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HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 984

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, AK 35/17, Beschluss v. 10.08.2017, HRRS 2017 Nr. 984


BGH AK 35 u. 36/17 - Beschluss vom 10. August 2017

Dringender Tatverdacht wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung; keine konkurrenzrechtliche Verklammerung der Mitgliedschaft in zwei unterschiedlichen Organisationen durch ein kriegswaffenrechtliches Vergehen; Fluchtgefahr; Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate.

§ 129a StGB; § 129b StGB; § 52 StGB; § 112 StPO; § 116 StPO; § 121 StPO

Entscheidungstenor

Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.

Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.

Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem nach allgemeinen Vorschriften zuständigen Gericht übertragen.

Gründe

I.

Die Beschuldigten wurden am 24. Januar 2017 festgenommen und befinden sich seither jeweils auf Grund Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 22. Dezember 2016 ununterbrochen in Untersuchungshaft.

Gegenstand des gegen den Beschuldigten R. B. erlassenen Haftbefehls (2 BGs 973/16) ist der Vorwurf, er habe im Zeitraum von Mitte Februar bis mindestens Ende 2013 in Syrien in fünf Fällen durch jeweils selbständige Handlungen sich als Mitglied an einer außereuropäischen terroristischen Vereinigung beteiligt, deren Zwecke und deren Tätigkeiten darauf gerichtet seien, Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) oder Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch zu begehen, davon in einem Fall tateinheitlich, gemeinschaftlich handelnd, einen Menschen eingesperrt oder auf andere Weise der Freiheit beraubt, wobei das Opfer länger als eine Woche der Freiheit beraubt worden sei, sowie in drei der weiteren Fälle jeweils tateinheitlich über Kriegswaffen sonst die tatsächliche Gewalt ausgeübt, ohne dass der Erwerb der tatsächlichen Gewalt auf einer Genehmigung nach dem Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen beruht habe oder eine Anzeige nach § 12 Abs. 6 Nr. 1 oder § 26a dieses Gesetzes erstattet worden sei, strafbar gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2, § 239 Abs. 1, 3 Nr. 1, § 25 Abs. 2, §§ 52, 53 StGB, § 22a Abs. 1 Nr. 6 KWKG.

Der Beschuldigte R. B. sei im Februar 2013 nach Syrien ausgereist, habe sich dort zunächst der terrorstischen Vereinigung „Jabhat al Nusra“ als Mitglied angeschlossen und sich fortan an dieser Organisation bis Anfang Mai 2013 beteiligt. Sodann sei er ab der zweiten Maiwoche 2013 der terroristischen Vereinigung „Islamischer Staat im Irak und Großsyrien“ beigetreten, für die er sich seitdem insbesondere durch die Teilnahme an Kampfhandlungen und das Ableisten von Wachdiensten bis mindestens Ende 2013 betätigt habe.

Gegenstand des gegen den Beschuldigten K. B. erlassenen Haftbefehls (2 BGs 972/16) ist der Vorwurf, er habe im Zeitraum von Anfang April bis mindestens Ende 2013 in Bad Münstereifel, Wuppertal und Syrien durch zwei selbständige Handlungen sich bereit erklärt, ein Verbrechen (§§ 129a, 129b StGB) zu begehen, und sich als Mitglied an einer außereuropäischen terroristischen Vereinigung beteiligt, deren Zwecke und deren Tätigkeit darauf gerichtet seien, Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) oder Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch zu begehen, strafbar gemäß § 30 Abs. 2 Variante 1, § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2, § 53 StGB.

Der Beschuldigte K. B. habe sich ab April 2013 über den Beschuldigten R. B. gegenüber Verantwortlichen der terroristischen Vereinigung „Jabhat alNusra“ bereit erklärt, gleichfalls nach Syrien auszureisen, sich dieser Organisation anzuschließen und sich am terroristischen Jihad zu beteiligen. Er sei im Juli 2013 nach Syrien gelangt, sodann aber dort der terroristischen Vereinigung „Islamischer Staat im Irak und Großsyrien“ beigetreten und habe sich seitdem für diese durch die Teilnahme an Kampfhandlungen gegen Truppen des Assad-Regimes und das Ableisten von Wachdiensten bis mindestens Ende 2013 betätigt.

