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HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 229

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 177/15, Beschluss v. 03.12.2015, HRRS 2016 Nr. 229


BGH 2 StR 177/15 - Beschluss vom 3. Dezember 2015 (LG Aachen)

Ablehnung eines Beweisantrags (wegen Bedeutungslosigkeit: Voraussetzungen; wegen Ungeeignetheit).

§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten K. wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 13. November 2014, soweit es ihn betrifft, hinsichtlich der Einzelstrafe bezüglich der Fälle II.9/10 der Urteilsgründe sowie im Gesamtstrafenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

2. Auf die Revision des Angeklagten C. wird das vorbezeichnete Urteil, soweit es ihn betrifft, hinsichtlich der Einzelstrafe im Fall II.8 der Urteilsgründe sowie im Gesamtstrafenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

4. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.

Gründe

Das Landgericht hatte mit Urteil vom 30. Oktober 2012 den Angeklagten K. wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren, den Angeklagten C. wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie wegen unerlaubter Einfuhr eines Grundstoffs, der zur Herstellung von Betäubungsmitteln bestimmt ist, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Mit Beschluss vom 26. März 2014 hatte der Bundesgerichtshof auf die Revision des Angeklagten K. das Urteil, soweit es ihn betrifft, hinsichtlich der Einzelstrafaussprüche in den Fällen II.1 und II.9/10 der Urteilsgründe sowie im Gesamtstrafenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen und auf die Revision des Angeklagten C., soweit es ihn betrifft, hinsichtlich der Einzelstrafaussprüche in den Fällen II.4 und II.8 der Urteilsgründe sowie im Gesamtstrafenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben und die weitergehenden Revisionen verworfen. Nunmehr hat das Landgericht den Angeklagten K. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten und den Angeklagten C. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt und eine Anordnung über den Verfall von Wertersatz getroffen. Die auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten K. führt zur Aufhebung einer Einzelstrafe sowie des Gesamtstrafenausspruchs. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten C. hat mit einer Verfahrensrüge ebenfalls hinsichtlich einer Einzelstrafe und der Gesamtfreiheitsstrafe Erfolg; im Übrigen sind die Rechtsmittel offensichtlich unbegründet.

1. Der Einzelstrafausspruch im Fall II.9/10 der Urteilsgründe hinsichtlich des Angeklagten K. hat keinen Bestand. Das Landgericht hat - anders als beim Angeklagten A. (UA S. 57) - im Rahmen der Strafzumessung nicht berücksichtigt, dass die Taten II.9 und II.10 der Urteilsgründe, zu denen der Angeklagte K. Beihilfe geleistet hat, durch Polizeikräfte überwacht war (vgl. BGH NStZ 2013, 662; BGH, Beschluss vom 26. März 2014 - 2 StR 202/13). Dieser Rechtsfehler führt zur Aufhebung der Einzelstrafe; damit wird dem Gesamtstrafenausspruch die Grundlage entzogen.

2. Die Revision des Angeklagten C. hat hinsichtlich des Strafausspruchs im Fall II.8 der Urteilsgründe mit der Rüge der Verletzung von Beweisantragsrecht Erfolg. Dem liegt folgendes Prozessgeschehen zugrunde:

In der Hauptverhandlung beantragte der Angeklagte, den Zeugen U. zum Beweis der Tatsache zu vernehmen, dass er sich auf den Fall II.8 der Urteilsgründe mit der Motivation eingelassen habe, hierüber das bereits zu diesem Zeitpunkt beschädigte Vertrauen eines Mitangeklagten zurück zu gewinnen, um einen von ihm in der Folgezeit erwarteten Zigarettenschmuggel der Gruppierung durch seine Mithilfe vereiteln und den Container ausliefern zu können. Zur Begründung führte er weiter aus, er habe sich bereits im Herbst 2009 an den Zeugen, einen ehemaligen Polizeibeamten, mit der Bitte gewandt, dieser möge einen Kontakt zum Zollfahndungsamt herstellen. Hintergrund sei die Anfrage gewesen, ob er sich an der logistischen Abwicklung eines zu schmuggelnden Seecontainers mit Zigaretten beteiligen wolle. Er habe sich vorgenommen, mit dem Mitangeklagten zu brechen, ihn und weitere Beteiligte auszuliefern und das Geschäft zu verhindern. Der Zeuge habe in der Folge den Kontakt zu einem für die Fa. P. tätigen Mittelsmann, dem Zeugen O., vermittelt, um von dort aus für die beabsichtigte Vereitelung eine Vergütungszusage zu erhalten. Nach der ersten Kontaktaufnahme Ende 2009 habe der Zeuge von ihm (bereits im Jahre 2010) erfahren, dass er um Hilfe betreffend der Einfuhr eines Seecontainers aus China (= Fall II.8 der Urteilsgründe) gebeten worden sei und dass er sich darauf einlassen wolle, um das durch die Zurückweisung einer vorangegangenen Bitte verloren gegangene Vertrauen zurück zu gewinnen und sich als Ansprechpartner zum Schein wieder ins Gespräch zu bringen. Der Angeklagte war dabei der Ansicht, diese Motivation sei bei der Bemessung der Einzelstrafe erheblich strafmildernd zu berücksichtigen.

