkonzept der Sicherungsverwahrung, wobei auch die Frage des Übergangs von Strafhaft in Sicherungsverwahrung und laufende Überprüfungsverfahren angesprochen werden (Urteil Rdn. 169 und 171).

Es erschiene wertungswidersprüchlich, wenn nach der Entscheidung des BVerfG zwar die Anordnung von Sicherungsverwahrung nur bei der Prognose schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten möglich wäre, die "Invollzugsetzung" oder Fortdauer von diesem geänderten Maßstab hingegen gänzlich unberührt bliebe. Auch in Hinblick auf die Unvereinbarkeitserklärung bezüglich der Überprüfungsvorschriften in § 67d Abs. 2 und 3 StGB und die Unvereinbarkeit der derzeitigen Ausgestaltung der Sicherungsverwahrung mit dem "Abstandsgebot" erscheint es daher richtig, bei sämtlichen Entscheidungen über die Anordnung, den Vorbehalt, die "Invollzugsetzung" und die Fortdauer von Sicherungsverwahrung in verfassungskonformer Auslegung der entsprechenden Vorschriften (wie etwa § 67c Abs. 1 StGB) den erhöhten Prognosemaßstab des BVerfG zugrunde zu legen.

2. Fallgruppe: Alle Konstellationen, die mit Ver­trauens­schutz unvereinbar sind

In der zweiten Fallgruppe ist bei allen Entscheidungen neben den bestehenden gesetzlichen Voraussetzungen die Prognose höchster Gefahr notwendig, dass der Betroffene schwerste Gewalt- oder Sexualstraftaten begehen wird und dies auf einer psychischen Störung i. S. von § 1 Abs. 1 Nr. 1 ThUG beruht. Dies gilt für folgende Entscheidungen:

a) Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung nach § 66b Abs. 2 StGB a. F. oder nach § 7 Abs. 2 JGG

b) Entscheidung über die Fortdauer der Sicherungsverwahrung über 10 Jahre hinaus in "Altfällen" (=Anlasstat vor dem 31. 1. 1998) nach § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB (Überprüfungsfrist nunmehr 1 Jahr)

c) Entscheidung über die Fortdauer der Sicherungsverwahrung in Fällen des Vollzugs nachträglicher Sicherungsverwahrung nach § 66b Abs. 2 StGB a. F. (Überprüfungsfrist nunmehr 1 Jahr) oder nach § 7 Abs. 2 JGG (Überprüfungsfrist nunmehr 6 Monate)

d) Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung nach § 66b Abs. 1 StGB a. F. oder nach § 106 Abs. 5 JGG

e) Entscheidung über die Fortdauer der Sicherungsverwahrung in Fällen des Vollzugs nachträglicher Sicherungsverwahrung nach § 66b Abs. 1 StGB a. F. (Überprüfungsfrist nunmehr entsprechend § 66b Abs. 2 StGB a. F. 1 Jahr) oder nach § 106 Abs. 5 JGG (Überprüfungsfrist nunmehr entsprechend § 7 Abs. 2 JGG 6 Monate)

Hinweis: Nicht ganz klar ist, weshalb das BVerfG die Anordnung nachträglicher Sicherungsverwahrung bei Erwachsenen nach § 66b Abs. 1 StGB a. F. und bei Heranwachsenden nach § 106 Abs. 5 JGG nicht der 2. Fallgruppe zugeschlagen hat, denn auch hier kann es sich um Fälle rückwirkender nachträglicher Anordnung der Sicherungsverwahrung handeln, also um Altfälle, in denen die Betroffenen wegen ihrer Anlasstaten bereits vor Inkrafttreten der jeweils einschlägigen Neuregelung verurteilt wurden (vgl. Urteil Rdn. 148; Bsp.: Urteil vom 1. 6. 2004 zu zehn Jahren Freiheitsstrafe, jetzt Prüfung der nachträglichen Sicherungsverwahrung nach § 66b Abs. 1 StGB a. F.).

Der Unterschied scheint bezüglich § 66b Abs. 1 StGB a. F. darin zu liegen, dass § 66b Abs. 2 StGB und § 7 Abs. 2 JGG jeweils langjährige Freiheitsstrafen verlangen, also praktisch ausgeschlossen erscheint, dass die Verurteilung nach Inkrafttreten der Neuregelungen (2004/2008) erfolgt ist (vgl. Urteil Rdn. 148 f.). Gleiches gilt aber auch für § 106 Abs. 5 JGG, weshalb die Ungleichbehandlung mit § 66b Abs. 2 StGB und § 7 Abs. 2 JGG nicht nachvollziehbar erscheint (§ 106 Abs. 5 JGG und § 66b Abs. 2 StGB a. F. sind mit ähnlichem Inhalt durch das Gesetz zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung vom 23. Juli 2004, BGBl. I S. 1838 mit Wirkung zum 29. Juli 2004 eingeführt worden).

Es empfiehlt sich deshalb, bei § 66 Abs. 1 StGB a. F. und § 106 Abs. 5 JGG den erhöhten Prognosemaßstab wie bei § 66b Abs. 2 StGB a. F. und § 7 Abs. 2 JGG anzulegen, auch wenn dies nicht ausdrücklich im Tenor der BVerfG-Entscheidung angeordnet ist, weil insoweit die gleichen Gründe für ein Überwiegen von Vertrauensschutz sprechen (verfassungskonforme Auslegung).

III. Die Veränderungen des Prognosemaßstabs im Einzelnen

1. Prognose der Gefahr schwerer Gewalt- und Sexual­straftaten bei Entscheidungen nach Fallgruppe 1 (ohne erhöhten Vertrauensschutz)

Für die unter oben II. 1. genannten Entscheidungen bleibt es bei der Fortgeltung bisherigen Rechts, allerdings nach Maßgabe der Gründe des Urteils des BVerfG (Rdn. 172, Hervorhebungen durch Verf.):

"...während der Dauer ihrer Weitergeltung [muss] bei der Rechtsanwendung der Tatsache Rechnung getragen werden, dass es sich bei der Sicherungsverwahrung in ihrer derzeitigen Ausgestaltung um einen verfassungswidrigen Eingriff in das Freiheitsgrundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG handelt. Der hohe Wert des Freiheitsgrundrechts beschränkt das übergangsweise zulässige Eingriffsspektrum. Während der Übergangszeit dürfen Eingriffe nur soweit reichen, wie sie unerlässlich sind, um die Ordnung des betroffenen Lebensbereichs aufrechtzuerhalten. Dabei ist gegebenenfalls eine verfassungskonforme Auslegung des Normgehalts zu beachten Die Regelungen dürfen nur nach Maßgabe einer strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung angewandt werden. Das gilt insbesondere im Hinblick auf die Anforderungen an die Gefahrprognose und die gefährdeten Rechtsgüter. In der Regel wird der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nur unter der Voraussetzung gewahrt sein, dass eine Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualstrafen aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist."

In allen laufenden Verfahren, in denen es um die Anordnung der Sicherungsverwahrung, deren Vorbehalt oder die Fortdauer geht, muss die Entscheidung des Gerichts und die Begutachtung durch einen Sachverständigen die erhöhten Maßstäbe des Urteils des BVerfG berücksichtigen. Die Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes führt in der Regel zu einer Veränderung des Prognosemaßstabes.

a) Grundlage der Prognose

Grundlage der Prognose müssen "konkrete Umstände in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen sein", was allerdings bisherigem Standard entsprechen dürfte. Denn schon bislang waren allein statistische Erkenntnisse unzureichend (vgl. BGH NStZ 2009, 323 = HRRS 2009 Nr. 402). Sämtliche sonstigen Umstände, die schon bisher bei der Prognoseentscheidung einer Gesamtwürdigung unterzogen worden mussten (wie etwa Vorstrafen, Deliktsbild, Rückfallgeschwindigkeit, psychische Störungen, Vollzugsverhalten), sind "konkrete Umstände in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen." Es wird sicher hilfreich sein, die Grundlagen der Prognose konkreter als bislang an Person und Verhalten des Betroffenen konkret festzumachen und dies ausdrücklich im Gutachten zu formulieren.

b) Maßstab der Prognose

Maßstab der Prognose dürfen nur noch "schwere Gewalt- und Sexualstraftaten" sein (im Gegensatz zu "schwersten Gewalt- und Sexualstraftaten", vgl. Tenor zu III. 2. a). Das Merkmal ist demjenigen in § 67d Abs. 3 StGB ähnlich ("erhebliche Straftaten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden"), wohl aber nicht ganz deckungsgleich. Wenn man versucht, zur Orientierung einen Straftatenkatalog zu erstellen, dürfte sich am ehesten folgendes Verfahren anbieten:

Anhaltspunkte zur Auslegung der Begriffe "schwere" und "schwerste" Gewalt- und Sexualstraftaten enthält die systematisch abgestufte Staffelung der Anlassdelikte in §§ 66 f. StGB. Danach sind grob gesehen drei Deliktskategorien zu unterscheiden: Vorsätzliche Straftaten aus dem Katalog des § 66 Abs. 1 Nr. 1 StGB n.F., die die Verhängung von Sicherungsverwahrung bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen rechtfertigen können; besonders schwere Verbrechen, insbesondere Gewalt- und Sexualdelikte, die nach § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB die Verhängung der Sicherungsverwahrung unter erleichterten Bedingungen ermöglichen; schwerste Gewalt- und Sexualstraftaten nach § 66a Abs. 2 Nr. 1 StGB, die bereits bei erstmaliger Verurteilung den Vorbehalt von Sicherungsverwahrung ermöglichen.

Um den Vorgaben des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gerecht zu werden, empfiehlt es sich, möglichst nahe an dieser gesetzgeberischen Wertentscheidung die Auslegung der vom BVerfG genannten Begriffe "schwere" und "schwerste" Gewalt- und Sexualstraftaten vorzunehmen. Vorgeschlagen wird hier, die zweite Kategorie (also Taten im Sinne von § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB) als "schwere" und die dritte Kategorie (§ 66a Abs. 2 Nr. 1 StGB) als "schwerste" Gewalt- und Sexualstraftaten zu begreifen. Der Deliktskatalog bedarf dabei allerdings jeweils einer besonderen Untersuchung, ob es sich bei den Delikten tatsächlich um "Gewalt- und Sexualstraftaten" handelt und sie auch wirklich schwer wiegen. Im Einzelnen:

Schwere Gewaltstraftaten sind nach der Wertung in § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB zumindest alle Verbrechen, die sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit und in schwerwiegender Weise gegen die persönliche Freiheit richten. Hierzu zählen wohl:

  • Mord (§ 211 StGB), Totschlag, auch im minder schweren Fall (§§ 212, 213 StGB), schwere Fälle der Aussetzung (§ 221 Abs. 2 und 3 StGB),
  • schwere Fälle der Misshandlung von Schutzbefohlenen (§ 225 Abs. 3 StGB), Schwere Körperverletzung (§ 226 StGB), Körper-
  • verletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB),
  • Menschenhandel in qualifizierten Fällen (§§ 232 Abs. 3, 233 Abs. 3 i. V. m. § 232 Abs. 3 StGB), Menschenraub (§ 234 StGB), Verschleppung (§ 234a StGB), Entziehung Minderjähriger in qualifizierten Fällen (§ 235 Abs. 4 und 5 StGB), Nachstellung mit Todesfolge (§ 238 Abs. 3 StGB), Freiheitsberaubung in qualifizierten Fällen (§ 239 Abs. 3 und 4 StGB), Erpresserischer Menschenraub (§ 239a StGB), Geiselnahme (§ 239 StGB)
  • Raub (§ 249 StGB), schwerer Raub (§ 250 StGB), Raub mit Todesfolge (§ 251 StGB), Räuberischer Diebstahl (§ 252 StGB), Räuberische Erpressung (§ 255 StGB).

