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Bearbeiter: Rocco Beck

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 288/95, Beschluss v. 30.07.1996, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 5 StR 288/95 - Beschluß vom 30. Juli 1996 (OLG Celle)

BGHSt 42, 205; Recht auf den gesetzlichen Richter (revisionsgerichtliche Prüfung der Verletzung der Verweisungspflicht durch das Berufungsgericht bei sachlicher Unzuständigkeit des erstinstanzlichen Gerichts; Erforderlichkeit einer Verfahrensrüge; Beschränkung auf ein Willkürverbot; Rügebedürftigkeit von Grundrechtsverletzungen und Verfahrensfehlern).

Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG; Art. 3 GG; Art. 20 Abs. 3 GG; § 6 StPO; § 328 Abs. 2 StPO; § 344 Abs. 2 StPO

Leitsätze

1. Das Revisionsgericht hat nur auf eine entsprechende Verfahrensrüge zu prüfen, ob das Berufungsgericht die Vorschrift des § 328 Abs. 2 StPO verletzt hat. (BGHSt)

2. Das allgemeine Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG ist auch Maßstab für die Frage eines Verstoßes gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG wegen des Entzugs des gesetzlichen Richters durch gerichtliche Entscheidungen, so auch für die Auslegung von Zuständigkeitsnormen (BVerfGE 29, 45, 48 f; 29, 198, 207; 58, 1, 44 f.). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liegt bei gerichtlichen Entscheidungen ein Verstoß gegen das Willkürverbot allerdings nicht schon dann vor, wenn die Rechtsanwendung oder das eingeschlagene Verfahren Fehler enthalten. Hinzukommen muß vielmehr, daß der Richterspruch unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluß aufdrängt, daß er auf sachfremden Erwägungen beruht. Das ist anhand objektiver Kriterien festzustellen. Fehlerhafte Auslegung eines Gesetzes allein macht eine Gerichtsentscheidung nicht willkürlich (BVerfGE 4, 1, 7; 81, 132, 137; 87, 273, 278 f.; 89, 1, 13 f.). Ist eine Entscheidung derart unverständlich, daß sie sachlich schlechthin unhaltbar ist, so ist sie objektiv willkürlich. Ohne daß es auf subjektive Umstände oder ein Verschulden des Gerichts ankäme, stellt eine derartige Entscheidung einen Verstoß gegen das allgemein aus Art. 3 Abs. 1 GG abzuleitende - speziell auch in Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verankerte - Verbot dar, offensichtlich unsachliche Erwägungen zur Grundlage einer staatlichen Entscheidung zu machen (BVerfGE 58, 163, 167 f.; 71, 202, 205; BVerfG - Kammer - NJW 1995, 124, 125). (Bearbeiter)

3. Aus Verfassungsrecht ist nicht der Rechtssatz herzuleiten, daß in Verfahrensfehlern liegende Verfassungsverstöße in der Revision von Amts wegen zu beachten seien (BGHSt 19, 273, 276 ff.). Auch Grundrechtsverletzungen sind rügebedürftig; ihre Geltendmachung steht zur Disposition des Grundrechtsträgers. Das gilt insbesondere für einen Verstoß gegen den in Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG normierten Grundsatz des gesetzlichen Richters (BGHSt 26, 84, 90). (Bearbeiter)

Entscheidungstenor

Das Revisionsgericht hat nur auf eine entsprechende Verfahrensrüge zu prüfen, ob das Berufungsgericht die Vorschrift des § 328 Abs. 2 StPO verletzt hat.

Gründe

Die Vorlegung betrifft die Frage, ob das Revisionsgericht im Fall einer Revision gegen ein Berufungsurteil von Amts wegen oder nur auf eine entsprechende Verfahrensrüge zu prüfen hat, ob das Schöffengericht sich an Stelle des Strafrichters willkürlich für sachlich zuständig erklärt und damit gegen den Grundsatz des gesetzlichen Richters verstoßen hat.

