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Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 BGs 42/01, Beschluss v. 21.02.2001, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 2 BGs 42/01 - Beschluß des Ermittlungsrichters v. 21. Februar 2001

Telekommunikationsüberwachung; TÜ; Telefonüberwachung; Mobilfunktelefon; Bereitstellung von Informationen durch den Netzbetreiber; Standortbestimmungen; Beschwerde; Fernmeldegeheimnis; Allgemeines Persönlichkeitsrecht; Spezialität

§ 100a StPO; § 100b StPO; § 304 Abs. 4 StPO; Art 10 Abs. 1 GG; § 85 Abs. 1 TKG; § 3 Nr. 16 TKG; § 1 FÜV; Art 2 Abs. 1 iVm Art 1 Abs. 1 GG

Leitsätze

1. Die Strafverfolgungsbehörden können im Rahmen einer nach §§ 100a, 100b StPO angeordneten Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation mit einem Mobilfunktelefon von dem Netzbetreiber die Bereitstellung von Informationen darüber, in welcher Funkzelle sich das Telefon befindet, auch dann verlangen, wenn mit diesem nicht telefoniert wird. (BGHR)

2. Der Überwachung und Aufzeichnung nach §§ 100a, 100b StPO unterliegen alle Formen der Nachrichtenübermittlung unter Raumüberwindung in nicht-körperlicher Weise mittels technischer Einrichtungen (BGH - Ermittlungsrichter - NStZ 1997, 247). (Bearbeiter)

3. Das Grundrecht des Fernmeldegeheimnisses umfaßt nicht nur den Kommunikationsinhalt, sondern ebenso die Kommunikationsumstände - hierzu gehört insbesondere, ob und gegebenenfalls wann und wie oft zwischen welchen Personen oder Fernmmeldeanschlüssen Fernmeldeverkehr statt gefunden hat oder versucht worden ist (BVerfGE 67, 157, 172; 100, 313, 358; vgl. auch BGH StV 1998, 173). (Bearbeiter)

4. Das Grundrecht des Art. 10 GG muß in seiner durch die technischen Entwicklungen bedingten heutigen Bedeutung gesehen werden und ist gegenüber dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht das speziellere Grundrecht. (Bearbeiter)

Gründe

I.

Mit Beschluß vom 25. Januar 2001 - 2 BGs 15/2001 - hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs auf Antrag des Generalbundesanwalts die Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation des Mobiltelefonanschlusses "einschließlich der Mitteilung der regelmäßig erfolgenden Positionsmeldungen (Bewegungsdaten)" gemäß §§ 100a, 100b, 169 Abs. 1 StPO gestattet. Gegen diesen Beschluß wendet sich die betroffene Netzbetreiberin mit ihrer als Gegenvorstellung bezeichneten Eingabe vom 26. Januar 2001, soweit er die Mitteilung der Positionsmeldungen betrifft.

Sie macht geltend, die Mitteilung dieser Daten werde, wenn sie nicht im Rahmen eines Telefongesprächs anfallen, von § 100a StPO nicht erfaßt, weil sie dann nicht im Rahmen eines Telekommunikationsvorgangs entstünden. Auch sei die Erhebung dieser Daten aus technischen Gründen nicht möglich.

Dem tritt die Bundesanwaltschaft entgegen.

II.

Die sich gegen eine nicht mit der Beschwerde anfechtbare (§ 304 Abs. 4 StPO) Anordnung der Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation richtende Eingabe ist als Gegenvorstellung zulässig.

Sie ist jedoch nicht begründet. Die Netzbetreiberin ist aufgrund der nach §§ 100a, 100b StPO ergangenen Anordnung verpflichtet, den Ermittlungsbehörden die zur Standortbestimmung des (eingeschalteten) Mobiltelefons erforderlichen geographischen Daten der betroffenen Funkzellen unabhängig davon mitzuteilen, ob mit dem Mobilgerät telefoniert wird oder nicht (vgl. LG Dortmund NStZ 1998, 577; LG Ravensburg NStZ-RR 1999, 84; LG Aachen StV 1999, 590 m. abl. Anm. Bernsmann; Nack in KK-StPO 4. Aufl. § 100a Rdnr. 13; Pfeiffer, StPO 3. Aufl. § 100a Rdnr. 1; Artkämper, Kriminalistik 1998,202).