Zu schweren Gewalttaten dürften nicht nur diejenigen mit unmittelbarer Personengewalt, sondern auch besonders schwerwiegende gemeingefährliche Straftaten jedenfalls dann zählen, wenn sie unmittelbare Auswirkungen auf Leib und Leben haben. Hierzu dürften allerdings nicht alle Verbrechen aus dem 28. Abschnitt zählen, sondern nur folgende:

  • Besonders schwere Brandstiftung (§ 306b StGB), Brandstiftung mit Todesfolge (§ 306c StGB), schwere Fälle des Herbeiführens einer Explosion durch Kernenergie, soweit Leib und Leben eines Menschen gefährdet werden (§ 307 Abs. 1 und 3 StGB), schwere Fälle des Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion, soweit Leib und Leben eines Menschen gefährdet werden (§ 308 Abs. 1 bis 3 StGB), schwere Fälle des Missbrauchs ionisierender Strahlen (§ 309 Abs. 1 bis 4 StGB), gemeingefährliche Vergiftung (§ 314 StGB),
  • besonders gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr (§ 315 Abs. 3 Nr. 2 StGB), besonders gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr (§ 315b Abs. 3 i. V. m. § 315 Abs. 3 Nr. 2 StGB), Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer (§ 316a StGB), Angriffe auf den Luft- und Seeverkehr (§ 316c Abs. 1 und 2 StGB), besonders schwere Beschädigung wichtiger Anlagen (§ 318 Abs. 3 und 4 StGB)

Zu den schweren Sexualstraftaten dürften alle Verbrechen aus dem 13. Abschnitt des StGB zählen, also:

  • Schwerer sexueller Missbrauch von Kindern (§ 176a StGB), Sexueller Missbrauch von Kindern mit Todesfolge (§ 176b StGB), Sexuelle Nötigung, Vergewaltigung (§ 177 StGB), Sexuelle Nötigung und Vergewaltigung mit Todesfolge (§ 178 StGB), schwere Fälle des sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen (§ 179 Abs. 5 und 7 StGB).

Ausgehend von der gesetzgeberischen Wertung in § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB n. F. dürften zu den "schweren Gewalt- oder Sexualstraftaten" auch noch diejenigen Vergehen zählen, die in § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB aufgezählt sind, sofern erhebliche Delikte in diesem Bereich zu erwarten sind. Als Kriterium für die "Schwere" der Tat dürfte zudem wichtig sein, ob für das Delikt eine erhöhte Mindeststrafe angedroht wird. Dazu zählen demnach folgende Vergehen:

  • § 174 Abs. 1 StGB (Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen), § 174a StGB (Sexueller Missbrauch von Gefangenen etc.), § 174b StGB (Sexueller Missbrauch unter Ausnutzung einer Amtsstellung), § 174c StGB (Sexueller Missbrauch unter Ausnutung bestimmter Verhältnisse), § 176 StGB (Sexueller Missbrauch von Kindern), § 179 Abs. 1 bis 4 StGB (Sexueller Missbrauch widerstandsunfähiger Personen)
  • § 224 StGB (gefährliche Körperverletzung), § 225 Abs. 1 und 2 StGB (Misshandlung von Schutzbefohlenen)

Auch eine vorsätzliche Tat des Vollrauschs (§ 323a StGB) kann eine schwerwiegende Gewalt- und Sexualstraftat sein, wenn die im Rausch begangene rechtswidrige Tat aus dem Katalog der eben genannten Delikte stammt (vgl. zur Gleichsetzung auch § 66 Abs. 3 S. 1 StGB). Verbrechen nach dem Völkerstrafgesetzbuch stellen ebenfalls schwere Gewalttaten dar.

Nicht ausreichen dürfte als Prognosetat hingegen der bloße Verstoß gegen Weisungen im Rahmen der Führungsaufsicht (vgl. § 66 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe c StGB n. F.); dies stellt keine "Gewalt- oder Sexualstraftat" dar. Gleiches gilt für Straftaten nach dem 1. oder 7. Abschnitt des StGB oder nach dem Betäubungsmittelgesetz (dort ist kennzeichnend das Einverständnis des Konsumenten mit dem eigentlich zu verhindernden BtM-Konsum, weshalb eine "Gewalttat", die eine Willensbeugung voraussetzt, regelmäßig ausscheidet

Im Ergebnis erfährt der Katalog des § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB damit weitere Einschränkungen, die der Begrifflichkeit des Bundesverfassungsgerichts und der strikten Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes geschuldet sind. Bei der Gefahrprognose ist stets zu bedenken, inwieweit möglichen Gefahren durch Weisungen im Rahmen der Führungsaufsicht begegnet werden kann.

2. Prognose hochgradiger Gefahr schwerster Gewalt- und Sexualstraftaten und Diagnose psychischer Störung bei Entscheidungen nach Fallgruppe 2 (erhöhter Vertrauensschutz)

Entscheidungen, die nach Fallgruppe 2 anstehen, sind nach III. 2. a) des Urteilstenors besonderen Restriktionen unterworfen, weil die entsprechenden Vorschriften mit dem Vertrauensschutzgebot unvereinbar sind. Die Anordnung oder Fortdauer von Sicherungsverwahrung ist in solchen Fällen nur möglich, wenn eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist und dieser an einer psychischen Störung i.S. von § 1 Abs. 1 Nr. 1 ThuG leidet.

a) Hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- und Sexualstraftaten

Der erste Teil dieser Einschränkung entspricht nahezu wörtlich den Kriterien zur Fortdauer der Sicherungsverwahrung in Altfällen über zehn Jahre hinaus gemäß der Grundsatzentscheidung des 5. Strafsenats des BGH (Beschl. v. 9. 11. 2010 – 5 StR 394/10 u. a. = HRRS 2010 Nr. 1043) und den bisherigen Entscheidungen des LG Berlin in solchen Fällen (vgl. etwa Beschl. v. 4. April 2011 – 598 StVK 360/10 m. w. N.).

Die Anforderungen an die Prognose sind hier in mehrfacher Hinsicht im Vergleich zu den Anforderungen bei der Verhängung anfänglicher Sicherungsverwahrung verschärft. Anstatt einer "Gefahr" muss eine "hochgradige Gefahr" bestehen. Dies betrifft den erhöhten Wahrscheinlichkeitsgrad drohender Straftaten. Die Wahrscheinlichkeit muss besonders groß sein, es muss ganz nahe liegen, dass der Betroffene im Falle einer Entlassung solche Taten begehen wird. Das LG Berlin hat dieses Kriterium dergestalt umschrieben, dass davon solche Täter betroffen sind, denen nach den Ergebnissen der Begutachtung

"...gleichsam ‚auf die Stirn geschrieben steht’, dass sie bei einer Entlassung aus dem Vollzug alsbald schwerwiegende Gewalttaten begehen werden." (LG Berlin a. a. O.).

Eine solche hochgradige Gefahr kann etwa in Betracht kommen sein, wenn langjährige Haftaufenthalte wegen schwerwiegender Gewalt- und Sexualstraftaten jeweils nur durch sehr kurze Aufenthalte in Freiheit "unterbrochen" wurden und keinerlei Verhaltensänderung ersichtlich ist. Wer bislang stets kurze Zeit nach Entlassung aus dem Freiheitsentzug schwerwiegende Gewalt- oder Sexualstraftaten begangen hat, bei dem liegt hochgradig nahe, dass er dies im Falle erneuter Entlassung wieder tun wird (sofern keine relevante Änderung eingetreten ist). Bei der Gefahrprognose ist stets zu bedenken, inwieweit möglichen Gefahren durch Weisungen im Rahmen der Führungsaufsicht begegnet werden kann.

Prognosegrundlage dürfen – wie oben ausgeführt – nicht bloße Vermutungen oder statistische Zusammenhänge sein; die Prognose muss vielmehr (wie bislang, s. o.) aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten sein.

Bezugspunkt der Prognose müssen schwerste Gewalt- oder Sexualstraftaten sein. Hierfür kann der Katalog des § 66a Abs. 2 Nr. 1 StGB n. F. Anhaltspunkte bieten, denn dort hat der Gesetzgeber diejenigen Straftaten genannt, deren Begehung ganz besonders schwer wiegt und bei denen das Sicherungsinteresse der Allgemeinheit ganz besonders hoch ist. Darunter zählen jedenfalls alle Verbrechen gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit und die sexuelle Selbstbestimmung. Zu fordern ist als Einschränkung, dass die prognostizierten Taten auch im Einzelfall besonders schwer wiegen, also mit Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren zu rechnen sein dürfte. Nur durch diese konkrete Betrachtung (vgl. zu einer ähnlichen Prognose § 100a Abs. 1 Nr. 2 StPO) kann eine Beschränkung auf schwerste Gewalt- und Sexualdelikte erreicht werden. Bei den gemeingefährlichen Straftaten ist eine Beschränkung auf solche Verbrechen notwendig, die konkrete Angriffe auf Leib und Leben beinhalten. Insgesamt dürften folgende Straftaten von Belang sein:

  • Mord (§ 211 StGB), Totschlag, auch im minder schweren Fall (§§ 212, 213 StGB), schwere Fälle der Aussetzung (§ 221 Abs. 2 Nr. 2 und Abs. 3 StGB),
  • schwere Fälle der Misshandlung von Schutzbefohlenen (§ 225 Abs. 3 StGB), Schwere Körperverletzung (§ 226 StGB), Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB),
  • Freiheitsberaubung in qualifizierten Fällen (§ 239 Abs. 3 Nr. 2 und Abs. 4 StGB), Erpresserischer Menschenraub (§ 239a StGB), Geiselnahme (§ 239 StGB)
  • schwerer sexueller Missbrauch von Kindern in schweren Fällen (§ 176a Abs. 2, 3, 5 StGB), Sexueller Missbrauch von Kindern mit Todesfolge (§ 176b StGB), Sexuelle Nötigung, Vergewaltigung in besonders schweren oder qualifizierten Fällen (§ 177 Abs. 2 bis 4 StGB), Sexuelle Nötigung und Vergewaltigung mit Todesfolge (§ 178 StGB), schwere Fälle des sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen (§ 179 Abs. 5 und 7 StGB).

Hinzu kommen nach § 66a Abs. 2 Nr. 1 StGB n. F. und der o. g. Einschränkung bestimmte Delikte des 28. Abschnitts sowie schwere Taten des Raubes, räuberischen Diebstahls oder der räuberischen Erpressung. Im Einzelnen also:

  • Besonders schwere Brandstiftung (§ 306b StGB), Brandstiftung mit Todesfolge (§ 306c StGB), schwere Fälle des Herbeiführens einer Explosion durch Kernenergie, soweit Leib und Leben eines Menschen gefährdet werden (§ 307 Abs. 1 und 3 StGB), schwere Fälle des Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion, soweit Leib und Leben eines Menschen gefährdet werden (§ 308 Abs. 1 bis 3 StGB), schwere Fälle des Missbrauchs ionisierender Strahlen (§ 309 Abs. 1 bis 4 StGB), gemeingefährliche Vergiftung (§ 314 StGB), Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer (§ 316a StGB), Angriffe auf den Luft- und Seeverkehr (§ 316c Abs. 1 und 2 StGB)
  • schwerer Raub (§ 250 StGB), Raub mit Todesfolge (§ 251 StGB), auch in Verbindung mit räuberischem Diebstahl (§ 252 StGB) oder räuberischer Erpressung (§ 255 StGB).

Auch eine vorsätzliche Tat des Vollrauschs (§ 323a StGB) kann eine schwerste Gewalt- oder Sexualstraftat sein, wenn die im Rausch begangene rechtswidrige Tat aus dem Katalog der eben genannten Delikte stammt (vgl. zur Gleichsetzung auch § 66 Abs. 3 S. 1 StGB). In der Praxis kommen Fälle vor, in denen mehrfach Tötungen

im Vollrausch begangen wurden (vgl. LG Berlin, Beschl. v. 11. 10. 2010 – 598 StVK 289/10). Gerade bei diesen Tätern kann die hochgradige Gefahr schwerster Gewalttaten bestehen (abzustellen ist bei der Beurteilung der Schwere auf die rechtswidrige Tat, nicht auf die persönliche Schuld des Täters).

b) Psychische Störung im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1 ThUG

Um den Anforderungen der EMRK weitestgehend zu entsprechen, darf bei Entscheidungen nach Fallgruppe 2 Sicherungsverwahrung oder deren Fortdauer nur angeordnet werden, wenn der Betroffene an einer psychischen Störung im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1 ThUG leidet. Diese Vorschrift knüpft an Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK an. Fraglich ist dabei einerseits, was unter einer solchen "psychischen Störung" zu verstehen ist, und andererseits, in welchem Verhältnis die Störung zu prognostizierten Taten oder gar der Anlasstat stehen muss.