I.

Dem viele Male, darunter 14mal einschlägig vorbestraften Angeklagten wird vorgeworfen, während eines Hafturlaubs einen Betrug durch eine 23stündige Inanspruchnahme eines Taxis für eine Fahrt von Herford über Darmstadt und Frankfurt a. M. nach Nienburg bei Zahlungsunfähigkeit begangen und dabei einen Schaden von 2.767,00 DM verursacht zu haben. Die Staatsanwaltschaft erhob dieserhalb Anklage zum Strafrichter. Ein Antrag des Angeklagten auf Pflichtverteidigerbestellung veranlaßte den Amtsrichter, die Sache der Staatsanwaltschaft mit dem Hinweis vorzulegen: "Wenn schon Pflichtverteidigung, dann auch Schöffengericht". Die Staatsanwaltschaft antwortete: "Eine Zuständigkeit des Schöffengerichts ist nicht ersichtlich." Der Amtsrichter eröffnete gleichwohl das Verfahren ohne weitere Begründung vor dem Schöffengericht. Dort führte er den Vorsitz in der Hauptverhandlung. Das Schöffengericht hat den Angeklagten wegen Betruges zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt. Die hiergegen eingelegte, auf den Strafausspruch beschränkte Berufung des Angeklagten hat das Landgericht verworfen. Dagegen richtet sich die Revision des Angeklagten, die auf die nicht ausgeführte Rüge der Verletzung von Verfahrensrecht und auf die Sachrüge gestützt ist.

Das Oberlandesgericht Celle hält die Revision für offensichtlich unbegründet und möchte auf den entsprechenden Antrag des Generalstaatsanwalts Celle nach § 349 Abs. 2 StPO verfahren. Allerdings ist das Oberlandesgericht der Auffassung, daß das Schöffengericht "objektiv willkürlich" die Sache an sich gezogen und die sachliche Zuständigkeit des Strafrichters verletzt habe. Indes ist das Oberlandesgericht der Ansicht, daß dieser Verfahrensfehler nicht von Amts wegen, sondern nur auf eine entsprechende Verfahrensrüge, die hier nicht erhoben ist, zu beachten sei. An der beabsichtigten Entscheidung sieht sich das Oberlandesgericht gehindert durch den Beschluß des Bundesgerichtshofs BGHSt 40, 120. Dort hat der Bundesgerichtshof entschieden: Das Revisionsgericht hat gemäß § 6 StPO von Amts wegen und nicht nur auf eine entsprechende Verfahrensrüge zu beachten, daß das Landgericht sich an Stelle des Amtsgerichts (objektiv) willkürlich für sachlich zuständig erklärt und damit gegen den Grundsatz des gesetzlichen Richters verstoßen hat.

Das Oberlandesgericht Celle hat deshalb gemäß § 121 Abs. 2 GVG die Sache dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung folgender Frage vorgelegt:

"Hat es das Revisionsgericht auf die Revision des Angeklagten gegen das Berufungsurteil einer kleinen Strafkammer eines Landgerichts, mit welchem Urteil sachlich über die Berufung des Angeklagten gegen ein Schöffengerichtsurteil negativ entschieden worden ist, auch ohne Rüge (von Amts wegen) zu beachten, wenn der Vorsitzende des Schöffengerichts die zum Einzelrichter angeklagte Sache unter Verletzung von § 25 Nr. 2 GVG objektiv willkürlich vor dem Schöffengericht eröffnet und damit den Angeklagten in erster Instanz seinem gesetzlichen Richter entzogen hat?"

II.

Der Generalbundesanwalt hat beantragt zu beschließen:

"Das Revisionsgericht hat es auf die Revision gegen ein Berufungsurteil einer kleinen Strafkammer eines Landgerichts, mit dem über die Berufung gegen ein Schöffengerichtsurteil entschieden worden ist, nur auf Verfahrensrüge zu beachten, daß das Schöffengericht die zum Einzelrichter angeklagte Sache unter Verletzung von § 25 Nr. 2 GVG willkürlich vor dem Schöffengericht eröffnet und den Angeklagten damit in erster Instanz seinem gesetzlichen Richter entzogen hat."