Das Landgericht hat den Beweisantrag mit der Begründung zurückgewiesen, das bezeichnete Beweismittel sei völlig ungeeignet. Der Zeuge solle zu einer inneren Motivationslage des Angeklagten Stellung nehmen, was jedoch nicht Gegenstand seiner eigenen Wahrnehmung gewesen sein könne. Hiergegen erhob der Angeklagte eine Gegenvorstellung, in der er darauf hinwies, dass er dem Zeugen von seiner Absicht (an der Beteiligung des Geschäfts im Fall II.8 der Urteilsgründe) unter dem Aspekt der Vertrauensbildung als Basis für einen späteren Aufklärungserfolg berichtet habe. Das Landgericht hat auch die Gegenvorstellung zurückgewiesen, weil auch für den Fall, dass der Zeuge die in der Antragsbegründung erwähnten Gespräche bestätigen würde, dies keinen zwingenden Rückschluss auf das tatsächliche Vorliegen einer inneren Motivationslage des Angeklagten zulasse, den die Kammer so auch nicht ziehen möchte. Insoweit sei die unter Beweis gestellte Behauptung ohne tatsächliche Bedeutung.

Dies hält revisionsgerichtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Landgericht durfte den Antrag des Angeklagten nicht in der geschilderten Weise ablehnen. Entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift handelte es sich vorliegend um einen gemäß § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO zu behandelnden Beweisantrag. Der Angeklagte stellte nicht lediglich die Wertung des benannten Zeugen im Hinblick auf seine innere Motivation bei der Ausführung der Tat II.8 der Urteilsgründe und damit ein Beweisziel unter Beweis, sondern dem Zeugenbeweis zugängliche Tatsachen, nämlich Gespräche, bei denen nach dem Vorbringen in der Gegenvorstellung auch über diese Motivation gesprochen worden sein sollte. Diesen so verstandenen Beweisantrag konnte die Strafkammer nicht unter Hinweis auf die Ungeeignetheit des Beweismittels zurückweisen; denn der benannte Zeuge wäre ersichtlich in der Lage gewesen, über die zwischen ihm und dem Angeklagten geführten Gespräche und deren Inhalt zu berichten.

Soweit sich die Kammer im Übrigen bei ihrer Zurückweisung des Beweisantrags auf die tatsächliche Bedeutungslosigkeit der unter Beweis gestellten Tatsache gestützt hat, geht auch dies fehl. Aus tatsächlichen Gründen bedeutungslos sind Tatsachen, wenn der Nachweis ihres Vorliegens im Ergebnis nichts erbringen kann, weil er die Beweiswürdigung nicht zu beeinflussen vermag. Zur Prüfung der Erheblichkeit ist die unter Beweis gestellte Tatsache wie eine erwiesene Tatsache in das bisherige Beweisergebnis einzufügen; es ist zu fragen, ob hierdurch die Beweislage in einer für den Urteilsspruch relevanten Weise beeinflusst würde. Dabei ist die Beweistatsache als Teil des Gesamtergebnisses in ihrer indiziellen Bedeutung zu würdigen (vgl. zuletzt Senat, BGH NStZ 2015, 599 f.; st. Rspr.). Diesen Anforderungen wird die landgerichtliche Ablehnungsbegründung nicht gerecht. Die Strafkammer hat schon nicht - wie es notwendig gewesen wäre - die unter Beweis gestellte Tatsache, dass die Gespräche wie behauptet stattgefunden hätten, als erwiesenen Teil des Gesamtergebnisses gewürdigt. Sie hat sich im Ergebnis vielmehr darauf beschränkt, als erwiesen anzusehen, dass der Zeuge dies aussagen werde, und damit - da sie die Ablehnung darauf gestützt hat, seinen möglichen Angaben nicht folgen zu wollen - wesentliche Abstriche an der Beweisbehauptung vorgenommen.

Soweit das Landgericht im Übrigen darauf hingewiesen hat, die Bekundung des Zeugen erlaube keinen zwingenden Schluss und den nur möglichen Schluss wolle es nicht ziehen, erweist sich auch dies als rechtsfehlerhaft. Der bloße Hinweis der Strafkammer, den möglichen Schluss nicht ziehen zu wollen, genügt den insoweit erforderlichen Begründungsanforderungen nicht, da es an einer substantiierten Begründung fehlt (Senat, a.a.O.).

Auf der fehlerhaften Zurückweisung dieses Beweisantrags beruht der Strafausspruch im Fall II.8 der Urteilsgründe. Der Senat kann nicht ausschließen, dass sich die Strafkammer nach Anhörung des Zeugen U. (und auch des Zeugen O., der zum gleichen Beweisthema benannt worden war) die Überzeugung von der unter Beweis gestellten Motivation bei der Begehung der Straftat im Fall II.8 der Urteilsgründe verschafft und den Angeklagten insoweit zu einer milderen Freiheitsstrafe verurteilt hätte.

HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 229

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede