HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Juli 2007
8. Jahrgang
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Schrifttum

Johannes Feest (Hg.): StVollzG - Kommentar zum Strafvollzugsgesetz (AK-StVollzG), Luchterhand (Wolters Kluwer), Neuwied 2006, 894 Seiten, ISBN 3-472-06499-4, € 115.00.

Der von dem Bremer Juristen und Sozialwissenschaftler Johannes Feest herausgegebene Kommentar zum Strafvollzugsgesetz, nach üblicher Zitierweise: der AK-StVollzG, liegt nach sechs Jahren in einer neuen, nunmehr fünften Auflage vor. Im Vorwort spricht der Herausgeber die Umstände an, die eine solche Neuauflage nicht mehr als Selbstverständlichkeit erscheinen lassen. Dass die Gesetzgebungskompetenz für den Strafvollzug im Rahmen der Föderalismusreform auf die Länder übertragen wurde, lässt für die Entwicklung des Strafvoll-

zugsrechts in eine ungewisse Zukunft blicken. Selbst wenn der prognostizierte »Schäbigkeitswettbewerb« in einem für das populistische Profilierungsinteresse attraktiven Regelungsbereich ausbleibt, droht die Gefahr einer neuen Unübersichtlichkeit, wie wir sie aus dem Polizeirecht oder dem Maßregelvollzugsrecht kennen. Gleichwohl gibt sich der Herausgeber zuversichtlich, dass »[s]elbst im schlechtesten Fall[...]in den Landesgesetzen über weite Strecken die Substanz des Strafvollzugsgesetzes (und damit die dazu ergangene Rechtsprechung und Auslegung) erhalten bleiben [wird]« (S. VII).

Es gibt Hinweise, die für die Richtigkeit dieser Einschätzung sprechen. So scheiterte etwa der sächsische Landesjustizminister Mackenroth unlängst mit dem Vorhaben, in einem allgemeinen, den Erwachsenen- und Jugendstrafvollzug gemeinsam regelnden sächsischen Strafvollzugsgesetz Resozialisierung und Sicherheit als gleichrangige Vollzugsziele festzuschreiben. Mackenroths Argumentation, das StVollzG sei mittlerweile durch die gesellschaftliche Entwicklung und den wissenschaftlichen Fortschritt überholt, hat offenkundig nicht überzeugt. Vielmehr scheint sich herumgesprochen zu haben, dass sich die gesellschaftliche Entwicklung und der wissenschaftliche Fortschritt immer noch in jenen Standards von Rationalität und Humanität niederschlagen, für die das StVollzG ein sicherlich unvollkommener, aber wenigstens in der Tendenz erkennbarer Ausdruck ist. Das lässt hoffen, dass die ganz düsteren Szenarien für den Strafvollzug in Deutschland nicht eintreten. So darf man den Herausgeber verstehen, wenn er im Vorwort von dem »Mut« spricht, »zu diesem Zeitpunkt eine Neuauflage unseres Kommentars vorzulegen« (S. VII).

I. Es ist zu begrüßen, dass dieser Mut aufgebracht wurde. Im Kontext der strafvollzugsrechtlichen Diskussion nimmt der AK nämlich einen unverzichtbaren Platz ein. Zu Recht ist im Vorwort vom »bewährten Muster einer rechtspolitisch engagierten, sozialwissenschaftlich fundierten Kommentierung« (S. VII) die Rede. Dieses Muster ist in einem Bereich, in dem die Rechtspolitik zunehmend ohne sozialwissenschaftliches oder überhaupt irgendein wissenschaftsförmiges Wissen auszukommen meint, von hohem Wert. Den Autorinnen und Autoren des Kommentars geht es dabei nicht um kriminologischen Ästhetizismus, auch wenn sich die Spuren der Begründung zuweilen bis zu Foucaults »Überwachen und Strafen« verfolgen lassen. Vor allem geht es um das Aufzeigen der theoretischen, empirischen und normativen Voraussetzungen einer rationalen und humanen Praxis des Strafvollzugs, soweit sie, zwischen Zustimmung und Skepsis, in Übereinstimmung mit dem Text und dem Wortlaut des Strafvollzugsgesetzes hergestellt werden muss. Wie sich diese Voraussetzungen noch in der scheinbar einfachsten Frage des vollzuglichen Alltags bemerkbar machen, lässt dieser Kommentar in eindrucksvoller und eindringlicher Weise sichtbar werden. Sein Anspruch lässt sich vielleicht am besten aus der Definition dessen ersehen, was ihm selbst »Kommentierung« heißt, nämlich »Auslegung des Gesetzes, aber auch Diskussion der nach der Auslegung verbleibenden Handlungsspielräume und ihrer Ausfüllung, schließlich auch Kritik des Gesetzes, wenn weder Auslegungs- noch Ausfüllungsvorschläge zu befriedigen vermögen« (vor § 1 Rn. 1).

II. Es wird kaum verwundern, dass die kritischen Partien des Kommentars keineswegs zu kurz kommen. Bereits in der Vorbemerkung zum zweiten Abschnitt wird etwa die sog. »nothing works«-These bekräftigt (vor § 2 Rn. 7), d.i. die Annahme, dass es keinen quantifizierbaren Zusammenhang zwischen Behandlungsanstrengungen im Strafvollzug und der Rückfälligkeit von entlassenen Tätern gibt. Das schließt aber natürlich Resozialisierungserfolge im Einzelfall nicht aus, und außerdem folgt aus der Behandlungsskepsis nichts für den Sinn oder auch nur die Effektivität einer besonders repressiven Vollzugsgestaltung. Ganz im Gegenteil ist der Kommentar bestrebt, »über positive Praxisalternativen zu informieren« (vor § 1 Rn. 10), das heißt über vereinzelt erprobte Reformmodelle mit zum Teil erheblich über den Mindeststandards hinausgehenden Vollzugsinhalten oder Vorschläge »innovativer Praktiken«, die zunehmend auch auf transnationaler Ebene gemacht werden (vgl. ebd.). Hier interessieren zunehmend auch Modelle einer stärkeren Beteiligung der Zivilgesellschaft (im Gegensatz zu den üblichen Rezepten der Ökonomisierung und Privatisierung).

Kritik gilt dem Kommentar aber auch da als notwendig und legitim, »wo sie nicht innerhalb des gesetzlichen Rahmens in alternative Praxis umgesetzt werden kann« (vor § 1 Rn. 13). Eine reformorientierte Kommentierung, so das Argument, könne nicht an den Grenzen des gesetzgeberischen Kompromisses halt machen (ebd.). Besondere Aufmerksamkeit gilt in diesem Zusammenhang der Frage, »unter welchen gesellschaftlichen Voraussetzungen ein weitergehender Verzicht auf Freiheitsentzug möglich wäre« (vor § 1 Rn. 15). Mit einem schwer zu widerlegenden Argument wird geltend gemacht, dass die faktische De-Sozialisierung durch den Strafvollzug mit dem Vollzugsziel der Resozialisierung nicht in Übereinstimmung zu bringen ist. Es sei »davon auszugehen, dass der Strafvollzug auch in seiner denkbar aufgeklärtesten Form, die nirgends realisiert ist, mit einer Reihe unauflösbarer Widersprüche[...]behaftet bleibt« (vor § 2 Rn. 18). Diese Widersprüche und die aus ihnen resultierenden Konflikte müssten »soweit wie gesellschaftlich möglich und erträglich abgebaut werden« (ebd.). Das ist der - gleichsam - kategorische Imperativ, der sich als Leitlinie für die Interpretation der Einzelvorschriften zu bewähren hat.

In der Kommentierung zum Angleichungsgrundsatz des § 3 Abs. 1 StVollzG wird etwa darauf hingewiesen, dass sich die Unterbringung in Zellen damit nur schwer in Einklang bringen lässt (§ 3 Rn. 14); der Sinn des Eingliederungsgrundsatzes, § 3 Abs. 3 StVollzG, wird so erläutert, »dass der gesamte Vollzug auf die Entlassung ausgerichtet wird« (§ 3 Rn. 21). Der Behandlungsbegriff wird einer eingehenden Kritik unterzogen, vor inflationärem Gebrauch gewarnt und seine Bedeutung auf den Sinn von »Vollzugsangeboten« beschränkt (§ 4 Rn. 1 ff.). Insbesondere hier zeigt sich, wie der Kommentar bestrebt

ist, das gerade im Strafvollzug prekäre Spannungsverhältnis zwischen Rechts- und Sozialstaat (vor § 2 Rn. 4) auszutarieren. Der Gehalt des Mitwirkungsgrundsatzes wird in wünschenswerter Deutlichkeit von allen Interpretationsversuchen abgelöst, die in denselben eine Art von Kooperationspflicht des Gefangenen hineinlesen wollen (§ 4 Rn. 5). Zur Generalklausel des § 4 Abs. 2 Satz 2 StVollzG wird klargestellt, dass sie keine Ausweitung der im Gesetz geregelten Eingriffstatbestände gestattet (§ 4 Rn. 10) und »dass ihr bei richtiger Auslegung für den Vollzugsalltag keine Bedeutung zukommt« (§ 4 Rn. 9). Die Leitlinien der richtigen Auslegung werden in rechtsstaatlicher Strenge und Akribie entwickelt, vgl. § 4 Rn. 11 ff., so dass für die Ratio einer allgemeinen Eingriffsbefugnisklausel in der Tat kein Raum bleibt.

III. Der Kommentar erhebt die Forderung, den Strafvollzug transparenter, diskutierbarer und damit kritisierbarer zu machen (vor § 1 Rn. 14). Es wird Wert auf die Klarstellung gelegt, dass der Desillusionierung der sozialtechnologisch inspirierten Behandlungseuphorie kein Argument für die derzeitige Gegenaufklärung unter dem Banner des Sicherungsgedankens zu entnehmen ist (vor § 2 Rn. 17). Hier wird man die weitere Entwicklung genau verfolgen müssen. Mehr Transparenz im Strafvollzug wird jedenfalls mit gutem Grund eingefordert, wenn man sich den beklagenswerten Zustand des empirischen Materials vergegenwärtigt. So ist es beispielsweise nicht nachvollziehbar, dass aufgrund eines einstimmigen Beschlusses des Strafvollzugsausschusses der Länder auf eine Erhebung von Daten über die Verhängung von Disziplinarmaßnahmen aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung seit 1997 verzichtet wird (vor § 102 Rn. 1). Damit realistische Einschätzungen der Vollzugssituation möglich sind, sind verlässliche Angaben über die repressive Praxis, aber auch solche über die Anzahl der Beschwerden, der Erkrankungen oder Selbstmorde bzw. Suizidversuche (gerade auch im anstalts- und länderübergreifenden Vergleich) unbedingt erforderlich. Dass man in diesem Zusammenhang teilweise auf Untersuchungen aus den Neunziger Jahren oder noch ältere Studien angewiesen ist, ist ein beklagenswerter Zustand.

In der Kommentierung zu § 166 StVollzG wird geltend gemacht, dass diese Bestimmung die Vollzugsbehörden durchaus verpflichtet, der kriminologischen Forschung eine institutionelle Gestalt zu geben. Entgegen einer verbreiteten Annahme habe der Gesetzgeber den kriminologischen Dienst nicht in das Ermessen der Landesjustizverwaltungen gestellt; lediglich die organisatorischen Einzelheiten dieser Institutionalisierung seien offen gelassen worden (§ 166 Rn. 4). Die Kommentierung hebt hervor, dass die derzeitige Institutionalisierungspraxis den Intentionen des Gesetzgebers nicht mehr gerecht wird und dass die bereit gestellten Mittel und Stellen noch nicht einmal für Minimalerfordernisse ausreichen. Dieser Zustand ist gerade in einer Zeit fatal, in der die Politik den Strafvollzug als Experimentierfeld entdeckt hat und in der zumindest eine seriöse Evaluation dieser Experimente dringend geboten wäre. Für den Kommentar besteht insofern »ein wachsender Bedarf an empirischem Wissen, der aufgrund anders gesetzter Prioritäten zur Zeit nicht bedient wird« (ebd.).

IV. Der AK ist allerdings nicht nur mustergültig in dem Bestreben, Darstellung und Kritik in ein produktives Wechselverhältnis zu bringen, und er ist nicht nur darin vorbildlich, der Praxis des Strafvollzugs außer praktischen Argumenten auch noch Empirie und Theorie zuzumuten. Was ihn als Nachschlagewerk von besonderem Wert macht, ist der Umstand, dass die Kommentierungen an passender Stelle stets auch die Bezüge auf Regelungsmaterien außerhalb des StVollzG herstellen, so etwa auf den Vollzug von Jugendstrafe (vor § 176), Untersuchungshaft (vor § 177) sowie den Maßregelvollzug (vor § 136). Besondere Erwähnung verdient auch der Exkurs zu vollstreckungs- und vollzugsrechtlichen Fragen im Falle ausländischer Gefangener unter Einschluss einer Darstellung des Rechts der Abschiebungshaft (nach § 175). Mit Sorgfalt und Übersicht werden die vielen Rechtsquellen eingearbeitet, aus denen - mit freilich unterschiedlichen Graden der Verbindlichkeit - internationale menschenrechtliche Standards und Mindeststandards eines rechtsstaatlichen Freiheitsentzugs hervorgehen. Was etwa die neueste Fassung der European Prison Rules anbelangt, sind sie ausdrücklich nicht nur auf Straf- und Untersuchungshaft anwendbar, sondern allgemein auf Personen, die aus irgend einem Grund im Gefängnis festgehalten werden (Exkurs nach § 175). Selbst wenn diesen Regeln als sog. soft law keine unmittelbare Rechtswirkung zukommt, bewirken sie eine Argumentationslastverschiebung zuungunsten einer Normauslegung und -anwendung, die von dem von ihnen gesetzten Standard zu Lasten des Gefangenen abweicht (vor § 1 Rn. 7). Von besonderer Bedeutung und zudem als innerstaatliches Recht verbindlich ist Art. 3 EMRK, wonach niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden darf. Insbesondere auf dieser Norm beruht die Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu den Haftbedingungen in europäischen Gefängnissen (vor § 1 Rn. 6). Die Neuauflage des AK bezieht solche Entwicklungen ein und trägt damit der zunehmenden Europäisierung (und Internationalisierung) vollzugsrechtlicher Problemstellungen Rechnung.

V. Im nationalen Rahmen kommentiert die Neuauflage des AK zuverlässig alle relevanten Neuerungen, die sich durch Gesetzgebung und Rechtsprechung ergeben haben. Dazu gehört vor allem die Neuregelung des Arbeitsentgelts, die durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 1.7.1998 (BVerfGE 98, 169) notwendig geworden war. In diesem Urteil hatte das BVerfG bekanntlich die damals geltende Entlohnung als nicht angemessen und mit dem Vollzugsziel der Resozialisierung nicht vereinbar gewertet. Wiewohl die am 1.1.2001 in Kraft getretene Neuregelung vom BVerfG mittlerweile als verfassungsgemäß befunden wurde, (BVerfG NStZ 2003, 109 ff.), meldet die Kommentierung mit Blick auf die bescheidene Anhebung der Entlohung (lediglich 9 statt 5 % der Bemessungsgrundlage) und bestimmte »systemwidrige« Alternativen im Bereich der Arbeitsfreistellung und Haftverkürzung erhebliche Zweifel an (§ 43 Rn. 5 f.). Insbesondere was die Höhe des Arbeitsentgelts anbetrifft, erscheint die Neuregelung dem Kommentar als »enttäuschend und unzureichend« (§ 200 Rn. 2). Es bestehe »ein

dringender Nachbesserungsbedarf« (§ 200 Rn. 5). Zukünftige Verfassungsbeschwerden erschienen daher »durchaus erfolgversprechend« (§ 43 Rn. 7).

