HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Februar 2010
11. Jahrgang
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Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

Rechtsstaat und Terrorlisten – Kaltstellung ohne Rechtsschutz?

Wiss. Ass. und Rechtsanwalt Dr. Frank Meyer, LL.M. (Yale), Bonn

I. Einleitung

Das Thema des Vortrags ist mit dem Zusatz "Kaltstellung ohne Rechtsschutz?" versehen worden. * Auf den ersten Blick könnte man dahinter eine etwas krude Übersetzung von freezing of assets vermuten. Tatsächlich führt die Wortwahl uns ohne Umschweife zu einem der beiden zentralen Probleme der Terrorlisten. Es geht hier um die Qualität des Eingriffs, seine Eingriffsintensität. Die englische Terminologie "freezing of assets" oder "smart sanctions", wie in der Literatur gebräuchlich, ist euphemistisch. Sie schafft es nicht, die Tiefe des Eingriffs plastisch auf den Punkt zu bringen. Es geht nämlich um weit mehr als um bemakelte Vermögenswerte wie bei der Geldwäsche. Die gelisteten Personen sind in ihrer Gesamtexistenz betroffen; sie werden womöglich "kaltgestellt". Dick Marty sprach in seinem Bericht für die Parlamentarische Versammlung des Europarats denn auch vom mort civile.[1] Und in der Tat geben die Maßnahmen in ihrer Bandbreite und Tiefe allen Anlass zu reflektieren, ob die rechtliche Existenz der Betroffenen infolge der Listung weitgehend aufgehoben ist.

Im ersten Teil muss daher der Frage nachgegangen werden, um was für einen Eingriff es sich konkret handelt, welche Rechte er beeinträchtigt und welche Tiefe er aufweist. Auch der zweite Teil des Vortrags ergibt sich aus dem Zusatz wie von selbst. Wie können Betroffene sich schützen? Ist das gegenwärtige Rechtsschutzsystem hinreichend? Wir werden dabei sehen, dass beide Aspekte untrennbar miteinander verknüpft sind.

Bevor ich mich jedoch in dieser Reihenfolge den skizzierten Kernpunkten der Listungsproblematik annehme, kann ich es uns nicht ersparen, zur besseren Verständlichkeit des Vortrags in aller Kürze Grundlagen, Strukturen und Status Quo der Listungspraxis zu referieren.

II. Die Listensysteme und ihre Grundlagen

Vorweg geschickt sei, dass gegenwärtig zwei Listen mit unterschiedlichen Listungs- und Umsetzungsmechanismen koexistieren. Schon vor dem 11. September hat der UN-Sicherheitsrat mit den Resolutionen Nr. 1267 (1999), Nr. 1333 (2000) das Einfrieren aller Gelder und Finanzmittel von Usama Bin Ladens und Al Qaida-Gefolgsleuten verfügt. Nach dem Anschlag auf das World Trade Center erstreckte er diese Sanktion mit Resolution Nr. 1390 (2002) auch auf die Taliban. Über diesen Kreis von Personen und Institutionen hinaus, hat der Sicherheitsrat den Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen durch Resolution Nr. 1373 (2001) aufgegeben, grundsätzlich alle Finanzmittel von Personen und Institutionen zu sperren, die terroristische Straftaten begehen, versuchen, erleichtern oder anderweitig unterstützen. Begleitet wird das Einfrieren der Finanzmittel von einem grundsätzlichen Verbot gegenüber jedermann, den betroffenen Personen und Organisationen wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung zu stellen, mit denen sie Gelder, Waren oder Dienstleistungen erwerben könnten sowie von massiven Reisebeschränkungen und einem Waffenembargo. In allen Fällen stützt sich der Sicherheitsrat auf Kap. VII der UN-Charta, das den Sicherheitsrat als das herausragende Organ der Vereinten Nationen zu Zwangsmaßnahmen ermächtigt, um Weltfrieden und internationale Sicherheit zu wahren oder wiederherzustellen.[2] An dieser Stelle sei allerdings deutlich entgegen verbreiteter Irrtümer gesagt, dass diese Maßnahmen keinesfalls als Geheimdiplomatie im Hinterzimmer verabredet wurden und auch kein Ausdruck hegemonialer Machtanmaßung des Sicherheitsrates sind. Sie wurden offen diskutiert und fanden die überwältigende Zustimmung der Staatengemeinschaft.

Wie gelangt man nun aber auf eine der Listen? Im Fall der Taliban- und Al-Qaida-Unterstützer erfolgt die Bestimmung der Sanktionsadressaten durch Entscheidung eines Nebenorgans des Sicherheitsrats, des sog. Sanktions-

ausschusses (sanctions committee).[3] Er setzt sich aus den Mitgliedern des Sicherheitsrates zusammen und entscheidet einstimmig über Aufnahmen. Seine Vorgehensweise richtet sich nach internen Richtlinien, die fortlaufend nach Maßgabe von Sicherheitsratsresolutionen modifiziert werden.[4]

Entscheidendes materielles Kriterium für eine Listung ist eine Assoziierung mit Al-Qaida, Usama Bin Laden, Taliban. Dieser sog. "Associated with"-Standard wurde mit Resolution Nr. 1617 (2005), dort Abs. 2, eingeführt und der Entscheidung ihren politischen Charakter zunehmen oder zumindest einen justiziellen Anstrich zu verpassen. Erfüllt ist dieses Kriterium bei einer Beteiligung an Finanzierung, Planung, Ermöglichung, Vorbereitung oder Begehung von Akten dieser Personen; Liefern, Verkaufen und Befördern von Waffen und Zubehör (related material) sowie Rekrutierung oder Unterstützungsakte für Al-Qaida, Usama Bin Laden und Taliban. Während der Maßstab also durch den Sicherheitsrat per Resolution vorgegeben wird, obliegt die Subsumtion dem Sanktionsausschuss. Er entscheidet im Konsens, ob die Voraussetzungen erfüllt sind. Ausgelöst werden kann dieser Listungsprozess durch jeden Mitgliedstaat oder internationale Organisationen, die relevante Informationen und unterstützendes Beweismaterial liefern.[5] Der Betroffene wird weder angehört, noch erhält er Auskunft über Gründe für Entscheidung des Sanktionsausschusses.[6] Verfügt der Sanktionsausschuss einstimmig seine Listung, so wird dieser über Vermittlung seines Heimatstaates über die Rechtsfolgen belehrt und ihm der Tatsachenvortrag des beantragenden Staates zugänglich gemacht, soweit dieser Staat diese statement of the case öffentlich zugänglich freigeben hat.[7] Insgesamt befinden gegenwärtig (Stichtag: 25.01.2010) 393 Einzelpersonen und 108 Gruppen oder Unternehmen auf der Liste.[8]

Im zweiten Fall, d.h. für andere Kreise als Al-Qaida, Usama bin Laden und Taliban, ist in der EU der Rat ermächtigt, Personen und Organisationen zu identifizieren, deren Vermögen eingefroren werden soll. Die anleitenden materiellen Kriterien finden sich in einem Gemeinsamen Standpunkt 2001/931/GASP. Danach muss dem Antrag auf Listung durch Mitgliedstaaten oder Drittstaaten eine Entscheidung einer zuständigen Justizbehörde gegenüber Person oder Unternehmen, namentlich Einleitung eines Ermittlungsverfahrens, Anklageerhebung oder Verurteilung, wegen eines terroristischen Akts, dessen Versuch oder einer Beihilfe dazu, zugrunde liegen. Die Entscheidung muss ihrerseits auf seriösen, glaubhaften Beweisquellen basieren, vgl. Art. 1 IV des Gemeinsamen Standpunkts. Das Merkmal des terrorist act wird in Art. 1 III des Gemeinsamen Standpunkts definiert.[9]

Die Überprüfung der Voraussetzungen erfolgte ursprünglich in einem informellen clearing house-Verfahren. Dieser Mechanismus wurde 2007 abgeschafft. Um mehr Transparenz zu schaffen und das Verfahren zu konsolidieren, wurde eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die Working Party on implementation of Common Position 2001/931/GASP on the application of specific measures to combat terrorism.[10] Sie ist mit Ministerialbeamten des Rats besetzt und prüft fortan Vorschläge für Neuaufnahmen. Auf der Grundlage ihrer Erkenntnisse spricht sie gegenüber dem Rat eine Empfehlung aus, der dann frei über die Listung entscheidet. Dies geschieht bislang noch einstimmig (Art. 308 EGV!). Erfolgt eine Listung, erhält der Betroffene eine Begründung vom Rat, die den Tatvorwurf preisgibt und begründet, die nationale Behörde nennt, die die Ausgangsentscheidung getroffen hat, und über die Maßnah-

men informiert, die nun gegen den Betroffenen verhängt werden.[11] Derzeit sind 57 Personen und 47 Gruppen gelistet, von denen gem. Verordnung Nr. 1285/2009 vom 22.12.2009 25 Personen und 29 Gruppen mit einem freezing of assets belegt wurden.

In Entsprechung dieser knapp umrissenen Unterschiede werde ich im weiteren Verlauf zwischen UN- und EU-Liste differenzieren. Die Listung als solche erzeugt aber noch keine unmittelbare Rechtswirkung gegenüber dem Individuum. Beide Listen werden zu diesem Zweck durch separate EG-Verordnungen umgesetzt.[12] Gestützt wird dieser Selbsteintritt der EU in letzter Konsequenz auf die Vertragsabrundungsklausel in Art. 308 EGV, da der EGV keine ausdrückliche Kompetenznorm für Wirtschaftssanktionen gegen Privatpersonen vorsieht.[13] Dies hat für den Rat die vorteilhafte Nebenwirkung intergouvernemental einstimmig und ohne parlamentarisch-demokratisches Gegengewicht entscheiden zu können. Mit Inkrafttreten des Lissabonner Vertrags wird es in dieser Hinsicht aber bald zu erheblichen Änderungen kommen. Art. 75 I AEUV führt als neue spezielle Rechtsgrundlage das ordentliche Gesetzgebungsverfahren für Wirtschaftssanktionen ein und verschafft so dem Europäischen Parlament ein Mitentscheidungsrecht; zudem tritt das Mehrheitsprinzip an die Stelle der Einstimmigkeit im Rat. Aus kompetentiellen Gründen können die Verordnungen allerdings nur Einfrieren und Bereitstellungsverbot anordnen. Was Reisebeschränkungen und Waffenembargo anbelangt, ist daneben die nationale Ebene zuständig. In Deutschland finden sich die transformierten Regelungen im Außenwirtschaftsrecht.

Nachdem wir uns damit einen groben Überblick verschafft haben, gilt es nunmehr der Eingriffswirkung dieser Sanktionen nachzugehen. Das Sanktionsregime der smart sanctions steht in einem Spannungsverhältnis zu einer ganzen Reihe von menschenrechtlichen Gewährleistungen. Betroffen sind insbesondere das Recht auf Eigentum, das Recht auf Familien- und Privatleben, allgemeines Persönlichkeitsrecht, Menschenwürde sowie das Recht auf effektiven Rechtsschutz.

III. Eingriffsqualität

1. Recht auf Eigentum [14]

Durch das sog. Einfrieren wird den Betroffenen die Verfügungsmöglichkeit über ihre wirtschaftlichen Ressourcen entzogen. Um eine finale Enteignung handelt es sich zwar nicht da die Substanz erhalten bleibt und keine Änderung der Eigentumsordnung erfolgt, doch resultiert die eigentliche Gefahr für das Eigentumsrecht aus der unbestimmten Dauer der Maßnahmen. Mit dem Wegfall der typischen situativen Begrenzung von Sicherungsmaßnahmen mit polizeilich-präventivem Charakter gerät hier eine immanente Schranke wegen der Unklarheit über die Dauer der nunmehr personen‑ und ‑institutionengebundenen Gefahr in Fortfall. Mit längerer Fortdauer der Maßnahme droht daher ein Umschlagen in eine generelle Versagung der Eigentumsrechte.[15] Der EuGH und wohl auch die herrschende Auffassung im Völkerrecht halten die Maßnahme dennoch für zulässig, weil überragend wichtige Gemeinwohlziele verfolgt werden.[16] In der Tat lässt sich die Notwendigkeit, die Finanzierung des internationalen Terrorismus zu unterbrechen, nicht bestreiten, so dass auch grundsätzlich temporäre Vorkehrungen zu dauerhaften Restriktionen werden dürfen.[17] Allerdings stellt sich damit umso dringlicher die Frage der Verhältnismäßigkeit. Bisherige Entscheidungen zur Proportionalität von Wirtschaftssanktionen haben keine trennscharfen Kriterien für die Bewertung von Individualsanktionen hervorgebracht. Spürbar ist gleichwohl, dass europäische Gerichte angesichts der Bedeutung des Sicherheitsrats für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit große Zurückhaltung zeigen, wenn der Eingriff auf Sanktionen unter Kapitel VII der UN-Charta beruht.[18] Das Gewicht der verfolgten Ziele vermag für sie auch sehr intensive Grundrechtsbeschränkungen zu legitimieren.[19]

Handelt es sich bei der gelisteten Person oder Institution tatsächlich um einen aktiven Unterstützer des internationalen Terrorismus, dessen Handlungen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in große Schäden für die angegriffenen Gesellschaften umschlagen können, wäre wohl selbst eine sehr langfristige Sperrung der Vermögenswerte nicht unverhältnismäßig. Allerdings stellen die materiellen Listungskriterien und -praxis nach meiner Ansicht keinen hinreichenden Gefährdungszusammenhang sicher. Auch wenn man das Listungssystem abstrakt für

zulässig hält, wird man bei der konkreten Überprüfung der erhobenen Vorwürfe also sorgfältig eruieren müssen, ob tatsächlich ein so starker Gefährdungsverdacht vorliegt, der eine derart intensive Maßnahme auch rechtfertigt. Ihre Legitimität hängt mithin entscheidend an der befriedigenden Ausgestaltung effektiven Individualrechtsschutzes gegen die Listung. Gleiches wird sich im Hinblick auf das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb und die Berufsfreiheit des Betroffenen sagen lassen.[20] Ernsthaft betroffen sein kann auch das Recht auf Privat- und Familienleben.

2. Recht auf Privat- und Familienleben

Familien- und Privatleben (insb. Art. 8 EMRK) sind ernsthaft bedroht, wenn dem Familienleben die wirtschaftliche Grundlage entzogen wird. Die soziale Gestaltungsfreiheit leidet nachhaltig und auch die persönlichen Beziehungen innerhalb der Familien können aufgrund der Drucksituation Schaden nehmen. Art. 25 I AEMR und Art. 11 I IPWSKR statuieren Recht auf angemessenen Lebensstandard, womit jedenfalls ein Existenzminimum an Nahrung, Kleidung, Unterkunft gemeint ist. Art. 12 IPWSKR ergänzt die elementare Gesundheitsversorgung. Eine Totalsperre der Mittel im Verein mit dem umfassenden Bereitstellungsverbot von Ressourcen könnte sogar das Recht auf Leben, Art. 6 I i.V.m. Art. 4 II IPBPR, verletzen.

Menschenrechtliche Messlatte ist jedoch primär die Gewährleistung des gebotenen Existenzminimums. Hierfür tragen humanitäre Klauseln Rechnung, die nach zögerlichem Prozess mittlerweile fest etabliert sind. Sie sichern die Verhältnismäßigkeit des Einfrierens durch Freigabe von Mitteln für den täglichen Lebensbedarf, Anschaffungen, Arztkosten und ähnliches. Der EuGH hat in seinen jüngsten Entscheidungen ausdrücklich an die zuständigen nationalen Stellen appelliert, hier schnell und sozial zu verfahren.[21]

Selbst wenn die Lebensgrundlage nicht entzogen wird, kann sich die Listung dennoch äußerst belastend und schädlich auf das Privat- und Familienleben auswirken. Vor allem in den Anfangsstadien des Listungsregimes befanden sich Betroffene in geradezu kafkaesken Situationen einer gesellschaftlichen Stigmatisierung als Unterstützer des Terrorismus ohne Chance zum Gegenbeweis. Vorrangiger normativer Ansatzpunkt für diese Dimension wären aber das allgemeine Persönlichkeitsrecht und die Menschenwürde.

3. Allgemeines Persönlichkeitsrecht und Menschenwürde

Die Listung impliziert Unterstützerschaft oder Beteiligung am internationalen Terrorismus. Dieser Vorwurf ist für jedermann über die öffentlichen Listen einsehbar. Man könnte in ihnen also auch ein Mittel des public shaming sehen. Gegen shame sanctions lassen sich nun allerhand Vorbehalte anbringen. Sie stellen den Menschen vor der Gesellschaft bloß und suchen eine Sanktionierung gerade in der Erniedrigung der Person zu finden. Schlimmer noch: unter Verzicht auf mediatisierende rechtsstaatliche Instanzen wird der Betroffene der willkürlichen Reaktion der Gesellschaft ausgeliefert. Der Staat verzichtet auf exakte Ausmessung und Steuerung der Sanktion und instrumentalisiert stattdessen die niederen Instinkte des Menschen. Dass eine derartige Wirkung intendiert war, lässt sich aber nur schwer behaupten. Das gewählte Modell trägt dafür zu technokratische Züge.[22] Es ist ein Mehrebenenverwaltungsverfahren ohne dezidiert expressive Funktion. Auch der EGMR hat zwischenzeitlich befunden, dass die Listung alleine nicht gegen die EMRK verstößt, da sie keinerlei direkte Auswirkungen hat.[23] Sie sei keine inhumane Behandlung i.S.d. Art. 3 EMRK. Es lässt sich nicht einmal pauschal sagen, dass es überhaupt zu einer sozialen Isolation kommen kann, da sich viele der Gelisteten ohnehin in abgeschlossenen gesellschaftlichen Gruppen bewegen. Dort, wo dies nicht der Fall war, hatte die Listung wie in den Fällen Yusuf, Sayadi oder Sison sogar einen gegenteiligen Effekt. Die Zivilgesellschaft wagte den Schulterschluss mit ihnen.

4. Unschuldsvermutung (Art. 6 EMRK, Art. 14 II IPBPR)

Immer wieder findet sich auch der Vorwurf, dass die Verhängung der Sanktionen gegen die Unschuldsvermutung und den rechtsstaatlichen Anspruch auf Verurteilung bzw. Sanktionsausspruch durch einen Richter oder ein gerichtsähnliches Tribunal verstößt. Der Betroffene werde auf Verdacht durch ein Exekutivorgan mit schwersten Sanktionen belegt. Die Beweislast werde dabei auf den Betroffenen abgewälzt, da es an ihm ist, sich eigeninitiativ zu entlasten.

Hierauf ist zu entgegnen, dass der Grundsatz der Unschuldsvermutung als normative Vermutung im Gefahren-

abwehrrecht nicht gilt, solange an tatsächliche Gefahrenmomente angeknüpft wird.[24] Selbst im Strafrecht wird man nach dem gegenwärtigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand weder eine besondere Beweislastverteilung noch ein Schulderfordernis aus der Unschuldsvermutung herleiten können.[25] George P. Fletcher spricht denn auch von der Unschuldsvermutung als einem Mysterium der westlichen Welt, dem vorschnell Inhalte zugeschrieben werden, die wissenschaftlich nicht belegbar sind. Allenfalls die Unvoreingenommenheit des Spruchkörpers ist abgedeckt. Beweisstandards und Voraussetzungen für die Verhängung der Maßnahme richten sich nach anderen verfassungsrechtlichen Grundsätzen. An erster Stelle ist dabei an den Schuldgrundsatz zu denken.

5. Schuldgrundsatz

Strafe darf nicht ohne Schuld verhängt werden. Schuld ist aber keine Kategorie des Gefahrenabwehrrechts; jedenfalls nicht auf der Primärebene des polizeilichen Eingriffs. Erst auf Sekundärebene erfolgt – über Entschädigungen – ein Ausgleich der Lasten nach Gerechtigkeitsgesichtspunkten. Ob gegen den Schuldgrundsatz verstoßen wurde, hängt deshalb ausschließlich davon ab, ob die verhängte Sanktion als Kriminalstrafe zu verstehen ist bzw. in ihrer Gesamtheit nur als Kriminalstrafe verstanden werden kann.[26] Eine konsentierte Definition des Begriffs "Kriminalstrafe" fehlt indessen – wie so vieles – auf internationaler Ebene.

