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HRRS-Nummer: HRRS 2012 Nr. 578

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 552/08, Beschluss v. 11.04.2012, HRRS 2012 Nr. 578


BGH 3 StR 552/08 - Beschluss vom 11. April 2012 (OLG Düsseldorf)

Betrug (Abschluss von Lebensversicherungen); Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung; Teilerfolg der Revision nach teilweise erfolgreicher Verfassungsbeschwerde im sog. "Al Qaida-Fall".

§ 129a StGB; § 263 StGB; Art. 103 Abs. 2 GG; § 100c StPO

Entscheidungstenor

Auf die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 5. Dezember 2007 wird

das Verfahren gemäß § 154a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 StPO auf den Vorwurf der Mitgliedschaft in (Angeklagter K.) bzw. der Unterstützung (Angeklagte Y. A. und I. A.) einer ausländischen terroristischen Vereinigung beschränkt;

das vorbezeichnete Urteil

in den Schuldsprüchen dahin geändert, dass

der Angeklagte K. der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung,

die Angeklagten Y. A. und I. A. der Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung schuldig sind;

in den Strafaussprüchen aufgehoben; jedoch bleiben die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an einen anderen Strafsenat des Oberlandesgerichts zurückverwiesen.

Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten werden verworfen.

Gründe

I. Das Oberlandesgericht hatte die Angeklagten K. und Y. A. wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung in Tateinheit mit versuchtem "bandenmäßigen" Betrug in 28 tateinheitlich begangenen Fällen zu Freiheitsstrafen von sieben Jahren (K.) bzw. sechs Jahren (Y. A.) und den Angeklagten I. A. wegen Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung in Tateinheit mit versuchtem "bandenmäßigen" Betrug in 28 tateinheitlich begangenen Fällen zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen hatten die Angeklagten jeweils Revision eingelegt und ihre Rechtsmittel sowohl mit umfangreichen Verfahrensbeanstandungen als auch mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründet.

Auf die Revisionen der Angeklagten hat der Senat mit Urteil vom 14. August 2009 (BGHSt 54, 69) das angefochtene Urteil im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte K. der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung in Tateinheit mit Betrug in neun sowie mit versuchtem Betrug in neunzehn tateinheitlichen Fällen, der Angeklagte Y. A. der Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung in Tateinheit mit Betrug in neun sowie mit versuchtem Betrug in neunzehn tateinheitlichen Fällen und der Angeklagte I. A. der Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung in Tateinheit mit Betrug in fünf sowie mit versuchtem Betrug in achtzehn tateinheitlichen Fällen schuldig sind. Er hat das Urteil zudem im Strafausspruch betreffend den Angeklagten Y. A. unter Aufrechterhaltung der zugehörigen Feststellungen aufgehoben; in diesem Umfang hat er die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht Düsseldorf zurückverwiesen. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten und die sofortige Beschwerde des Angeklagten I. A. gegen die Kostenentscheidung des angefochtenen Urteils hat er verworfen. Die Anhörungsrüge der Beschwerdeführer hat der Senat mit Beschluss vom 20. Oktober 2009 als unbegründet verworfen.

Das Oberlandesgericht hat den Angeklagten Y. A. daraufhin am 4. Februar 2010 zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die hiergegen eingelegte Revision dieses Angeklagten hat der Senat mit Beschluss vom 20. Juli 2010 (3 StR 202/10) als unbegründet verworfen. Auf die Verfassungsbeschwerden der Angeklagten hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 7. Dezember 2011 (2 BvR 2500/09 und 2 BvR 1857/10, NJW 2012, 906) das Senatsurteil vom 14. August 2009 aufgehoben und die Sache an den Bundesgerichtshof zurückverwiesen. Die Beschlüsse des Senats vom 20. Oktober 2009 und vom 20. Juli 2010 sowie das Urteil des Oberlandesgerichts vom 4. Februar 2010 sind für gegenstandslos erklärt worden.

In der Sache hat das Bundesverfassungsgericht die Behandlung der von den Angeklagten erhobenen Verfahrensrügen durch den Senat nicht beanstandet.

Gleiches gilt weitgehend auch für die Ausführungen des Senats zur Anwendung des materiellen Rechts. Es hat lediglich die Annahme des Senats, dass sich die Angeklagten schon mit Abschluss jedes Lebensversicherungsvertrags wegen vollendeten Betrugs und mit dem Antrag auf Abschluss eines solchen Vertrags jeweils wegen versuchten Betrugs strafbar gemacht haben, weil bereits der Vertragsschluss unter den konkreten Umständen einen Schaden verursacht hatte, als Tatbestandsüberdehnung und damit als Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG angesehen. Das Bundesverfassungsgericht hat, obwohl "aus verfassungsrechtlicher Sicht lediglich die Aufhebung der Schuldsprüche wegen tateinheitlichen (versuchten) Betrugs durch das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 14. August 2009 und der möglicherweise darauf beruhenden Strafaussprüche erforderlich" gewesen wäre, das Urteil insgesamt aufgehoben, weil die Fachgerichte zu beurteilen hätten, ob sich daraus weiterreichende Konsequenzen ergeben (BVerfG, aaO, Rn. 181). Damit befindet sich das Verfahren insgesamt wieder in dem Stadium vor der Senatsentscheidung vom 14. August 2009.