Ebenfalls mit Blick auf die Verfassung - insbesondere auf Art. 33 Abs. 4 GG - werden die aktuellen Privatisierungsvorschläge und -modelle in sehr enge Grenzen verwiesen. § 155 StVollzG biete für eine Übertragung vollzuglicher Aufgaben an Private wenig Raum. Zu den hoheitlichen Aufgaben, die aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht privatisierbar sind, zählen für den Kommentar dabei nicht nur Aufgaben der klassischen Eingriffsverwaltung, sondern »auch die behandlerischen, erzieherischen, sozialarbeiterischen und die Gefangenenarbeit betreffenden Aspekte des Strafvollzugs« (§ 155 Rn. 1). Eine Teilprivatisierung wie im hessischen sog. Hünfelder Modell geht danach eindeutig zu weit.

Ebenso kritisch steht der Kommentar den Bestrebungen einiger Landesjustizverwaltungen gegenüber, Aufgaben des Sozialdienstes zu privatisieren. In diesem Zusammenhang findet sich ein besonders schönes Exempel für ein kombiniert verfassungsrechtlich-antikapitalistisches Argument: »Die Unterstützungsbedarfe von Inhaftierten zum Gegenstand von Profitmaximierungsinteressen zu machen, ist unangemessen.« (vor § 71 Rn. 30). Völlig zu Recht werden Bedenken geäußert, die sich aus dem einfachen Umstand ergeben, dass ein solches Unternehmen gewinnbringend nur arbeiten kann, indem es die Betreuungsqualität und -intensität absenkt. Befürwortet wird hingegen eine weitergehende Beteiligung von frei-gemeinnützigen Trägern der Straffälligenhilfe an den Aufgaben des Sozialdienstes, die zu einer Stärkung des Angleichungsgrundsatzes und des Eingliederungsgrundsatzes sowie zu einer Öffnung des Vollzugs beitragen könnten (vor § 71 Rn. 30).

VI. Sollte man einen leitenden Gesichtspunkt des Kommentars benennen, der sich als gleichsam roter Faden durch die Beiträge der insgesamt 23 Autorinnen und Autoren zieht, könnte man auf jene Bestimmungen zurückgreifen, die in der Aufgabenbeschreibung eines (modernisierten) kriminologischen Dienstes genannt werden: »Beseitigung aller über den bloßen Freiheitsentzug hinausgehenden Beschränkung der Bürgerrechte von Gefangenen; Suche nach Möglichkeiten eines Abbaus der totalen Institutionen und weitgehende Reduzierung des Freiheitsentzuges zugunsten alternativer Sanktionsformen.« (§ 166 Rn. 12). Die kritische Theorie des Gefängnisses als totaler Institution bleibt also nie abstrakt, sondern motiviert stets die Überlegung, wie sie auf der Ebene der strafvollzugsrechtlichen Einzelbestimmung derart fruchtbar gemacht werden kann, dass die Autonomie und die Würde des Gefangenen gestärkt werden können. Die meisten der Autorinnen und Autoren sind in der ein oder anderen Weise mit der Strafvollstreckung oder dem Strafvollzug praktisch befasst. Bis auf wenige Ausnahmen sind es auch die Kommentatoren der Vorauflage. Neu hinzugekommen sind Ulrich Kamann, Michael Köhne und Helmut Pollähne.

Es ist dem AK zu wünschen, dass er sein »bewährtes Muster« trotz aller Widrigkeiten, mit denen man nicht zuletzt aufgrund des immer wieder zu beobachtenden Polit-Spontitums im Bereich des Strafvollzugs rechnen muss, aufrecht erhält. Der AK ist, auch das ist für einen juristischen Kommentar keine Selbstverständlichkeit, ein gut geschriebenes, ein sehr leserliches Buch, d.h. keineswegs nur ein Nachschlagewerk im herkömmlichen Sinne, sondern eine Darstellung, bei der man auch lange Partien und Abschnitte gerne im Zusammenhang liest. Selbst wer die Grundprämissen des Kommentars nicht teilt (und das werden nicht wenige sein), wird ihn wegen der Klarheit der Darstellung und der Deutlichkeit und Unverhohlenheit, mit der die Grundüberzeugungen sichtbar gemacht werden, mit Gewinn lesen. Wenn es das Buch nicht gäbe, müsste es erfunden werden.

Dr. Jochen Bung, Universität Frankfurt am Main

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Marco Mansdörfer (Hg.): Die allgemeine Straftatlehre des common law. Eine Darstellung unter besonderer Berücksichtigung des englischen Strafrechts, C.F. Müller, Heidelberg 2005, 238 S., 56 €.