Mit Vermerk vom heutigen Tag hat der Generalbundesanwalt das Ermittlungsverfahren wegen minderer Bedeutung gemäß § 142a Abs. 2 Nr. 2 GVG an die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf abgegeben.

II.

Die Abgabe des Ermittlungsverfahrens durch den Generalbundesanwalt lässt die Zuständigkeit des Senats im Haftprüfungsverfahren - anders als im Beschwerdeverfahren (vgl. Senatsbeschluss vom 26. Oktober 1972 - StB 37/72, NJW 1973, 477 f.) - unberührt (vgl. § 121 Abs. 4 Satz 2, § 122 Abs. 7 StPO, § 120 Abs. 1 Nr. 6 GVG). Die Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft und ihre Fortdauer über sechs Monate hinaus liegen für beide Beschuldigte vor.

1. Die Beschuldigten sind der ihnen in den Haftbefehlen vom 22. Dezember 2016 zur Last gelegten Taten dringend verdächtig.

a) Nach dem bisherigen Ermittlungsstand ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Sachverhalt auszugehen:

aa) Die außereuropäischen terroristischen Vereinigungen

(1) Die Jabhat al Nusra wurde Ende 2011 von Abu Muhammad al Jawlani und anderen syrischen Mitgliedern der seinerzeitigen Organisation „Islamischer Staat im Irak“ (ISI) im Auftrag deren Anführers Abu Bakr al Baghdadi in Syrien gegründet und sollte als Ableger der irakischen Organisation im Nachbarland operieren. Die Gründung wurde im Januar 2012 in einem im Internet veröffentlichten Video bekannt gegeben. Zwischen den beiden Gruppierungen kam es im April 2013 zum Bruch, als al Baghdadi die Vereinigung der Teilorganisationen ISI und Jabhat al Nusra im neu ausgerufenen „Islamischen Staat im Irak und Großsyrien“ (ISIG) verkündete. Muhammad al Jawlani wies dies als Anführer der Jabhat al Nusra zurück, betonte die Eigenständigkeit seiner Gruppierung und legte den Treueeid auf den Emir der Kern al Qaida, Ayman al Zawahiri, ab; sie fungierte danach als Regionalorganisation von al Qaida in Syrien. In der Folge kam es zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der Jabhat al Nusra und dem ISIG.

Ziel der Jabhat al Nusra ist der Sturz des Assad-Regimes in Syrien, das sie durch einen islamischen Staat auf der Grundlage ihrer eigenen Interpretation der Sharia ersetzen will. Darüber hinaus erstrebt sie die „Befreiung“ des historischen Großsyrien, das heißt Syriens einschließlich von Teilen der südlichen Türkei, des Libanon, Jordaniens, Israels und der palästinensischen Gebiete. Diese Ziele verfolgt die Jabhat al Nusra mittels militärischer Operationen, aber auch durch Sprengstoffanschläge, Selbstmordattentate, Entführungen, gezielte Tötungen von Angehörigen des syrischen Militär- und Sicherheitsapparats und nicht am Konflikt beteiligten Zivilisten. Insgesamt werden der Gruppierung bis Ende 2014 mehr als 1.500 Anschläge zugerechnet, bei denen mindestens 8.700 Menschen getötet wurden.

Die Jabhat al Nusra ist militärisch-hierarchisch organisiert. Ihr Anführer ist weiterhin Muhammad al Jawlani, dem ein aus fünf bis sechs Personen gebildeter Shura-Rat zugeordnet ist. Unterhalb dieser Führungsebene stehen die Kommandeure der kämpfenden Einheiten, die ihrerseits untergliedert sind in die vor Ort agierenden Kampfgruppen. Die Zahl der Kämpfer der Vereinigung wird derzeit auf 4.000 bis 6.000 geschätzt. Ihre militärische Ausbildung erhalten diese in einem verzweigten Netz von Trainingslagern. Daneben gibt es Hinweise auf sogenannte „Sharia-Komitees“ in den von der Jabhat al Nusra kontrollierten Gebieten, die religiöse Angelegenheiten regeln und den Aufbau eines eigenen Justiz- und Verwaltungssystems vorantreiben. Für ihre Öffentlichkeitsarbeit bedient sie sich einer eigenen Medienstelle, über die sie im Internet Verlautbarungen, Operationsberichte und Anschlagsvideos verbreitet. Darüber hinaus unterhält sie ein Netzwerk von „Korrespondenten“ in Syrien, die ihre Berichte über Twitter-Kanäle veröffentlichen.

