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Bearbeiter: Ulf Buermeyer

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 193/03, Urteil v. 11.09.2003, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 4 StR 193/03 - Urteil vom 11. September 2003 (LG Bochum)

Besonders schwerer Fall des Betruges (Indizwirkung des Regelbeispiels; gewerbsmäßiges Handeln; Schuldentilgung).

§ 263 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Sind die Voraussetzungen eines Regelbeispiels gegeben, so bestimmt sich der Regelstrafrahmen nach dem erhöhten Strafrahmen; einer zusätzlichen Prüfung, ob dessen Anwendung im Vergleich zu den im Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle geboten erscheint, bedarf es nicht (zur Indizwirkung der Regelbeispiele bei § 263 StGB vgl. BGH, Beschluss vom 10. Mai 2001 - 3 StR 96/01).

2. Gewerbsmäßigkeit liegt vor, wenn der Täter in der Absicht handelt, sich durch wiederholte Tatbegehung eine fortlaufende Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang zu verschaffen. Liegt ein derartiges Gewinnstreben vor, ist schon die erste der ins Auge gefaßten Tathandlungen als gewerbsmäßig anzusehen (st. Rspr., vgl. nur BGH NStZ 1995, 85). Es ist weder erforderlich, dass der Täter beabsichtigt, seinen Lebensunterhalt allein oder auch nur überwiegend durch die Begehung von Straftaten zu bestreiten, noch steht der Annahme der Gewerbsmäßigkeit entgegen, dass er in dem Bestreben handelt, mit dem erlangten Geld alte Verbindlichkeiten abzutragen (vgl. BGH, Urteil vom 25. Juni 2003 - 1 StR 469/02).

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Bochum vom 12. November 2002 im Rechtsfolgenausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt und die Vollstreckung der erkannten Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten Revision, die sie - wie die Revisionsbegründung deutlich macht - trotz des umfassend gestellten Aufhebungsantrages wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hat (vgl. BGHR StPO § 344 Abs. 1 Antrag 3). Das auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützte Rechtsmittel hat Erfolg.

1. Nach den Feststellungen schlug der hochverschuldete Angeklagte der M. K. GmbH & Co KG, dessen Geschäftsführer er gut kannte, die Beteiligung an einem Kunststoffhandelsgeschäft vor. Mit dem einzusetzenden Geld sollten angeblich sogenannte "Streckengeschäfte" mit solventen Partnern und sicherer Gewinnaussicht finanziert werden. Den Gewinn veranschlagte der Angeklagte auf 10 %; er sollte zwischen ihm und der M. K. GmbH & Co KG hälftig geteilt werden. Im Vertrauen auf die Angaben des aus seiner früheren Tätigkeit in der Kunststoffbranche als seriöser Geschäftsmann bekannten Angeklagten leistete die M. K. GmbH & Co KG vier Zahlungen über insgesamt 475.000 DM, und zwar jeweils auf Anforderung des Angeklagten Einzelbeträge von 50.000 DM am 14. Februar 2000, 160.000 DM am 21. Februar 2000, 80.000 DM am 1. März 2000 und 185.000 DM am 21. Juni 2000. Tatsächlich schloß der Angeklagte kein Geschäft der bezeichneten Art ab, sondern verwendete entsprechend seinem Tatplan den überwiegenden Teil des Geldes zur Abdeckung von Verbindlichkeiten aus seiner früheren Unternehmertätigkeit. Rückzahlungen an die M. K. GmbH & Co KG leistete er nicht (Fall 1). Noch während die M. K. GmbH & Co KG auf Rückzahlung der eingesetzten Gelder drängte, spiegelte der Angeklagte dem Inhaber einer für ihn tätigen Gebäudereinigungsfirma ebenfalls die Möglichkeit einer kurzfristigen Geldanlage mit einer Verzinsung von 10 % vor. Im Vertrauen auf die Angaben des kompetent und seriös wirkenden Angeklagten stellte dieser am 2. November 2000 einen Betrag von 10.000 DM zur Verfügung. Die Rückzahlung nebst 1.000 DM Gewinn wurde für den 1. Februar 2001 vereinbart. Auch hier investierte der Angeklagte das Geld nicht, sondern verwendete es entsprechend seiner vorgefaßten Absicht zur Deckung seiner laufenden Lebenshaltungskosten (Fall 2).