Alle Angeklagten haben zunächst erklärt, sämtliche im Revisionsverfahren erhobenen Verfahrensrügen aufrechtzuerhalten. Der Angeklagte I. A. hat später mitgeteilt, an den formellen Rügen hinsichtlich der Wohnraumüberwachung und des daraus folgenden Beweisverwertungsverbots, hinsichtlich des Selbstleseverfahrens und der Auslandszeugen nicht mehr festhalten zu wollen.

II. 1. Zu den Feststellungen und Wertungen des Oberlandesgerichts nimmt der Senat Bezug auf die Darstellung in seiner Entscheidung vom 14. August 2009 (BGHSt 54, 69, 70 - 74, Rn. 5 - 13).

2. Mit Zustimmung des Generalbundesanwalts beschränkt der Senat - angesichts der seit den Taten verstrichenen Zeit aus prozessökonomischen Gründen - die Strafverfolgung bei allen Angeklagten auf den Vorwurf der Mitgliedschaft in bzw. der Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung (§ 154a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 StPO).

3. Die Verfahrensrügen erweisen sich auch im Hinblick auf den durch die Verfahrensbeschränkung geänderten Schuldspruch als unbegründet. Dies hat der Senat in seiner Entscheidung vom 14. August 2009 ausführlich dargelegt. Er verweist auf diese Darstellung (BGHSt 54, 69, 75 - 107, Rn. 17 - 105, sowie Rn. 106 - 108, letztere insoweit nicht abgedruckt) und bemerkt ergänzend, dass die Taten der Angeklagten auch ohne Einordnung der Bemühungen im Zusammenhang mit dem Abschluss von Lebensversicherungsverträgen als (versuchte) Betrugstaten im Einzelfall schwer wiegen im Sinne von § 100c Abs. 1 Nr. 2 StPO.

4. Die Feststellungen tragen die Verurteilung des Angeklagten K. wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung. Hinsichtlich des Angeklagten Y. A. belegen sie in Ermangelung einer ausreichenden, von einem übereinstimmenden Willen der Organisation und des Angeklagten getragenen Eingliederung in die Vereinigung indes nur eine Tätigkeit als Unterstützer. Der Senat ändert deshalb insoweit den Schuldspruch. Er schließt aus, dass sich der Angeklagte gegen den Vorwurf der Unterstützung anders als geschehen hätte verteidigen können. Die Verurteilung des Angeklagten I. A. wegen Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung weist hingegen keinen Rechtsfehler auf. Wegen der Einzelheiten nimmt der Senat Bezug auf die Darlegungen in der Entscheidung vom 14. August 2009 (BGHSt 54, 69, 107 - 120, Rn. 112 - 142).

Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführer hat die Beschränkung des Verfahrensstoffs keine Auswirkung auf die Schuldsprüche im Übrigen. Die Strafbarkeit wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung ist ebenso wenig wie die wegen deren Unterstützung abhängig davon, dass die mitgliedschaftliche bzw. unterstützende Betätigung neben dem Organisationsdelikt noch einen weiteren, zu diesem im Verhältnis der Tateinheit stehenden Straftatbestand erfüllt. Zwar werden mit der Verfahrensbeschränkung die Bemühungen der Angeklagten um den Abschluss von Versicherungsverträgen nicht mehr unter dem Gesichtspunkt des (versuchten) Eingehungsbetrugs strafrechtlich verfolgt. Unabhängig davon, ob den Versicherungsunternehmen mit Vertragsabschluss ein Vermögensschaden entstand, stellten diese Bemühungen indes in jedem Fall eine unmittelbare Förderung der Vereinigung dar. Sie wirkten sich auf Aktionsmöglichkeiten und Zwecksetzung der Vereinigung positiv aus und festigten damit die dieser wesenseigene Gefährlichkeit. Damit ist auch der Tatbestand der Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung erfüllt. Wegen der Einzelheiten verweist der Senat auf die Ausführungen in seiner Entscheidung vom 14. August 2009 (BGHSt 54, 69, 118 f., Rn. 138 und 142), die unverändert fortgelten.

5. Die Änderung der Schuldsprüche führt zur Aufhebung der Strafaussprüche. Der Senat kann nicht ausschließen, dass sich der Wegfall der mit dem Organisationsdelikt jeweils tateinheitlich zusammentreffenden Betrugstaten bei der Strafzumessung ausgewirkt hat. Beim Angeklagten Y. A. hat sich zudem die Mindeststrafe von einem Jahr auf sechs Monate verringert.

Die zugehörigen Feststellungen können bestehen bleiben, da sie von der rechtsfehlerhaften Einordnung des Tatbeitrags des Angeklagten Y. A. und von der Beschränkung des Verfahrensstoffs nicht berührt sind. Der neue Tatrichter kann ergänzende Feststellungen treffen, die den bisherigen nicht widersprechen dürfen.

Damit werden die sofortigen Beschwerden der beiden Angeklagten A. gegen die Kostenentscheidung gegenstandslos (Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 464 Rn. 20).

HRRS-Nummer: HRRS 2012 Nr. 578

Bearbeiter: Christian Becker