III.

Die Vorlegungsvoraussetzungen nach § 121 Abs. 2 GVG sind gegeben.

1. Das Oberlandesgericht Celle erachtet die Entscheidung des Schöffengerichts über die sachliche Zuständigkeit als objektiv willkürlich. Der Senat hat diese Beurteilung hinzunehmen, weil sie noch eben vertretbar ist.

a) Das allgemeine Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG ist speziell auch Maßstab für die Frage eines Verstoßes gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG wegen des Entzugs des gesetzlichen Richters durch gerichtliche Entscheidungen, so auch für die Auslegung von Zuständigkeitsnormen (BVerfGE 29, 45, 48 f.; 29, 198, 207; 58, 1, 44 f.). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liegt bei gerichtlichen Entscheidungen ein Verstoß gegen das Willkürverbot allerdings nicht schon dann vor, wenn die Rechtsanwendung oder das eingeschlagene Verfahren Fehler enthalten. Hinzukommen muß vielmehr, daß der Richterspruch unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluß aufdrängt, daß er auf sachfremden Erwägungen beruht. Das ist anhand objektiver Kriterien festzustellen. Fehlerhafte Auslegung eines Gesetzes allein macht eine Gerichtsentscheidung nicht willkürlich (BVerfGE 4, 1, 7; 81, 132, 137; 87, 273, 278 f.; 89, 1, 13 f.). Ist eine Entscheidung derart unverständlich, daß sie sachlich schlechthin unhaltbar ist, so ist sie objektiv willkürlich. Ohne daß es auf subjektive Umstände oder ein Verschulden des Gerichts ankäme, stellt eine derartige Entscheidung einen Verstoß gegen das allgemein aus Art. 3 Abs. 1 GG abzuleitende - speziell auch in Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verankerte - Verbot dar, offensichtlich unsachliche Erwägungen zur Grundlage einer staatlichen Entscheidung zu machen (BVerfGE 58, 163, 167 f.; 71, 202, 205; BVerfG - Kammer - NJW 1995, 124, 125).

b) Es kann dahinstehen, ob, was eher fernliegt, eine vom Schöffengericht etwa gehegte Straferwartung von mehr als zwei Jahren Freiheitsstrafe (§ 25 Nr. 2 GVG) für sich genommen etwa objektiv willkürlich war.

Ebenso kann dahingestellt bleiben, welche Bedeutung für sich genommen die vom Amtsrichter in den Akten angebrachte Bemerkung "Wenn schon Pflichtverteidigung, dann auch Schöffengericht" hat.