Zumindest der EGMR hat in seiner Spruchpraxis zum Kriterium der strafrechtlichen Anklage (determination of a criminal charge/bien-fondé de toute accusation pénale) in Art. 6 EMRK eine Reihe von Kriterien entwickelt.[27] In seiner Leitentscheidung "Engel"[28] identifizierte der Gerichtshof drei Kriterien, die als Richtmaß für den kriminalrechtlichen Charakter einer Rechtssache heranzuziehen sind. Als strafrechtlich gilt ein Verfahren in jedem Fall, wenn die Verfehlung nach nationalem Recht formal dem Strafrecht unterfällt (classification of the offence under national law). Ist dies konkret nicht der Fall, kommen (kumulativ oder alternativ) die Natur des Vergehens (nature of the offence/nature de l’infraction)[29] und/oder (zur Ausräumung verbleibender Zweifel nach dem zweiten Kriterium)[30] der Schweregrad und die Natur der Sanktion (nature and degree of severity of the penalty) zum Zug.[31] Wie auch seit kurzem von der Kommission und den Generalanwälten beim EuGH wird diese besondere Natur dabei insbesondere mit Freiheitsstrafe und sozialethischem Unwerturteil verbunden.

Ein solcher Charakter wird teilweise auch dem freezing of assets wegen der nachhaltigen Wirkung und des Stigmas, das Listung und Sanktionierung immanent ist, zugeschrieben.[32] Die der Listung inhärente Verbindung der Betroffenen mit terroristischen Straftaten, die gerade durch die Formulierung der SR-Resolutionen unverblümt hergestellt wird, suggeriert einen punitiven Charakter.[33] Hauptmerkmal der Sanktion bleibt aber trotz der schwerwiegenden Folgen ihr Sicherungscharakter. Es fehlt an Freiheitsentzug und sozialethischem Unwerturteil.

Aus meiner Sicht muss aber noch eine weitere Facette miteinbezogen werden. Die Bewertung des Charakters der Sanktion hängt entscheidend von der Einführung humanitärer Klauseln und der Ausgestaltung des Rechtsschutzes ab. An ihnen lässt sich festmachen, wie ernst es UN und EU mit der polizeirechtlichen Einstufung ist, denn eine nicht überprüfbare scharfe Ordnungsverfügung ad infinitum müsste uns doch als Umgehung strafprozessualer Prozeduren und Grundsätze erscheinen; also als Kriminalstrafe mit polizeirechtlicher Tarnkappe. Humanitäre Klauseln verbürgen vorliegend aber, dass es allein um den Entzug überschüssiger Mittel für Terrorfinanzierung geht und nicht um einen Ausgleich für begangenes Unrecht. Die Verfügbarkeit und Wiederholbarkeit von Rechtsschutz, d. h. strenge Reduzierung des res judicata-Gedankens, ist ihrerseits notwendig, um den Präventivcharakter zu belegen. Andererseits deutet alles auf Strafe hin, wenn gar kein Rechtsschutz vorgesehen ist – so verhielt es sich in den Anfangsmonaten auf UN-Ebene. Denn dann wird durch einen Exekutivausschuss in der Tat eine finale, de facto repressive Sanktion festgelegt. Es zeigt sich damit aber erneut die Abhängigkeit der Bewertung der Sanktionen vom Rechtsschutz. Klar ist aber schon jetzt, dass die Sanktionen nicht ausschließlich als Kriminalstrafe vorstellbar sind.

6. Gesamtwirkung

Möglicherweise müssen wir aber, bevor wir uns endlich der Frage des Rechtsschutzes zuwenden, noch einmal innehalten und eine Gesamtschau vornehmen. Dem Wort "Kaltstellen" ist eine bestimmte Vorstellung von der Gesamtwirkung der Maßnahmen immanent. Selbst wenn man das Einfrieren oder die Listung als solche jeweils gegenüber allen Grundrechten, in deren Schutzbereich eingegriffen wird, als gerechtfertigt ansieht, führen die Sanktionen in ihrer Totalität vielleicht doch zur Überschreitung des nach der Sittlichkeit unserer Gesellschaft erträglichen Maßes. Ich möchte jetzt nicht in die unselige Debatte zum Feindstrafrecht einstiegen. Ich möchte mich auch nicht in einem Exkurs über das Spannungsverhältnis von Freiheit und Sicherheit ergehen. Ich darf aber zu bedenken geben, dass Freiheit ein Mindestmaß an Sicherheit zur Voraussetzung hat. Ohne Sicherheit gibt es keine Freiheit. Und dennoch dürfen in vermeintlichem Sicherheitsinteresse keine freiheitsfeindlichen, grundrechtsfreien Räume entwickelt werden.[34] Freiheitsbeschränkungen müssen freiheitsimmanent im Einklang mit unseren Wertgrundlagen entwickelt werden. Wir müssen eine materielle Selbstfesselung also auch bei der Terrorismusbekämpfung hinnehmen.[35] Denn ohne Freiheit gibt es auch keine Sicherheit.[36]

Wo sind aber die unhintergehbaren Grenzen des Strebens nach Sicherheit in Freiheit? Die Unverrückbarkeit des Folterverbots ist so ein Fall. Auch die Zerstörung der Personalität und personellen Identität darf niemals geduldet werden. Hierfür gibt es gerade in diesem Land verachtungswürdige und beschämende Vorläufer. Primo Levi brachte dieses Leiden unter den Nazis und im Konzentrationslager als demolition of a man auf den Punkt.

Doch von einer derartigen Verneinung des Anspruchs auf Achtung der Personalität der Betroffenen sind die in Rede stehenden Maßnahmen weit entfernt. Ein vermeintlicher Terrorist wird durch eine Listung nicht als Nicht-Person deklariert. Selbst wenn wir alle Einzelkomponenten zusammen nehmen, vom Einfrieren des Vermögens, dem sozialen Stigma, der Einschränkung der Freizügigkeit durch Reiseverbote und schließlich auch, dass die Listung Anknüpfungspunkt für andere Sanktionen oder Maßnahmen sein kann,[37] z.B. im Arbeits- und Sozialrecht,[38] im Ausländer- und Asylrecht[39] oder im Strafrecht, ist das Gesamtpaket nicht so unerträglich, dass es nach unseren zivilisatorischen Standards inakzeptabel wäre. Wer anders darüber denkt, muss sich selbst befragen, ob man selbst den härtesten und bösartigsten Al-Qaida-Unterstützer nicht mit diesen Maßnahmen belegen darf und nicht ein einziger legitimer Anwendungsfall vorstellbar wäre.

Allerdings knüpfe ich diese Einschätzung an drei Bedingungen, die kumulativ erfüllt sein müssen. Es muss erstens ein klar umrissener und belastbarer Anknüpfungspunkt für die Annahme einer Gefahr von terroristischen Aktivitäten vorliegen. Die Listungskriterien müssen einen klaren Bezug zu Kap. VII UN-Charta aufweisen, damit die Legitimationskette nicht abreißt. Das Verhalten der Gelisteten muss hinreichend sein, um auch als individueller Beitrag zum internationalen Terrorismus als Gefahr für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit i.S.d. Art. 39 UN-Charta eingestuft werden zu können. Dies schaffen die Maßstäbe der EU-Liste derzeit besser als der lose "associated with"-Standard des Sicherheitsrats. In der Praxis der Vereinten Nationen bereitet es freilich ganz grundsätzlich beträchtliche Schwierigkeiten aus isolierten terroristischen Angriffen eine Situation des Art. 39 UN-Charta herzuleiten.[40] Selbst bei fortgesetzter Förderung durch Privatpersonen und Gruppen, und eben nicht Staaten, bleibt dies eine knifflige Angelegenheit. Man wird sich wohl mit der Figur der kumulativen Gefährdung, die auch im Strafrecht bei den abstrakten Gefährdungsdelikten bekannt ist, behelfen müssen. Mit

dem ursprünglich negativen Friedensbegriff des Kap. VII, der durch die Abwesenheit der Gefahr eines zwischenstaatlichen bewaffneten Konflikts gekennzeichnet war, hat dies freilich nichts mehr zu tun. Der Friedensbegriff wird heutzutage jedoch allgemein eher positiv und zunehmend breit verstanden,[41] so dass er auch strukturelle Ursachen von Kriegen, nicht-internationalen Konflikten und Zusammenbrüchen staatlicher Systeme (failed states) mit umfasst. Über die Verhinderung von Krieg hinaus werden die Verbesserung der humanitären und sozialen Lage für die Menschen, die Stärkung der Integrität elementarer Werte der Völkerrechtsordnung[42] sowie weit reichende entwicklungspolitische Anliegen verfolgt.[43] Die Ausweitung des Friedensbegriffs schlägt sich unmittelbar auch in der Erweiterung und Diversifizierung des Handlungsinstrumentariums nieder. Die Kehrseite dieser Entwicklung ist die stark erhöhte Grundrechtssensibilität der neuen Mittel, deren Einsatz zum Schutz der Menschenrechte des Einzelnen sorgfältig geprüft und kontrolliert werden muss.[44] Letzteres ist durch Einräumung effektiven Rechtsschutzes sicherzustellen, während ersteres in dessen Rahmen wohl noch zu leisten ist. Denn beide Listensysteme weisen hier deutliche Defizite auf. Dass die bloße Assoziierung mit Al-Qaida und Taliban konkret genug für eine Friedensgefährdung ist, darf man trotz der unterstellten Gefährlichkeit ihrer Mitglieder in Frage stellen. Die EU-Liste verlangt hier wesentlich stärkere Anhaltspunkte für tatsächliche schwerwiegende terroristische Handlungen i.S.d. Gemeinsamen Standpunkts. Zu kritisieren ist vordringlich der retrospektive Blickwinkel ihrer Listungsvoraussetzungen. Auslöser sind justizielle Entscheidungen bezüglich begangener oder zumindest schon versuchter Straftaten. Sollen die Sanktionen aber legitim in die Zukunft gerichtet sein, dürfen diese Taten lediglich als (ein) belastbarer Indikator für künftige Gefährdungshandlungen gewertet werden. Eine eindimensional retrospektive Heranziehung ließe die dringende Frage der künftigen Gefährdung des Friedens offen. Es wird also genauer darzulegen sein, dass ähnliches Verhalten auch in Zukunft zu erwarten und friedensgefährdend ist.