Nach einer Videoverlautbarung von Muhammad al Jawlani vom 28. Juli 2016 hat sich die Jabhat al Nusra nunmehr unter Loslösung von der Kern al Qaida in „Jabhat Fath al Sham“ umbenannt.

(2) Der „Islamische Staat“ (IS) ist eine Organisation mit militant-fundamentalistischer islamischer Ausrichtung, die es sich ursprünglich zum Ziel gesetzt hatte, einen das Gebiet des heutigen Irak und die historische Region „ash Sham“ - die heutigen Staaten Syrien, Libanon und Jordanien sowie Palästina - umfassenden und auf ihrer Ideologie gründenden „Gottesstaat“ unter Geltung der Sharia zu errichten und dazu die schiitisch dominierte Regierung im Irak und das Regime des syrischen Präsidenten Assad zu stürzen. Zivile Opfer nahm und nimmt sie bei ihrem fortgesetzten Kampf in Kauf, weil sie jeden, der sich ihren Ansprüchen entgegenstellt, als „Feind des Islam“ begreift; die Tötung solcher „Feinde“ oder ihre Einschüchterung durch Gewaltakte sieht die Vereinigung als legitimes Mittel des Kampfes an.

Die Führung der Vereinigung, die sich mit der Ausrufung des „Kalifats“ im Juni 2014 aus „Islamischer Staat im Irak und in Großsyrien“ (ISIG) in „Islamischer Staat“ (IS) umbenannte - wodurch sie von der territorialen Selbstbeschränkung Abstand nahm -, hat seit 2010 der „Emir“ Abu Bakr al Baghdadi inne (wobei sich nunmehr die Hinweise verdichten, dass dieser unlängst getötet wurde). Al Baghdadi war von seinem Sprecher zum „Kalifen“ erklärt worden, dem die Muslime weltweit Gehorsam zu leisten hätten. Dem „Kalifen“ unterstehen ein Stellvertreter sowie „Minister“ als Verantwortliche für einzelne Bereiche, so ein „Kriegsminister“ und ein „Propagandaminister“. Zur Führungsebene gehören außerdem beratende „Shura-Räte“. Veröffentlichungen werden in der Medienabteilung „Al Furqan“ produziert und über die Medienstelle „al I'tisam“ verbreitet, die dazu einen eigenen Twitter-Kanal und ein Internetforum nutzt. Das auch von den Kampfeinheiten verwendete Symbol der Vereinigung besteht aus dem „Prophetensiegel“ (einem weißen Oval mit der Inschrift: „Allah - Rasul - Muhammad“) auf schwarzem Grund, überschrieben mit dem islamischen Glaubensbekenntnis. Die mehreren Tausend Kämpfer sind dem „Kriegsminister“ unterstellt und in lokale Kampfeinheiten mit jeweils einem Kommandeur gegliedert.

Die von ihr besetzten Gebiete hat die Vereinigung in Gouvernements eingeteilt und einen Geheimdienstapparat eingerichtet; diese Maßnahmen zielen auf die Schaffung totalitärer staatlicher Strukturen. Angehörige der syrischen Armee, aber auch von in Gegnerschaft zum IS stehenden Oppositionsgruppen, ausländische Journalisten und Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen sowie Zivilisten, die den Herrschaftsanspruch des IS in Frage stellen, sehen sich der Verhaftung, Folter und der Hinrichtung ausgesetzt. Filmaufnahmen von besonders grausamen Tötungen wurden mehrfach vom ISIG bzw. IS zu Zwecken der Einschüchterung veröffentlicht. Darüber hinaus begeht die Vereinigung immer wieder Massaker an Teilen der Zivilbevölkerung und außerhalb seines Machtbereichs Terroranschläge. So hat sie auch für Anschläge in Europa, etwa in Frankreich, Belgien und Deutschland, die Verantwortung übernommen.

bb) Die Taten der Beschuldigten Die Beschuldigten, zwei Brüder, waren im Jahr 2012 Mitglieder der in Euskirchen ansässigen Gruppierung „D. ", die eine radikalislamistische Ideologie vertrat. Beide radikalisierten sich und fassten den Entschluss, sich in Syrien dem terroristischen Jihad anzuschließen.