Der Überwachung und Aufzeichnung nach §§ 100a, 100b StPO unterliegen alle Formen der Nachrichtenübermittlung unter Raumüberwindung in nicht-körperlicher Weise mittels technischer Einrichtungen (BGH [Ermittlungsrichter] NStZ 1997, 247; Nack aaO Rdnr. 4, 6; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl. § 100a Rdnr. 2). Der Gesetzgeber hat diese Vorschriften auch für neue, zunächst noch nicht bekannte Techniken der Nachrichtenübertragung bewußt offen gehalten. Das ergibt sich insbesondere aus der Ersetzung der Formulierung "Aufnahme auf Tonträger" durch das umfassendere Wort "Aufzeichnung" durch das am 1. Juli 1989 in Kraft getretene Poststrukturgesetz (BGBl. 1 S. 1026, 1050) sowie aus der Ersetzung des Wortes "Fernmeldeverkehr" durch "Telekommunikation" durch das Begleitgesetz zum Telekommunikationsgesetz vom 17. Dezember 1997 (BGBl. I S. 3108, 3113).

Da die §§ 100a, 100b StPO mit ihrem weiteren Anwendungsbereich eine gesetzliche Ermächtigung zu Eingriffen in das durch Art. 10 Abs. 1 GG geschützte Fernmeldegeheimnis darstellen, muß sich ihre Auslegung, insbesondere des nunmehr maßgebenden Begriffs der Telekommunikation, in erster Linie an diesem Grundrecht ausrichten (BVerfGE 46, 120, 143; BGH [Ermittlungsrichter] aaO). Das Grundrecht des Fernmeldegeheimnisses ist seinerseits gegenüber den technischen Entwicklungen, wie sie sich z.B. in den heutigen Möglichkeiten der Speicherung und Verarbeitung von Informationen jeglicher Art durch Digitalisierung zeigen, offen und dynamisch (vgl. Jarass/Pieroth, GG 3. Aufl. Art. 10 Rdnr. 5). Die Einbeziehung neuer Formen der Telekommunikation in § 100a StPO überschreitet deshalb nicht die Grenzen, die der Auslegung dieser Vorschrift durch Art. 10 GG nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gezogen sind (vgl. BGHSt 31, 296, 298; 34, 39, 51). Es ist heute auch unstreitig, daß das Grundrecht des Fernmeldegeheimnisses nicht nur den Kommunikationsinhalt, sondern ebenso die Kommunikationsumstände - hierzu gehört insbesondere, ob und gegebenenfalls wann und wie oft - umfaßt, zwischen welchen Personen oder Fernmmeldeanschlüssen Fernmeldeverkehr statt gefunden hat oder versucht worden ist (BVerfGE 67, 157, 172; 85, 386, 396; 100, 313, 358; vgl. auch BGH StV 1998, 173).

Der Gesetzgeber hat dies inzwischen einfachgesetzlich in § 85 Abs. 1 TKG - wortgleich in § 206 Abs. 5 Satz 2, 3 StGB - ausdrücklich geregelt. Diese wie auch weitere Bestimmungen des Telekommunikationsgesetzes und die aufgrund dieses Gesetzes ergangenen Rechtsverordnungen können bei der Auslegung der grundrechtseinschränkenden Norm des § 100a StPO jedenfalls als wesentliche Orientierungshilfe herangezogen werden.

Als nähere Umstände der Telekommunikation stellen sich nach diesen Regelungen insbesondere die Verbindungsdaten eines Kommunikationsvorgangs dar (Büchner in Beck TKG-Kommentar, 2. Aufl. § 85 Rdnr. 3), wie sie in § 89 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b TKG - in Abgrenzung zu den Bestandsdaten im Sinne von § 89 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a TKG - umschrieben sind. Die neue Telekommunikations-Datenschutzverordnung (TDSV) vom 18. Dezember 2000 (BGBl. 1 S. 1740) definiert in § 2 Nr. 4 die Verbindungsdaten nunmehr ausdrücklich als "bei der Bereitstellung und Erbringung von Telekommunikationsdiensten erhoben". Hierunter können, wie sich aus dem Begriff Bereitstellung deutlich ergibt, auch Daten fallen, die bereits im Vorfeld eines (potentiellen) Telefongesprächs erhoben werden.