Mit der Konsolidierung dieses Anknüpfungspunkts wäre auch sichergestellt, dass es nicht zu einer Umgehung des Kriminalstrafrechts und der schützenden Formen des Strafprozessrechts kommt, an die man bei Verhängung der Sanktionen ausschließlich auf der Grundlage vergangener vollendeter oder versuchter Terrorakte durchaus denken könnte. Zu bedenken wäre hinsichtlich dieses Kritikpunkt aber ohnehin, dass strafrechtliche Verfahren gegen gesellschaftliche Gruppen und Untergrundorganisationen in vielen Ländern positivrechtlich und rechtsdogmatisch gar nicht denkbar sind. Selbst wenn es sich um Unternehmen handeln würde, schiede Strafrecht gerade in Deutschland per se als Instrument aus. Was Privatpersonen anbelangt, werden parallele Strafverfahren durchaus durchgeführt. Für beide Gruppen gölte aber wohl in jedem Fall, dass eine Sanktion, wie die hier diskutierte, als Kriminalstrafe wegen des Schuldgrundsatzes überhaupt nicht verhängbar wäre. Die Sperre blickt in die Zukunft. Ihre Verhältnismäßigkeit orientiert sich nicht an begangenem Unrecht, sondern an der Gefahr, die von der Verfügungsmacht bestimmter Personen über ihr Vermögen ausgeht sowie notwendig der Stärke der Indikatoren, die den Inhaber des Vermögens als Unterstützer des internationalen Terrorismus erscheinen lassen. Gelingt eine Entlastung, erfolgt wiederum eine vollständige Restitution, ohne einen Abzug als Unrechtsausgleich.

Zweitens müssen humanitäre Freigabeklauseln es ermöglichen, dass die Betroffenen ein halbwegs normales Leben führen können und nicht zu Hunger und Siechtum verdammt sind. Zu guter Letzt muss die Voraussetzung dafür geschaffen werden, dass fehlerhafte Listungen gerichtlich überprüfbar und korrigierbar sind.

Gerade der Rechtsschutz ist dabei kein prozessuales Anhängsel, sondern stellt sicher, dass der Mensch als selbstbestimmtes, autonomes Subjekt geachtet wird. Als Person hat er in den berühmten Worten Hannah Arendts ein "Recht auf Rechte" und es ist auch für sie insbesondere das Recht auf ein Verfahren unabhängiger Kontrolle von Eingriffen in die individuelle Freiheit, das diesen Anspruch wie kein anderes zum Ausdruck bringt. Denn mit ihm ist die Anerkennung verbunden, Rechte zu haben und diese wahren bzw. durchsetzen zu können. Die Einrichtung von Gerichten zur Kontrolle ist die institutionelle Anerkennung der Personalität von Individuen.[45]

Sind diese Voraussetzungen erfüllt, lassen sich Legalität und Legitimität der Listungspraxis bejahen, ohne damit zugleich zu sagen, dass – und hier sind Recht und Politik scharf zu trennen, der Einsatz eines solchen zulässigen verfügbaren Mittels auch politisch oder ethisch eine kluge Entscheidung ist. Wie ist es nun um den Rechtsschutz bestellt?

7. Rechtsschutz

Rechtliches Gehör wird im Vorfeld der Listungen durch den Sanktionsausschuss nicht gewährt. Auch auf EU-Ebene wurde vor dem Erlass der umsetzenden Verordnungen keine Anhörung durchgeführt. Zur Wahrung der Effektivität der präventiven Maßnahmen und ihres notwendigen Überraschungseffekts ist ein Absehen von einer vorherigen Anhörung in der Regel aber wohl unverzichtbar. So sieht es im Übrigen auch der EuGH.[46]

a) Nachträglicher Rechtschutz durch delisting-Verfahren

Umso größere Bedeutung wächst dann aber dem nachträglichen Rechtsschutz zu. Hier ist zwischen den Rechtsbehelfen, die bei Sanktionsausschuss oder Rat eingelegt werden können, und gerichtlichen Verfahren zu unterscheiden. Beide Listensysteme kennen sog. de-listing-Verfahren.[47] Ursprünglich war bei den UN ein de-listing nur auf diplomatischem Weg unter Einschaltung des Heimat- oder Aufenthaltsstaates zu erreichen, der dazu eine Petition an den Ausschuss richten musste. Seit Ende 2006 können betroffene Personen und Unternehmen Anträge auf Streichung von der Liste alternativ auch persönlich unmittelbar bei den Vereinten Nationen stellen, Section 8(b) der committee guidelines. Zentrale Anlaufstelle hierfür ist ein verwaltungsinternes Gremium (Focal Point) bei den Vereinten Nationen.[48] Ein echter Individualrechtsbehelf wird über diese Verfahrensoption aber nicht geschaffen. Der focal point dient der Entgegennahme von Anträgen und der Information über das weitere Verfahren.[49] Er entscheidet nicht über das delisting. Diese Entscheidungskompetenz liegt weiterhin beim Sanktionausschuss.

Hierbei ist es am Betroffenen, Informationen zu liefern, die ein de-listing rechtfertigen. Die Beweislast liegt bei ihm. Die materiellen Standards für die Kontrolle sind nicht abschließend und präzise definiert. Ausdrücklich erwähnt werden in Abs. 14 der SR-Resolution Nr. 1735 (2006) Identitätsverwechslung und vollständige Lossagung von Al-Qaida, Bin Laden oder Taliban, wobei der Tod zynischerweise ausdrücklich als Indikator für den Fortfall einer Assoziierung aufgeführt ist. Zweifel gehen dabei zulasten des Gelisteten. Bis zum 22.10. 2009 wurden auf diesem Wege 19 Personen und 27 Unternehmen gestrichen (auch in Sachen Barakaat sowie Vinck und Sayadi).[50] Der Rechtsbehelf bei den UN führt also keine Überprüfung der Grundentscheidung durch ein neutrales Organ herbei. Es besteht noch nicht einmal eine Pflicht, die Entscheidung zu begründen. In Abwesenheit von Transparenz, Individualrechten und Rechtsschutz durch nicht administrativ-politische Organe darf man getrost davon sprechen, dass hier nicht einmal das Minimum an prozeduraler Legitimation erreicht wird.

Auf EU-Ebene ist mit der Aufgabe des bisherigen clearing house-Verfahrens hingegen ein erheblicher Fortschritt erzielt worden. Die interne Arbeitsgruppe kontrolliert periodisch, ob die Listung noch aufrechterhalten werden kann.[51] Sie bewertet, ob die Gründe für eine Listung immer noch valide sind. Substantiell zeichnet sich dabei – auch auf Druck des EuG – ein zweistufiger Test ab. Erstens muss die Entscheidung einer Justizbehörde vorliegen, die zweitens als Hauptaspekt ein Verhalten zum Gegenstand hat, das als terroristische Handlung i.S. der Definition im Gemeinsamen Standpunkt einzuordnen ist.[52]

Im Anschluss spricht sie wiederum eine Empfehlung gegenüber dem Rat aus. Die Betroffenen werden schriftlich über den Ausgang informiert. Diese Überprüfung erfolgt halbjährlich, wobei der Betroffene zur Stellungnahme eingeladen ist. Sie hat bislang zum delisting von 20 Personen und sechs Gruppen geführt. Überdies kann ein Betroffener jederzeit unter Beifügung entlastenden Beweismaterials selbst um eine Überprüfung ersuchen. Über dieses Recht wird er ausdrücklich in der nachträglichen Begründung der Aufnahme in die Liste belehrt. Auch Mitgliedstaaten oder der Drittstaat, auf den Listung zurückgeht, können ein delisting jederzeit mit der Begründung beantragen, dass die Voraussetzungen für eine Listung nicht mehr erfüllt sind.[53] Zusätzlich ist es dem Rat unbenommen, jederzeit eine eigenständige Entscheidung zu treffen. Doch auch diese Instanz kann kaum den Status eines unparteilichen Tribunals beanspruchen, obgleich es zumindest einem rechtlich objektivierten Prüfungsprogramm folgt.

Begreift man die delisting-Verfahren als Bestandteil eines Mehrebenenverwaltungsverfahrens, denn dies ist die eigentliche Natur des Mechanismus, obwohl sich die jeweiligen Organisationsorgane dabei legislativer Instrumente bedienen können, ist das Verdikt der Unvereinbarkeit mit rechtsstaatlichen Grundsätzen noch nicht endgültig gesprochen. Die rechtsstaatlich gebotene verwaltungsgerichtliche Funktion erfüllen in der EU die Gemeinschaftsgerichte. Der Rechtsschutz vor den Gemeinschaftsgerichten hat allerdings keine aufschiebende Wirkung, Art. 242 EGV.

b) Nachträglicher Rechtsschutz durch Gemeinschaftsgerichte

Angesichts der eklatanten Defizite kann es nun nicht überraschen, dass Listungsentscheidungen beim EuG mit Nichtigkeitsklagen gem. Art. 230 EGV angegriffen wurden. Den Anspruch auf ein faires Verfahren als fundamentales Element gemeineuropäischer Rechtsstaatlichkeit hat das EuG trotz unbestreitbar redlichem Bemühen

nur unvollständig verwirklicht.[54] Seine Entscheidungspraxis hat eine merkwürdige Schieflage erzeugt.

