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Bearbeiter: Rocco Beck

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 521/99, Beschluss v. 19.11.1999, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 2 StR 521/99 - Beschluß v. 19. November 1999 (LG Frankfurt/Main)

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus

§ 63 StGB

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 2. Juli 1999 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung, Körperverletzung in Tateinheit mit Sachbeschädigung, Bedrohung und gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung einer Geldstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Außerdem hat es seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet.

Die Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs; im übrigen ist sie i.S.d. § 349 Abs. 2 StPO unbegründet.

Das Landgericht hat die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus mit rechtsfehlerhafter Begründung abgelehnt.

Beim Angeklagten wurde "Schwerstabhängigkeit" von Betäubungsmitteln diagnostiziert. Zur Tatzeit bestand bei ihm eine schwere Persönlichkeitsveränderung (UA S. 20). Bei den Taten war seine Schuldfähigkeit erheblich vermindert i.S.d. § 21 StGB. In einem der Fälle stützt das Landgericht die Annahme erheblich verminderter Schuldfähigkeit ausschließlich auf die "suchttypische Entkernung der abhängigen Persönlichkeit" und ihre "charakterliche Verwahrlosung".

Bei der Erörterung der Frage einer Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus beruft sich das Landgericht auf weitere Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen.

Hiernach habe der Angeklagte bereits vor seinem 15. Lebensjahr Anzeichen für eine Störung des Sozialverhaltens gezeigt. Bereits früher sei festgestellt worden, daß er anlagebedingt "unfähig" sei, sich in Erregungszuständen zu beherrschen und die Neigung habe, unkontrolliert die körperliche Auseinandersetzung zu suchen (UA S. 26). Kennzeichnend für die Persönlichkeitsstörung des Angeklagten seien seine niedrige Frustrationstoleranz und seine Neigung zu reizbarem und aggressivem Verhalten. Zusätzlich zu seiner antisozialen Persönlichkeitsstörung leide er auch an einer schweren Polytoxikomanie. Die von ihm begangenen Straftaten seien aber Symptom seiner Persönlichkeitsstörung und nicht seiner Drogenabhängigkeit. Eine isolierte Behandlung seiner Suchtprobleme würde an seiner grundlegenden Problematik nichts ändern.

Die Persönlichkeitsstörung sei wiederum keine Erkrankung im psychiatrischen Sinne. Eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus scheide mangels Vorliegens eines krankhaften Zustandes von vornherein aus (UA S 27/29).

Diese Begründung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Sie läßt besorgen, daß das Landgericht - dem Sachverständigen folgend - von einem falschen Verständnis der Persönlichkeitsstörung i.S. des Merkmals der schweren anderen seelischen Abartigkeit ausgegangen ist. Eine die Unterbringung nach § 63 StGB rechtfertigende schwere andere seelische Abartigkeit liegt nicht nur dann vor, wenn die Persönlichkeitsstörungen des Täters auf einer Krankheit beruhen oder als krankhaft zu bezeichnen sind. Das Merkmal der schweren anderen seelischen Abartigkeit ist dem in §§ 20, 21 StGB genannten Merkmal der krankhaften seelischen Störung gleichgestellt und erfaßt gerade solche Veränderungen der Persönlichkeit. die nicht pathologisch bedingt sind (vgl. BGHSt 34, 22, 24; 35, 76, 78).

Der Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergibt auch nicht, daß das Landgericht die Begriffe "Erkrankung" und "krankhafter Zustand" untechnisch verwendet hat und lediglich zum Ausdruck bringen wollte, daß die Persönlichkeitsstörung beim Angeklagten nicht die Stärke einer - nicht pathologisch bedingten - schweren anderen seelischen Abartigkeit erreicht habe.

Dem Urteil ist bereits nicht zu entnehmen, welchen Maßstab das Landgericht insoweit angelegt haben könnte (vgl. BGHR StGB § 21 - seelische Abartigkeit 14, 21, 29, 31).

Beim Angeklagten wurde zum einen eine schwere Persönlichkeitsveränderung (Depravation) festgestellt.

Zum anderen führten die "suchttypische Entkernung seiner Persönlichkeit" und ihre "charakterliche Verwahrlosung" zur Annahme erheblich verminderter Schuldfähigkeit (UA S. 20).

Schließlich stellt das Landgericht beim Angeklagten eine antisoziale Persönlichkeitsstörung fest. Auch diese kann die Stärke einer anderen schweren anderen seelischen Abartigkeit i.S.d. §§20, 21 StGB erreichen (BGHR StGB § 21 - seelische Abartigkeit 24).

Die fehlerhafte Begründung der Ablehnung einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus führt zur Aufhebung des gesamten Rechtsfolgenausspruchs.

Die Anordnung der Sicherungsverwahrung ist bereits im Hinblick auf die Regelung des § 72 StGB aufzuheben. Die falsche Beurteilung der Auswirkungen der Persönlichkeitsstörung kann aber auch den Strafausspruch beeinflußt haben.

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2000, 298

Bearbeiter: Rocco Beck