Nach § 1 Abs. 1 ThUG ist in Fällen der Entlassung aus der Sicherungsverwahrung aufgrund des Rückwirkungsverbots die Unterbringung dieser Person in einer geeigneten geschlossenen Einrichtung möglich, wenn sie an einer psychischen Störung leidet und eine Gesamtwürdigung ihrer Persönlichkeit, ihres Vorlebens und ihrer Lebensverhältnisse ergibt, dass sie infolge ihrer psychischen Störung mit hoher Wahrscheinlichkeit das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung einer anderen Person erheblich beeinträchtigen wird, und die Unterbringung zur Sicherung der Allgemeinheit erforderlich ist.

Den Begriff der "psychischen Störung" definiert das ThUG nicht. Das BVerfG führt zu Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK Folgendes aus (Urteil Rdn. 152 f., Hervorhebungen durch Verf.):

"Das für diese Gewährleistung, soweit hier von Belang, zentrale Tatbestandsmerkmal des "unsound mind" setzt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte voraus, dass es sich um eine zuverlässig nachgewiesene psychische Störung ("true mental disorder") handelt, die eine zwangsweise Unterbringung erfordert ("warranting compulsory confinement"), und die fortdauert ("the validity of continued confinement must depend upon the persistence of such a disorder"). Eine abschließende Definition des Begriffs "true mental disorder" existiert nicht. Lediglich sozial abweichendes Verhalten stellt allerdings keine Störung im Sinne dieser Vorschrift dar. Eine dissoziale Persönlichkeitsstörung oder eine Psychopathie ("anti-social personality" oder "psychopathic disorder") können jedoch darunter fallen. Bei der Beurteilung der Frage, ob das Erfordernis der psychischen Störung im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK und ihrer Fortdauer erfüllt ist, besitzen die Mitgliedstaaten zudem einen Beurteilungsspielraum. Die Vorschrift verweist auf das nationale Recht.

Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK verlangt darüber hinaus, dass die gesetzlichen Regelungen des betreffenden Anordnungs- oder Überprüfungsverfahrens die Feststellung einer psychischen Störung im Sinne einer ausdrücklichen Tatbestandsvoraussetzung vorsehen."

Entscheidend kommt es für die Auslegung des Begriffs der "psychischen Störung" nach Auffassung des BVerfG auf das Verständnis des deutschen Gesetzgebers an, das seinen Ausdruck in § 1 Abs. 1 ThUG gefunden hat. Zur Auslegung des Begriffs ist, da es sich um ein ganz neues Gesetz handelt, maßgeblich auf die Gesetzesmaterialien zurückzugreifen. In der Gesetzesbegründung zu § 1 ThUG heißt es (BT-Drucks. 17/3403 S. 52 f.):

"Weitere und ganz zentrale Voraussetzung für die Anordnung der Therapieunterbringung ist das Vorliegen einer "psychischen Störung" und einer daraus resultierenden Gefährlichkeit der betroffenen Person (Nummer 1), die ihre Unterbringung zum Schutz der Allgemeinheit erforderlich machen muss (Nummer 2). Damit knüpft die Regelung an die vom EGMR zu Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK entwickelten Voraussetzungen für eine Freiheitsentziehung an. Die genannte Bestimmung der EMRK erlaubt ausdrücklich eine Freiheitsentziehung "bei psychisch Kranken" (in der englischen Fassung "persons of unsound mind" und in der französischen Fassung "d’un aliéné"). Schon die Menschenrechtskommission hatte unter diesen Begriff auch abnorme Persönlichkeitszüge gefasst, die nicht einer Geisteskrankheit gleichkommen. In einem Urteil aus dem Jahre 2003 stellte der EGMR klar, dass auch ein weiterhin abnorm aggressives und ernsthaft unverantwortliches Verhalten eines verurteilten Straftäters ausreichen kann und betonte, dass eine fehlende Behandelbarkeit im klinischen Sinne nicht zu einer Freilassung zwinge, wenn eine Gefahr für die Allgemeinheit bestehe. 2004 gelangte der EGMR zu der Feststellung, dass die strafrechtliche Verantwortlichkeit eines Straftäters eine (auch) auf Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK gestützte Unterbringung nicht ausschließe.
In diesem Sinne ist auch der Begriff der "psychischen Störung" in Nummer 1 zu verstehen, der sich zugleich an die Begriffswahl der heute in der Psychiatrie genutzten Diagnoseklassifikationssysteme ICD-10 (Internationale Statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme der WHO, 10. Revision, Kapitel V) bzw. DSM- IV (Diagnostisches und Statistisches Handbuch Psychischer Störungen der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung, 4. Auflage) anlehnt. Die Annahme einer der im ICD- 10 bzw. DSM-IV aufgeführten Diagnosen erfordert, dass sich ein klinisch erkennbarer Komplex von solchen Symptomen
oder Verhaltensauffälligkeiten zeigt, die mit Belastungen und Beeinträchtigungen auf der individuellen und oft auch der kollektiven oder sozialen Ebene verbunden sind. Soziale Abweichungen oder soziale Konflikte allein, ohne persönliche Beeinträchtigungen der betroffenen Person, werden danach nicht als eine psychische Störung bezeichnet. Spezifische Störungen der Persönlichkeit, des Verhaltens, der Sexualpräferenz, der Impuls- oder Triebkontrolle hingegen können sich als psychische Störung darstellen. Dies gilt insbesondere für die dissoziale Persönlichkeitsstörung und verschiedene Störungen der Sexualpräferenz, etwa die Pädophilie oder den Sadomasochismus. Letztlich deckt der Begriff der "psychischen Störung" ein breites Spektrum von Erscheinungsformen ab, von denen nur ein Teil in der psychiatrisch-forensischen Begutachtungspraxis als psychische Erkrankung gewertet wird."

Damit ist der Begriff der "psychischen Störung" sehr viel weitgehender als derjenige der schweren anderen seelischen Abartigkeit oder derjenige der krankhaften seelischen Störung i. S. von § 20 StGB. Störungen von solcher Schwere, wie es § 20 StGB erfordert, verlangt der Begriff nach Auffassung des zur Konkretisierung des Begriffs zuständigen deutschen Gesetzgebers eindeutig nicht. Der BGH hat in seiner jüngsten Entscheidung zur Umsetzung des BVerfG-Urteils folgendes ausgeführt:

"Der Senat merkt an, dass eine derartige psychische Störung, die – klar abweichend von den Voraussetzungen für eine Unterbringung nach § 63 StGB – nicht zu einer Einschränkung der Schuldfähigkeit nach §§ 20, 21 StGB geführt haben muss, nach den Erkenntnissen aus den Vorlegungsbeschlüssen der Oberlandesgerichte in allen drei verbundenen Sachen im Hinblick auf Persönlichkeitsstörungen der betroffenen Sicherungsverwahrten vorliegen dürfte." (BGH Beschl. v. 23. Mai 2011 – 5 StR 394/10 u. a., HRRS 2011 Nr. 637, Rdn. 7).

Anknüpfungspunkt für die Diagnostik sind die Klassifikationssysteme des ICD-10 und des DSM-IV. Lässt sich das diagnostizierte Störungsbild eindeutig einer der dort genannten spezifischen psychischen Störungen zuordnen, liegt grundsätzlich eine psychische Störung nahe. Der Gesetzgeber weist (s. o.) darauf hin, dass sich dabei ein klinisch erkennbarer Komplex von Symptomen oder Verhaltensauffälligkeiten zeigen muss, die mit Belastungen und Beeinträchtigungen auf der individuellen, kollektiven oder sozialen Ebene verbunden sind und mit persönlichen Beeinträchtigungen der betroffenen Person einhergehen. Bei Persönlichkeitsstörungen liegt nahe, diese auf der Grundlage bisheriger Rechtsprechung des BGH zu bloßen Persönlichkeitsakzentuierungen und unangepasstem Verhalten abzugrenzen, die noch nicht die Schwelle der "Persönlichkeitsstörung" erreichen (vgl. BGHSt 49, 45). Wichtig ist auch, dass die psychische Störung von einiger Dauer sein muss und nicht nur vorübergehend besteht.

Die Feststellung einer "psychischen Störung" im genannten Sinne wird nach bisheriger Erfahrung bei einer ganzen Reihe von Tätern vielfacher schwerster Gewalt- und Sexualdelikte naheliegen. Derartige Täter sind regelmäßig vielfach psychiatrisch begutachtet worden, wobei nicht selten psychische Störungen im genannten Sinne festgestellt worden sind. Das Vorliegen der psychischen Störung ist ausdrücklich vom Gericht festzustellen, wobei eine möglichst aktuelle Begutachtung zugrunde gelegt werden muss. Zu den besonders relevanten psychischen Störungen zählen etwa

  • Persönlichkeitsstörungen (vgl. BGH Beschl. v. 24. 5. 2011 – 5 StR 394/10 = HRRS 2011 Nr. 637 Rdn. 7 i. V. m. BGH Beschl. v. 9. 11. 2010 – 5 StR 394/10 = HRRS 2010 Nr. 1043 Rdn. 6 "histrionisch-dissoziale Persönlichkeit", Rdn. 14 "schwere Persönlichkeitsstörung mit sadistisch ausgerichteter Sexualdeviation" und Rdn. 22 "kombinierte Persönlichkeitsstörung )
  • Abhängigkeitsstörungen wie Alkoholabhängigkeit
  • Störungen der Sexualpräferenz wie Pädophilie oder Sadismus

Keine psychische Störung liegt hingegen vor, wenn die bisherigen Taten (und die prognostizierten) eher auf "rationaler" Grundlage begangen wurden, wie dies etwa bei etwa Auftragsmördern oder Bankräubern der Fall sein kann.

Die psychische Störung muss gerade die besondere Gefährlichkeit des Betroffenen bedingen, die seine Unterbringung erfordert. Häufig wird sich die psychische Störung schon bei den Anlasstaten ausgewirkt haben. Ein solcher Zusammenhang ist aber für die nunmehr zu treffende Entscheidung nicht von Belang; entscheidend sind vielmehr die Auswirkungen auf die aktuelle Gefährlichkeit.

Mit der Feststellung, dass der Betroffene an einer psychischen Störung leidet, ist es allein nicht getan, vielmehr muss der Bezug der Störung zur Gefährlichkeitsprognose hergestellt werden. Der Betroffene muss gerade aufgrund seiner Störung für die Allgemeinheit besonders gefährlich sein. Auch insoweit ist in Konsequenz des BVerfG-Urteils (vgl. etwa Rdn. 173) auf die Regelungen des ThUG zurückzugreifen. Erforderlich ist nach § 1 Abs. 1 ThUG, dass eine Gesamtwürdigung seiner Persönlichkeit, seines Vorlebens und seiner Lebensverhältnisse ergibt, dass der Betroffene infolge seiner psychischen Störung mit hoher Wahrscheinlichkeit das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung einer anderen Person erheblich beeinträchtigen wird, und die Unterbringung zur Sicherung der Allgemeinheit erforderlich ist. In der Gesetzesbegründung zu § 1 ThUG heißt es dazu (BT-Drucks 17/3403 S. 53):

"Das Vorliegen einer psychischen Störung allein reicht jedoch für die Anordnung der Therapieunterbringung nicht aus. Vielmehr muss eine
Gesamtwürdigung der Persönlichkeit, des Vorlebens und der Lebensverhältnisse ergeben, dass die betroffene Person infolge ihrer psychischen Störung mit hoher Wahrscheinlichkeit das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung einer anderen Person erheblich beeinträchtigen wird. Über das Erfordernis der Gefährlichkeitsprognose, die einen hohen Grad an Wahrscheinlichkeit verlangt, wird sichergestellt, dass eine Unterbringung nur bei störungsbedingten erheblichen Gefahren für besonders bedeutende Rechtsgüter Dritter in Betracht kommt. Dies entspricht auch der Vorgabe des EGMR in Bezug auf Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK, wonach "der Grad oder die Art der Geistesstörung eine zwangsweise Unterbringung rechtfertigen" muss. Die Gefährlichkeit der betroffenen Person muss im Sinne einer Kausalität auf der psychischen Störung beruhen. Grundlage der Gefährlichkeitsprognose ist eine Gesamtwürdigung, die sich vor allem auf die Persönlichkeit der betroffenen Person, also insbesondere ihre psychische Störung, beziehen muss, aber auch auf das – insbesondere kriminelle – Vorleben und die aktuellen Lebensverhältnisse…
Schließlich muss sich aus der störungsbedingten Gefährlichkeit der betroffenen Person ergeben, dass ihre Unterbringung zum Schutz der Allgemeinheit erforderlich ist (Nummer 2). Auch dieses Tatbestandsmerkmal trägt den Vorgaben sowohl des Grundgesetzes als auch der EMRK Rechnung, die eine Prüfung verlangen, ob nicht weniger belastende Maßnahmen zum Schutz der Allgemeinheit in Betracht kommen und ausreichen. Als milderes Mittel dürften insbesondere Maßnahmen im Rahmen der Führungsaufsicht anzusehen sein, wenn sie geeignet sind, die Gefährlichkeit der betroffenen Person auf ein Maß zu reduzieren, das unterhalb der für eine Unterbringung maßgeblichen Schwelle liegt."

Der Prognosemaßstab in § 1 Abs. 1 ThuG dürfte noch etwas unter den Anforderungen des BVerfG liegen, wonach die hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualverbrechen bestehen muss. Gutachten und Entscheidung des Gerichts haben also folgende drei Punkte abzuarbeiten:

  • Liegt eine psychische Störung im Sinne von ICD-10 oder DSM-IV vor?
  • Besteht aufgrund dieser psychischen Störung die hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten?
  • Ist die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zum Schutz der Allgemeinheit erforderlich oder reichen mildere Mittel, insb. Weisungen im Rahmen der Führungsaufsicht, aus?
c) Bewährung als milderes Mittel gegenüber der Fortdauer von Sicherungsverwahrung, wenn Erledigung nicht in Betracht kommt?

Gerade unter dem Gesichtspunkt des "milderen Mittels" stellt sich auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des BGH und des BVerfG die Frage, ob es bei über zehn Jahren hinaus vollzogenen "Altfällen" der Sicherungsverwahrung nicht in Einzelfällen möglich ist, den Betroffenen auf Bewährung aus der Maßregel zu entlassen, wenn einerseits zwar die Voraussetzungen der Fortdauer vorliegen und andererseits nur der mit der Bewährungsentscheidung einhergehende erhebliche Druck drohenden Bewährungswiderrufs geeignet ist, den Betroffenen zur Einhaltung gefährlichkeitsminimierender Regeln zu motivieren.

Der BGH und das BVerfG (sowie dem folgend das LG Berlin) haben klargestellt, dass zwischen den Alternativen Erledigung oder Fortdauer die Bewährungsentlassung entsprechend § 67d Abs. 2 StGB auch in Fällen in Frage kommt, bei denen das Gesetz an sich nur Erledigung oder Fortdauer der Sicherungsverwahrung vorsieht. Die Anwendung von § 67d Abs. 2 StGB in solchen Fällen wahrt die Interessen solcher Untergebrachter, deren Gefährlichkeit gerade nur durch den Druck drohenden Bewährungswiderrufs so weit herabgesetzt werden kann, dass eine Entlassung verantwortbar ist (vgl. BVerfGK 3, 127, 128; BGH, Beschl. v. 9. 11. 2010 – 5 StR 394/10 u. a. = HRRS 2010 Nr. 1043, LG Berlin Beschl. v. 4. April 2011 – 598 StVK 360/10, OLG Nürnberg NStZ-RR 2002, 208; Radtke NStZ 2010, 537, 545).

In seiner Entscheidung zur Umsetzung des BVerfG-Urteils hat der 5. Strafsenat des BGH ausdrücklich auf die Möglichkeit der Bewährungsaussetzung hingewiesen:

"Er weist ferner darauf hin, dass eine Aussetzung der Maßregel zur Bewährung nach § 67d Abs. 2 StGB (Anfragebeschluss BGH NJW 2011, 240 Rn. 47) nur bei Erfüllung der einschränkenden Vorgaben für die Maßregelfortdauer möglich, bejahendenfalls indes aus den im Anfragebeschluss (aaO) ausgeführten Gründen unter den dort genannten Voraussetzungen auxch nicht schlchthin ausgeschlossen ist." (BGH Beschl. v. 23. Mai 2011 – 5 StR 394/10 u. a. = HRRS 2011 Nr. 637 Rdn. 7).

Nach der Feststellung einer hochgradigen Gefahr schwerster Gewalt- und Sexualstraftaten im Falle einer Entlassung und der Feststellung einer psychischen Störung im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1 ThUG hat das Gericht also zu prüfen, ob die Maßnahmen der Führungsaufsicht die Gefahr soweit mindern können, dass sie zumindest nicht mehr "hochgradig" ist, oder ob etwa der Druck des Bewährungswiderrufs ausnahmsweise geeignet ist, die hochgradige Gefahr zu vermindern. Das LG Berlin hat eine solche Ausnahmekonstellation in einem Fall angenommen, in denen der Betroffene unter erheblichem Alkoholeinfluss bereits zwei Menschen getötet hatte,

allerdings seit längerem im Vollzug dem Alkohol entsagt hat. Nach Auffassung des psychiatrischen Sachverständigen (und dem folgend der Strafvollstreckungskammer) konnte nur das "Damoklesschwert" drohenden Bewährungswiderrufs (nebst weiteren Weisungen zur Kontrolle etc.) den Betroffenen so weitgehend zu einer Alkoholabstinenz motivieren (vgl. LG Berlin, Beschl.v. 12. 10. 2010 – 598 StVK 289/10).

B. Die aktuelle Rechtslage nach dem Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts

Nach der durch das Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und begleitender Regelungen (vom 22. 12. 2010, BGBl. I. S. 2300) erheblich veränderten aktuellen Rechtslage ist grundsätzlich zwischen Altfällen und Neufällen zu unterscheiden. Gemäß Art. 316e Abs. 1 Satz 1 EGStGB gelten die Vorschriften über die Sicherungsverwahrung in der Fassung des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22. 12. 2010 nur, wenn die Tat oder mindestens eine der Taten, wegen denen Sicherungsverwahrung angeordnet wird, ab dem 1. 1. 2011 begangen wurde. Dies ist eine "andere Bestimmung" im Sinne von § 2 Abs. 6 StGB, wonach ansonsten bei Anwendung von Maßregelrecht stets aktuelles Recht gilt

Gemäß Art. 316e Abs. 1 Satz 2 EGStGB gilt nur in zwei Fällen anderes: In laufenden Verfahren, in denen es um die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB geht, gilt die Neufassung von § 66 StGB, wenn dies das mildere Recht darstellt (vgl. Art. 316e Abs. 2 EGStGB). Eine nach § 66 StGB vor dem 1. 1. 2011 rechtskräftig angeordnete Sicherungsverwahrung wird durch die Strafvollstreckungskammer bis spätestens zum 1. 7. 2011 für erledigt erklärt, wenn ihre Anordnung ausschließlich auf Taten beruht, die nach der Neufassung eine solche Anordnung nicht mehr rechtfertigen könnten (insb. reine Eigentums- oder Vermögensdelikte).

Somit ergibt sich der folgende Rechtszustand:

I. Neufälle

1. Originäre Sicherungsverwahrung

Für alle Neufälle (die Tat oder mindestens eine der Taten, wegen denen Sicherungsverwahrung angeordnet wird, ist ab dem 1. 1. 2011 begangen) gilt § 66 StGB in der Fassung ab 1. 1. 2011 (vgl. Art. 316e Abs. 1 EGStGB, siehe Anhang), allerdings nach Maßgabe der Gründe des Urteils des BVerfG (Rdn. 172, siehe oben Fallgruppe 1).

Verändert hat sich insbesondere, dass nunmehr ein bestimmter Katalog möglicher Anlasstaten (§ 66 Abs. 1 Nr. 1 StGB n. F.) die Anwendung der Sicherungsverwahrung wesentlich beschränkt. Erfasst werden allerdings nicht nur schwere Gewalt- und Sexualstraftaten, sondern etwa auch Taten nach dem Betäubungsmittelgesetz, gemeingefährliche Straftaten oder ein Verstoß gegen Weisungen im Rahmen der Führungsaufsicht. Dieser Änderung korrespondiert eine Änderung des Prognosemaßstabes; erforderlich ist die Prognose eines Hanges zu Straftaten, durch welche die Opfer körperlich oder seelisch schwer geschädigt werden, während bislang auch die Erwartung schwerer wirtschaftlicher Schäden ausreichte.

Eine weitere Änderung bringt eine Verschärfung der Rückfallverjährung: Bislang galt hier einheitlich ein Zeitraum von 5 Jahren (§ 66 Abs. 4 Satz 3 StGB a. F.), während nunmehr bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung die Frist auf 15 Jahre ausgeweitet wurde (vgl. § 66 Abs. 4 Satz 3 Halbsatz 2 StGB n. F.).

Lediglich klargestellt wurde, dass die Gefährlichkeit im Zeitpunkt der Aburteilung entscheidend ist (was bisheriger Rspr. entsprach, vgl. § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB n. F.).

Bei Jugendlichen und Heranwachsenden ist die anfängliche Sicherungsverwahrung weiter ausgeschlossen (§ 7 Abs. 1 JGG, § 106 Abs. 3 Satz 1 JGG).

2. Vorbehalt der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung

Für alle Neufälle (die Tat oder mindestens eine der Taten, wegen denen Sicherungsverwahrung angeordnet wird, ist ab dem 1. 1. 2011 begangen) gilt § 66a StGB in der Fassung ab 1. 1. 2011 (vgl. Art. 316e Abs. 1 EGStGB, siehe Anhang), allerdings nach Maßgabe der Gründe des Urteils des BVerfG (Rdn. 172, siehe oben Fallgruppe 1).

Der Vorbehalt der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung ist im Vergleich zum bisherigen Recht wesentlich ausgeweitet worden.

Der neue § 66a Abs. 1 StGB gleicht § 66a Abs. 1 StGB a. F. (Anknüpfung an § 66 Abs. 3 StGB). Allerdings ist der Maßstab der Hangwahrscheinlichkeit verändert. Nach bisheriger Rspr. des BGH (BGHSt 50, 188, 194 ff. = HRRS 2005 Nr. 634; hierzu näher Fischer, StGB, 57. Aufl., § 66a Rdn. 5 m.w.N.) musste das Tatgericht einen "Hang" mit Sicherheit feststellen, was der Intention des Gesetzgebers widersprach. Dieser hat nun klargestellt, dass die Gefährlichkeit infolge des Hangs "nicht mit hinreichender Sicherheit feststellbar, aber wahrscheinlich" sein muss. Damit bleibt für die Anwendung von § 66a Abs. 1 StGB nur ein schmaler Anwendungsbereich, nämlich die Konstellation, dass Gefährlichkeit und Hang zwar wahrscheinlich, aber noch nicht sicher feststellbar sind (vgl. Kinzig NJW 2011, 177, 179). Allerdings reicht für die Anordnung der im Verhältnis zu § 66a StGB weiter vorrangigen Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB auch eine bestimmte Wahrscheinlichkeit (vgl. Kinzig a. a. O.).

Wesentliche Änderungen gibt es bei § 66a Abs. 2 StGB, der in gewisser Weise an den aufgehobenen § 66b Abs. 2 StGB a. F. anknüpft und nunmehr erstmals bei besonders gravierenden Ersttaten bereits den Vorbehalt der Sicherungsverwahrung ermöglicht, ohne für die spätere An-

ordnung neue Tatsachen (Nova) zu verlangen (vgl. auch Kinzig NJW 2011, 177, 179). Hier gilt für Hang und Gefährlichkeit, dass diese entweder mit hinreichender Sicherheit feststellbar oder zumindest wahrscheinlich sein müssen. Voraussetzung ist wiederum, dass die Anordnung von Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB n. F. ausscheidet.

Unterschiede gibt es auch bei der Anordnung vorbehaltener Sicherungsverwahrung hinsichtlich des möglichen Zeitrahmens der Entscheidung. Die Entscheidung des Gerichts im ersten Rechtszug kann nunmehr bis zur vollständigen Vollstreckung der Freiheitsstrafe ergehen, wobei dies auch für Fälle gilt, in denen ein Strafrest nach Bewährungswiderruf vollstreckt wird (§ 66a Abs. 3 Satz 1 StGB n. F.). Der Anordnungsmaßstab hat sich im Vergleich zum alten Recht nicht geändert (§ 66a Abs. 3 Satz 2 StGB n. F.). Bei der Prognosegrundlage hat der Gesetzgeber im neuen Recht aber die Relevanz der Vollzugsentwicklung relativiert, diese soll nur noch "ergänzend" von Belang sein. Indes ist praktisch kaum vorstellbar, dass eine Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten, die nach wie vor für diese Prognose verlangt wird, ohne eine Würdigung der Entwicklung des Verurteilten im Vollzug möglich ist. Ein "Hang" ist für die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach wie vor nicht notwendig, während er für die Anordnung des Vorbehalts weiter relevant bleibt (vgl. zur Kritik Kinzig NJW 2011, 177, 180).

Die Anordnung des Vorbehalts der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung ist weiterhin als Ermessensvorschrift ausgestaltet; die Anordnung muss – wie bislang – auch unter Berücksichtigung der Strafhöhe unerlässlich sein (vgl. Kinzig NJW 2011, 177, 179 m. w. N.).

Bei Heranwachsenden gibt es weiterhin die Möglichkeit des Vorbehalts der Sicherungsverwahrung nach § 106 Abs. 3 Satz 2 JGG, sofern die übrigen Voraussetzungen des § 66 StGB vorliegen und weitere einschränkende Bedingungen erfüllt sind. Das Verfahren zur Anordnung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung richtet sich nach § 66a Abs. 3 StGB n. F. (vgl. § 106 Abs. 3 Satz 3 JGG n. F.).

3. Nachträgliche Sicherungsverwahrung
a) Bei Erwachsenen

In Neufällen beschränkt sich der Anwendungsbereich der nachträglichen Sicherungsverwahrung bei Erwachsenen auf Fälle der Erledigung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, weil der die Schuldfähigkeit ausschließende oder vermindernde Zustand, auf dem die Einweisung beruhte, nicht mehr besteht oder nie bestand. Es gilt § 66b StGB in der Fassung ab 1. 1. 2011 (vgl. Art. 316e Abs. 1 EGStGB, siehe Anhang), allerdings nach Maßgabe der Gründe des Urteils des BVerfG (Rdn. 172, siehe oben Fallgruppe 1).

Zwei wesentliche Änderungen sind hier relevant (vgl. auch Kinzig NJW 2011, 177, 180): Zum einen wurde (im Anschluss an eine Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen, vgl. BGHSt 52, 379 = HRRS 2008 Nr. 1144) durch Anfügung von § 66b Satz 2 StGB n. F. klargestellt, dass diese Form der nachträglichen Sicherungsverwahrung auch möglich ist, wenn im Anschluss an die Unterbringung nach § 63 StGB noch eine daneben angeordnete Freiheitsstrafe ganz oder teilweise zu vollstrecken ist (a. A. bislang BGH). Zum anderen ist durch § 66b Nr. 2 StGB n. F. klargestellt, dass es für die Prognosegrundlage nicht allein auf die Entwicklung während des Vollzugs der Maßregel (vgl. § 66b Abs. 3 Nr. 2 StGB a. F.), sondern auf die Entwicklung bis zur Entscheidung ankommt (was allerdings auch bislang schon von Relevanz war).

b) Bei Heranwachsenden

In Neufällen kann bei Heranwachsenden nachträgliche Sicherungsverwahrung wie bislang nicht nur bei Erledigung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus unter etwas strengeren Voraussetzungen als bei Erwachsenen angeordnet werden (vgl. § 106 Abs. 6 JGG n. F.), sondern weiterhin ist – anders als bei Erwachsenen – die Anordnung nachträglicher Sicherungsverwahrung in bestimmten Fällen möglich (vgl. § 106 Abs. 5 JGG). § 106 Abs. 5 JGG wurde durch das Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und begleitender Regelungen (vom 22. 12. 2010, BGBl. I. S. 2300) nicht geändert.

Nach dem BVerfG gilt § 106 Abs. 5 JGG nach Maßgabe der Gründe des Urteils des BVerfG (Rdn. 172) im Sinne der Fallgruppe 1. Da die Regelung allerdings § 66b Abs. 2 StGB a. F. und § 7 Abs. 2 JGG sehr ähnlich ist und dort das BVerfG verschärfte Anwendungsvoraussetzungen formuliert hat, sollte der erhöhte Maßstab des BVerfG gemäß der oben genannten Fallgruppe 2 immer zur Anwendung gelangen.

Das Verfahren über die Anordnung der Sicherungsverwahrung ist für Heranwachsende und Jugendliche nunmehr in § 81a JGG n. F. geregelt.

c) Bei Jugendlichen

In Neufällen kann bei Jugendlichen wie bei Heranwachsenden nachträgliche Sicherungsverwahrung nicht nur wie bislang bei Erledigung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus unter etwas strengeren Voraussetzungen als bei Erwachsenen angeordnet werden (vgl. § 7 Abs. 3 JGG n. F.), sondern weiterhin ist – anders als bei Erwachsenen – die Anordnung nachträglicher Sicherungsverwahrung in bestimmten Fällen möglich (vgl. § 7 Abs. 2 JGG). § 7 Abs. 2 JGG wurde durch das Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und begleitender Regelungen (vom 22. 12. 2010, BGBl. I. S. 2300) nicht geändert.

Nach dem BVerfG gilt § 7 Abs. 2 JGG allerdings nur mit den für Fallgruppe 2 genannten erheblichen Einschränkungen im Sinne des Tenors zu III. 2. a).

Das Verfahren über die Anordnung der Sicherungsverwahrung ist für Heranwachsende und Jugendliche nunmehr in § 81a JGG n. F. geregelt.

II. Altfälle, bei denen sämtliche Taten sind vor dem 1. 1. 2011 begangen worden sind

1. Originäre Sicherungsverwahrung

Grundsätzlich ordnet Art. 316e Abs. 1 Satz 2 EGStGB in Abweichung von § 2 Abs. 6 StGB die Fortgeltung des früheren Rechts für Altfälle an. Zwei Ausnahmen gibt es allerdings:

  • § 66 StGB n. F. erweist sich als milderes Recht gegenüber § 66 StGB a. F. (Art. 316e Abs. 2 EGStGB)
  • beruht die Anordnung der SV allein auf Taten, die nach der Neufassung nicht mehr Grundlage für die Anordnung von SV sein können (insb. reine Eigentums- und Vermögensdelikte), erklärt das Gericht die SV bis spätestens 1. 7. 2011 für erledigt (Art. 316e Abs. 3 EGStGB).

Entscheidend bei der Anwendung auf Altfälle ist in aller Regel die Veränderung des Katalogs der Anlasstaten. Das neue Recht ist dort häufig milder, kann aber auch schärfer als die Altregelung sein, etwa hinsichtlich der Verlängerung der "Rückfallverjährung" bei Sexualstraftaten von 5 auf 15 Jahre (vgl. § 66 Abs. 4 S. 3 Halbsatz 2 StGB n. F.).

Bei allen Altfällen gilt die Einschränkung, dass sich der Maßstab der Prognose durch die Entscheidung des BVerfG entscheidend verändert hat (vgl.oben Fallgruppe 1).

2. Vorbehalt der Anordnung von Sicherungsverwahrung

Sind sämtliche Taten, wegen denen der Vorbehalt der Sicherungsverwahrung angeordnet werden soll, vor dem 1. 1. 2011 begangen worden, gilt § 66a StGB a. F. Im Unterschied zur Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB ordnet Art. 316e Abs. 1 StGB insoweit ausnahmslos die Geltung des früheren Rechts an. Dies stellt eine "andere gesetzliche Regelung" im Sinne von § 2 Abs. 6 StGB dar. Auch hier gelten die Einschränkungen des BVerfG gemäß oben Fallgruppe 1).

3. Anordnung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung

Die Fortgeltung alten Rechts für "Altfälle" gilt nach dem Willen des Gesetzgebers auch für die spätere Entscheidung des Gerichts darüber, ob eine vorbehaltene Sicherungsverwahrung endgültig angeordnet wird oder nicht, also auch für alle mit der Entscheidung zusammenhängenden verfahrensrechtlichen Regelungen (vgl. BT-Drucks. 17/3403 S. 79) und die dazugehörige höchstrichterliche Rechtsprechung. Auch bei dieser Entscheidung muss den veränderten Maßstäben des BVerfG Rechnung getragen werden (oben Fallgruppe 1).

4. Nachträgliche Sicherungsverwahrung

Die Vorschriften über die nachträgliche Sicherungsverwahrung (§ 66b StGB a. F.) sind nach ausdrücklicher Anordnung des Gesetzgebers gemäß Art. 316e Abs. 1 StGB auf "Altfälle" ausnahmslos anwendbar (vgl. zur Rechtfertigung BT-Drucks. 17/3403 S. 79 f.). Dies stellt eine "andere gesetzliche Regelung" im Sinne von § 2 Abs. 6 StGB dar. Auch nach der Entscheidung des BVerfG sind diese Vorschriften noch bis längstens 31. Mai 2013 anwendbar, allerdings nur unter besonders eingeschränkten Voraussetzungen. Hier ist im Einzelnen zwischen den verschiedenen Formen der nachträglichen Sicherungsverwahrung zu unterscheiden.

Bei § 66b Abs. 2 StGB a. F. und § 7 Abs. 2 JGG ist die Anordnung oder Fortdauer von Sicherungsverwahrung nur möglich, wenn eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist und dieser an einer psychischen Störung i.S. von § 1 Abs. 1 Nr. 1 ThuG leidet. Aus Gründen der Gleichbehandlung sollte dies auch – siehe oben – für die nachträgliche Sicherungsverwahrung nach § 66b Abs. 1 StGB und bei Heranwachsenden in Fällen des § 106 Abs. 5 JGG gelten (siehe oben Fallgruppe 2).

In allen anderen Fällen nachträglicher Sicherungsverwahrung (bei Erledigung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 66b Abs. 3 StGB a. F., § 7 Abs. 3 JGG a. F. und § 106 Abs. 6 JGG a. F.) bleibt es bei der Anwendung des alten Rechts incl. der hierzu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung. So gilt § 66b Satz 2 StGB n. F. etwa bei Altfällen nicht. Zu beachten ist der veränderte Maßstab des BVerfG gemäß Fallgruppe 1).

III. Entscheidungen über den Vollzug oder die Fortdauer von Sicherungsverwahrung

1. Entscheidung über den Vollzug der Sicherungsverwahrung nach § 67c Abs. 1 StGB

Bei der Entscheidung über den Vollzug der Sicherungsverwahrung nach § 67c Abs. 1 StGB ist den geänderten Maßstäben des BVerfG gemäß Fallgruppe 1 Rechnung zu tragen. Dies ergibt sich aus einer verfassungskonformen Auslegung der entsprechenden Vorschriften, weil die Entscheidung des BVerfG auch bei dieser Entscheidung zu berücksichtigen ist (vgl. oben). Erforderlich ist also, dass die Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualstrafen aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist.

2. Entscheidung über die Fortdauer vollzogener Sicherungsverwahrung
a) Entscheidungen über die Fortdauer "normaler" Sicherungsverwahrung (§ 67d Abs. 2 StGB)

Bei der Entscheidung über die Fortdauer "normaler" Sicherungsverwahrung nach § 67d Abs. 2 StGB ist den geänderten Maßstäben des BVerfG gemäß Fallgruppe 1 Rechnung zu tragen. Dies ergibt sich (angesichts des insoweit etwas unklaren Tenors) zumindest aus einer verfassungskonformen Auslegung der entsprechenden Vorschriften, weil die Entscheidung des BVerfG auch bei dieser Entscheidung zu berücksichtigen ist (vgl. oben).

Erforderlich für die Fortdauerentscheidung ist also, dass die Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualstrafen aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist.

Eine Verkürzung des Überprüfungszeitraums ergibt sich in "Normalfällen" nicht. Soweit von Verteidigungsseite teilweise vertreten wird, schon jetzt müsse in verfassungskonformer Anwendung der weiter geltenden, aber mit der Verfassung unvereinbaren Normen über die Sicherungsverwahrung bei jedweder Sicherungsverwahrung die Überprüfungsfrist auf ein Jahr verkürzt werden, kann dem nicht gefolgt werden. Zwar ist aufgrund der Unvereinbarkeit der Normen über die Sicherungsverwahrung mit dem Grundgesetz für die Übergangszeit zu beachten, dass Eingriffe nur soweit reichen dürfen, wie sie unerlässlich sind, um die Ordnung des betroffenen Lebensbereichs aufrechtzuerhalten, und die Regelungen nur nach Maßgabe einer strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung angewandt werden dürfen (BVerfG a. a. O. Rdn. 172). Allerdings hat das BVerfG in seiner Entscheidung selbst die wesentliche Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dahingehend vorgenommen, dass sich die Einschränkungen vornehmlich auf die Änderung der Gefahrprognose beziehen (a. a. O. Rdn. 172).

Keinesfalls können – wie von Verteidigern vertreten wird – die sieben an den Gesetzgeber gerichteten Forderungen des BVerfG (a. a. O. Rdn. 111 ff.) in Umsetzung verfassungskonformer Auslegung schon jetzt als geltendes Recht behauptet werden. Das BVerfG hat ausdrücklich nur in Fällen erhöhten Vertrauensschutzes eine verkürzte Überprüfungsfrist vorgesehen, in den anderen Fällen gerade nicht. Es wäre geradezu widersinnig, aus der BVerfG-Entscheidung herauslesen zu wollen, auch in allen anderen Fällen verkürze sich die Überprüfungsfrist auf ein Jahr, obwohl das BVerfG dies ausdrücklich nur für einen ganz eng umgrenzten Teilbereich angeordnet hat.

Selbstverständlich kann das Gericht jederzeit die Fortdauer der Unterbringung überprüfen und muss dies tun, wenn Anlass dazu besteht. Dies ist etwa der Fall, wenn sich aus den bisherigen Entscheidungen ergibt, dass die Voraussetzungen für eine Fortdauer (Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualstrafen) nach den bisherigen Entscheidungen offensichtlich nicht vorliegen oder doch sehr zweifelhaft sind. Dann ist die Sache durch die Staatsanwaltschaft unverzüglich der Strafvollstreckungskammer für eine vorzeitige Überprüfung anhand der gewandelten Maßstäbe gemäß dem Urteil des BVerfG vorzulegen. Eine Erledigung der Sicherungsverwahrung muss etwa erfolgen, wenn lediglich die Gefahr besteht, dass der Betroffene Straftaten nach dem BtMG begeht, denn dabei handelt es sich nicht um schwere "Gewalttaten" (s. o.). Für die Entscheidung, ob ein Ausnahmefall im eben genanten Sinne vorliegt, muss die Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde alle Fälle derzeit vollzogener Sicherungsverwahrung dahingehend überprüfen, ob sich aus dem Akteninhalt Handlungsbedarf und die Notwendigkeit vorgezogener Überprüfung ergibt.

In anderen Fällen muss aber auch kein Anlass für eine vorgezogene förmliche Überprüfung bestehen, etwa wenn – wie vielfach – die bisherigen Entscheidungen ohne weiteres auch dem erhöhten Prognosemaßstab des BVerfG gerecht werden. Dann besteht regelmäßig kein Anlass, eine noch nicht anstehende gerichtliche Überprüfung vorzuziehen oder in allen Fällen ein neues Gutachten einzuholen, sofern das letzte Gutachten noch brauchbar erscheint.

b) Überprüfung des Vollzugs von Sicherungsverwahrung, die nach der Neuregelung nicht mehr angeordnet werden dürfte (insb. bei Eigentums- und Vermögensdelikten)

Beruht die Anordnung der Sicherungsverwahrung allein auf Taten, die nach der Neufassung nicht mehr Grundlage für die Anordnung von SV sein können (insb. reine Eigentums- und Vermögensdelikte), erklärt das Gericht die Sicherungsverwahrung bis spätestens 1. 7. 2011 für erledigt (Art. 316e Abs. 3 EGStGB; vgl. hierzu OLG Nürnberg, Beschl. v. 1. 4. 2011 – 1 Ws 118/11). Zuständig ist die Strafvollstreckungskammer, der durch die Staatsanwaltschaft alle entsprechenden Verfahren unverzüglich vorzulegen sind (müsste bereits geschehen sein, vgl. Art. 316e Abs. 3 StGB).

c) Entscheidung über den Vollzug von Sicherungsverwahrung über zehn Jahre hinaus nach § 67d Abs. 3 StGB

Hier ist nach der Entscheidung des BVerfG zwischen Altfällen und Neufällen zu unterscheiden.

Bei Altfällen, d. h. Fällen, in denen die Anlasstat bzw. die Anlasstaten vor dem 31. Januar 1998 begangen wurden, ist eine Fortdauer nur noch nach dem

verschärften Maßstab des BVerfG dann möglich, wenn eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist und dieser an einer psychischen Störung i.S. von § 1 Abs. 1 Nr. 1 ThuG leidet.

In allen diesen Fällen muss unverzüglich eine Überprüfung stattfinden, ob die Voraussetzungen der Fortdauer einer Sicherungsverwahrung noch vorliegen, anderenfalls spätestens zum 31. 12. 2011 die Freilassung angeordnet werden muss. Die Überprüfungsfrist beträgt in diesen Fällen nunmehr ein Jahr. Ist bereits ein Jahr seit der letzten Fortdauerentscheidung vergangen, sind die Akten durch die Staatsanwaltschaft unverzüglich der Strafvollstreckungskammer vorzulegen.

In Neufällen gilt das zu a) Ausgeführte entsprechend.

d) Entscheidung über die Fortdauer des Vollzugs nachträglicher Sicherungsverwahrung nach § 67d Abs. 2 StGB

Hier ist nach der Entscheidung des BVerfG zwischen folgenden Fällen zu unterscheiden.

Liegt ein Fall nachträglicher Sicherungsverwahrung bei vorheriger Erledigung einer Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus vor, bleibt es bei den bisherigen Regelungen; es gilt allerdings das zu a) Ausgeführte entsprechend.

Liegt ein Fall nachträglicher Sicherungsverwahrung nach § 66b StGB a. F. und § 7 Abs. 2 JGG (sowie § 106 Abs. 5 JGG, s. o.) vor, ist eine Fortdauer nur noch nach dem verschärften Maßstab des BVerfG dann möglich, wenn eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist und dieser an einer psychischen Störung i.S. von § 1 Abs. 1 Nr. 1 ThuG leidet. In allen diesen Fällen muss unverzüglich eine Überprüfung stattfinden, ob die Voraussetzungen der Fortdauer einer Sicherungsverwahrung noch vorliegen, anderenfalls spätestens zum 31. 12. 2011 die Freilassung angeordnet werden muss. Die Überprüfungsfrist beträgt in diesen Fällen nunmehr ein Jahr bei § 66b Abs. 2 StGB a. F. und sechs Monate bei § 7 Abs. 2 JGG (sowie entsprechend wohl auch bei § 106 Abs. 5 JGG-Fällen).

C. Auswirkungen auf den derzeitigen Vollzug der Sicherungsverwahrung

Von Verteidigerseite wird teilweise vertreten, aufgrund der Unvereinbarkeit der Normen über die Sicherungsverwahrung mit dem Grundgesetz müsse schon im Strafvollzug bis zur Einführung des neuen Rechts alles das bedacht und ausgeführt werden, was das BVerfG dem Gesetzgeber als Rahmen einer verfassungskonformen Neuregelung aufgegeben habe (Urteil Rdn. 111 ff.). So habe etwa die Gestaltung des Vollzugsrahmens dem spezialpräventiven Charakter der Sicherungsverwahrung Rechnung zu tragen (Urteil Rdn. 115), es müssten frühzeitig Vollzugslockerungen zum Zweck der Erprobung einsetzen (Urteil Rdn. 116) und dem Betroffenen müsse ein effektiv durchsetzbare Rechtsanspruch insoweit eingeräumt werden (Rdn. 117), zudem müsse die Fortdauer der Sicherungsverwahrung schon jetzt in jährlichem Turnus erfolgen (Urteil Rdn. 118). Dies folge daraus, dass für die Übergangszeit Eingriffe nur soweit reichen dürfen, wie sie unerlässlich sind, um die Ordnung des betroffenen Lebensbereichs aufrechtzuerhalten, und die Regelungen nur nach Maßgabe einer strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung angewandt werden dürfen (BVerfG a. a. O. Rdn. 172).

M. E. dürfte die Überlegung, schon jetzt müsste bei jeder Entscheidung darauf geachtet werden, dass sie dem vom BVerfG als Forderung an den Gesetzgeber formulierten Auftrag im Ergebnis möglichst nahe kommt, auf einem systematischen Fehlverständnis der Entscheidung des BVerfG beruhen. Das BVerfG hat mit Gesetzeskraft angeordnet, dass die bisherigen Regelungen über die Sicherungsverwahrung weiter in Kraft bleiben und selbst ganz überwiegend diejenigen Einschränkungen ausdrücklich formuliert, unter denen dieses Übergangsrecht gilt. Das vom Gesetzgeber auszugestaltende Regelungskonzept muss als Gesamtkonzept dabei bestimmten Vorgaben entsprechen (Urteil Rdn. 111 ff.). Keineswegs gibt es aber jetzt schon einen Rechtsanspruch auf Herstellung dieses Konzepts oder bestimmter Einzelheiten unter Fortgeltung eines ganz anderen Rechtszustandes. Die Übergangsregelung soll (lediglich) die Wahrung verfassungsrechtlicher Mindestanforderungen sicherstellen (Urteil Rdn. 172).

Richtig ist allerdings, dass nach dem BVerfG (Urteil Rdn. 172) bei jeder Rechtsanwendung auf der Grundlage des weiter geltenden Rechts dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz besonderes Gewicht zukommt. Dies geschieht in der Regel durch Veränderung des Prognosemaßstabes bei den Entscheidungen über die Anordnung, Invollzugsetzung und Fortdauer der Sicherungsverwahrung. Aber auch bei Einzelentscheidungen im Vollzug der Sicherungsverwahrung ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nunmehr (wie allerdings auch schon zuvor) besonders zu beachten. Dies kann bei Abwägungsentscheidungen Änderungen der bisherigen Vollzugspraxis erfordern. Allerdings sind bei diesen Entscheidungen nach wie vor auch die Sicherheitsbelange potentieller Opfer schwerster Gewalt- und Sexualstraftaten mit in die Abwägung einzubeziehen.

Anhang: Gesetzesmaterialien

Kursiv = nach dem Tenor der BVerfG-Entscheidung unvereinbar mit GG, anwendbar bis 31. Mai 2013 nach Maßgabe der Gründe (Tenor III 1.)

Unterstrichen = anwendbar bis 31. Mai 2013 nach Maßgabe des Tenors, unverzügliche Überprüfung von Altfällen, Entscheidung bis 31. 12. 2011 (Tenor III 2.)

1. Strafgesetzbuch

§ 66 Unterbringung in der Sicherungsverwahrung

Fassung vom 22. 12. 2010, gültig ab 1. 1. 2011 = komplett unvereinbar (Tenor II 1. b)

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1. jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die

a) sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,

b) unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder

c) den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,

2. der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,

3. er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und

4. die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder

körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.

Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach den §§ 174 bis 174c, 176, 179 Abs. 1 bis 4, § 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

§ 66 Unterbringung in der Sicherungsverwahrung

Fassung vom 27. 12. 2003, gültig ab 1. 4. 2004 = komplett unvereinbar (Tenor II 1. b)

(1) Wird jemand wegen einer vorsätzlichen Straftat zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so ordnet das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1. der Täter wegen vorsätzlicher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,

2. er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und

3. die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, daß er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, für die Allgemeinheit gefährlich ist.

(2) Hat jemand drei vorsätzliche Straftaten begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Nr. 3 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Nr. 1 und 2) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines Verbrechens oder wegen einer Straftat nach den §§ 174 bis 174c, 176, 179 Abs. 1 bis 4, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat ein Verbrechen oder eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Nr. 2 und 3 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Nr. 3 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Nr. 1 und 2) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Nr. 1 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Nr. 2. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine vorsätzliche Tat, in den Fällen des Absatzes 3 eine der Straftaten der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

§ 66a Vorbehalt der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung

Fassung vom 22. 12. 2010, gültig ab 1. 1. 2011 = komplett unvereinbar (Tenor II 1. b)

(1) Das Gericht kann im Urteil die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten, wenn

1. jemand wegen einer der in § 66 Absatz 3 Satz 1 genannten Straftaten verurteilt wird,

2. die übrigen Voraussetzungen des § 66 Absatz 3 erfüllt sind, soweit dieser nicht auf § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 verweist, und

3. nicht mit hinreichender Sicherheit feststellbar, aber wahrscheinlich ist, dass die Voraussetzungen des § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 vorliegen.

(2) Einen Vorbehalt im Sinne von Absatz 1 kann das Gericht auch aussprechen, wenn

1. jemand zu einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren wegen eines oder mehrerer Verbrechen gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit, die sexuelle Selbstbestimmung, nach dem Achtundzwanzigsten Abschnitt oder nach den§§ 250, 251, auch in Verbindung mit § 252 oder § 255, verurteilt wird,

2. die Voraussetzungen des § 66 nicht erfüllt sind und

3. mit hinreichender Sicherheit feststellbar oder zumindest wahrscheinlich ist, dass die Voraussetzungen des § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 vorliegen.

(3) Über die nach Absatz 1 oder 2 vorbehaltene Anordnung der Sicherungsverwahrung kann das Gericht im ersten Rechtszug nur bis zur vollständigen Vollstreckung der Freiheitsstrafe entscheiden; dies gilt auch, wenn die Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung ausgesetzt war und der Strafrest vollstreckt wird. Das Gericht ordnet die Sicherungsverwahrung an, wenn die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Tat oder seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass von ihm erhebliche Straftaten zu erwarten sind, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.

§ 66a Vorbehalt der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung

Fassung vom 21. 08. 2002, gültig ab 28. 8. 2002 = Abs. 1 und 2 unvereinbar (Tenor II 1. b)

(1) Ist bei der Verurteilung wegen einer der in § 66 Abs. 3 Satz 1 genannten Straftaten nicht mit hinreichender Sicherheit feststellbar, ob der Täter für die Allgemeinheit im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 3 gefährlich ist, so kann das Gericht die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten, wenn die übrigen Voraussetzungen des § 66 Abs. 3 erfüllt sind.

(2) Über die Anordnung der Sicherungsverwahrung entscheidet das Gericht spätestens sechs Monate vor dem Zeitpunkt, ab dem eine Aussetzung der Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung nach § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, auch in Verbindung mit § 454b Abs. 3 der Strafprozessordnung, möglich ist. Es ordnet die Sicherungsverwahrung an, wenn die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Taten und seiner Entwicklung während des Strafvollzuges ergibt, dass von ihm erhebliche Straftaten zu erwarten sind, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.

(3) Die Entscheidung über die Aussetzung der Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung darf erst nach Rechtskraft der Entscheidung nach Absatz 2 Satz 1 ergehen. Dies gilt nicht, wenn die Voraussetzungen des § 57 Abs. 2 Nr. 2 offensichtlich nicht vorliegen.

§ 66b Nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung

Fassung vom 22. 12. 2010, gültig ab 1. 1. 2011 = komplett unvereinbar (Tenor II 1. b)

Ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 67d Abs. 6 für erledigt erklärt worden, weil der die Schuldfähigkeit ausschließende oder vermindernde Zustand, auf dem die Unterbringung beruhte, im Zeitpunkt der Erledigungsentscheidung nicht bestanden hat, so kann das Gericht die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nachträglich anordnen, wenn

1. die Unterbringung des Betroffenen nach § 63 wegen mehrerer der in § 66 Abs. 3 Satz 1 genannten Taten angeordnet wurde oder wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer solcher Taten, die er vor der zur Unterbringung nach § 63 führenden Tat begangen hat, schon einmal zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt oder in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden war und

2. die Gesamtwürdigung des Betroffenen, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.

Dies gilt auch, wenn im Anschluss an die Unterbringung nach § 63 noch eine daneben angeordnete Freiheitsstrafe ganz oder teilweise zu vollstrecken ist.

§ 66b Nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung

Abs. 1 (Tenor II 1. b) und Absatz 2 unvereinbar (Tenor II 1. a und 2.) i. d. Fassung vom 13. 04. 2007, Abs. 3 unvereinbar i. d. Fassung ab 23. 7. 2004 (Tenor II 1. b)

(1) Werden nach einer Verurteilung wegen eines Verbrechens gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung oder eines Verbrechens nach den §§ 250, 251, auch in Verbindung mit den §§ 252, 255, oder wegen eines der in § 66 Abs. 3 Satz 1 genannten Vergehen vor Ende des Vollzugs dieser Freiheitsstrafe Tatsachen erkennbar, die auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit hinweisen, so kann das Gericht die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nachträglich anordnen, wenn die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung während des Strafvollzugs ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, und wenn im Zeitpunkt der Entscheidung über die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung die übrigen Voraussetzungen des § 66 erfüllt sind. War die Anordnung der Sicherungsverwahrung im Zeitpunkt der Verurteilung aus rechtlichen Gründen nicht möglich, so berücksichtigt das Gericht als Tatsachen im Sinne des Satzes 1 auch solche, die im Zeitpunkt der Verurteilung bereits erkennbar waren.

(2) Werden Tatsachen der in Absatz 1 Satz 1 genannten Art nach einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren wegen eines oder mehrerer Verbrechen gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit, die sexuelle Selbstbestimmung oder nach den §§ 250, 251, auch in Verbindung mit § 252 oder § 255, erkennbar, so kann

das Gericht die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nachträglich anordnen, wenn die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Tat oder seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung während des Strafvollzugs ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.

(3) Ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 67d Abs. 6 für erledigt erklärt worden, weil der die Schuldfähigkeit ausschließende oder vermindernde Zustand, auf dem die Unterbringung beruhte, im Zeitpunkt der Erledigungsentscheidung nicht bestanden hat, so kann das Gericht die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nachträglich anordnen, wenn

1. die Unterbringung des Betroffenen nach § 63 wegen mehrerer der in § 66 Abs. 3 Satz 1 genannten Taten angeordnet wurde oder wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer solcher Taten, die er vor der zur Unterbringung nach § 63 führenden Tat begangen hat, schon einmal zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt oder in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden war und

2. die Gesamtwürdigung des Betroffenen, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung während des Vollzugs der Maßregel ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.

§ 67d Dauer der Unterbringung

Fassung vom 22. 12. 2010, gültig ab 1. 1. 2011 = Abs. 3 S. 1 unvereinbar (Tenor II 1 b)

(1) Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt darf zwei Jahre nicht übersteigen. Die Frist läuft vom Beginn der Unterbringung an. Wird vor einer Freiheitsstrafe eine daneben angeordnete freiheitsentziehende Maßregel vollzogen, so verlängert sich die Höchstfrist um die Dauer der Freiheitsstrafe, soweit die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet wird.

(2) Ist keine Höchstfrist vorgesehen oder ist die Frist noch nicht abgelaufen, so setzt das Gericht die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine rechtswidrigen Taten mehr begehen wird. Mit der Aussetzung tritt Führungsaufsicht ein.

(3) Sind zehn Jahre der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vollzogen worden, so erklärt das Gericht die Maßregel für erledigt, wenn nicht die Gefahr besteht, daß der Untergebrachte erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(4) Ist die Höchstfrist abgelaufen, so wird der Untergebrachte entlassen. Die Maßregel ist damit erledigt. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(5) Das Gericht erklärt die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für erledigt, wenn die Voraussetzungen des § 64 Satz 2 nicht mehr vorliegen. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(6) Stellt das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus fest, dass die Voraussetzungen der Maßregel nicht mehr vorliegen oder die weitere Vollstreckung der Maßregel unverhältnismäßig wäre, so erklärt es sie für erledigt. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein. Das Gericht ordnet den Nichteintritt der Führungsaufsicht an, wenn zu erwarten ist, dass der Betroffene auch ohne sie keine Straftaten mehr begehen wird.

§ 67d Dauer der Unterbringung

Fassung ab 26. 1. 1998, gültig ab 31. 1. 1998 = Abs. 2 S. 1 unvereinbar, soweit zur Anordnung über 10 Jahre in Altfällen ermächtigend (Tenor II 1. b); Abs. 3 S. 1 unvereinbar (Tenor II 1. b); Abs. 3 S. 1 unvereinbar, soweit zur Anordnung über 10 Jahre in Altfällen ermächtigend (Tenor II 1. a und II. 2.),

(1) Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt darf zwei Jahre nicht übersteigen. Die Frist läuft vom Beginn der Unterbringung an. Wird vor einer Freiheitsstrafe eine daneben angeordnete freiheitsentziehende Maßregel vollzogen, so verlängert sich die Höchstfrist um die Dauer der Freiheitsstrafe, soweit die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet wird.

(2) Ist keine Höchstfrist vorgesehen oder ist die Frist noch nicht abgelaufen, so setzt das Gericht die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine rechtswidrigen Taten mehr begehen wird. Mit der Aussetzung tritt Führungsaufsicht ein.

(3) Sind zehn Jahre der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vollzogen worden, so erklärt das Gericht die Maßregel für erledigt, wenn nicht die Gefahr besteht, daß der Untergebrachte infolge seines Hanges erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Mit der Erledigung tritt Führungsaufsicht ein.

(4) Ist die Höchstfrist abgelaufen, so wird der Untergebrachte entlassen. Die Maßregel ist damit erledigt.

(5) Ist die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt mindestens ein Jahr vollzogen worden, so kann das Gericht nachträglich bestimmen, daß sie nicht weiter zu vollziehen ist, wenn ihr Zweck aus Gründen, die in der Person des Untergebrachten liegen, nicht erreicht werden kann. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

2. Jugendgerichtsgesetz

§ 7 JGG Maßregeln der Besserung und Sicherung

Abs. 2 unvereinbar i. d. Fassung vom 8. 7. 2008, gültig ab 12. 7. 2008 (Tenor II. 1. a und II. 2.), Abs. 3 unvereinbar i. d. Fassung vom 8. 7. 2008, gültig ab 12. 7. 2008 (Tenor II. 1. b) Abs. 3 unvereinbar i. d. Fassung vom 22. 12. 2010, gültig ab 1. 1. 2011 (Tenor II 1. b)

(1) Als Maßregeln der Besserung und Sicherung im Sinne des allgemeinen Strafrechts können die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt, die Führungsaufsicht oder die Entziehung der Fahrerlaubnis angeordnet werden (§ 61 Nr. 1, 2, 4 und 5 des Strafgesetzbuches).

(2) Sind nach einer Verurteilung zu einer Jugendstrafe von mindestens sieben Jahren wegen oder auch wegen eines Verbrechens

1. gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit oder die sexuelle Selbstbestimmung oder

2. nach § 251 des Strafgesetzbuches, auch in Verbindung mit § 252 oder § 255 des Strafgesetzbuches,

durch welches das Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt oder einer solchen Gefahr ausgesetzt worden ist, vor Ende des Vollzugs dieser Jugendstrafe Tatsachen erkennbar, die auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit hinweisen, so kann das Gericht nachträglich die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung anordnen, wenn die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Tat oder seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung während des Vollzugs der Jugendstrafe ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erneut Straftaten der vorbezeichneten Art begehen wird.

