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Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 584/00, Beschluss v. 26.04.2001, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 5 StR 584/00 - Beschluß v. 26. April 2001 (LG Essen)

Steuerhinterziehung; Verfahrenshindernis der anderweitigen Rechtshängigkeit; Mitbestrafte Nachtat (Scheinrechnungen); Betrug; Untreue; Beihilfe; Konkurrenz; Gesetzeseinheit; Grundsätze der Berechnungsdarstellung

§ 370 AO; § 266 StGB; § 263 StGB; § 27 StGB; § 52 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die Ausstellung von Scheinrechnungen zur Ermöglichung von Untreuehandlungen anderer und die Nichterklärung der in diesen Rechnungen ausgewiesenen Umsatzsteuern gegenüber dem Finanzamt sind voneinander unabhängige Handlungen, die sich zudem gegen unterschiedliche Rechtsgüter richten und einen eigenständigen Unrechtsgehalt haben; aus demselben Grund stellt die Steuerhinterziehung auch nicht lediglich eine mitbestrafte Nachtat gegenüber der Beihilfe zur Untreue dar.

2. Grundsätze der Berechnungsdarstellung bei Steuerhinterziehung.

Entscheidungstenor

Auf die Revisionen der Angeklagten N und S wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 29. Juni 2000 gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagten wegen gemeinschaftlicher Steuerhinterziehung in zehn Fällen schuldig gesprochen. Es hat die Angeklagte S unter Einbeziehung einer weiteren Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zwei Monaten und den Angeklagten N zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die von den Angeklagten eingelegten Revisionen führen bereits mit der Sachrüge zur Aufhebung des Urteils nach § 349 Abs. 4 StPO; auf die erhobenen Verfahrensrügen kommt es nicht mehr an.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts arbeiteten die Angeklagten schon vor 1988 in Essen mit dem Steuerberater W zusammen und erledigten für ihn sämtliche in der Kanzlei anfallenden Buchungsarbeiten. Die Angeklagte S betrieb zu diesem Zweck in dem Gebäude, in dem auch die Steuerkanzlei ansässig war, ein Gewerbe für Datenverarbeitung. Als der Steuerberater W im Jahr 1988 seine Kanzlei in Essen aufgab, faßten die Angeklagten den Entschluß, die vorhandenen und ihnen bekannten Mandanten des Steuerberaterbüros einer eigenen Steuerberatungsgesellschaft zuzuführen. Sie gründeten daher im Jahr 1989 die Firma A St mbH mit Sitz in Essen und eröffneten später Filialen in Berlin und Köthen. Diese Gesellschaft konnte allerdings die erforderliche behördliche Anerkennung als Steuerberatungsgesellschaft nur erhalten, wenn die Geschäftsführer oder die Gesellschafter Steuerberater waren. Da beide Angeklagten keine Steuerberaterprüfung abgelegt hatten, aber dennoch die behördliche Anerkennung der von ihnen betriebenen Gesellschaft erhalten wollten, schalteten sie nacheinander mehrere Steuerberater ein, die jeweils als Strohleute die Stellung des eingetragenen Geschäftsführers - zum Teil auch des Mehrheitsgesellschafters - übernahmen. Die tatsächliche Herrschaft über die A St mbH und die faktische Geschäftsführung lagen jedoch bei den Angeklagten, welche die jeweiligen ins Handelsregister eingetragenen Geschäftsführer mit Treuhandverträgen zum weisungsabhängigen Handeln verpflichtet hatten. Die Angeklagten kamen in den Jahren 1990 bis 1992 der ihnen als faktischen Geschäftsführern obliegenden Pflicht zur Abgabe von Umsatz-, Körperschaft- und Gewerbesteuererklärungen nicht nach. Sie hinterzogen dadurch zugunsten der A St mbH insgesamt mehr als 1,4 Millionen DM an Steuern.

2. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer ist das Verfahrenshindernis der anderweitigen Rechtshängigkeit nicht gegeben.