(1) Zunächst reiste R. B. in der zweiten Hälfte des Monats Februar 2013 nach Syrien ein. Er schloss sich der Jabhat al Nusra an und gliederte sich in das Verbandsleben ein, indem er sich in eine in einem neu eroberten Verwaltungsbezirk der Provinz Idlib stationierte Gruppe der Jabhat al Nusra einfügte; er ordnete sich dem Willen des zuständigen Kommandeurs unter.

Auf Weisung des Emirs der Jabhat al Nusra, der für die Provinz Idlib zuständig war, unterzog sich R. B. zunächst einem 20-tägigen Grundtraining für den Kampfeinsatz gegen die Truppen des Assad-Regimes und dann einer 10-tägigen Schießausbildung, für die er ein vollautomatisches Sturmgewehr mit Munition erhielt, das er ab der zweiten Märzwoche 2013 während seines Aufenthalts bei der Jabhat al Nusra fortwährend in Besitz hatte.

Am 6. April 2013 wurde durch Mitglieder der Gruppe, der R. B. angehörte, ein „Spion“ festgenommen und in dem Haus gefangen gehalten, in dem der Beschuldigte sowie weitere Gruppenangehörige wohnten. Nachdem der Gefangene - jedenfalls zeitweise in Anwesenheit des R. B. - verhört und misshandelt worden war, teilte der Verantwortliche des Hauses den anderen Mitgliedern der Gruppe mit, er beabsichtige, den Gefangenen eventuell wieder freizulassen. Die übrigen Bewohner des Hauses, darunter auch R. B., waren indes einstimmig anderer Meinung, was dem Hausverantwortlichen mitgeteilt wurde. Dementsprechend wurde der Gefangene auch weiterhin in dem Haus festgehalten. Erst am 14. April 2013, also acht Tage nach seiner Gefangennahme, wurde er freigelassen.

Am 11. April 2013 führte R. B. gemeinsam mit weiteren Mitgliedern der Jabhat al Nusra einen Transport von Hilfsgütern von der türkisch-syrischen Grenze nach Idlib durch, die den dort stationierten Angehörigen dieser Vereinigung zugutekamen.

In der Zeit vom 21. April bis zum 4. Mai 2013 nahm R. B. auf Befehl des für den Verwaltungsbezirk Idlib zuständigen Emirs der Jabhat al Nusra an einem Kampftraining teil, im Rahmen dessen er zwei Granaten erhielt, die er mit einem Granatwerfer zu Übungszwecken verschoss.

R. B. bemühte sich frühzeitig, die Reise von K. B. von Deutschland nach Syrien zu organisieren. Spätestens ab Anfang April 2013 standen die Brüder in regelmäßigem telefonischen Kontakt. R. B. informierte K. B. über die Organisationsstruktur der Jabhat al Nusra im Verwaltungsbezirk Idlib sowie den Verlauf der Ausbildung neuer Rekruten und teilte ihm mit, dass er seine Ankunft und seine geplante Aufnahme in die Vereinigung mit dem Emir des Verwaltungsbezirks Idlib besprechen werde. Am 19. April 2013 benachrichtigte K. B. den R. B., dass der Ausreisetermin jetzt feststehe. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hatte K. B. konkrete Vorstellungen, dass er sich nach seiner Ankunft in Syrien und dem Anschluss an die Jabhat al Nusra zunächst einer vierwöchigen Ausbildung zu unterziehen habe, um sodann auf Abruf für etwaige Kampfeinsätze zur Verfügung zu stehen. Nachdem R. B. bei dem zuständigen Emir das Einverständnis zur Einreise und zur Beteiligung von K. B. und zwei Begleitern an der Jabhat al Nusra eingeholt hatte, teilte er ihm dies am 4. Mai 2013 mit. Zum Anschluss des K. B. an diese Organisation kam es - entgegen der Absicht der beiden Beschuldigten und deren Verantwortlichen - nicht, weil R. B. sie vor dem Eintreffen des K. B. in Syrien verlassen hatte.

(2) In der Zeit zwischen dem 5. Mai und dem 9. Mai 2013 wechselte R. B. zum ISIG, gliederte sich in das Verbandsleben dieser terroristischen Vereinigung ein, ordnete sich ihrem Willen unter und erklärte sich bereit, deren terroristische Ziele zu fördern. Während seines Aufenthalts beim ISIG hatte er weiterhin das vollautomatische Sturmgewehr in Besitz, das ihm von der Jabhat al Nusra überlassen worden war.

R. B. wurde durch den zuständigen Befehlshaber des ISIG unmittelbar an der Front in Aleppo eingesetzt. In der ersten Hälfte des Monats Mai 2013 nahm er auf Befehl seines Emirs an einem Schießtraining teil.

Direkt nach seinem Wechsel zum ISIG führte R. B. in Absprache mit dessen zuständigem Befehlshaber seine Bemühungen fort, K. B. nach Syrien zu holen, damit dieser sich dem ISIG anschließen könne. Die Brüder standen weiterhin in ständigem Kontakt, um die verabredete Reise des K. B. nach Syrien in die Tat umzusetzen. Am 13. Juli 2013 traf dieser dann tatsächlich bei R. B. ein. Dort schloss auch er sich dem ISIG an, gliederte sich in das Verbandsleben ein und ordnete sich dem Willen des zuständigen Kommandeurs unter. Er förderte die Vereinigung, indem er ihr nach einer militärischen Grundausbildung als Kämpfer zur Verfügung stand und sich während seines Aufenthalts beim ISIG für entsprechende Kampfeinsätze bereithielt.

Beide Beschuldigte nahmen tatsächlich in regelmäßigen Abständen jeweils für die Dauer von ein bis zwei Wochen an Kampfeinsätzen in Kampfeinheiten des ISIG teil. Außerdem nahmen sie regelmäßig Wachdienste wahr. Bis Ende 2013 betätigten sie sich auf eine solche Weise für den ISIG.

b) Der dringende Tatverdacht ergibt sich hinsichtlich der terroristischen Vereinigungen Jabhat alNusra und ISIG aus den Auswertungen des Generalbundesanwalts in den Begleitvermerken zu den Haftbefehlsanträgen vom 21. Dezember 2016 (Haftsachakte „R. B.“ Bl. 19 ff., Haftsachakte „K. B.“ Bl. 25 ff.), die vor allem auf den Gutachten des islamwissenschaftlichen Sachverständigen Dr. S. vom 11. Dezember 2014 und vom 7. März 2015 beruhen.

Die Beschuldigten haben sich zu den ihnen vorgeworfenen Taten bislang nicht geäußert. Insoweit gründet sich der jeweilige dringende Tatverdacht im Wesentlichen auf vom Bundesamt für Verfassungsschutz durch Beschränkungsmaßnahmen nach dem G 10 gewonnene Erkenntnisse, wie sie im Auswertungsbericht des Landeskriminalamts Nordrhein-Westfalen vom 5. Oktober 2015 (Akte „Haftbefehlsanregung bezüglich R. B.“ Bl. 9 ff. = Akte „Haftbefehlsanregung bezüglich K. B.“ Bl. 8 ff.) sowie in den oben benannten Begleitvermerken des Generalbundesanwalts dargestellt sind. Die weiteren vom Generalbundesanwalt geführten Ermittlungen haben den dringenden Tatverdacht gegen beide Beschuldigte noch verfestigt; insoweit nimmt der Senat Bezug auf den aktuellen Sachstandsbericht des Landeskriminalamts Nordrhein-Westfalen vom 11. Juli 2017 (Vorläufige Sachakten, Band 1 Bl. 1 ff.).

c) In rechtlicher Hinsicht folgt daraus:

aa) Der Beschuldigte R. B. ist dringend verdächtig der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung in fünf Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit über eine Woche dauernder Freiheitsberaubung, in einem Fall mit zwei tateinheitlichen Fällen der vorsätzlichen Ausübung der tatsächlichen Gewalt über eine Kriegswaffe sowie in einem Fall mit vorsätzlicher Ausübung der tatsächlichen Gewalt über eine Kriegswaffe (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1, 2, § 239 Abs. 1, 3 Nr. 1, § 25 Abs. 2, §§ 52, 53 StGB, § 22a Abs. 1 Nr. 6 Buchst. a KWKG):

(1) Der Beschuldigte R. B. hat sich mit hoher Wahrscheinlichkeit nacheinander an zwei außereuropäischen terroristischen Vereinigungen, der Jabhat al Nusra und dem ISIG, als Mitglied im Sinne von § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 StGB beteiligt. Das dem Beschuldigten vorgeworfene mittäterschaftliche Gefangenhalten des „Spions“ über acht Tage hinweg stellt eine über eine Woche dauernde Freiheitsberaubung im Sinne von § 239 Abs. 1, 3 Nr. 1 StGB dar (zur Tenorierung s. BGH, Beschluss vom 4. März 2009 - 2 StR 578/08, juris). Bei einem vollautomatischen (Sturm-)Gewehr sowie für einen Granatwerfer geeigneten Granaten handelt es sich um Kriegswaffen im Sinne des § 1 Abs. 1 KWKG i.V.m. Anlage (Kriegswaffenliste) Teil B Abschnitt V Nr. 29 Buchst. c, Abschnitt VIII Nr. 51, so dass der jeweilige unmittelbare Besitz nach ungenehmigtem derivativen Erwerb den Straftatbestand des § 22a Abs. 1 Nr. 6 Buchst. a KWKG erfüllt (zum hier nicht einschlägigen § 22a Abs. 1 Nr. 6 Buchst. b KWKG [originärer Erwerb] vgl. MüKoStGB/Heinrich, 2. Aufl., § 22a KWKG Rn. 75; Steindorf/Heinrich, Waffenrecht, 10. Aufl., § 22a KWKG Rn. 8, 8b). Der Begriff der Ausübung der tatsächlichen Gewalt entspricht demjenigen des allgemeinen Waffenrechts; nach Abschnitt 2 Nr. 2 der Anlage 1 zum Waffengesetz (vgl. § 1 Abs. 4 WaffG) ist dieser Begriff gleichbedeutend mit demjenigen des Besitzes, womit im Wesentlichen der unmittelbare Besitz gemeint ist (vgl. MüKoStGB/Heinrich aaO, § 1 WaffG Rn. 152 ff., § 22a KWKG Rn. 73; zur Besitzdienerschaft s. Senatsurteil vom 24. Mai 2000 - 3 StR 38/00, juris Rn. 9).

(2) Die dem Beschuldigten R. B. zur Last liegenden Taten sind auf der Grundlage des dringenden Tatverdachts konkurrenzrechtlich wie folgt zu bewerten:

Zunächst ist zwischen der Mitgliedschaft in der Jabhat al Nusra einerseits und im IS andererseits zu unterscheiden. Der Besitz des Sturmgewehrs vermag beides nicht miteinander zu verklammern, weil das Dauerdelikt des Kriegswaffenrechts in seinem strafrechtlichen Unwert - wie er in der Strafandrohung zum Ausdruck kommt - deutlich hinter den Organisationsdelikten der § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 StGB zurückbleibt (zur Klammerwirkung s. BGH, Beschlüsse vom 26. März 1982 - 2 StR 700/81, BGHSt 31, 29, 31; vom 10. November 2010 - 5 StR 464/10, juris Rn. 3; vom 11. Januar 2012 - 1 StR 386/11, wistra 2012, 310, 311; vom 4. April 2012 - 2 StR 70/12, NStZ 2013, 158). So übersteigt der (Regel-)Strafrahmen des § 129a Abs. 1 StGB in der Höchststrafe denjenigen des § 22a Abs. 1 KWKG um das Doppelte (zehn statt fünf Jahre Freiheitsstrafe).