2. Das Landgericht hat - infolge der wirksamen Beschränkung des Rechtmittels auf den Rechtsfolgenausspruch für den Senat bindend (vgl. BGH NStZ-RR 1996, 267) - die betrügerische Erlangung der Zahlungen im Fall 1 rechtlich als eine Handlung bewertet und hierfür eine Einzelfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten festgesetzt. Im Fall 2 hat es eine Einzelfreiheitsstrafe von sechs Monaten verhängt. Hierbei hat es jeweils das Vorliegen besonders schwerer Fälle im Sinne des § 263 Abs. 3 Satz 2 Nrn. 1 und 2 StGB verneint und ausgeführt, es sei insoweit maßgeblich darauf abzustellen, ob das gesamte Tatbild unter Berücksichtigung der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle derart abweiche, daß "die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten" erscheine. Gewerbsmäßig habe der Angeklagte nicht gehandelt, denn er habe "mit den Taten allein weder seinen Lebensunterhalt verdient", noch sei er in der planmäßigen Absicht vorgegangen, sich durch die wiederholte Tatbestandsverwirklichung eine laufende Einnahmequelle von einiger Dauer zu verschaffen. Vielmehr seien die Taten "Ausdruck des Wunsches des Angeklagten, sich wieder kurzzeitig Luft vor allzu drängenden Altgläubigern zu verschaffen und durch neue Schulden alte drängende Verbindlichkeiten begleichen zu können" (UA 17).

Auch die Höhe des Schadens rechtfertige nicht die Annahme eines besonders schweren Falles. Insoweit müsse zu Gunsten des Angeklagten insbesondere sein vorbehaltloses Geständnis in der Hauptverhandlung, seine Bereitschaft zur Schadenswiedergutmachung, die Verwendung der Gelder zur Schuldentilgung und namentlich im Fall 1 berücksichtigt werden, daß die "schwer verständliche Leichtgläubigkeit der Anlegerfirma in Verbindung mit einer nicht unerheblichen Geldgier" die Tat wesentlich erleichtert habe (UA 18). Bei einer Gesamtwürdigung reiche daher zur Ahndung jeweils der Regelstrafrahmen aus.

3. Diese Ausführungen begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

a) Sie lassen bereits besorgen, daß das Landgericht bei der Beurteilung der Frage, ob die Betrugstaten des Angeklagten als besonders schwere Fälle im Sinne des § 263 Abs. 3 Satz 2 StGB zu qualifizieren sind, von einem fehlerhaften rechtlichen Ansatz ausgegangen ist. Nach § 263 Abs. 3 StGB in der Fassung des 6. Strafrechtsreformgesetzes wird ein besonders schwerer Fall durch die Verwirklichung eines der in Satz 2 Nrn. 1 bis 5 bezeichneten Regelbeispiele indiziert. Sind die Voraussetzungen eines Regelbeispiels gegeben, so bestimmt sich der "Regelstrafrahmen" nach dem erhöhten Strafrahmen; einer zusätzlichen Prüfung, ob dessen Anwendung im Vergleich zu den im Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle geboten erscheint, bedarf es hier nicht. Die vom Landgericht in diesem Zusammenhang zitierte Rechtsprechung betraf - soweit überhaupt einschlägig - die Regelung des § 263 Abs. 3 StGB a.F., die keine Regelbeispiele, sondern einen unbenannten besonders schweren Fall zum Gegenstand hatte und die zudem gegenüber § 263 Abs. 3 StGB in der geltenden Fassung ein höheres Mindeststrafmaß (ein Jahr statt nunmehr sechs Monate Freiheitsstrafe) vorsah.

b) Zwar kann die Indizwirkung des Regelbeispiels durch besondere strafmildernde Umstände entkräftet werden, die für sich allein oder in ihrer Gesamtheit so schwer wiegen, daß die Anwendung des Strafrahmens für besonders schwere Fälle unangemessen erscheint (vgl. BGH NStZ 1999, 244, 245; Tröndle/Fischer StGB 51. Aufl. § 46 Rdnr. 91 m.w.N.). Das Landgericht hat - was rechtlich nicht zu beanstanden ist - im Fall 1 ersichtlich das Regelbeispiel des § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 1. Alt StGB (Herbeiführung eines Vermögensverlustes großen Ausmaßes) als erfüllt angesehen. Die von ihm vorgenommene Gesamtwürdigung ist jedoch - ungeachtet des aufgezeigten verfehlten Ansatzes - ebenfalls nicht frei von rechtlichen Mängeln.