Die den Angeklagten von der Staatsanwaltschaft Berlin mit Anklageschrift vom 11. März 1998 zur Last gelegten Taten, die als Beihilfe zur Untreue gewertet wurden, sind nicht mit den Taten im prozessualen Sinn identisch, die Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sind. Die Ausstellung von Scheinrechnungen zur Ermöglichung von Untreuehandlungen anderer und die Nichterklärung der in diesen Rechnungen ausgewiesenen Umsatzsteuern gegenüber dem Finanzamt sind voneinander unabhängige Handlungen, die sich zudem gegen unterschiedliche Rechtsgüter richten und einen eigenständigen Unrechtsgehalt haben. Aus demselben Grund stellt die Steuerhinterziehung auch nicht - wie von der Verteidigung behauptet - lediglich eine mitbestrafte Nachtat gegenüber der Beihilfe zur Untreue dar.

3. Der Schuldspruch kann aber keinen Bestand haben, weil die Berechnungsdarstellung der hinterzogenen Steuern so lückenhaft ist, daß sie eine revisionsgerichtliche Nachprüfung nicht zuläßt.

a) Bei einer Verurteilung wegen Steuerhinterziehung müssen die Urteilsgründe regelmäßig nicht nur die Summe der jeweils verkürzten Steuern, sondern für jede Steuerart und jeden Steuerabschnitt gesondert die Berechnung der verkürzten Steuern im einzelnen angeben (vgl. BGHR AO § 370 Abs. 1 - Berechnungsdarstellung 2, 3, 4, 6). Die Feststellungen zum Schuldspruch wegen Umsatzsteuerhinterziehung müssen erkennen lassen, welcher Unternehmer (§ 2 UStG) aufgrund welcher Lieferungen und Leistungen (§ 3 UStG) steuerbare Umsätze bewirkt hat. Sodann ist im einzelnen darzustellen, auf welcher Bemessungsgrundlage sich der jeweilige Steueranspruch errechnet, weiche Höhe er hat und welche Handlungen der Steuerpflichtige vorgenommen oder unterlassen hat, um einen bestimmten Verkürzungserfolg zu erreichen. Bei der Ermittlung von Ertragsteuern sind die steuerlichen Grundlagen entsprechend zu ermitteln und darzulegen (vgl. BGHR aaO - Berechnungsdarstellung 6, 7, 9; BGHR KStG 1977 § 8 - Ermittlung 2). Die Verweisung auf Betriebsprüfungsberichte oder die Übernahme der Ermittlungsergebnisse der Steuerfahndung in das Urteil sind ebenso unzureichend wie die Wiedergabe von Aussagen, die Finanzbeamte als Zeugen in der Hauptverhandlung zur Beurteilung steuerlicher Fragen gemacht haben (BGH wistra 2001, 22; vgl. auch BGHR AO § 370 Abs. 1 - Berechnungsdarstellung 9). Die Anwendung steuerlicher Vorschriften auf den festgestellten Sachverhalt ist Rechtsanwendung; dies gilt auch für die daraus folgende Berechnung der verkürzten Steuern. Diese Rechtsanwendung obliegt dem Strafrichter, nicht den als Zeugen gehörten Ermittlungsbeamten oder Beamten der Finanzverwaltung (vgl. BGH wistra 2001, 22). Zur Rechtsanwendung gehört auch die Anwendung der Vorschriften über die Ermittlung des Einkommens oder der steuerpflichtigen Umsätze. Es ist Aufgabe des Tatrichters, anhand des materiellen Steuerrechts zu prüfen, welche getätigten Umsätze bzw. Einkünfte steuerpflichtig oder steuerfrei waren. Die Darstellung in den Urteilsgründen muß so gewählt werden, daß dem Revisionsgericht eine Oberprüfung dieses Subsumtionsvorgangs möglich ist.