(3) Ist die wegen einer Tat der in Absatz 2 bezeichneten Art angeordnete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 67d Abs. 6 des Strafgesetzbuches für erledigt erklärt worden, weil der die Schuldfähigkeit ausschließende oder vermindernde Zustand, auf dem die Unterbringung beruhte, im Zeitpunkt der Erledigungsentscheidung[einziger Unterschied zur Altfassung vom 8. 7. 2008: anstelle "im Zeitpunkt der Erledigungsentscheidung " hieß es bislang "während des Vollzugs der Maßregel"]nicht bestanden hat, so kann das Gericht nachträglich die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung anordnen, wenn

1. die Unterbringung des Betroffenen nach § 63 des Strafgesetzbuches wegen mehrerer solcher Taten angeordnet wurde oder wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer solcher Taten, die er vor der zur Unterbringung nach § 63 des Strafgesetzbuches führenden Tat begangen hat, schon einmal zu einer Jugendstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt oder in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden war und

2. die Gesamtwürdigung des Betroffenen, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erneut Straftaten der in Absatz 2 bezeichneten Art begehen wird.

(4) Die regelmäßige Frist zur Prüfung, ob die weitere Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zur Bewährung auszusetzen ist (§ 67e des Strafgesetzbuches), beträgt in den Fällen der Absätze 2 und 3 ein Jahr.

§ 106 Milderung des allgemeinen Strafrechts für Heranwachsende; Sicherungsverwahrung

Abs. 3 S. 2 und 3, Abs. 5 und Abs. 6 i. d. Fassung vom 22. 12. 2010, gültig ab 1. 1. 2011 unvereinbar (Tenor II 1. b)

(1) Ist wegen der Straftat eines Heranwachsenden das allgemeine Strafrecht anzuwenden, so kann das Gericht an Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe auf eine Freiheitsstrafe von zehn bis zu fünfzehn Jahren erkennen.

(2) Das Gericht kann anordnen, daß der Verlust der Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden und Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen (§ 45 Abs. 1 des Strafgesetzbuches), nicht eintritt.

(3) Sicherungsverwahrung darf neben der Strafe nicht angeordnet werden. Unter den übrigen Voraussetzungen des § 66 des Strafgesetzbuches kann das Gericht die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten, wenn

1. der Heranwachsende wegen einer Straftat der in § 66 Abs. 3 Satz 1 des Strafgesetzbuches bezeichneten Art, durch welche das Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt oder einer solchen Gefahr ausgesetzt worden ist, zu einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren verurteilt wird,

2. es sich auch bei den nach den allgemeinen Vorschriften maßgeblichen früheren Taten um solche der in Nummer 1 bezeichneten Art handelt und

3. die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu solchen Straftaten für die Allgemeinheit gefährlich ist.

§ 66a Absatz 3 des Strafgesetzbuches gilt entsprechend.

(4) Wird neben der Strafe die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten und hat der Verurteilte das siebenundzwanzigste Lebensjahr noch nicht vollendet, so ordnet das Gericht an, dass bereits die Strafe in einer sozialtherapeutischen Anstalt zu vollziehen ist, es sei denn, dass die Resozialisierung des Täters dadurch nicht besser gefördert werden kann. Diese Anordnung kann auch nachträglich erfolgen. Solange der Vollzug in einer sozialtherapeutischen Anstalt noch nicht angeordnet oder der Gefangene noch nicht in eine sozialtherapeutische Anstalt verlegt worden ist, ist darüber jeweils nach sechs Monaten neu zu entscheiden. Für die nachträgliche Anordnung nach Satz 2 ist die Strafvollstreckungskammer zuständig.

(5) Werden nach einer Verurteilung wegen einer Straftat der in Absatz 3 Satz 2 Nr. 1 bezeichneten Art zu einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren vor Ende des Vollzugs dieser Freiheitsstrafe Tatsachen erkennbar, die auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit hinweisen, so kann das Gericht die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nachträglich anordnen, wenn die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung während des Strafvollzugs ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erneut Straftaten der in Absatz 3 Satz 2 Nr. 1 bezeichneten Art begehen wird. War keine der Straftaten dieser Art, die

der Verurteilung zugrunde lagen, nach dem 1. April 2004 begangen worden und konnte die Sicherungsverwahrung deshalb nicht nach Absatz 3 Satz 2 vorbehalten werden, so berücksichtigt das Gericht als Tatsachen im Sinne des Satzes 1 auch solche, die im Zeitpunkt der Verurteilung bereits erkennbar waren.

(6) Ist die wegen einer Tat der in Absatz 3 Satz 2 Nr. 1 bezeichneten Art angeordnete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 67d Abs. 6 des Strafgesetzbuches für erledigt erklärt worden, weil der die Schuldfähigkeit ausschließende oder vermindernde Zustand, auf dem die Unterbringung beruhte, im Zeitpunkt der Erledigungsentscheidung nicht bestanden hat, so kann das Gericht die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nachträglich anordnen, wenn

1. die Unterbringung des Betroffenen nach § 63 des Strafgesetzbuches wegen mehrerer solcher Taten angeordnet wurde oder wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer solcher Taten, die er vor der zur Unterbringung nach § 63 des Strafgesetzbuches führenden Tat begangen hat, schon einmal zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt oder in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden war und

2. die Gesamtwürdigung des Betroffenen, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erneut Straftaten der in Absatz 3 Satz 2 Nr. 1 bezeichneten Art begehen wird.

(7) (weggefallen)

§ 106 Milderung des allgemeinen Strafrechts für Heranwachsende; Sicherungsverwahrung

Abs. 3 S. 2 und 3 i. d. Fassung v. 27. 3. 2003 unvereinbar (Tenor II 1. b), Abs. 5 i. d. Fassung v. 13. 4. 2007 unvereinbar (Tenor II 1. b), Abs. 6 i. d. Fassung v. 23. 7. 2004 unvereinbar (Tenor II 1. b);

(1) Ist wegen der Straftat eines Heranwachsenden das allgemeine Strafrecht anzuwenden, so kann das Gericht an Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe auf eine Freiheitsstrafe von zehn bis zu fünfzehn Jahren erkennen.

(2) Das Gericht kann anordnen, daß der Verlust der Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden und Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen (§ 45 Abs. 1 des Strafgesetzbuches), nicht eintritt.

(3) Sicherungsverwahrung darf neben der Strafe nicht angeordnet werden. Unter den übrigen Voraussetzungen des § 66 des Strafgesetzbuches kann das Gericht die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten, wenn

1. der Heranwachsende wegen einer Straftat der in § 66 Abs. 3 Satz 1 des Strafgesetzbuches bezeichneten Art, durch welche das Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt oder einer solchen Gefahr ausgesetzt worden ist, zu einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren verurteilt wird,

2. es sich auch bei den nach den allgemeinen Vorschriften maßgeblichen früheren Taten um solche der in Nummer 1 bezeichneten Art handelt und

3. die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu solchen Straftaten für die Allgemeinheit gefährlich ist.

§ 66a Abs. 2 und 3 des Strafgesetzbuches gilt entsprechend.

(4) Wird neben der Strafe die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten und hat der Verurteilte das siebenundzwanzigste Lebensjahr noch nicht vollendet, so ordnet das Gericht an, dass bereits die Strafe in einer sozialtherapeutischen Anstalt zu vollziehen ist, es sei denn, dass die Resozialisierung des Täters dadurch nicht besser gefördert werden kann. Diese Anordnung kann auch nachträglich erfolgen. Solange der Vollzug in einer sozialtherapeutischen Anstalt noch nicht angeordnet oder der Gefangene noch nicht in eine sozialtherapeutische Anstalt verlegt worden ist, ist darüber jeweils nach sechs Monaten neu zu entscheiden. Für die nachträgliche Anordnung nach Satz 2 ist die Strafvollstreckungskammer zuständig.

(5) Werden nach einer Verurteilung wegen einer Straftat der in Absatz 3 Satz 2 Nr. 1 bezeichneten Art zu einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren vor Ende des Vollzugs dieser Freiheitsstrafe Tatsachen erkennbar, die auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit hinweisen, so kann das Gericht die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nachträglich anordnen, wenn die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung während des Strafvollzugs ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erneut Straftaten der in Absatz 3 Satz 2 Nr. 1 bezeichneten Art begehen wird. War keine der Straftaten dieser Art, die der Verurteilung zugrunde lagen, nach dem 1. April 2004 begangen worden und konnte die Sicherungsverwahrung deshalb nicht nach Absatz 3 Satz 2 vorbehalten werden, so berücksichtigt das Gericht als Tatsachen im Sinne des Satzes 1 auch solche, die im Zeitpunkt der Verurteilung bereits erkennbar waren.

(6) Ist die wegen einer Tat der in Absatz 3 Satz 2 Nr. 1 bezeichneten Art angeordnete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 67d Abs. 6 des Strafgesetzbuches für erledigt erklärt worden, weil der die Schuldfähigkeit ausschließende oder vermindernde Zustand, auf dem die Unterbringung beruhte, im Zeitpunkt der Erledigungsentscheidung nicht bestanden hat, so kann das Gericht die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nachträglich anordnen, wenn

1. die Unterbringung des Betroffenen nach § 63 des Strafgesetzbuches wegen mehrerer solcher Taten angeordnet wurde oder wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer solcher Taten, die er vor der zur Unterbringung nach § 63 des Strafgesetzbuches führenden Tat begangen hat, schon einmal zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt oder in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden war und

2. die Gesamtwürdigung des Betroffenen, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung während des Vollzugs der Maßregel ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erneut Straftaten der in Absatz 3 Satz 2 Nr. 1 bezeichneten Art begehen wird.

3. EGStGB

Art. 316e Übergangsvorschrift zum Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen (in Kraft seit 1. 1. 2011)

(1) Die Vorschriften über die Sicherungsverwahrung in der Fassung des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelun-

gen vom 22. Dezember 2010 (BGBl. I S. 2300) sind nur anzuwenden, wenn die Tat oder mindestens eine der Taten, wegen deren Begehung die Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten werden soll, nach dem 31. Dezember 2010 begangen worden ist. In allen anderen Fällen ist das bisherige Recht anzuwenden, soweit in den Absätzen 2 und 3 nichts anderes bestimmt ist.

(2) Sind die Taten, wegen deren Begehung die Sicherungsverwahrung nach § 66 des Strafgesetzbuches angeordnet werden soll, vor dem 1. Januar 2011 begangen worden und ist der Täter deswegen noch nicht rechtskräftig verurteilt worden, so ist § 66 des Strafgesetzbuches in der seit dem 1. Januar 2011 geltenden Fassung anzuwenden, wenn diese gegenüber dem bisherigen Recht das mildere Gesetz ist.

(3) Eine nach § 66 des Strafgesetzbuches vor dem 1. Januar 2011 rechtskräftig angeordnete Sicherungsverwahrung erklärt das Gericht für erledigt, wenn die Anordnung ausschließlich auf Taten beruht, die nach § 66 des Strafgesetzbuches in der seit dem 1. Januar 2011 geltenden Fassung nicht mehr Grundlage für eine solche Anordnung sein können. Das Gericht kann, soweit dies zur Durchführung von Entlassungsvorbereitungen geboten ist, als Zeitpunkt der Erledigung spätestens den 1. Juli 2011 festlegen. Zuständig für die Entscheidungen nach den Sätzen 1 und 2 ist das nach den §§ 454, 462a Absatz 1 der Strafprozessordnung zuständige Gericht. Für das Verfahren ist § 454 Absatz 1, 3 und 4 der Strafprozessordnung entsprechend anzuwenden; die Vollstreckungsbehörde übersendet die Akten unverzüglich an die Staatsanwaltschaft des zuständigen Gerichtes, die diese umgehend dem Gericht zur Entscheidung übergibt. Mit der Entlassung aus dem Vollzug tritt Führungsaufsicht ein.