1.         Es ist augenfällig, dass das Strafrecht nicht mehr nur getrennt nach nationalen Rechtsordnungen wirkt. Die Harmonisierung und Integration innerhalb der Europäischen Union hat inzwischen auch das materielle Strafrecht erreicht. Die Herausbildung einer modernen internationalen Strafjustiz durch den Jugoslawien-Strafgerichtshof, den Ruanda-Strafgerichtshof und inzwischen auch den ständigen Internationalen Strafgerichtshof führt dazu, dass juristische Systementwürfe und Denkschulen jeden Tag erneut aufeinanderprallen und einer praktikablen Lösung zugeführt werden müssen. Neben diesen praktischen Beispielen ist es aber auch gerade das Verständnis für Grundlagen, für das man durch einen Blick über die Grenzen einen Gewinn ziehen kann. In dieser Hinsicht ist es faszinierend, wie die Rechtsordnungen des englischen Sprachkreises immer noch durch ein gemeinsames Erbe, das von England ausgehende "common law", verbunden sind. Den allgemeinen strafrechtlichen Lehren dieser Rechtsfamilie nimmt sich der Herausgeber Marco Mansdörfer zusammen mit drei Kollegen (Stephanie Bräutigam-Ernst, Julia Macke und Tobias Paul) des Freiburger Instituts für Strafrecht und Rechtstheorie von Wolfgang Frisch an. In acht Kapiteln werden Themen abgehandelt, die im Wesentlichen auch den Kern eines deutschen (Kurz-)Lehrbuchs zum Allgemeinen Teil ausmachen würden. Abgerundet wird dies durch ein Verzeichnis der referierten Entscheidungen sowie ein die deutschen und englischen Begriffe umfassendes Stichwortverzeichnis. Beabsichtigt wird eine "skizzenhafte Gesamtdarstellung des common law Strafrechts", die "einen ersten Zugriff auf die allgemeine Straftatlehre des angloamerikanischen Rechtskreises ermöglichen" soll (S. VII-VIII).

2.         Während der Titel des Bandes vielleicht eher grundlagenorientiert klingen mag, wurde für die Darstellung eine klare Maßgabe gewählt. Sie richtet sich stark am englischen Strafrecht aus (worunter auch noch Wales gefasst werden muss), es werden aber auch durchaus wichtige Ausflüge in andere einschlägige Rechtsordnungen (USA, Kanada, Australien) unternommen. Unter Verzicht auf eine vertiefte Methodenlehre oder ein Eingehen auf Fragen etwa der Gerichtsverfassung werden Prinzipien des Allgemeinen Teils erläutert und vor dem Hintergrund der deutschen Dogmatik verglichen und eingeordnet. Dies wird konsequent getan, und hierin liegt auch der Reiz des Bandes. Durchgängig werden entscheidende englische Begriffe sorgfältig übersetzt (etwa "public policy", S. 97) und fremde Konzepte mit deutschen Fällen verglichen. Dies ermöglicht auch stets denjenigen Lesern eine gute Einordnung, die sich zum ersten Mal mit anglo-amerikanischem Recht beschäftigen. Die Autoren sind durchwegs kritisch, zu schnell Vergleiche zu ziehen. Sie bemühen sich mit Erfolg, so auch ihr Ausgangspunkt (S. VIII), um eine "neutrale und trotz ihrer Kürze möglichst präzisen Darstellung des ausländischen Rechts".