(a) Die zwei während des Aufenthalts bei der Jabhat al Nusra verübten Verstöße gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz stehen zueinander in Tateinheit; denn der Beschuldigte ging mit den Granaten um, als er das Sturmgewehr in Besitz hatte, und übte damit teilweise gleichzeitig die tatsächliche Gewalt über die verschiedenen Kriegswaffen aus (s. MüKoStGB/Heinrich aaO, § 22a KWKG Rn. 107; Steindorf/Heinrich aaO, Rn. 20). Die qualifizierte Freiheitsberaubung stellt im Verhältnis hierzu eine eigenständige Tat im Rechtssinne dar, weil der Beschuldigte sie nur gelegentlich des kriegswaffenrechtlichen Dauerdelikts - ohne Verwendung des Sturmgewehrs - beging (vgl. BGH, Beschluss vom 11. August 2000 - 3 StR 235/00, NStZ 2000, 641; MüKoStGB/Heinrich aaO, § 52 WaffG Rn. 131; S/S/Sternberg-Lieben/Bosch, StGB, 29. Aufl., Vor § 52 Rn. 90).

Da die beiden rechtlich zusammentreffenden Verstöße gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz und die qualifizierte Freiheitsberaubung der Förderung der Ziele der Jabhat al Nusra dienten, liegt zu beiden materiellrechtlichen Taten jeweils idealkonkurrierend eine mitgliedschaftliche Beteiligung an dieser Vereinigung vor. Das Organisationsdelikt der § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 StGB verklammert die zwei Taten indes nicht. Vielmehr stehen sie in Tatmehrheit sowohl zueinander als auch zu den sonstigen mitgliedschaftlichen Betätigungshandlungen, die der Beschuldigte vor der Inbesitznahme des Sturmgewehrs oder gelegentlich dessen Besitzes ausführte und die somit die verbleibende tatbestandliche Handlungseinheit bilden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. Juli 2015 - 3 StR 537/14, BGHSt 60, 308, 311 f., 319 f.; vom 20. Dezember 2016 - 3 StR 355/16, juris Rn. 5).

(b) Die mitgliedschaftliche Beteiligung am ISIG steht mit dem Dauerdelikt der Ausübung der tatsächlichen Gewalt über eine Kriegswaffe insoweit in Tateinheit, als der Besitz des Sturmgewehrs der jeweiligen Betätigung des Beschuldigten zur Förderung der Ziele dieser Organisation diente (Schießtraining, Kampfeinsätze, Wachdienste). Soweit der Beschuldigte allerdings für den ISIG seinen Bruder anwarb und auch hierdurch mitgliedschaftlich tätig war, tat er dies nur gelegentlich der Sachherrschaft über die Kriegswaffe, so dass insofern realkonkurrierend eine weitere selbständige Tat der mitgliedschaftlichen Beteiligung am ISIG hinzutritt.

bb) Der Beschuldigte K. B. ist zumindest der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1, 2 StGB dringend verdächtig, indem er sich auf die beschriebene Weise dem ISIG anschloss und sich für ihn betätigte.

Vor diesem Hintergrund braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob das bisherige Ermittlungsergebnis auch den dringenden Tatverdacht des Sichbereiterklärens zu einem Verbrechen der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung nach § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1, 2, § 30 Abs. 2 Variante 1 StGB begründet (zur Tenorierung im Rahmen des § 30 StGB s. BGH, Urteile vom 10. September 1986 - 3 StR 287/86, BGHR StPO § 260 Abs. 4 Satz 1 Tatbezeichnung 1; vom 19. März 1996 - 1 StR 497/95, NJW 1996, 2239, 2241; Beschluss vom 23. März 2017 - 3 StR 260/16, NJW 2017, 2134 ff.), woran unter dem Gesichtspunkt einer freiwilligen Aufgabe des Vorhabens gemäß § 31 Abs. 1 Nr. 2 StGB Zweifel bestehen. Denn schon der - ohnehin deutlich schwerwiegendere - Vorwurf der mitgliedschaftlichen Betätigung für den ISIG trägt den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft.