Eine Berechnungsdarstellung ist ausnahmsweise nur dann entbehrlich, wenn ein sachkundiger Angeklagter, der zur Berechnung der hinterzogenen Steuern in der Lage ist, ein Geständnis abgelegt hat (vgl. BGHR AO § 370 Abs. 1 - Berechnungsdarstellung 2, 3, 5, 8, 9; BGH wistra 2001, 22).

b) Den dargelegten Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Es beschränkt sich bei den Fällen der Umsatzsteuerhinterziehung auf die pauschale Bezeichnung der getätigten Umsätze. Hinsichtlich der Bestimmung der Höhe der steuerpflichtigen Umsätze verweist es auf die Ermittlungen des Steuerfahndungsprüfers G . Dieser habe das "beschlagnahmte Material betreffend die Buchhaltung der A St mbH gesichtet." "Unter Hinzuziehung der Berichtsergebnisse der Umsatzsteuersonderbetriebsprüfung" hätten sich dabei "realistische Umsatzzahlen" ermitteln lassen. Dasselbe gilt für die Berechnung der hinterzogenen Körperschaft- und Gewerbesteuern. Das Landgericht nennt jeweils als Ausgangsgröße für die Berechnung dieser Steuern lediglich den Jahresüberschuß der Gesellschaft und verweist hinsichtlich der Gewinnermittlung auf die Feststellungen des als Zeugen vernommenen Fahndungsprüfers G . Dieser habe "glaubhaft und stimmig bekundet", daß aus dem Prüfungsmaterial im Zusammenhang mit den von den Angeklagten erstellten Bilanzen "die Umsätze und die Gewinne gesichert und nachvollziehbar erfaßt werden konnten." Die festgestellten Umsätze und Gewinne seien durch die Prüfungsergebnisse des Zeugen G "zweifelsfrei festgestellt" und "überzeugend gesichert". Dagegen seien die von dem Angeklagten N in der Hauptverhandlung vorgelegten "neuen Zahlen", die das Urteil nicht mitteilt, nicht geeignet, die von dem Zeugen G ermittelte Berechnungsgrundlage für die einzelnen Steuerarten zu erschüttern. Das neu vorgelegte Zahlenmaterial könne als Berechnungsgrundlage für die verschiedenen Steuerarten "nicht herangezogen werden". Insgesamt werden in den Urteilsgründen eigene notwendige Feststellungen des Landgerichts zu den Besteuerungsgrundlagen durch Bezugnahmen auf Betriebsprüfungsberichte oder auf die Feststellungen des als Zeugen vernommenen Steuerfahndungsbeamten G ersetzt. Statt der vom Tatrichter selbst vorzunehmenden Steuerberechnung werden in den Urteilsgründen weitgehend Ausführungen zur Glaubwürdigkeit der Steuerfahndungsbeamten vorgenommen.

Bei einem der artigen Vorgehen ist es für das Revisionsgericht nicht nachprüfbar, ob der Tatrichter von zutreffenden Besteuerungsgrundlagen ausgegangen ist und den jeweiligen Schuldumfang auch nur ansatzweise eigenverantwortlich ermittelt hat. Da die Angeklagten die Höhe der verkürzten Steuern ausdrücklich bestritten haben und sogar "neue, selbst berechnete Zahlen vorgelegt haben" war auf eine Auseinandersetzung mit den zugrunde liegenden Rechtsfragen und eine entsprechende Darstellung nicht zu verzichten. Dieser Fehler wiegt so schwer, daß er den gesamten Schuldspruch erfaßt und nicht nur zur Aufhebung des Strafausspruches führt.

Der neue Tatrichter wird im Hinblick auf die weit zurückliegenden Kalenderjahre 1990 bis 1992 zu prüfen haben, ob die Verjährung rechtzeitig unterbrochen worden ist (vgl. hierzu BGHR StGB § 78c Abs. 1 Nr. 4 - Durchsuchung 1 mit Anm. Jäger wistra 2000, 227). Die bloße Mitteilung, daß ein Ermittlungsverfahren wegen Steuerhinterziehung eingeleitet wurde, kann nur insoweit eine Verjährungsunterbrechung nach § 78c Nr. 1 StGB auslösen, als der Beschuldigte erkennen kann, auf welche konkreten Taten sich die Verfahrenseinleitung bezieht (vgl. Tröndle/Fischer, StGB 50. Aufl. § 78c Rdn. 9).

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2001, 307; StV 2004, 23

Bearbeiter: Karsten Gaede