Allerdings wäre die Annahme, das Vorliegen einer notwendigen Verteidigung oder "Pflichtverteidigung" würde die sachliche Zuständigkeit des Schöffengerichts begründen, rechtsirrig. Indes ist nicht ohne weiteres davon auszugehen, daß der Amtsrichter einen solchen verkürzten Zusammenhang von notwendiger Verteidigung und Schöffengerichtszuständigkeit angenommen hat: Es wird die Ansicht vertreten, daß auch nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege von 11. Januar 1993 (BGBl I 50) - jenseits des Wortlautes von § 25 Nr. 2 GVG - die sachliche Zuständigkeit des Schöffengerichts auch bei einer Straferwartung von nicht mehr als zwei Jahren Freiheitsstrafe begründet sein kann, weil etwa in Fortschreibung der Grundsätze der Entscheidung BVerfGE 22, 254 die Vorschrift des § 25 Nr. 2 GVG um das Merkmal der minderen Bedeutung der Sache zu ergänzen sei (so AG Höxter MDR 1994, 1139; Bachem NStZ 1996, 207; Fuhse NStZ 1995, 165; Hohendorf NJW 1995, 1454; Siegismund/Wickern wistra 1993, 136, 137). Mehrere Oberlandesgerichte und zahlreiche Autoren sind freilich anderer Ansicht (OLG Oldenburg MDR 1994, 1139; OLG Hamm StV 1995, 182 und 1996, 300; OLG Düsseldorf NStZ 1996, 206; Kleinknecht/Meyer-Goßner 42. Aufl. § 25 GVG Rdn. 3; Böttcher/Elmar Mayer NStZ 1993, 153, 157; Rieß NStZ 1995, 376; Fischer NJW 1996, 1044). Während es hier auf eine Entscheidung dieses Streites nicht ankommt, ist jedenfalls festzuhalten, daß es angesichts der Kontroverse nicht willkürlich gewesen wäre, wenn der Amtsrichter mit seiner Eröffnungsentscheidung etwa der zuerst genannten Rechtsmeinung gefolgt sein sollte. Es erscheint möglich, daß er mit seiner zitierten Bemerkung solches gemeint hat: Diejenigen Umstände, die die Schwere der Tat oder die Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage im Sinne von § 140 Abs. 2 Satz 1 StPO etwa zu begründen vermögen, können möglicherweise zugleich die Grundlage dafür sein, die mindere Bedeutung der Sache im Sinne des genannten Zuständigkeitsproblems zu verneinen.

Weil das Oberlandesgericht Celle die objektive Willkür jedoch in einer Zusammenschau der vorstehend genannten, einander nicht ergänzenden Gesichtspunkte gefunden hat, ist diese Entscheidung nicht unvertretbar (vgl. zu diesem Maßstab K. Schäfer/Harms in Löwe/Rosenberg, 24. Aufl. § 121 GVG Rdn. 78 m. N. der Rspr. des BGH).

2. Das Oberlandesgericht Celle meint, es würde mit der beabsichtigten Entscheidung von dem Beschluß des Bundesgerichtshofs BGHSt 40, 120 abweichen. Es nimmt also an, daß die in BGHSt 40, 120 zum Revisionsverfahren - vor dem Bundesgerichtshof - für den Fall der willkürlichen Verkennung der sachlichen Zuständigkeit im Verhältnis zwischen Landgericht und Amtsgericht aufgestellten Grundsätze auch insofern gelten, als im Verfahren über die Revision gegen ein Berufungsurteil - vor dem Oberlandesgericht - eine Überprüfung der erstinstanzlichen Entscheidung über die sachliche Zuständigkeit im Verhältnis von Schöffengericht und Strafrichter in Betracht kommt. Damit stellt das Oberlandesgericht Celle durch seinen Vorlegungsbeschluß - nicht unvertretbar - die Frage, ob der beabsichtigten Entscheidung eine bestimmte Entscheidung des Bundesgerichtshofs entgegensteht. Die Identität der Rechtsfrage ist also gerade Kern der Vorlegungsfrage. Auch unter diesem Gesichtspunkt sind die Vorlegungsvoraussetzungen gemäß § 121 Abs. 2 GVG zu bejahen (vgl. K. Schäfer/Harms aaO Rdn. 75a m. N. der Rspr. des BGH).

3. Im übrigen würde das Oberlandesgericht Celle mit der beabsichtigten Entscheidung auch von dem Beschluß des Oberlandesgerichts Hamm StV 1996, 300 abweichen. Diesem Beschluß liegt entscheidungstragend die Rechtsansicht zugrunde, daß das Revisionsgericht im Fall einer Revision gegen ein Berufungsurteil die in der Vorinstanz erfolgte willkürliche Annahme einer sachlichen Zuständigkeit des Schöffengerichts statt der gegebenen sachlichen Zuständigkeit des Strafrichters von Amts wegen und nicht allein auf eine Verfahrensrüge zu beachten habe.

IV.