3.         Die Einzelbeiträge führen zu acht Kapiteln, davon fünf in Autorschaft des Herausgebers. Im ersten zeichnet Mansdörfer die Grundlagen des Straftatsystems im "common law" nach (S. 1-21). Er verortet es strafrechtstheoretisch im Utilitarismus. Hieran schließt sich eine Erläuterung der traditionellen Dreiteilung in objektive Tatmerkmale, subjektive Komponenten und die Strafbarkeit ausschließende Verteidigungseinreden ("actus reus", "mens rea", "defences") an. Die zunehmende Kodifikation bildet den Abschluss. Im zweiten Kapitel (S. 22-48, Paul) wird die objektive Tatseite beleuchtet, u.a. Fragen der Kausalität, solche der (nach deutscher Terminologie) objektiven Zurechnung und Unterlassen. Kritisiert wird, unter Bezugnahme auf die englische Literatur, das Phänomen der rein objektiv verankerten strikten Haftung ("strict liability"). Der subjektiven Tatseite samt Irrtumslehre widmet sich Bräutigam-Ernst als Drittes (S. 49-88). Die Abgrenzung von Formen des Vorsatzes zur Fahrlässigkeit wird oft als Paradebeispiel einer fundamental abweichenden Konzeption im Vergleich "common law" zum kontinental-europäischen Recht herangezogen. Hier wird nun sorgfältig die einschlägige Systematik des "common law" nachgezeichnet, die auf Verschuldensformen mit kognitiven Elementen (vgl. den deutschen Vorsatz) und solchen aufgrund einer nur objektiven Bewertung (vgl. die deutsche unbewusste Fahrlässigkeit) aufbaut - und es wird gezeigt, wie auch diese Systematik Abgrenzungsschwierigkeiten hat. All dies erfolgt wieder durchwegs mit einer Reflektion des deutschen Rechts. So begegnen uns u.a. die aberratio ictus, der "Jauchegruben-Fall" und die verschiedenen Theorien zum dolus eventualis. Das "Konzept der Verteidigungseinreden (defences)" bildet Kapitel 4 (S. 89-135, Mansdörfer). Erörtert werden Begriff und Bedeutung dieser Rechtsfigur. Danach gibt der Herausgeber einen Überblick über alle wichtigen "defences", die die Strafbarkeit ausschließen oder mindern, nämlich Notstandssachverhalte, Selbstverteidigung, Einwilligung, Sonderrechte, Irrtümer, einschließlich Tatsachen- und Rechtsirrtum, und Aspekte der Schuldunfähigkeit und Schuldminderung. Die Beteiligungslehre bildet den Gegenstand des fünften Kapitels (S. 136-162, ebenfalls Mansdörfer). Formen der Täterschaft und der Teilnahme werden dargestellt und analysiert, einschließlich der subjektiven Anforderungen und Reformbestrebungen. Aus deutscher Sicht hervorzuheben ist eine besondere Figur, das vom Herausgeber sog. "gemeinsame gesetzwidrige Unternehmen" ("joint unlawful enterprise"). Wer die Judikatur des Jugoslawien-Strafgerichtshofs zum Haftungsmodell der "joint criminal enterprise" verfolgt, weiß, wie schwierig die doch so notwendige Annäherung und Verständigung mit fremden Konzepten, z.B. der Täterschaft kraft Organisationsherrschaft, sein kann. Macke befasst sich im sechsten Kapitel mit den unvollendeten Straftaten (S. 163-205). Sie stellt beiden Rechten bekannte Grundfragen wie die des Strafgrunds des Versuchs, das Ansetzen beim Versuch oder den untauglichen Versuch gegenüber. Es kommen aber auch im anglo-amerikanischen Recht eigenständige Figuren wie die Verschwörung (conspiracy) oder Verleiten zu einer Straftat (incitement) nicht zu kurz. Die letzten beiden, deutlich knapper ausgefallenen Kapitel stammen wieder aus der Feder von Mansdörfer. Das siebte Kapitel (S. 206-219) behandelt die stellvertretende Verantwortlichkeit und diejenige juristischer Personen ("vicarious liability" und "corporate liability"). Auch hier werden Prinzipien des "common law" besonders deutlich, die von dem uns Gewohnten abweichen (man kennt etwa § 130 OWiG, aber keine anerkannte strafrechtliche Geschäftsherrenhaftung). Sie erlangen aber angesichts der Tatsachen durchaus praktische Relevanz, dass sich für europäische Wirtschaftsakteure inzwischen auch US-Aufsichtsbehörden interessieren oder die EU sich eine Harmonisierung auf die Fahnen geschrieben hat. Von besonderem Charme für Praktiker dürfte schließlich auch das letzte Kapitel sein (S. 220-227). Unter dem Titel "Das Internationale Strafrecht" zeichnet Mansdörfer prägnant das stark dem Territorialitätsprinzip verwurzelte Strafanwendungsrecht Englands nach. Besondere Ausführungen macht er zu grenzüberschreitenden Vermögensdelikten und Internetkriminalität.

4.         All dies zusammen ergibt einen sehr angenehm zu lesenden und in sich abgestimmten Band, der zuverlässig die grundlegenden Strukturen des materiellen englischen Strafrechts mit dem Blick des deutschen Strafrechtlers wiedergibt. Angesichts der Einzelbeiträge kommt es an wenigen Stellen zu kleineren Wiederholungen, was aber nicht stört. Umso mehr muss betont werden, dass jedes Kapitel für sich lesenswert ist. Die Erörterungen von Mansdörfer mögen im Schnitt teilweise etwas mehr rechtsphilosophische Ansätze bieten, bei ihm findet sich mehr Kritik am geltenden Recht. Auch kommen mal mehr und mal weniger Verweise auf deutsche Fälle vor. Durchgängig werden jedoch die fremden Rechtsfiguren deutschen Konzepten gegenübergestellt. Damit hat das Werk auch einen besonderen Wert für deutsche Leser. Es wird so auch deutlich, wie es andere Bücher auf dem Markt ergänzt, etwa Dubber (Einführung in das US-amerikanische Strafrecht, 2005, mit Besprechungen Ziemann, HRRS 2005, S. 152; Hermann, ZIS 2006, S. 593).

