HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

März 2004
5. Jahrgang
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II. Strafzumessungs- und Maßregelrecht


Entscheidung

191. BGH 4 StR 147/03 - Beschluss vom 8. Januar 2004 (LG Bielefeld)

BGHR; Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (rechtwidrige Tat: Sichberauschen; Anlasstat; Zweifelssatz; in dubio pro reo); Sicherungsverwahrung; verminderte Schuldfähigkeit.

§ 323 a StGB; § 63 StGB; § 64 StGB; § 66 StGB

Bei einer Verurteilung nach § 323 a StGB kommt die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus trotz uneingeschränkt schuldhaften Sichberauschens jedenfalls dann in Betracht, wenn der Täter andernfalls in der Sicherungsverwahrung untergebracht werden müsste. (BGHR)


Entscheidung

193. BGH 1 StR 319/03 - Urteil vom 20. Januar 2004 (LG Freiburg)

Körperverletzung (tatbestandlicher Heileingriff; hypothetische Einwilligung; Behandlungsfehler; Aufklärungsfehler); Strafzumessung bei ärztlichem Fehlverhalten (Arztstrafrecht; Grenzen der Revisibilität; Verlust der beruflichen Stellung; Bedeutung der Pflichtverletzung / der bewussten Fahrlässigkeit); Berufsverbot (innerer Zusammenhang zur Berufsausübung; bewusster / planmäßiger Missbrauch); kein Verwertungsverbot bei unterbliebener Belehrung über ein mögliches Auskunftsverweigerungsrecht (Rechtskreistheorie; Schutzzwecklehre).

§ 223 StGB; § 46 StGB; § 70 StGB; § 55 StPO

1. Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Es ist seine Aufgabe, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den er in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des Täters gewonnen hat, die wesentlichen ent- und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. Das Revisionsgericht kann nur eingreifen, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstoßen oder wenn sich die verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein, so weit löst, dass sie nicht mehr innerhalb des dem Tatrichter eingeräumten Spielraums liegt. Eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle ist ausgeschlossen (BGHSt 34, 345, 349). In Zweifelsfällen muss das Revisionsgericht die vom Tatrichter vorgenommene Bewertung hinnehmen (BGHSt 29, 319, 320; BGHR StGB § 46 Abs. 1 Beurteilungsrahmen 1).

2. Der Verlust des Arbeitsplatzes und der beruflichen Stellung ist ein Umstand, der die Schuld mindert, auch wenn er von der prozessbegleitenden Berichterstattung in den Medien mit bedingt ist.

3. Auf die ausdrückliche Einordnung einer Fahrlässigkeit als "bewusst" kommt es für die Strafzumessung nicht an. Entscheidend ist entsprechend § 46 Abs. 2 StGB, dass das Gericht "das Maß der Pflichtwidrigkeit" feststellt und die Intensität der Pflichtwidrigkeit bei der Strafzumessungsbeurteilung nachvollziehbar bewertet hat.

4. Entsprechend dem Gefahrenabwehrzweck des § 70 Abs. 1 StGB muss der Missbrauch oder die Pflichtverletzung in einem inneren Zusammenhang mit der Berufsausübung oder deren regelmäßiger Gestaltung stehen und so symptomatisch die Unzuverlässigkeit des Täters in seinem Beruf erkennen lassen.

5. Ärztliche Heileingriffe werden nur durch eine von Willensmängeln nicht beeinflusste Einwilligung des Patienten gemäß § 228 StGB gerechtfertigt (BGHSt 16, 309 st. Rspr.).

6. Auf eine unterbliebene Belehrung über ein mögliches Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO kann die Revision nicht gestützt werden, weil diese Vorschrift - anders als etwa §§ 52, 252 StPO - nicht dem Schutz des Angeklagten, sondern ausschließlich dem des Zeugen dient (Rechtskreistheorie, st. Rspr.).


Entscheidung

229. BGH 5 StR 473/03 - Beschluss vom 3. Dezember 2003 (LG Frankfurt)

Strafzumessung bei minder schwerem Fall des Totschlages (eingeschränkte Berücksichtigung von Strafschärfungsgründen bei verminderter Schuldfähigkeit; Nachtatverhalten: Vernichten von Tatspuren; Verteidigungsverhalten).

§ 46 StGB; § 213 StGB; § 21 StGB; § 49 StGB

1. Handlungsmodalitäten, die weniger Ausdruck einer sich frei entfaltenden verbrecherischen Energie, sondern - wie hier - eher Anzeichen für die Stärke einer seelischen Beeinträchtigung sind, dürfen einem vermindert Schuldfähigen grundsätzlich nicht uneingeschränkt angelastet werden (vgl. BGHR StGB § 21 Strafzumessung 7, 11, 12, 14 - brutales Vorgehen des Angeklagten).

2. Das Vernichten von Tatspuren ist für die Bemessung der Schuld regelmäßig ebensowenig von Bedeutung wie die pauschale Angabe, andere hätten die dem Täter vorgeworfene Tat begangen (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Nachtatverhalten 17, 18 und Verteidigungsverhalten 10).


Entscheidung

177. BGH 2 StR 341/03 - Beschluss vom 17. Dezember 2003 (LG Frankfurt)

Auslegung des Tenors eines Verwerfungsbeschlusses nach seinen Gründen; Begründung des Strafausspruchs (Tagessatzhöhe, Tagessatzanzahl); Vermögensstrafe; zusätzliche Geldstrafe; konfiskatorische Geldstrafe.

§ 349 Abs. 2 StPO; § 349 Abs. 4 StPO; § 40 StGB; § 41 StGB

Die Bemessung einer zusätzlichen Geldstrafe gemäß § 41 StGB hat nach den Grundsätzen des § 40 StGB zu erfolgen. Diese Geldstrafe ist insbesondere keine konfiskatorische Maßnahme (vgl. BGH 2 StR 302/02 - Beschluss vom 15. November 2002); sie darf nicht als "Vermögensstrafe in anderem Gewand" ausgesprochen werden. Es ist daher rechtsfehlerhaft, wenn die Strafzumessungserwägungen besorgen lassen, es sei dem Tatrichter darum gegangen, den aus rechtswidrigen Taten erlangten Gewinn abzuschöpfen.