Für Personen und Unternehmen, die in der UN-Liste genannt sind, hat das EuG in der Rechtssache "Kadi" eine Überprüfung der maßgeblichen EG-Verordnung auf Vereinbarkeit mit Gemeinschaftsrecht, insbesondere Gemeinschaftsgrundrechten und allgemeinen Rechtsprinzipien des Gemeinschaftsrechts, verweigert. [55] Das UN-Recht und die Normbefehle des Sicherheitsrats unter Kap. VII der UN-Charta genössen Vorrang gegenüber dem Gemeinschaftsrecht. Das Gericht müsse sich daher einer Überprüfung der Verordnung, die auf eine Inzidentkontrolle von UN-Recht hinausliefe, enthalten.[56] Lediglich an den zwingenden Maßstäben des Völkerrechts, dem ius cogens, will das EuG den Sicherheitsrat festhalten, da auch dieser derartigen materiell-rechtlichen Bindungen unterliege.[57] Allerdings fiel dem EuG beim Durchmustern der Fälle kein solcher Verstoß ins Auge. Rechtsschutz durch ein Gericht falle nicht darunter, das diplomatische Verfahren beim Sanktionsausschuss genüge völkerrechtlichen Mindeststandards. Mit Blick auf diesen oben skizzierten Rechtsbehelf fügt das EuG hinzu, dass die Heimatstaaten der Betroffenen nach europäischen Menschenrechten verpflichtet seien, diese bei einem delisting-Antrag zu unterstützen oder sogar unmittelbar für diesen tätig zu werden.[58] Das EuG verlagerte damit die Verantwortung auf die Ebene der Vereinten Nationen und der Mitgliedstaaten.

Ganz anders verfuhr das Gericht in den Fällen der EU-Liste. Hier waren die Betroffenen von Beginn an erfolgreich. In der Rechtssache Iranische Mudjaheddin annullierte es die Listungsentscheidung des Rats ebenso wie in den Fällen Sison und Stichting Al Aqsa.[59] Anders als bei der Rechtssache "Kadi" liege der Listungs- und Sanktionsprozess autonom in den Händen der EU. Eine Kollision mit UN-Recht sei mithin nicht zu befürchten, weshalb die handelnden EU-Organe vollumfänglich am Gemeinschaftsrecht festgehalten werden können. Einer Rechtskontrolle durch das EuG stand also nichts im Wege. Die Überprüfung auf Vereinbarkeit mit Gemeinschaftsrecht führte in den anhängig gemachten Fällen fast durchgängig zu empfindlichen Schlappen der beklagten EU-Organe und der sie unterstützenden Mitgliedstaaten. Es an dieser Stelle, da wir abstrakt über die "EU" sprechen, ausdrücklich gesagt, dass es die Mitgliedstaaten sind, die das Gesamtsystem geschaffen haben, Menschen auf die Liste setzen lassen und die EU-Organe massivst in ihren Bemühungen unterstützt haben, effektiven Rechtsschutz vor europäischen Gerichten zu torpedieren.

Das EuG fand dennoch trotz des Störfeuers fast durchgängig eine Verletzung des Begründungserfordernisses aus Art. 253 EGV des Anspruchs auf rechtliches Gehör im Allgemeinen. Auch das Recht auf effektiven Rechtsschutz sei evident verletzt, da ohne Begründung keine angemessene Verteidigung gegen die Vorwürfe möglich ist. Es versäumte aber nicht der EU eine Brücke zu bauen. Ein Nachschieben von Gründen sollte die Mängel heilen. Damit war der Boden für eines der unwürdigsten Schauspiele in der jüngeren europäischen Justizgeschichte. Einige Mitgliedstaaten wollten eine Streichung der OMPI um jeden Preis verhindern. Über die Motive darf spekuliert werden. Die englische Regierung erhielt für ihr Verhalten eine schallende Ohrfeige vom eigenen House of Lords, das erschüttert die Abwegigkeit der Vorwürfe des Innenministeriums (Home Secretary) festgestellt und geurteilt hatte, dass man redlicherweise keinen Terrorismusverdacht äußern kann. Damit jedoch nicht genug. Man suchte den alten Sicherheitsratskumpan Frankreich ins Boot zu holen, das dann tatsächlich einen neuen eigenen fadenscheinigen Listungsantrag beim Rat gegen OMPI stellte und OMPI auf der Liste verweilen ließ. Nach langem Gezerre scheiterten diese Versuche allesamt vor dem EuG.[60] OMPI ist mittlerweile gestrichen. Dennoch unterstreicht diese Episode die politische Anfälligkeit des gesamten Sanktionierungsmechanismus.

Insgesamt hat die Entscheidung des EuG den Betroffenen nur vorläufig geholfen, denn die geforderten Begründungen (statement of reasons) sind umfassend durch das EU-Ratssekretariat nachgeholt und die Anforderungen des EuG in die Listungspraxis integriert worden. Die erfolgreichen Kläger fanden sich also erneut auf der Liste wieder. Anders als bei der UN-Liste steht ihnen aber der erneute Weg vor das EuG offen, um nunmehr die tatsächliche Berechtigung oder die Verhältnismäßigkeit der Listung gezielt anzugreifen. Und diese Versuche sind nicht selten erfolgsgekrönt, so z. B. zuletzt die Beschwerde Sisons am 30.9.2009.[61]

Hierdurch entstand aber ein eklatantes Rechtschutzgefälle zwischen der UN-Liste und der EU-Liste. Mittlerweile war jedoch das Kadi-Verfahren in der Rechtsmittelinstanz beim EuGH angelangt. Der EuGH stand vor der Frage, ob es diese Diskrepanz dulden oder zu Lasten des Sicherheitsrats und letztlich der Normativität des UN-Rechts intervenieren sollte.

Der EuGH entschied sich für effektiven Rechtsschutz und setzte den Anspruch auf Begründung und rechtliches Gehör auch gegenüber UN-initiierten Listungen durch und wurde damit ein weiteres Mal seiner Rolle als Hüter europäischer Grundrechte und Rechtsstaatlichkeit gerecht. Es sei eine Selbstverständlichkeit, dass Gemeinschaftsrechtsakte wie die strittigen Verordnungen auch vollumfänglich am Gemeinschaftsrecht zu messen sind.[62] Eine Rücknahme eigener rechtlicher Standards komme in einer Rechtsgemeinschaft wie der EU, die sich der Rechtsstaatlichkeit in höchstem Maße verpflichtet sieht, nicht in Frage. [63] Das EuG hat hierauf in einem ersten Fall bereits reagiert und in der Rechtssache Othman (T-318/01) in enger Anlehnung an die Ausführungen in der Kadi-Entscheidung eine Verletzung von Gemeinschaftsrecht festgestellt und die Gewährung effektiven Rechtsschutzes verlangt.[64]

Mit der Eröffnung des Rechtsschutzes ist parallel ein wesentlicher Schritt getan, auch die Eingriffe in Eigentumsrecht, Recht auf Privatheit und Persönlichkeitsrecht insgesamt legitimieren zu können.[65] Auch der mögliche Verstoß gegen den Schuldgrundsatz ist erst einmal vom Tisch. Allerdings beließ man dem Rat eine Gnadenfrist von drei Monaten, um diese Mängel durch Nachreichung der geforderten Begründung zu heilen. An anderer Stelle habe ich mich sehr skeptisch gezeigt, ob der nötige Informationsfluss vom UN-Sicherheitsrat zu Rat und Kommission, die die Liste verwaltet, herzustellen ist.[66] Ich sehe mich heute eines Besseren belehrt. Die Kommission scheint – jedenfalls für sie selbst – hinreichende Begründungen zu erhalten und bestätigt die angezweifelten Listungen nach Anhörung der Betroffenen in den jüngsten Beschlüssen.[67]

Auch die befürchteten Spannungen infolge des inzidenten Angriffs des EuGH auf das Listungsregime des Sicherheitsrats sind ausgeblieben.[68] Der EuGH hatte selbst mit einer gewissen Chuzpe betont, dass man UN-Rechtsakt und EU-Rechtsakt ohne weiteres wegen der Autonomie der Unionsrechtsordnung trennen könne und man sich mit der Kontrolle der EG-Verordnung keine implizite Kontrollbefugnis von UN-Recht anmaße.[69] Und das, obwohl die Verletzung rechtsstaatlicher Gemeinschaftsprinzipien gerade mit strukturellen Defiziten begründet wird, die im völkerrechtlichen Mehrebenensanktionsmechanismus angelegt sind.[70]

Der Sicherheitsrat scheint damit leben zu können;[71] zumal der EuGH eine für ihn möglicherweise noch viel

größere Gefahr aus der Welt geschafft hat. Der Gerichtshof hat nämlich die ius-cogens-Kompetenz des EuG ausdrücklich verworfen. Gemeinschaftsgerichte dürften sich nicht zu universellen Menschengerichtshöfen aufschwingen, sondern hätten allein über Gemeinschaftsrecht zu urteilen. Das EuG hatte in der Sache für die Gewinnung seiner Kontrollbefugnis nämlich in eine fremde Rechtsordnung, das Völkerrecht, übergegriffen, ohne formell zu deren Wahrung berechtigt zu sein.[72] Es war nicht auszuschließen, dass sich auch andere Gerichte auf diese Weise zum Richter über den Sicherheitsrat gemessen an ihrem Verständnis von ius cogens aufgeschwungen hätten. Diese Gefahr ist erst einmal aus der Welt.[73]

Der Rückzug hat aber seinen Preis. Dieser Preis ist eine weitere Fragmentierung des Rechtsschutzes in der internationalen Gemeinschaft. Der EuGH hat zwar ein Rechtschutzgefälle innerhalb der EU beseitigt. Umso stärker ist aber das Gefälle, zu den Regionen um uns herum.[74] Mit seinem hohen Grad an Verrechtlichung und Vergerichtlichung einstmals zwischenstaatlicher Beziehungen wirkt die EU wie eine Insel der Glückseligen in einem tobenden Ozean des politischen Realismus. Gerade die Gemeinschaftsgrundrechte und Grundfreiheiten illustrieren als prägende Elemente europäischer Bürgerlichkeit,[75] die dank des EuGH integraler Bestandteil der Unionsverfassung sind[76] die Verschiedenheit der Gemeinschaftsrechtsordnung, die als Rechtsubjekte nicht nur Staaten, sondern auch den Einzelnen anerkennt,[77] gegenüber der Organisationsverfassung klassischer internationaler Organisationen.[78]

IV. Schlussfolgerungen

In der EU ist die Utopie der lückenlosen Herrschaft des Rechts mit der prozesshaften Entwicklung europäischer Rechtsstaatlichkeit durch den EuGH und deren weiteren Ausbau durch den Vertrag von Lissabon – dieser schreibt künftig in Art. 215 III und Art. 75 III AEUV ausdrücklich Bestimmungen zum Rechtsschutz bei Wirtschaftssanktionen vor – fast wahr geworden.[79]

Grund zum Ausruhen und zur überschwänglichen Freude ist dies allerdings nicht. Zu wach sind noch die Erinnerungen an die zurückliegenden Verfahren. Zu verstörend waren der Extremismus und die Unerbittlichkeit, mit denen Rat und Mitgliedstaaten die Einräumung selbst geringster Verfahrensrechte bekämpft haben. Es hätte mich gerade vor dem Hintergrund unserer gemeinsamen Vergangenheit stolz gemacht, wenn die Bundesrepublik an die Seite der Rechtstaatlichkeit und Menschenrechte getreten wäre. Aber sie hat geschwiegen.