Die Betonung liegt hier klar auf dem englischen Recht, was etwas Neues bietet. In diesem Zusammenhang sei die Bemerkung erlaubt, dass dieser Unterschied etwas zu Berücksichtigendes bei einer Anschaffung sein könnte. Das "common law" an sich zu betrachten ist natürlich nicht möglich. Die einzelnen Rechtsordnungen haben trotz ihrer Gemeinsamkeiten ihre eigenen Spielarten. Während das englische Recht bspw. bei der "recklessness" noch zwischen den Entscheidungen Cunningham und Caldwell schwanken mag (S. 68ff., also der Frage, ob diese Verschuldensform wie unsere bewusste Fahrlässigkeit das Vorliegen eines kognitiven Elements erfordert oder ein rein objektiver Maßstab ist), wurde Caldwell in Kanada immer klar abgelehnt und ein subjektives Bewusstsein um das Risiko verlangt (vgl. R. v. Tutton ,[1989]1 S.C.R. 1392). Während in England die Frage noch nicht ganz geklärt scheint, ob individuelle Faktoren bei der Fahrlässigkeit zu berücksichtigten sind und eine Tendenz zu ja gehen mag (S. 78), scheint dies in Kanada mit dem gegenteiligen Ergebnis geklärt (vgl. R. v. Naglik ,[1993]3 S.C.R. 122 ). Während versuchte Beihilfe in England nicht strafbar ist (S. 158, genauso wohl auch Australien), ergibt ein Blick in die "United States Attorney Manual" (Title 9, Criminal Resource Manual 2480) für das dortige Bundesstrafrecht ein anderes Bild. Es gibt mithin nicht das "common law" schlechthin. Der untereinander abweichende Grad der Kodifizierung und das so geschaffene Recht haben auch zu einer Auseinanderentwicklung geführt. Auch mag der verfassungsrechtliche Einfluss auf das Strafrecht sehr verschieden sein (Fletcher, The Grammar of Criminal Law, Band 1, 2007, S. 101ff., zum starken Einfluss in Kanada, während etwa in England die EMRK ihre Spuren hinterlassen hat, S. 9 des besprochenen Werks). Auf Einzelheiten kommt es hier nicht an. Es sollte nur verdeutlicht werden, dass die Rechtsfamilie des "common law" nicht unbedingt immer homogen ist. Das gibt das Buch auch keineswegs vor. Entsprechende Überlegungen mögen aber für den einen oder anderen vielleicht ein Kriterium bei der Auswahl sein.

5.         Ob der vorliegende Band (siehe auch die Besprechung von Mitgutsch, Journal für Strafrecht 2006, S. 57) wirklich allen gerecht wird, Studenten wie Referendaren wie auch spezialisierten Anwälten, ist noch eine andere Frage. Im Zweifel wird man um die Auseinandersetzung mit der Materie auf Englisch nicht herumkommen. Insbesondere für eine Darstellung vor deutschem Hintergrund mit Schwerpunkt auf England kann das vorliegende Werk in der Tat nur ans Herz gelegt werden. Anders sieht es aus, wenn man konkrete Fragen hat, die sich nicht auf England beziehen. Dann wird ein Blick etwa in die "United States Attorney Manual" angebracht sein. Daher wäre ich auch skeptisch, was spezialisierte Anwälte angeht, oder auch bei festen Vorhaben eines bestimmten Auslandsaufenthaltes. Manche werden dann vielleicht etwas Spezielleres suchen, und womöglich auch gleich auf Englisch. Aber strukturell wichtige Unterscheidungen sind dem ganzen "common law" eigen, und hier bietet sich der Band als Einführung und Begleiter an, wenn man nicht gleich auf stark theoretisch orientierte Werke wie Fletcher zurückgreifen will. Insofern ist der Band ein Gewinn für jeden deutschen Leser. Es ist schön, dass die deutsche Literatur mit diesem Werk und den anderen zitierten inzwischen reichhaltiger ist als seinerzeit nur die rechtsvergleichenden Hinweise im AT-Lehrbuch von Jescheck/Weigend.

Wiss. Mit. Till Gut, Universität zu Köln

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Jens Meyer-Ladewig: Europäische Menschenrechtskonvention - Handkommentar; 2. Auflage; Nomos-Verlag, ISBN 3-8329-1383-1, 494 Seiten, 79 Euro, Baden-Baden 2006.

Das Grundgesetz ist seit einiger Zeit nicht mehr die einzige Rechtsquelle, die in Deutschland (Justiz-)Grundrechte auf eine für die Praxis spürbare Art und Weise garantiert. Insbesondere die EMRK hat sich gerade im Strafverfahren als Quelle für spezifische Rechtspositionen erwiesen. Ganz allgemein erlangte die EMRK über das Europarecht große Bedeutung, alimentiert (Herdegen) sie doch die Grundrechtskreationen des EuGH und die Rechte der in Zukunft verbindlichen Europäischen Grundrechtecharta. Der praktische Gehalt der Konventionsgarantien wiederum wird wesentlich durch die Rechtsprechung des EGMR bestimmt, der zu einer Art europäisches Verfassungsgericht geworden ist. Seine Judikatur hat aus den Rechten der EMRK Garantien werden lassen, die nicht stets und ständig, wohl aber oft genug für die deutsche Rechtsordnung herausfordernde Entwicklungsstände erreicht haben. Daher ist es geboten, diese Rechtsprechung zu verfolgen und zur Kenntnis zu nehmen, was etwa in der Schweiz und Österreich längst selbstverständlich ist. Das jedoch ist keine geringe Aufgabe, denn die Rechtsprechung des EGMR entwickelt sich im Wesentlichen in Entscheidungen zu fremden Rechtsordnungen und in den (Entscheidungs-)Sprachen Französisch und Englisch, so dass Entscheidung nicht selten erst spät oder gar nicht in die nationale Diskussion einfließen. Eben dieser schwierigen und zentralen Aufgabe, die Rechtsprechung des EGMR für alle Konventionsgarantien knapp zusammen- und darzustellen, widmet sich der hier vorgestellte Handkommentar.