Die technisch bedingten Positionsmeldungen nicht telefonierender Mobilgeräte stellen derartige Verbindungsdaten dar. Sie erfüllen die Legaldefinition des § 3 Nr. 16 TKG, wonach Telekommunikation "der technische Vorgang des Aussendens, Übermittelns und Empfangens von Nachrichten jeglicher Art in der Form von Zeichen, Sprachen, Bildern oder Tönen mittels Telekommunikationsanlagen" ist. Die Positionsmeldungen sind, auch wenn nicht telefoniert wird, kommunikationserheblich, weil sie die Betriebsbereitschaft des im sog. Stand-by-Betriebs befindlichen Mobiltelefons sicherstellen. Es gehört zwingend zu dem Telefonieren mit einem Mobilgerät, dieses empfangsbereit zu halten, da sonst der Empfang von Gesprächen nicht möglich ist. Um ständig empfangsbereit zu sein, muß das Mobiltelefon seine Position regelmäßig dem Netz mitteilen.

Da es sich folglich auch insoweit um Telekommunikationsvorgänge in dem vom Gesetzgeber vorgegebenen weiten Rahmen handelt, steht nichts entgegen, daß die Strafverfolgungsbehörden unter den Voraussetzungen des § 100a StPO auf die technisch bedingten Positionsmeldungen von Mobilgeräten auch dann zurückgreifen, wenn mit diesen nicht telefoniert wird. Angesichts der im Vergleich zu anderen strafprozessualen Eingriffsmaßnahmen engen Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Maßnahme nach § 100a StPO und des bedeutend geringeren Gewichts der Offenbarung von Standortdaten gegenüber dem inhaltlichen Abhören von Telefongesprächen bestehen hiergegen auch im Hinblick auf den hohen Rang des Grundrechts des Fernmeldegeheimnisses keine Bedenken, zumal § 100a StPO auch ausdrücklich die Möglichkeit zur Aufenthaltsermittlung des Beschuldigten eröffnet. Daß die verfassungsrechtliche Problematik derartiger Standortbestimmungen durch Überwachung der digitalen "Kommunikation von Maschinen" auch bei dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG) liegt, steht dem nicht entgegen, da das Grundrecht des Art. 10 GG, das in seiner durch die technischen Entwicklungen bedingten heutigen Bedeutung gesehen werden muß, gegenüber dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht das speziellere Grundrecht darstellt (vgl. Nack aaO Rdnr. 13; a.A. Bernsmann, StV 1999, 592).

Die Netzbetreiberin leitet Einwände gegen ihre Verpflichtung zur Mitteilung von Positionsmeldungen auch aus § 3 Abs. 2 Nr. 4 der Fernmeldeverkehr-Überwachungsverordnung (FÜV) vom 18. Mai 1995 (BGBl. I S. 722) her. Diese Regelung verpflichtet die Netzbetreiber, bei überwachten Mobilanschlüssen Informationen (nur) zu den Funkzellen mitzuteilen, "über die die Verbindung abgewickelt wird". Diese Einwände greifen schon deshalb nicht durch, weil die FÜV die sich aus §§ 100a, 100b StPO ergebenden Eingriffsbefugnisse (das "Ob") weder ergänzt noch einschränkt, sondern lediglich - wie in § 1 FÜV formuliert - "die Anforderungen und das Verfahren zur technischen Umsetzung von Überwachungsmaßnahmen" (das "Wie") regelt. Davon abgesehen betrifft § 3 Abs. 2 Nr. 4 FÜV mit dem Begriff "Verbindung" bei sachgerechter systematischer Auslegung der Bestimmungen der FÜV nicht nur die Zeiträume, während derer telefoniert wird, sondern den gesamten Zeitraum der richterlichen Anordnung (LG Dortmund aaO; Nack aaO Rdnr. 13; Artkämper aaO S. 206).

2. Daß die zur Standortbestimmung erforderlichen Daten bei der Netzbetreiberin nicht automatisch erfaßt werden und deshalb den Strafverfolgungsbehörden nicht "online" zugänglich gemacht werden können, hindert die Netzbetreiberin nicht, ihren gesetzlichen Mitwirkungspflichten durch Feststellung und Mitteilung von Funkbereichen nachzukommen. Eine unzumutbare Belastung kann darin nicht gesehen werden.

Zur Klarstellung sei allerdings darauf hingewiesen, daß die Netzbetreiberin nur zur Mitteilung der Funkzelle im Sinne des § 2 Nr. 5 FÜV und nicht zu weitergehenden Peilungen oder Messungen innerhalb der Funkzelle verpflichtet ist.

Externe Fundstellen: NJW 2001, 1587; NStZ 2001, 389; NStZ 2002, 103; StV 2001, 214

Bearbeiter: Karsten Gaede