Die Vorlegungsfrage ist wie aus der Beschlußformel ersichtlich zu beantworten.

1. In Frage steht im weiteren Sinne, unter welchen Voraussetzungen das Revisionsgericht zu prüfen hat, ob in der ersten Instanz die sachliche Zuständigkeit objektiv willkürlich angenommen worden ist und dadurch der Angeklagte seinem gesetzlichen Richter entzogen worden ist.

a) Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in seinem Beschluß BGHSt 40, 120 (JZ 1995, 261 m. Anm. Engelhardt; JR 1995, 255 m. Anm. Sowada) zu einem Ausschnitt dieses Problemkreises, nämlich für den Fall, daß das Landgericht sich an Stelle des Amtsgerichts willkürlich für sachlich zuständig erklärt und damit gegen den Grundsatz des gesetzlichen Richters verstoßen hat, entschieden, daß das Revisionsgericht - also der Bundesgerichtshof - dies gemäß § 6 StPO von Amts wegen und nicht nur auf eine entsprechende Verfahrensrüge zu beachten hat. Zur Begründung hat der 4. Strafsenat insbesondere ausgeführt:

Die sachliche Zuständigkeit ist als Prozeßvoraussetzung nach § 6 StPO in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu beachten. Allerdings bestimmt § 269 StPO, daß sich ein Gericht nicht für unzuständig erklären dürfe, weil die Sache vor ein Gericht niederer Ordnung gehöre. Dies gilt aber dann nicht, wenn das höhere Gericht willkürlich gehandelt hat; denn damit verstößt es gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und entzieht den Angeklagten seinem gesetzlichen Richter. Diesen Rechtsverstoß hat der Bundesgerichtshof von Amts wegen zu beachten, so daß es einer entsprechenden Verfahrensrüge nicht bedarf. Die Vorschrift des § 338 Nr. 4 StPO hat für die sachliche Zuständigkeit keine Bedeutung. Anders ausgedrückt: das Fehlen der sachlichen Zuständigkeit ist unschädlich, wenn § 269 StPO eingreift. Ist diese Vorschrift aber nicht anwendbar, so bleibt es bei § 6 StPO mit der Folge, daß ein von Amts wegen zu beachtendes Verfahrenshindernis vorliegt, das zwar - im Gegensatz zu anderen Prozeßhindernissen - nicht zur Einstellung des Verfahrens, aber gemäß § 355 StPO zur Verweisung der Sache an das zuständige Gericht führt.

Der 4. Strafsenat hat in seinem Beschluß StV 1995, 620 sowie in seinen Beschlüssen vom 3. August 1995 - 4 StR 420/95 - und vom 16. April 1996 - 4 StR 80/96 - ebenso entschieden und Ähnliches schon in seinen früheren Entscheidungen BGHSt 38, 172, 176; 38, 212; BGH NStZ 1992, 397 ausgesprochen (vgl. auch BGH GA 1981, 321 m. Anm. Rieß).

b) Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob dieser Rechtsprechung uneingeschränkt zu folgen ist, weil es auf sie hier nicht ankommt:

Maßgeblich für die vorliegende Fallgestaltung, nämlich für die Revision gegen ein Berufungsurteil, ist die Regelung des § 328 Abs. 2 StPO. Danach hat das Berufungsgericht unter Aufhebung des Urteils die Sache an das zuständige Gericht zu verweisen, wenn das Gericht des ersten Rechtszuges zu Unrecht seine Zuständigkeit angenommen hat. Die Frage, ob diese Vorschrift des Verfahrensrechts verletzt worden ist, betrifft nicht die sachliche Zuständigkeit des Gerichts, dessen Urteil mit der Revision angefochten ist, also nicht den Fall, wie er BGHSt 40, 120 (und den Folgeentscheidungen) zugrundeliegt. Betroffen ist vielmehr das Problem, ob das sachlich zuständige Berufungsgericht das Verfahrensrecht beachtet hat. Dies hat das Revisionsgericht nur auf eine entsprechende Verfahrensrüge zu prüfen; § 344 Abs. 2, § 352 Abs. 1 StPO (vgl. auch BayObLG NJW 1987, 3091).