cc) Für beide Beschuldigte gilt deutsches Strafrecht. Dies folgt für die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland unmittelbar aus § 129b Abs. 1 Satz 2 Variante 2, 4 StGB (zum Strafanwendungsrecht im Einzelnen s. BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2016 - AK 52/16, juris Rn. 33 ff.), für die Freiheitsberaubung und die vorsätzliche Ausübung der tatsächlichen Gewalt über eine Kriegswaffe aus § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB; denn diese Taten sind auch nach syrischem Recht mit Strafe bedroht (Art. 555 des syrischen Strafgesetzbuchs sowie § 39 i.V.m. § 41 des syrischen Präsidialerlasses Nr. 51 vom 24. September 2001).

dd) Die nach § 129b Abs. 1 Satz 2 und 3 StGB erforderlichen Ermächtigungen zur strafrechtlichen Verfolgung liegen hinsichtlich der Jabhat al Nusra und des ISIG vor.

2. Bei beiden Beschuldigten besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO.

Die Beschuldigten haben im Fall ihrer Verurteilung jeweils empfindliche, einen hohen Fluchtanreiz begründende Strafen zu erwarten. Insbesondere der ISIG ist eine besonders gefährliche und grausam vorgehende terroristische Vereinigung; die den Beschuldigten zur Last gelegten mitgliedschaftlichen Betätigungshandlungen, namentlich die regelmäßigen Kampfeinsätze in Syrien, haben zudem ganz erhebliches Gewicht.

Dem von der Straferwartung ausgehenden Fluchtanreiz stehen keine hinreichenden fluchthindernden Umstände gegenüber. Auch die zweifellos vorhandenen familiären Bindungen im Inland bieten keine hinreichende Gewähr dafür, dass sich die Beschuldigten dem Strafverfahren zuverlässig zur Verfügung halten werden. Die Beschuldigten haben sich mit hoher Wahrscheinlichkeit trotz dieser Bindungen seit 2013 über Jahre hinweg in Syrien bzw. dem syrisch-türkischen Grenzgebiet aufgehalten; beide haben enge persönliche Beziehungen mittlerweile auch in dieser Region. Die Ermittlungen belegen die überdauernde radikalislamistische Gesinnung der Beschuldigten. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die zutreffenden Ausführungen in den Haftbefehlen vom 22. Dezember 2016 ebenso wie in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 19. Juli 2017 verwiesen.

Überdies ist der Haftgrund der Schwerkriminalität gemäß § 112 Abs. 3 StPO, auch bei der gebotenen restriktiven Handhabung der Vorschrift (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 112 Rn. 37 mwN), gegeben.

3. Eine - bei verfassungskonformer Auslegung auch im Rahmen des § 112 Abs. 3 StPO mögliche - Außervollzugsetzung des Haftbefehls (§ 116 StPO) ist nicht erfolgversprechend.

4. Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) sind gegeben; der Umfang der Ermittlungen und ihre Schwierigkeit haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft:

Allein die „vorläufigen Sachakten“ nebst Beiakten umfassen mittlerweile elf Stehordner. Nach der Invollzugsetzung des Haftbefehls waren weitere zeitaufwändige Ermittlungen erforderlich. So wurden zahlreiche Zeugen vernommen und Finanzermittlungen geführt. Vor allem war aber die Auswertung der bei der Festnahme der Beschuldigten gesicherten und bei Durchsuchungsmaßnahmen beschlagnahmten Datenträger mit einer enormen Menge insbesondere von Videodateien (ca. 25.446), Audiodateien (ca. 7.807), Einzelbildern (ca. 330.798), Dokumenten (ca. 212.247), Chat-Nachrichten (104.309) und E-Mails (ca. 2.328) erforderlich. Die Daten mussten einzeln gesichtet, teilweise aus dem Arabischen übersetzt und im Hinblick auf ihre Verfahrensrelevanz ausgewertet werden. Mit dem Sachstandsbericht vom 11. Juli 2017 hat das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen mitgeteilt, dass die Auswertung voraussichtlich noch sechs Wochen in Anspruch nehmen werde (S. 39 [Vorläufige Sachakten, Band 1 Bl. 39]).

In Anbetracht dessen ist das Ermittlungsverfahren bislang mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung geführt worden.

5. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht nach alledem nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der im Fall einer Verurteilung zu erwartenden Strafen (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 984

Bearbeiter: Christian Becker