Im Übrigen ist auch noch nicht viel erreicht. Ein guter Teil der Wegstrecke liegt noch vor uns. Nun, da der Rechtsweg eröffnet ist, gehen die Auseinandersetzungen in eine neue Phase über. Künftig werden die Klärung von Beweisfragen, z.B. die Zulässigkeit von in camera-Verfahren und Sperrerklärungen, die Konsolidierung der materiellen Prüfungskriterien[80] und strenge Verhältnismäßigkeitsprüfungen – nach formaler Rechtswegeröffnung steht nunmehr auch die Verwirklichung der materiellen Rechtsstaatlichkeit an – im Vordergrund stehen;[81] zumal der EuGH schon Zugeständnisse gegenüber dem Geheimhaltungsinteresse der Mitgliedstaaten in Aussicht gestellt hat.[82] Dies ist eine würdige Zukunftsaufgabe für eine gewissenhafte, unabhängige und fähige Anwaltschaft. Es darf aber darauf gehofft werden, dass die Stärkung des Rechtsschutzes durch den EuGH einen heilsamen bremsenden Effekt auf die Mitgliedstaaten haben wird, nicht vorschnell Listung zu betreiben und Bürger aus politischem Kalkül oder bloßen Vermutungen heraus, massiven Sanktionen auszusetzen.[83]

Schließlich sollten wir Europäer uns nicht selbstzufrieden zurücklehnen, sondern unsere Bemühungen auch international, vor allem auf UN-Ebene intensivieren. Das

Gesamtsystem der smart sanctions offenbart eindrucksvoll die bisherige Unfähigkeit der beteiligten internationalen Akteure, ein Rechtsschutzsystem zu schaffen, das menschenrechtliche Verpflichtungen und das berechtigte Anliegen des Schutzes gegen den internationalen Terrorismus in eine gesunde Balance bringt. Dies ist ein Zukunftsauftrag an die Rechtspolitik, bei der auch die Verteidiger weltweit ihre Stimme erheben sollten.


* Um Fußnoten ergänzter Vortrag, den der Verfasser auf dem 2. EU-Strafrechtstag am 31.10.2009 in Bonn gehalten hat. Der Vortragsstil wurde beibehalten.

[1] Marty, Bericht vom 16.11.2007 vor der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE) anlässlich einer Sitzung des PACE-Ausschusses für Recht und Menschenrechte, http://assembly.coe.int/Documents/WorkingDocs/Doc07/ EDOC11454.pdf (letzter Aufruf: 07.11.2009).

[2] Die Kompetenz des Sicherheitsrats hierzu folgt aus Art. 41 der UN-Charta, da der Sicherheitsrat den internationalen Terrorismus mit Resolution 1267 (1999) und Resolution 1373 (2001) als Bedrohung für den Weltfrieden eingestuft hat.

[3] Der Sanktionsausschuss ist ein Unterorgan des Sicherheitsrats gem. Art. 29 UN-Charta; zum Verfahren Feinäugle German Law Journal 2008, 1513, 1516 ff. Die Einberufung von Sanktionsausschüssen, die mit Diplomaten der ständigen Vertretungen der Mitgliedstaaten bei den UN besetzt sind, zur Implementierung von Sanktionen ist ein gebräuchliches Vorgehen mit zahlreichen Vorgängern, Koskenniemi 6 European Journal of International Law 325 (1995), 345.

[4] Unterstützt wird der Sanktionsausschuss von einem monitoring team aus acht Fachleuten, die vom UN-Generalsekretär ernannt werden, vgl. Frowein The UN Anti-Terrorism Administration and the Rule of Law, in: Dupuy/Fassbender/Shaw/Sommermann (Hrsg.), Völkerrecht als Wertordnung, 2006, S. 785, 791 ff. Sie sind spezialisiert für Terrorismusbekämpfung, Terrorismusfinanzierung und Waffenschmuggel und diesbezügliche Rechtsfragen. Sie beobachten auch die Umsetzung durch die Mitgliedstaaten und befassen sich mit der Beseitigung rechtlicher Defizite bei der Vornahme und Überprüfung von Listungen.

[5] Erforderlich ist eine Begründung des sog. designating state (statement of case), die so detailliert wie möglich zu erfolgen hat und spezifische Feststellungen zur Frage der Assoziation und unterstützendes Beweismaterial enthalten muss. Für den Listungsvorschlag muss ein spezielles Formular (cover sheet) verwendet werden und Name, Anschrift, Identifikationsnummern und Aliasnamen ausweisen.

[6] Einzige – kaum nennenswerte – Schutzmechanismen sind Erfordernis von cover sheet und statement of case, kurze Notifizierungsfristen, Konsenserfordernis sowie die Einführung eines materiellen Standards als rechtsstaatlicher Fortschritt.

[7] Binnen zwei Wochen hat eine Mitteilung an die ständige Vertretung des Heimatstaates des Betroffenen inkl. Belehrung über Rechtsfolgen und für Öffentlichkeit vorgesehenem Tatsachenbericht zu erfolgen. Die Mitteilung neuer Listungen an Mitgliedstaaten enthält ein statement of case also nur soweit dessen Teile vom Ursprungsstaat als öffentlich zugänglich freigeben wurden.

[8] Die sog. Consolidated List besteht aus vier Sektionen, namentlich Individuals associated with the Taliban, Entities and other groups and undertakings associated with the Taliban, Individuals associated with Al-Qaida, Entities and other groups and undertakings associated with Al-Qaida. Der Löwenteil der Listungen betrifft Al-Qaida.

[9] Ein terroristischer Akt sind danach absichtliche Handlungen, die nach Natur und Ausmaß zur schweren Schädigung eines Staates oder internationaler Organisationen führen, einschließlich Angriffen auf Leben und körperliche Integrität, Zerstörung von Regierungseigentum, Entführung von Flugzeugen und anderen Transportmitteln; Besitz, Erwerb, Lieferung und Transport von ABC-Waffen; Freisetzung von gefährlichen Substanzen; Unterbrechung der Wasser- und Energieversorgung, Teilnahme an Aktivitäten einer Terrorgruppe; Finanzierung von Terrorgruppen; Informationelle und materielle Unterstützung; und zwar jeweils mit dem Vorsatz, die Bevölkerung einzuschüchtern oder Zwang auf die Regierung auszuüben, um sie zu einem bestimmten Verhalten zu bewegen oder in der Absicht zur Destabilisierung des politischen Systems.

[10] Vgl. zu Mandat, Zusammensetzung und Arbeitsweise der Arbeitsgruppe Ratsdokument 10826/07, 28.6.2007 .

[11] Neben den Gründen enthält eine solche Benachrichtigung Hinweise auf humanitäre Klauseln, den Rechtsweg vor das EuG und das Recht zur Überprüfung der Entscheidung durch Rat (versehen mit entlastendem Beweismaterial). Ferner wird die Listung im Amtsblatt der EU öffentlich gemacht.

[12] Dies geschah durch EG-Verordnung Nr. 881/2002 für UN-Liste und durch EG-Verordnung Nr. 2580/2001 für die EU-Liste. Sie konstituieren das Grundgerüst der Listungssysteme innerhalb der EU. Die black list des Sanktionsausschusses ist EG-Verordnung Nr. 881/2002 als Anhang angeschlossen. Zur fortlaufenden Aktualisierung wird die EG-Kommission in Artikel 7 der Verordnung ermächtigt.

[13] Die Umsetzung wurde in der EU wegen ihrer Außenwirtschaftskompetenz und zum Schutz der einheitlichen Marktorganisationen auf Art. 60, 301, 308 EGV gestützt. Gegenüber den UN gilt für beide Verordnungen Art. 48 II UN-Charta, wonach sich die Mitgliedstaaten bei der Durchführung von Beschlüssen geeigneter internationaler Einrichtungen bedienen dürfen.

[14] Dahme, Terrorismusbekämpfung durch Wirtschaftssankti onen, 2007, S. 320 ff.

[15] Cameron 72 Nordic Journal of International Law 159 (2003), 189.

[16] EuGH, Rs. C-402/05 P u. C-415/05 P, Urt. v. 3.9.2008 (Yassin Abdullah Kadi und Al Barakaat International Foundation v. Rat u. Kommission), Rz. 358, 363.

[17] Auch der Europarat hat die Bedeutung dieses Mittels zur effektiven Terrorismusbekämpfung betont, siehe Council of Europe Convention on Laundering, Search, Seizure and Confiscation of the Proceeds from Crime and on the Financing of Terrorism[CETS No. 198].

[18] EuG, Slg. 1998, II-667 – Dorsch Consult.

[19] EuGH, EuZW 96, 595 – Bosphorus Hava Yollari ve Ticaret/Irland; ferner Dahme (Fn. 14) S. 328 ff. – der Maßstab des EuGH sei sehr großzügig.

[20] Grundsätzlich handelt es sich nur um Berufsausübungsregelungen. Zudem sind Ausnahmeregelungen möglich. Eine Beeinträchtigung der Substanz des Gewerbebetriebs könnte aber durch drohende Insolvenz eintreten. Gleichwohl könnten überragende Gemeinschaftsinteressen auch hier einen Eingriff rechtfertigen. Als ausschlaggebend werden sich die Umstände des Einzelfalls und die Handhabung von Ausnahmeregelungen erweisen.

[21] EuGH (Fn. 16), Rz. 364; zu humanitären Ausnahmeklauseln genauer Meyer/Macke HRRS 2007, 445, 455 ff.