c) Aus Verfassungsrecht ist nicht der Rechtssatz herzuleiten, daß in Verfahrensfehlern liegende Verfassungsverstöße in der Revision von Amts wegen zu beachten seien (BGHSt 19, 273, 276 ff.). Auch Grundrechtsverletzungen sind rügebedürftig; ihre Geltendmachung steht zur Disposition des Grundrechtsträgers. Das gilt insbesondere für einen Verstoß gegen den in Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG normierten Grundsatz des gesetzlichen Richters (BGHSt 26, 84, 90; BGH MDR 1984, 335). In den Fällen der vorliegenden Art verbleibt es daher dabei, daß das Revisionsgericht den in der willkürlichen Annahme sachlicher Zuständigkeit liegenden Verfahrensfehler des Schöffengerichts nur auf eine entsprechende Verfahrensrüge zu beachten hat (BGH GA 1970, 25; BGH NJW 1993, 1607).

Es kommt nicht darauf an, ob die Vorschrift des § 328 Abs. 2 StPO ergibt, daß die sachliche Zuständigkeit grundsätzlich keine Prozeßvoraussetzung ist, oder ob § 328 Abs. 2 StPO etwa nur eine Ausnahme von dem angenommenen Grundsatz enthält, daß die sachliche Zuständigkeit Prozeßvoraussetzung sei, wobei ihr Nichtvorliegen - anders als bei sonstigen Verfahrenshindernissen - ausnahmsweise nicht zur Verfahrenseinstellung, sondern zur Zurückverweisung der Sache an das zuständige Gericht führt.

2. Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob in den Fällen der Sprungrevision (§ 335 StPO) die Grundsätze der Entscheidung BGH 40, 120 entsprechend gelten (so OLG Düsseldorf NStZ 1996, 206) oder ob auch in diesen Fällen eine Verfahrensrüge der genannten Art zu verlangen ist. Gesichtspunkte des Gerichtsverfassungsrechts und der Verfahrenspraxis sprechen allerdings dafür, daß im Fall einer Sprungrevision die revisionsgerichtliche Prüfung, ob das Schöffengericht sich an Stelle des Strafrichters willkürlich für sachlich zuständig erklärt hat, nicht denselben Regeln folgt, wie sie nach BGHSt 40, 120 und der weiteren genannten Rechtsprechung des 4. Strafsenates für die revisionsgerichtliche Prüfung der Frage gelten, ob das Landgericht willkürlich seine sachliche Zuständigkeit statt einer solchen des Amtsgerichts angenommen hat.

Zwar handelt es sich in beiden Fällen gleichermaßen um die Frage der revisionsgerichtlichen Prüfbarkeit der erstinstanzlichen Entscheidung über die sachliche Zuständigkeit. Jedoch bestehen bedeutsame Unterschiede zwischen beiden Konstellationen:

a) Während im Vergleich zur unbeschränkten Rechtsfolgenkompetenz des Landgerichts das Amtsgericht nicht auf eine höhere Strafe als vier Jahre Freiheitsstrafe und nicht auf Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder der Sicherungsverwahrung erkennen darf (§ 24 Abs. 2 GVG), hat der Strafrichter die gleiche Rechtsfolgenkompetenz wie das Schöffengericht. Der - freilich mit dem Gedanken der Vorschrift des § 269 StPO kollidierende - Gesichtspunkt, daß das Landgericht mit einer willkürlichen Annahme seiner sachlichen Zuständigkeit den Angeklagten dem begrenzten Strafbann des Amtsgerichts entzieht, findet also keine Entsprechung darin, daß das Schöffengericht eine Sache, für die der Strafrichter sachlich zuständig ist, willkürlich an sich zieht.

