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HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 710

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 174/16, Beschluss v. 20.09.2016, HRRS 2017 Nr. 710


BGH 3 StR 174/16 - Beschluss vom 20. September 2016 (LG Aurich)

Fortwirkende Gewalt und räuberischer Erpressung (Unterlassung; Finalität; Ausnutzung von Angst); Garantenstellung (Ingerenz; Beihilfe); gefährliche Körperverletzung (gemeinschaftlich).

§ 249 StGB; § 253 StGB; § 255 StGB; § 13 StGB; § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die räuberische Erpressung (§§ 253, 255 StGB) erfordert ebenso wie der Raub (§ 249 StGB) einen finalen Zusammenhang zwischen dem Nötigungsmittel und der von dem Opfer vorzunehmenden vermögensschädigenden Handlung. Eine konkludente Drohung genügt; sie kann sich grundsätzlich auch daraus ergeben, dass der Täter dem Opfer durch sein Verhalten zu verstehen gibt, er werde zuvor zu anderen Zwecken angewendete Gewalt nun zur Erzwingung der jetzt erstrebten vermögensschädigenden Handlung des Opfers bzw. dessen Duldung der beabsichtigten Wegnahme fortsetzen oder wiederholen.

2. Das bloße Ausnutzen der Angst des Opfers vor erneuter Gewaltanwendung enthält dagegen für sich genommen noch keine Drohung. Erforderlich hierfür ist vielmehr, dass der Täter die Gefahr für Leib oder Leben deutlich in Aussicht stellt, sie also durch ein bestimmtes Verhalten genügend erkennbar macht. Es reicht nicht aus, wenn das Opfer nur erwartet, der Täter werde es an Leib oder Leben schädigen.

3. Das bloße Ausnutzen der Angst eines der Einwirkung des Täters schutzlos ausgelieferten Opfers mag sich als das Ausnutzen einer hilflosen Lage im Sinne des § 177 Abs. 1 StGB darstellen. Dennoch ist die Aktualisierung der Nötigungslage durch ein im Urteil gesondert festzustellendes Verhalten des Täters nicht entbehrlich.

4. Aus der bloßen Ursächlichkeit eines Verhaltens für einen späteren Erfolgseintritt kann sich eine Garantenstellung aus vorangegangenem gefährdenden Tun nicht ergeben; erforderlich ist vielmehr, dass das Vorverhalten die nahe Gefahr des Eintritts gerade des tatbestandsmäßigen Erfolges herbeigeführt hat (BGH NStZ-RR 1997, 292 f.). Wird nach vorherigen Drohungen und Körperverletzungshandlungen ein Vermögensdelikt begangen, wird davon regelmäßig nicht die Rede sein können.

5. § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB setzt voraus, dass der Täter die Körperverletzung mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich begeht. Ausreichend, aber auch erforderlich ist, dass mindestens zwei Beteiligte (Täter oder Teilnehmer, § 28 Abs. 2 StGB) am Tatort bewusst zusammenwirken; es genügt, wenn eine am Tatort anwesende Person den unmittelbar Tatausführenden aktiv physisch oder psychisch unterstützt (BGH NStZ 2006, 572, 573). Eine rein passive Anwesenheit am Tatort reicht dagegen nicht aus, und zwar selbst dann nicht, wenn der Anwesende die Körperverletzungstat des anderen innerlich billigt oder befürwortet.

Entscheidungstenor

Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aurich vom 21. Januar 2016 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten S. wegen räuberischer Erpressung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung sowie versuchter Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten und den Angeklagten N. wegen Beihilfe zur räuberischen Erpressung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, gefährlicher Körperverletzung sowie versuchter Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und fünf Monaten verurteilt. Die dagegen gerichteten Revisionen der Angeklagten haben jeweils mit der Sachrüge Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).

1. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen verbrachten die Angeklagten die frühen Morgenstunden des 28. Juni 2015 gemeinsam mit den Zeugen de V. und Sch. sowie den Zeuginnen de B. und G. auf dem Schrebergartengrundstück von de V. Nachdem die Angeklagten sich eine Zeitlang von dem Grundstück entfernt hatten, wurden sie bei ihrer Rückkehr auf eine verbale Auseinandersetzung zwischen de V. und G. aufmerksam, die sich während ihrer Abwesenheit entwickelt hatte. Der Angeklagte N. „ging“ nun „auf de V. los und schlug ihm mehrfach mit der flachen Hand ins Gesicht“. Währenddessen schlug der Angeklagte S. Sch. in gleicher Weise. Anschließend schlug N. auch Sch., während S. seinerseits de V. Schläge versetzte; die Strafkammer vermochte sich insoweit nicht davon zu überzeugen, dass die Angeklagten in dieser Situation zeitgleich auf einen der beiden Zeugen einwirkten.

Anschließend wiesen die Angeklagten die Zeugen de V. und Sch. an, sich auf eine Bank zu setzen, und bedrängten sie, wegen des Vorfalls nicht die Polizei einzuschalten. N. setzte sich sodann zwischen de V. und Sch., legte seine Arme um sie und drohte ihnen sinngemäß an, dass „man ihnen ihre Beine abschneiden würde, wenn sie zur Polizei gehen würden“. S. hatte einen Schraubendreher und einen Rechen an sich genommen, hielt de V. und Sch. die Gegenstände vor das Gesicht und drohte ihnen, dass „man die beiden auch an Ort und Stelle 'wegmachen' könne“.