Sie ist einerseits in einem wesentlichen Punkt lückenhaft. Das Landgericht hat nämlich - wie die Revision zu Recht rügt - bei der Abwägung, ob ein besonders schwerer Fall vorliegt, nicht erkennbar berücksichtigt, daß der Angeklagte schon 1997 und 1998 wegen einschlägiger Straftaten zu Bewährungsstrafen verurteilt worden war und damit die hier abgeurteilten Taten jeweils unter laufender Bewährung, die Tat zu Fall 1 sogar unter laufender Bewährung aus beiden Vorverurteilungen, begangen hat. Diese Umstände hätten hier schon deshalb besonderer Erörterung bedurft, da der Angeklagte seinen eigenen Angaben zufolge bereits die den genannten Vorverurteilungen zugrundeliegenden Betrugstaten "in dem Bemühen (beging), Altschulden zu stopfen" (UA 8).

Des weiteren ist der vom Landgericht herangezogene strafmildernde Umstand, die Tatbegehung sei - namentlich im Fall 1 - durch die "schwer verständliche" Leichtgläubigkeit und "nicht unerhebliche Geldgier" der Geschädigten erleichtert worden, nicht ohne weiteres mit den getroffenen Feststellungen in Einklang zu bringen. Danach verfügte der Angeklagte als langjähriger Marketingleiter eines namhaften Unternehmens der Kunststoffbranche "über vielfältige Kontakte als seriöser Geschäftsmann", beschloß diese für seine Zwecke auszunutzen und vertraute darauf, von den Kunden, die ihn seit langem kannten, auf diesem Gebiet "als kompetent und seriös akzeptiert zu werden" (UA 8/9). Die den Anlegern zugesagten Gewinnmargen lagen zudem gegenüber vergleichbaren Fällen eher im unteren Bereich.

c) Das Urteil kann schließlich im Rechtsfolgenausspruch auch deshalb keinen Bestand haben, weil die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe bei den ausgeurteilten Taten jeweils nicht gewerbsmäßig gehandelt, rechtlicher Überprüfung nicht standhält. Gewerbsmäßigkeit liegt vor, wenn der Täter in der Absicht handelt, sich durch wiederholte Tatbegehung eine fortlaufende Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang zu verschaffen. Liegt ein derartiges Gewinnstreben vor, ist schon die erste der ins Auge gefaßten Tathandlungen als gewerbsmäßig anzusehen (st. Rspr., vgl. nur BGH NStZ 1995, 85 sowie Tröndle/Fischer aaO vor § 52 Rdn. 37 m.w.N.). Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist weder erforderlich, daß der Täter beabsichtigt, seinen Lebensunterhalt "allein" oder auch nur überwiegend durch die Begehung von Straftaten zu bestreiten (vgl. Tröndle/Fischer aaO), noch steht der Annahme der Gewerbsmäßigkeit entgegen, daß er in dem Bestreben handelt, mit dem erlangten Geld alte Verbindlichkeiten abzutragen (vgl. BGH NJW 1998, 2913, 2914 sowie hierzu auch BGH, Urteil vom 25. Juni 2003 - 1 StR 469/02).

Bei Anwendung dieser Grundsätze liegt es daher nahe, daß der Angeklagte jedenfalls im Fall 1 gewerbsmäßig handelte, zumal er - wie das Landgericht an anderer Stelle ausgeführt hat - von vorneherein beabsichtigte, den als zahlungsbereit eingeschätzten Geschäftsführer der Geschädigten als "Finanzierungsquelle" einzusetzen, um von ihm soviel Geld zu erhalten, wie jeweils zur Schuldentilgung notwendig war (UA 15/16). Aufgrund des gegebenen zeitlichen Zusammenhanges kann der Senat nicht ausschließen, daß der Angeklagte auch im Fall 2 in Fortsetzung des einmal gefaßten Entschlusses, sich durch die Begehung von Betrugsstraftaten eine fortlaufende Einnahmequelle zu verschaffen, gehandelt hat.

Die Sache bedarf daher im Umfang der Aufhebung der erneuten Verhandlung und Entscheidung.

Externe Fundstellen: NStZ 2004, 265

Bearbeiter: Ulf Buermeyer