[22] Für die EU-Liste betont Generalanwalt Geelhoed in seinem Schlussantrag in der Rechtssache "Sison", dass mit der Aufnahme in die Liste nicht der Zweck der Brandmarkung verfolgt wird, sondern diese allein zur Bekämpfung terroristischer Aktivitäten dient. Die Veröffentlichung der Liste mit den Namen der Betroffenen sei eine verwaltungstechnische Notwendigkeit zur Durchführung der Maßnahmen. Ein Vergleich mit der Rechtssache "Allenet de Ribemont" beim EGMR sei daher nicht statthaft, Rs. C-266/05 P (Jose Maria Sison gegen Rat der Europäischen Union), Schlussantrag, Rn. 85.

[23] EGMR, Appl. Nr. 6422/02 u. 9916/02 – Segi, Gestoras Pro Amnistia u.a., Urt. v. 23.5.2002 – für eine Konventionsverletzung fehle es an einer direkten rechtlichen Betroffenheit durch die Listung allein.

[24] Das EuG hat in seiner Entscheidung vom 2.9.2009 in den verbundenen Rechtssachen T-37/07 und T-323/07 (Mohamed El Morabit / Rat) die Geltung des Grundsatzes der Unschuldsvermutung im Bereich des freezing of assets verneint, Rz. 42-49.

[25] Stuckenberg , Untersuchungen zur Unschuldsvermutung, 1998, S. 494, 513 ff.; ders. ZStW 111 (1999), 422, 456; Fletcher 15 UCLA Law Review 1203, (1967-1968), 1212 ff.

[26] Dazu jetzt auch Rackow StV 2009, 721, 724 ff.

[27] EGMR, Engel u.a. v. Niederlande, Serie A Nr. 22, Rz. 80 ff.; vgl. aus jüngerer Zeit Aufzählung bei Kadubec v. Slowakei, Reports 1998-VI, §§ 50-53; sowie ferner bei Öztürk v. Deutschland, Serie A Nr. 73, §§ 50-54.

[28] EGMR, Engel u.a. v. Niederlande, Nr. 22, § 80 ff.

[29] EGMR, Öztürk v. Deutschland, Serie A 73, § 53; Lutz v. Deutschland, Serie A Nr. 123, §§ 54 ff.; Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, 3. Aufl. 2008, § 24 Rn. 19 – abstrakt-generell mit abschreckendem oder repressivem Charakter (punitive oder deterrent).

[30] Gaede, Fairness als Teilhabe – das Recht auf konkrete und wirksame Teilhabe durch Verteidigung gemäß Art. 6 EMRK, 2007, S. 171; zur Notwendigkeit einer kumulativen Betrachtungsweise des zweiten und dritten Kriteriums aufgrund ihres inneren Zusammenhangs auf der Rechtsfolgenseite, Grabenwarter (Fn. 28) § 24 Rn. 24.

[31] Grabenwarter (Fn. 28), § 24 Rn. 17; Gaede (Fn. 29), S. 168 ff. In jüngerer Zeit ergänzt der EGMR die Anwendung dieser "Engel"-Kriterien durch eine Gesamtwürdigung, Lauko v. Slowakei, Reports 1998-VI, § 57.

[32] Ihres zeitlich unbestimmten Charakters und der konkludenten Zurechnung zum internationalen Terrorismus wegen sehen manche Autoren in diesen Individualsanktionen Maßnahmen strafrechtlicher Natur, Wessel, Debating the "Smartness" of Anti-Terrorism Sanctions: The UN Security Council and the Individual Citizen, in: Fijnaut, Wouters, Naert (Hrsg.), Legal Instruments in the Fight Against International Terrorism. A Transatlantic Dialogue, S. 633, 652 f.; ebenso Rackow StV 2009, 721, 725.

[33] Wessel (Fn. 32), S. 655.

[34] Kotzur, EuGRZ 2008, 673, 679.

[35] Die materielle Grenze für Eingriffe aus Achtung des Menschen als selbstbestimmtes, autonomes Subjekt muss gewahrt bleiben. Sonst träte neben der Individualrechtsverletzung auch ein Schaden für die Selbstbeschreibung des Rechtssystemsund letztlich die Selbstachtung, d. h. die Würde des Gemeinwesens, das wir alle verkörpern, ein, so eindrucksvoll Di Fabio NJW 2008, 421, 424 – den Anderen als Subjekt zu achten sei die Bedingung für Selbstachtung, denn auch im Bösen des Feindes findet sich ein letztes Stück von einem selbst. Dies lehrt die in Art. 1 I GG positivierte humanistische Idee der unverlierbaren Würde des Gattungszugehörigen.

[36] Di Fabio NJW 2008, 421, 422 – kein Vorrang der Sicherheit bei Gefährdungen, sondern Symmetrie. Es bestünde nämlich ein Komplementärverhältnis.

[37] Diesbezüglich wird man aber sehr gründlich differenzieren müssen. Während das Bereitstellungsverbot in § 34 AWG durch einen direkten – und unwiderlegbaren – Verweis auf die Liste strafbewehrt ist, findet eine mögliche Indizwirkung der Listung in anderen Fällen keinen direkten Niederschlag in der streitentscheidenden Norm. Man wird genau prüfen müssen, welche Anknüpfungspunkte die nationale prozessuale und materielle Vorschrift bietet. Grundsätzlich müssen die tatsächlichen Voraussetzungen eigenverantwortlich überprüft werden. Die Liste kann daher nur dann Indizwirkung entfalten, wenn auf das Verhalten, das der Listung zugrunde liegt, Bezug genommen wird. Im Übrigen gilt es zu beachten, dass das Listensystem eine derartige Indizwirkung nicht intendiert. Etwaige Folgewirkungen beruhen – wenn überhaupt – auf der autonomen Entscheidung der nationalen Legislativen. Wenn aber die Bindungswirkung strittig ist, müsste gegebenenfalls eine Vorlage an den EuGH erwirkt werden, um sich über intendierte Bindungswirkung und Regelungseffekt Aufschluss zu verschaffen.

[38] Sie zeitigt Auswirkungen im Arbeits- und Sozialrecht, siehe Meyer/Macke HRRS 2007, 445, 448 f. Hat eine betroffene Privatperson eine feste Arbeitsstelle, wird die Lohnauszahlung zum Problem. Auch wenn grundsätzlich die Freiheit einer Person, einer Arbeit nachzugehen, von der Listung nicht berührt wird, so ist es einem gelisteten Arbeitnehmer zumindest auf den ersten Blick unmöglich, an Lohn oder Gehalt zu kommen. Die Konten sind eingefroren und Barzahlung wegen des umfassenden Bereitstellungsverbots unzulässig.

[39] Vgl. OVG Bautzen, Az. 2 A 107/08, Beschluss v. 20.5.2009; VG Hamburg, Az. 10 K 906/08, Urt. v. 12.05.2009. In den Entscheidungen wird allerdings der Versuch unternommen, den Eindruck einer Indizwirkung zu zerstreuen; siehe ferner allgemein Meyer/Macke HRRS 2007, 445, 451.

[40] Kirgis 89 American Journal of International Law 506 (1995), 515.

[41] Klein, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 3. Aufl. 2004, 4. Abschn. Rn. 202.

[42] Herdegen, FS Bernhardt, 1995, S. 103, 113.

[43] Gareis/Varwick, Die Vereinten Nationen, S. 57.

[44] Vgl. Thallinger ZaöRV 67 (2007), 1015, 1029 ff.

[45] Diese Einsicht erhellt auch, dies sei als Randnotiz vermerkt, warum die US-amerikanische Regierung unter Präsident Bush, den bloßen Zugang von Guantanamo-Häftlingen zu US-Gerichten mit sprachlos machender Energie und Ruchlosigkeit bekämpft hat. Bereits die Zulässigkeit eines Habeas Corpus-Rechtsbehelfs impliziert die Existenz materieller Rechte.

[46] Der EuGH anerkennt ausdrücklich, dass eine vorherige Mitteilung die Effektivität der Maßnahme gefähren würde. Die Maßnahme müsste wegen ihrer Natur denknotwendig den Überraschungseffekt nutzen, (Fn. 16) Rz. 338 ff.

[47] Feinäugle German Law Journal 2008, 1513, 1528 ff. – Prozeduren trügen Keimzelle eines internationalen Verwaltungsverfahrensrechts in sich.

[48] Eingerichtet wurde dieser focal point im UN-Sekretariat durch Sicherheitsratsresolution Nr. 1730 (2006), im Einzelnen Feinäugle ZRP 2007, 75 ff.

[49] Der focal point dient ebenfalls der Beratung und Erleichterung von Konsultationsverfahren, in dem sich der Heimatstaat, wenn er die Streichung des Betroffenen unterstützt, und der Mitgliedstaat, der die Listung betrieben hat, über die Berechtigung der Listung verständigen sollen. Das Ergebnis dieses Verständigungsprozesses soll dann mit einer Empfehlung an den Sanktionsausschuss weitergeleitet werden, der abschließend einstimmig darüber befindet, ob hinreichende Gründe dafür beigebracht wurden, den Namen des Betroffenen aus der Liste zu streichen.

[50] SR-Resolution 1822 vom 30. Juni 2008 sieht eine Überprüfung aller Namen, die am 30. Juni 2008 auf der Liste standen, vor, die bis zum 30. Juni 2010 abgeschlossen sein soll.

[51] Die Vorschläge können von Mitgliedstaaten oder Drittstaaten kommen und müssen mit hinreichenden Informationen versehen sein. Das vorgelegte Material wird dann an die Mitgliedstaaten zirkuliert und diskutiert.

[52] Vgl. hierzu erhellend EuG, Rs. T-341/07, Urt. v. 30. 9. 2009 (Sison) sowie Rs. T-284/08, Urt. v. 4.12.2008 (OMPI v. Rat).

[53] Derartige Anträge werden dann prioritär behandelt.

[54] Zu den Erfordernissen Meyer ZEuS 2007, 1, 18 ff.

[55] EuG, Rs. T-315/01 – Yassin Abdullah Kadi v. Rat u. Kommission und Rs. T-306/01 – Ahmed Ali Yusuf and Al Barakaat International Foundation v. Rat u. Kommission ; zusammengefasst in eucrim 3-4/2006, S. 66.