„Relativ am Anfang des ganzen Geschehens“ forderten die Angeklagten die Zeugen de V. und Sch., die durch die Schläge Nasenbluten davongetragen hatten, auf, sich das Blut abzuwaschen, woraufhin diese nacheinander zu einem Wasserhahn gingen. Dabei versuchte S. noch einmal, Sch. zu schlagen, der jedoch ausweichen konnte. Daraufhin trat N. hinzu und versetzte Sch. einen heftigen Tritt gegen den rechten Oberschenkel.

S. „entschloss sich nunmehr“, de V. „um sein Geld zu erleichtern“. Er forderte ihn auf, ihm sein Geld auszuhändigen, worauf de V. ihm „unter dem Eindruck der zuvor geäußerten Drohungen und Schläge“ insgesamt 100 € aushändigte.

Nachdem S. anschließend die Gartenlaube von de V. erfolglos nach Wertgegenständen durchsucht hatte, redeten die Angeklagten erneut auf de V. und Sch. ein, um sie davon abzuhalten, die Polizei zu verständigen. Zu diesem Zweck drohten sie ihnen nochmals, dass „man sie sonst 'fertig' machen“ werde und dass sich ihre Familie sowie Freunde um die Zeugen „kümmern“ würden, falls sie ins Gefängnis kämen. N. nahm dabei „billigend in Kauf, dass er durch die weitere Bekräftigung seiner Drohungen auch die vorherige Entwendung des Geldes durch S. unterstützte“.

2. Diese Feststellungen tragen die Verurteilung des Angeklagten S. wegen räuberischer Erpressung nicht. Das Landgericht hat dazu ausgeführt:

Es sei zwar nicht nachzuweisen, dass S. im Zeitpunkt der Geldforderung zur Erreichung seines Zieles unmittelbar Gewalt angewendet oder de V. konkret bedroht habe. Dies sei aber auch nicht erforderlich, da ihm bewusst gewesen sei, dass de V. ihm das Geld nur wegen der bereits vorangegangenen Schläge und Drohungen aushändigen werde, die er selbst sowie N. ausgesprochen hätten. De V. habe wegen des zeitlich-räumlichen Zusammenhangs noch unter dem Eindruck der Gewaltanwendung bzw. Drohungen gestanden, die mithin fortgewirkt hätten. S. habe die Furcht von de V. vor weiteren Schlägen erkannt und diesen Umstand bewusst zur Tatbegehung ausgenutzt.

Das hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die räuberische Erpressung (§§ 253, 255 StGB) erfordert ebenso wie der Raub (§ 249 StGB) einen finalen Zusammenhang zwischen dem Nötigungsmittel und der von dem Opfer vorzunehmenden vermögensschädigenden Handlung. Eine konkludente Drohung genügt; sie kann sich grundsätzlich auch daraus ergeben, dass der Täter dem Opfer durch sein Verhalten zu verstehen gibt, er werde zuvor zu anderen Zwecken angewendete Gewalt nunmehr zur Erzwingung der jetzt erstrebten vermögensschädigenden Handlung des Opfers bzw. dessen Duldung der beabsichtigten Wegnahme fortsetzen oder wiederholen. Das bloße Ausnutzen der Angst des Opfers vor erneuter Gewaltanwendung enthält dagegen für sich genommen noch keine Drohung. Erforderlich hierfür ist vielmehr, dass der Täter die Gefahr für Leib oder Leben deutlich in Aussicht stellt, sie also durch ein bestimmtes Verhalten genügend erkennbar macht. Es reicht nicht aus, wenn das Opfer nur erwartet, der Täter werde es an Leib oder Leben schädigen. Das bloße Ausnutzen der Angst eines der Einwirkung des Täters schutzlos ausgelieferten Opfers mag sich als das Ausnutzen einer hilflosen Lage darstellen, die vom Gesetzgeber indes ausschließlich in § 177 Abs. 1 StGB neben Gewalt oder Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben zu einem selbständigen tatbestandlichen Nötigungsmittel erhoben worden ist (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 31. Juli 2012 - 3 StR 232/12, juris Rn. 4; vom 13. November 2012 - 3 StR 400/12, juris Rn. 5; vom 26. November 2013 - 3 StR 261/13, NStZ-RR 2014, 110; vom 25. Februar 2014 - 4 StR 544/13, StV 2014, 545, 546). Entgegen der vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vertretenen Auffassung ist die Aktualisierung der Nötigungslage durch ein im Urteil gesondert festzustellendes Verhalten des Täters mit Rücksicht darauf, dass eine dem § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB entsprechende Vorschrift im Bereich von Raub und Erpressung fehlt, nicht entbehrlich.

Hier hat der Angeklagte S. den Urteilsgründen zufolge indes lediglich die Furcht des Zeugen de V. vor weiteren Schlägen ausgenutzt, ohne ihm zumindest konkludent mit erneuter Gewaltanwendung zu drohen.