Das Buch, das bereits in seiner Vorauflage ein viel genutztes und hilfreiches Arbeitsmittel des Rezensenten gewesen ist, stammt aus der Feder des Ministerialdirigenten a.D. Jens Meyer-Ladewig, der in seiner beruflichen Tätigkeit unmittelbar mit der Rechtsprechung des Gerichtshofes praktisch befasst war. Der Kommentator zielt mit seinem Werk konzentriert darauf ab, die Rechtsprechung des EGMR in ihren wichtigsten Ergebnissen aufzuzeigen. Als Kehrseite dieser Konzentration bezieht der Autor wissenschaftliche Literatur nur selten und etwas zufällig ein, was indes seine Leistung nicht wirklich schmälert: Auf Grund der immensen Fülle an Entscheidungen und der oft rapiden Fortentwicklung der Rechtsprechung ist schon ihre Darstellung eine große Aufgabe und Leistung. Bei besonderen aktuellen Konfliktbereichen geht der Kommentar zudem auch über-

blicksartig auf die deutsche Rechtslage ein (siehe etwa zur nichtstaatlichen Verfolgung bei Art. 3 EMRK die Rn. 23 ff.; zu erniedrigenden Haftbedingungen dort die Rn. 12b; siehe auch das [rechtspolitische]Statement für eine Verlängerungsmöglichkeit bei der Revisionsbegründung Art. 6 Rn. 28a). Wichtige nationale Entscheidungen zur Auslegung der EMRK, werden so nicht durchweg, wohl aber in diesen Kontexten angesprochen. Selbstverständlich erläutert Meyer-Ladewig die Stellung der EMRK in Deutschland, wobei er sich mit der zwiespältigen Rechtsprechung des BVerfG auseinander setzt (siehe Vorwort, Einleitung Rn. 29, Art. 46 Rn. 10 ff.).

Aufgebaut ist der Kommentar wie folgt: Zunächst führt Meyer-Ladewig in der Einleitung konzis in das Konventionssystem und in die Auslegungspraxis des EGMR sowie seine Bedeutung für die EU ein. Auch an einem Musterbeispiel für eine Individualbeschwerde fehlt es hier nicht. Sodann bespricht er die einzelnen Artikel der EMRK. Zunächst werden so Kommentierungen zu den garantierten Rechten geboten. Ebenso werden dann eingehend die Verfahrensnormen der EMRK dargestellt, wobei besonders die praktisch wichtigen Artikel 34 (Zulässigkeit der Individualbeschwerde), 41 (gerechte Entschädigung) und 46 (Verbindlichkeit und Durchführung der Urteile) eingehend behandelt sind. Verdienstvoll wertet Meyer-Ladewig hier tatsächlich jeweils die ganze Rechtsprechung aus. Es werden also bei weitem nicht nur Entscheidungen gegen Deutschland oder etwa gegen andere deutschsprachige Vertragsstaaten zitiert, vielmehr findet eine umfassende Aufarbeitung statt, die insbesondere jüngere Entscheidungen gegenüber osteuropäischen Staaten erfasst. Zu den wichtigsten Garantien wie dem Eigentumsrecht wird gleiches auch für die Zusatzprotokolle zur EMRK geleistet. Im Anhang finden sich u.a. die Verfahrensordnung des EGMR und das Merkblatt des EGMR für Beschwerdeführer abgedruckt. Ein kürzeres Stichwortverzeichnis steht am Ende des Kommentars. Die authentischen Originalwortlaute der Konventionsrechtstexte in englischer und französischer Sprache sind im Gegensatz zur Erstauflage leider nicht mehr abgedruckt.

Der Kommentar will erklärtermaßen "auf rechtswissenschaftliche dogmatische Erörterungen" verzichten. Er will dem Praktiker einen "praktischen Leitfaden … anhand der jüngsten Rechtsprechung des Gerichtshofs … an die Hand … geben". Gemessen an dieser eigenen Zielsetzung ist der Kommentar auch in zweiter Auflage ein Gewinn. Er stellt eine aktuelle Quelle dar, die zuverlässig zu den wichtigsten Entscheidungen des EGMR führt. Zwar wird der (strafrechtliche) Spezialist zur näheren Abschätzung seines Falles bzw. seiner Optionen gewiss dann oft weitere, insbesondere detaillierte und dogmatisch erläuternde Quellen benötigen, zumal die Darstellungstiefe des Werks zu strafprozessualen und strafrechtlichen Fragen nicht die eines Spezialkommentars sein kann. (Insbesondere) Praktiker können mit dem Handkommentar aber schnell einen guten ersten Zugang zum Recht der für sie oft immer noch eher fremden EMRK gewinnen. Sieht man die beträchtliche Aufgabe, die mit der aktuellen Aufarbeitung der englischen und französischen Rechtsprechung verbunden ist, sind 79 Euro für die Anschaffung des Werks auch ein vertretbarer Preis.

Wiss. Ass. Dr. Karsten Gaede, Bucerius Law School (Hamburg)

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