b) Von besonderer Bedeutung für die hier vorzunehmende Differenzierung ist der unterschiedliche Rechtsweg: Während die willkürliche Annahme der erstinstanzlichen Zuständigkeit durch das Landgericht dem Angeklagten in der Folge allein die Revision zum Bundesgerichtshof eröffnet und die Berufungsinstanz nimmt, verbleibt es im Fall willkürlicher Annahme der sachlichen Zuständigkeit durch das Schöffengericht statt einer solchen des Strafrichters bei demselben Rechtsweg: Die Berufung führt - seit dem Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege (s. o.) fast durchgehend (Ausnahme: § 76 Abs. 3 Satz 1 GVG) gleichermaßen zur kleinen Strafkammer des Landgerichts (§ 74 Abs. 3, § 76 Abs. 1 Satz 1 GVG). Die Revision führt gleichermaßen zum Oberlandesgericht (§ 121 Abs. 1 Nr. 1 lit. a und b GVG). Damit tritt es für beide Rechtsmittelinstanzen in den Hintergrund, ob in der ersten Instanz der Strafrichter oder das Schöffengericht entschieden hat.

c) Es kann auch nicht außer Betracht bleiben, daß der oben genannte Streit besteht, ob - jenseits des Wortlauts von § 25 Nr. 2 GVG - die sachliche Zuständigkeit des Schöffengerichts auch bei einer Straferwartung von nicht mehr als zwei Jahren Freiheitsstrafe begründet sein kann. Es besteht keine Veranlassung, diesem Streit hier nachzugehen. Gleichwohl indiziert er eine Unsicherheit in der Abgrenzung der sachlichen Zuständigkeit zwischen Schöffengericht und Strafrichter.

d) Auch ist zu bedenken, daß - nach der Praxis der Geschäftsverteilung bei manchen Amtsgerichten; so auch im Ausgangsverfahren - der in der konkreten Sache berufene Strafrichter als Person identisch sein kann mit dem Vorsitzenden des Schöffengerichts. Die Anwendung der Maßstäbe von BGHSt 40, 120 auf die Fälle amtsgerichtlicher sachlicher Zuständigkeit würde daher gegebenenfalls dazu führen, daß das Urteil des Schöffengerichts aufgehoben wird und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an einen Strafrichter zurückverwiesen wird, der identisch ist mit dem Vorsitzenden des Schöffengerichts - ohne daß der Angeklagte oder andere Beschwerdeführer solches mit einer Verfahrensrüge begehrt hätten -. Gerade dies zeigt, daß ein solches procedere nicht von Amts wegen ausgelöst werden, sondern lediglich dann stattfinden sollte, wenn der Angeklagte oder andere Revisionsführer mit einer entsprechenden Verfahrensrüge ein derartiges Verfahren postulieren.

e) Ungeachtet der klaren Maßstäbe des Bundesverfassungsgerichts zum Willkürbegriff (oben III. 1. a) kann es im Einzelfall erheblichen Schwierigkeiten begegnen zu bestimmen, ob ein Gericht bei der Bejahung der eigenen sachlichen Zuständigkeit objektiv willkürlich gehandelt hat. Insbesondere erscheint es verfehlt, ex post den Strafausspruch zum Maßstab dafür zu nehmen, ob die prognostische Entscheidung nach § 24 Abs. 1 Nr. 2 GVG oder nach § 25 Nr. 2 GVG willkürlich war. Dabei sind die Revisionsgerichte in Gefahr, außer acht zu lassen, daß der relevante Sachverhalt und die Persönlichkeit des Angeklagten sich am Ende der Hauptverhandlung häufig anders darstellen als nach Aktenlage bei Eröffnung des Hauptverfahrens (vgl. BGH NJW 1993, 1607, 1608).

Externe Fundstellen: BGHSt 42, 205; NJW 1997, 204; StV 1996, 585

Bearbeiter: Rocco Beck