3. Die Aufhebung des Schuldspruchs wegen räuberischer Erpressung führt auch zur Aufhebung der Verurteilung wegen der tateinheitlich verwirklichten Körperverletzung und versuchten Nötigung. Entsprechendes gilt im Hinblick auf die Verurteilung des Angeklagten N.

4. Im Hinblick auf die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

a) Soweit das Landgericht die Hilfeleistung des Angeklagten N. zu der von dem Angeklagten S. begangenen räuberischen Erpressung darin gesehen hat, dass er de V. und Sch. erneut drohte, um sie davon abzuhalten, die Polizei zu rufen, bevor er das Grundstück gemeinsam mit S. verließ, würden entsprechende Feststellungen - falls sie auch aufgrund der neuen Hauptverhandlung getroffen werden - eine Verurteilung des Angeklagten N. wegen (sukzessiver) Beihilfe zur räuberischen Erpressung (vor deren Beendigung) tragen. Die ergänzenden Ausführungen des Landgerichts, dass N. aufgrund der früheren Schläge und Drohungen außerdem eine Garantenstellung aus Ingerenz innegehabt habe und deshalb verpflichtet gewesen sei, die Verwirklichung der räuberischen Erpressung durch S. zu verhindern, gehen demgegenüber fehl. Aus der bloßen Ursächlichkeit eines Verhaltens für einen späteren Erfolgseintritt kann sich eine Garantenstellung aus vorangegangenem gefährdenden Tun nicht ergeben; erforderlich ist vielmehr, dass das Vorverhalten die nahe Gefahr des Eintritts gerade des tatbestandsmäßigen Erfolges herbeigeführt hat (BGH, Beschluss vom 15. April 1997 - 4 StR 116/97, NStZ-RR 1997, 292 f.). Davon wird hier im Hinblick auf das nach den vorherigen Drohungen und Körperverletzungshandlungen begangene Vermögensdelikt kaum die Rede sein können.

b) Die Annahme des Landgerichts, dass sich der Angeklagte N. unter dem Gesichtspunkt des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB wegen gefährlicher Körperverletzung strafbar gemacht habe, indem er den Zeugen Sch. trat, nachdem der Angeklagte S. zuvor erfolglos versucht hatte, Sch. zu schlagen, während eine Strafbarkeit von S. unter diesem Gesichtspunkt ausscheide, begegnet rechtlichen Bedenken. § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB setzt voraus, dass der Täter die Körperverletzung mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich begeht. Ausreichend, aber auch erforderlich ist, dass mindestens zwei Beteiligte (Täter oder Teilnehmer, § 28 Abs. 2 StGB) am Tatort bewusst zusammenwirken; es genügt, wenn eine am Tatort anwesende Person den unmittelbar Tatausführenden aktiv physisch oder psychisch unterstützt (BGH, Urteil vom 22. Dezember 2005 - 4 StR 347/05, NStZ 2006, 572, 573). Eine rein passive Anwesenheit am Tatort reicht dagegen nicht aus, und zwar selbst dann nicht, wenn der Anwesende die Körperverletzungstat des anderen innerlich billigt oder befürwortet (KG, Beschluss vom 12. März 2013 - (4) 121 Ss 30/13 (49/13), StV 2014, 349).

c) Soweit das Landgericht die Anwendbarkeit des § 46a Nr. 1 StGB mit der Begründung abgelehnt hat, dass der Angeklagte S. dem Zeugen de V. kein Schmerzensgeld gezahlt habe, wird Folgendes zu bedenken sein: Die Vorschrift setzt einen kommunikativen Prozess zwischen Täter und Opfer voraus, der auf einen umfassenden Ausgleich der durch die Tat verursachten Folgen gerichtet sein muss; das Verhalten des Täters muss Ausdruck der Übernahme von Verantwortung sein (BGH, Urteil vom 19. Dezember 2002 - 1 StR 405/02, BGHSt 48, 134, 139 ff.). Erforderlich ist, dass der Täter in dem Bemühen, einen Ausgleich mit dem Opfer zu erreichen, die Tat „ganz oder zum überwiegenden Teil“ wiedergutmacht, wobei es auch ausreichend sein kann, dass er dieses Ziel ernsthaft erstrebt (BGH, Urteil vom 23. Mai 2013 - 4 StR 109/13, juris Rn. 11). Den Urteilsgründen zufolge hat der geständige Angeklagte S. sich hier bei dem Zeugen de V. entschuldigt und dessen materiellen Schaden ersetzt; de V. hat die Entschuldigung akzeptiert und ausdrücklich erklärt, dass die Sache für ihn mit der Rückzahlung des Geldes „erledigt“ sei. In Anbetracht dessen schließt allein die unterbliebene - von de V. indes auch nicht beanspruchte - Zahlung von Schmerzensgeld eine Strafmilderung gemäß § 46a Nr. 1 StGB nicht unbedingt aus.

HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 710

Externe Fundstellen: NStZ 2017, 92 ; StV 2019, 106

Bearbeiter: Karsten Gaede