[56] Kritisch Tietje/Hamelmann JuS 2006, 299, 301; Schmahl EuR 2006, 566, 573; v. Arnauld AVR 44 (2006), S. 201, 212; aufgeschlossener steht dieser Lösung Kämmerer EuR – Beiheft 1 – 2008, 65, 73 f., gegenüber.

[57] Es ist freilich hochgradig umstritten, ob und in welchem Maß der UN-Sicherheitsrat selbst an Menschenrechte gebunden ist, ausführlich De Wet, The Chapter VII Powers of the United Nations Security Council, 2004, S. 187 ff. Universelle Menschenrechte als wichtigster Legalitäts- und Legitmitätsmaßstab aus Völkervertrags- und –gewohnheitsrecht seien gem. Art. 24 II i.V.m. Art. 1 III UN-Charta auch für den Sicherheitsrat bindend, Kotzur EuGRZ 2008, 673, 678.

[58] EuG, Urteil vom 12.7.2006, Rs. T-253/02 und T-49/04 (Chafiq Ayadi/Rat der Europäischen Union; Faraj Hassan/Rat der Europäischen Union und Kommission der Europäischen Gemeinschaften).

[59] EuG, Urteil vom 12.12.2006, Rs. T-228/02 (Volksmudschahedin des Iran); Urt. v. 11.7.2007, Rs. T-47/03 (Sison v. Rat); Urt. v. 11.7.2007 (Rs. T-327/03 – Stichting Al Aqsa v. Rat).

[60] Der Sanktionsbeschluss 2008/583/EG des Rates vom 15. Juli 2008 wurde für nichtig erklärt, soweit er die People’s Mojahedin Organization of Iran betraf, EuG, Rs. T-284/08, Urt. v. 4.12.2008 (OMPI v. Rat), Rz. 56 – "Im vorliegenden Fall stellte das Gericht fest, dass weder die Informationen, die sich aus dem angefochtenen Beschluss, seiner Begründung und dem Mitteilungsschreiben ergeben, noch die in den beiden Antworten des Rates auf den Beweiserhebungsbeschluss vom 26. September 2008 enthaltenen Informationen die vorstehend in Erinnerung gebrachten Beweisanforderungen erfüllen, so dass nicht rechtlich hinreichend nachgewiesen ist, dass der angefochtene Beschluss im Einklang mit Art. 1 Abs. 4 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 und Art. 2 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2580/2001 erlassen wurde." Insbesondere habe der Rat dem Gericht weder genaue Informationen noch Aktenstücke übermittelt, aus denen hervorginge, dass das von der Antiterror-Abteilung der Staatsanwaltschaft beim Tribunal de Grande Instance de Paris im April 2001 eingeleitete Ermittlungsverfahren – als maßgeblichen Beschluss einer Justizbehörde – und die beiden ergänzenden Anschuldigungen vom März und November 2007 gegenüber der Klägerin, wie der Rat ohne sonstige Untermauerung seines Vorbringens behauptet, einen die Definition des Art. 1 Abs. 4 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 erfüllenden Beschluss darstellen.

[61] EuG, Rs. T-341/07, Urt. v. 30. 9. 2009 (Sison).

[62] EuGH, Rs. C-402/05 P u. C-415/05 P, Urt. v. 3.9.2008 (Yassin Abdullah Kadi und Al Barakaat International Foundation v. Rat u. Kommission), EuGRZ 2008, 680; dazu Kämmerer EuR 2009, 114 ff.; Kotzur EuGRZ 2008, 673 ff., Meyer eucrim 1-2/2008, 79 ff.; Ohler EuZW 2008, 630 ff.; Sauer NJW 2008, 3685 ff.

[63] Eine Gemeinschaft, die sich auf die sich auf die rule of law gründet, könne ihre Verpflichtungen nicht aufgrund internationaler Abkommen ablegen. Gemeinschaftsrechtskate seien stets einer vollen Überprüfung nach diesen Grundsätzen zu unterziehen, EuGH (Fn. 16), Rz. 285-86, 288.

[64] EuG, Rs. T-318/01, Urt. v. 11. Juni 2009 (Othman).

[65] Der EuGH bestätigt die Rechtmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit der Maßnahme, solange und soweit individualisierte Begründung erfolgen und zur gerichtlichen Nachprüfung gestellt werden, (Fn. 16) Rz. 358, 363.

[66] Meyer eucrim 1-272008, 79, 83.

[67] Vgl. Verordnung 1190/2008. In Kom(2009) 187 endg. wird die künftige Verfahrensweise knapp umrissen. Nach Benachrichtigung des Sanktionsausschusses über neue Listungen und deren Gründe trifft die Kommission eine vorläufige Entscheidung über die Umsetzung in der EU. Parallel hierzu sendet die Kommission betroffenen Individuen und Gruppen ohne Verzögerung eine Begründung zu (statement of reasons), um diesen rechtliches Gehör zu gewähren. Nach Prüfung der vorgetragenen Einwände trifft die Kommission in Abstimmung mit einem beratenden Expertengremium der Mitgliedstaaten eine endgültige Entscheidung über die Umsetzung der Sanktion.

[68] Kämmerer attestiert der Kommission insofern diplomatisches Geschick, EuR 2009, 114, 129. Er spricht von einem "Burgfrieden". Ob man angesichts dessen wirklich von einem dédoublement fonctionelle sprechen sollte, wie Kotzur EuGRZ 2008, 673, es tut, wonach die Gegensätzlichkeit von UN und EU aufgelöst wird, indem man sie als interdependente Verfassungsräume in einem weltweiten Mehrebenensystem versteht und dadurch zu einem dualen Kooperationsverhältnis kommt, das einen Rückgriff auf regionale oder nationale Instanzen gestattet, erscheint fraglich.

[69] Die Vorspiegelung formaler Autonomie verhüllt den Affront gegenüber dem Sicherheitsrat nur spärlich. Die Botschaft ist klar. Maßnahmen nach Kap. VII werden dann nicht verwirklicht, wenn sie mit den rechtlichen Grundprinzipien der regionalen Ordnung, hier: der der EU, unvereinbar sind. Überhaupt ist die EU in der Terrorismusbekämpfung, wie schon die Kompetenzgrundlage und ihrer Herleitung durch den EuGH verrät, innigst mit anderen Rechtsordnungen, insbesondere den Vereinten Nationen, verbunden.

[70] Kämmerer EuR 2009, 114, 127.

[71] Die möglichen Regimekollisionen lassen sich rechtlich nicht auflösen. Durch Kommunikation zwischen den Gerichten lassen sich aber zumindest kooperativ Lösungen anstoßen, Gless/Schaffner, Judicial review of freezing orders due to a UN listing by European Courts, in: Braum/Weyembergh (Hrsg.), Le contrôle juridictionnel dans l’espace pénal européen, 2009, S.163, 193. Der EuGH kommuniziert in Kadi nach innen und nach außen. Er fordert gegenüber den Mitgliedstaaten und anderen EU-Organen klagbare Rechte für Individuen und gegenüber der internationalen Staatengemeinschaft die Aufhebung der völkerrechtstypischen Mediatisierung des Individuums.

[72] Kämmerer EuR – Beiheft 1 – 2008, 65, 67 f.; Kotzur EuGRZ 2006, 19, 23.

[73] Man darf in dieser Hinsicht von einem Teilerfolg für Frankreich und das Vereinigte Königreich sprechen, die im Verfahren vor dem EuGH den Versuch unternommen haben, die Streichung selbst des mageren ius cogens-Standards zu erreichen.

[74] Meyer eucrim 1-2/2008, 79, 85.

[75] Mayer/Palmowski Journal of Common Market Studies 42 (2004), 573, 594.

[76] Terhechte EuR 2008, 143, 170; Grabenwarter EuGRZ 2004, 563 ff. Von ihnen geht sowohl eine positive Integrationswirkung durch Bestimmung einer gemeinsamen Wertebasis als auch eine negative Integrationswirkung aus, weil diese Werte und Freiheiten in den Mitgliedstaaten keine Beschränkung erfahren dürfen und nationaler Regelungsmacht Grenzen ziehen.

[77] EuGH, Slg. 1963, 1; Rs. 26-62 – Van Gend en Loos.

[78] Die Bemühungen des EuGH, die Unerlässlichkeit transnationaler Grundrechte und –prinzipien als Korrelat einer immer intensiveren Kooperation und Integration in Europa zu akzentuieren, ist kein Novum, sondern sind Ausdruck eines langen Prozesses, der mit den Rechtssachen Stauder und Nold begann und den EuGH von allen anderen obersten Gerichtshöfen in Europa abhebt. Der EuGH hat sich als vorherrschender Garant und Schöpfer transnationaler Verfahrensrechte in der EU etabliert.

[79] Vgl. grundsätzlich zu den Stufen der Rechtsstaatlichkeit Grimm JZ 2009, 596 ff.

[80] Derzeit bestehen noch unterschiedliche Prüfungsmaßstäbe für die Listungssysteme, wobei der Gefahrzusammenhang gerade bei der UN-Liste sehr ausgedünnt ist. Um das befürchtete Handeln Einzelner wirklich als Gefahr für den Weltfrieden einstufen zu können, bedarf es einer Konkretisierung des Zusammenhangs von Förderungsleistungen Einzelner und der Bedrohung der internationalen Gemeinschaft durch den Terrorismus.

[81] Meyer eucrim 1-2/2008, 79, 85; Ohler EuZW 2008, 630, 633 – sorgfältige Balance zwischen sicherheitspolitischen Geheimhaltungsinteressen und den Erfordernissen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutzes; die Beweislast trüge in jedem Fall der Rat, doch sei abzuwarten, ob nur eine gefahrenabwehrrechtliche Wahrscheinlichkeitsbetrachtung vorgenommen wird oder ein strenger Wahrheitsbeweis angetreten werden muss. Das EuG (Fn. 59) Rz. 117, hat insofern zwar ernsthafte und schlüssige Beweise oder Indizien gefordert, aber nicht den Bezugspunkt offen gelegt.

[82] EuGH (Fn. 16) Rz. 344.

[83] Zu einem interessanten Fall vor der Human Rights Committee, die eine entsprechende Warnung aussprach, Keller/Fischer 9 Human Rights Law Review ( 2009), 257-266.