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Bearbeiter: Rocco Beck

Zitiervorschlag: BGH, VGS   1/93, Beschluss v. 05.05.1994, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH VGS 1/93, VGS 2/93, VGS 3/93, VGS 4/93 - Beschluss vom 5. Mai 1994

BGHSt 40, 168 = BGHZ 126, 63; Anforderungen an Inhalt und Form der vom Vorsitzenden des Senats aufzustellenden Mitwirkungsgrundsätze zur Besetzung der Spruchkörper bei überbesetzten Senaten.

§ 21g Abs. 2 GVG Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG

Leitsätze

1. Die vom Vorsitzenden eines überbesetzten Zivilsenats des Bundesgerichtshofes nach § 21g Abs. 2 GVG aufzustellenden Mitwirkungsgrundsätze müssen mit abstrakten Merkmalen regeln, welche Richter an der Entscheidung mitzuwirken haben. Sie müssen ein System in der Weise ergeben, daß die Besetzung des Spruchkörpers bei der einzelnen Entscheidung im Regelfall aus ihnen ableitbar ist. (BGHSt)

2. Diese Mitwirkungsgrundsätze müssen schriftlich abgefaßt sein. (BGHSt)

3. Mitwirkungsgrundsätze, die hiervon abwichen, sind nicht ohne weiteres als fehlerhaft zu beurteilen. Sie brauchten nicht vollständig schriftlich niedergelegt zu sein. Für die Zuordnung der einzelnen Sache zu einer bestimmten Richterbank im Wege der Terminierung genügte es, daß die Terminierung nicht willkürlich, sondern in Ausübung pflichtgemäßen richterlichen Ermessens aus sachgerechten Gründen erfolgte. (BGHSt)

Entscheidungstenor

1. Die vom Vorsitzenden eines überbesetzten Zivilsenats des Bundesgerichtshofes nach § 21g Abs. 2 GVG aufzustellenden Mitwirkungsgrundsätze müssen mit abstrakten Merkmalen regeln, welche Richter an der Entscheidung mitzuwirken haben. Sie müssen ein System in der Weise ergeben, daß die Besetzung des Spruchkörpers bei der einzelnen Entscheidung im Regelfall aus ihnen ableitbar ist.

2. Diese Mitwirkungsgrundsätze müssen schriftlich abgefaßt sein.

3. Mitwirkungsgrundsätze, die hiervon abwichen, sind nicht ohne weiteres als fehlerhaft zu beurteilen. Sie brauchten nicht vollständig schriftlich niedergelegt zu sein. Für die Zuordnung der einzelnen Sache zu einer bestimmten Richterbank im Wege der Terminierung genügte es, daß die Terminierung nicht willkürlich, sondern in Ausübung pflichtgemäßen richterlichen Ermessens aus sachgerechten Gründen erfolgte.

Gründe

I.

1. Dem I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs gehörten in den Jahren 1989, 1991 und 1992 sieben Richter an, mithin zwei Richter mehr als die Spruchbesetzung des § 139 Abs. 1 GVG. In seinen schriftlich abgefaßten Grundsätzen über die Mitwirkung der Richter an den Verfahren nach § 21g Abs. 2 GVG hatte der Vorsitzende für jeden Sitzungstag des Senats eine Spruchgruppe aus fünf Richtern gebildet. Ferner hatte er festgelegt, bei welchen Sachgebieten die einzelnen beisitzenden Richter zugezogen werden sollten. Jedem dem I. Zivilsenat geschäftsplanmäßig zugewiesenen Sachgebiet waren auf diese Weise mindestens drei Richter zugeordnet; für Wettbewerbssachen - und darum geht es in der Mehrzahl der anstehenden Fälle - waren sämtliche Senatsmitglieder vorgesehen. Nicht schriftlich festgelegt hatte der Vorsitzende, inwieweit er bei der Terminierung gebunden sein sollte. Über die insoweit geübte Praxis sind Feststellungen nicht getroffen. Ein willkürliches Verhalten des Vorsitzenden ist nicht geltend gemacht worden. Die Grundsätze enthielten ferner eine Regelung über die Heranziehung der Beisitzer in rechtlich verwandten Fällen, eine Regelung über die Berücksichtigung der Belastung von in Spezialsenaten des Bundesgerichtshofes tätigen Senatsmitgliedern und eine Vertretungsregelung. Für 1992 war auch eine Bestimmung über die Mitwirkung der Richter in anderen als Revisionssachen getroffen.

Durch Urteile vom 30. November 1989 (I ZR 55/87; I ZR 184/88) sowie durch Beschlüsse vom 7. November 1991 (I ZR 86/91) und 7. Mai 1992 (I ZR 237/91) hat der I. Zivilsenat in der jeweils für diesen Tag vorgesehenen Besetzung in Wettbewerbsstreitigkeiten, in einem Fall in einem Rechtsstreit um Firma und Warenzeichen eines Unternehmens, über die zu ihm eingelegten Revisionen befunden. Gegen diese Entscheidungen haben ganz oder teilweise unterlegene Parteien jener Verfahren Nichtigkeitsklage mit der gleichlautenden Begründung erhoben, das erkennende Gericht sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen (§ 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Die von dem Vorsitzenden des I. Zivilsenats gemäß § 21g Abs. 2 GVG aufgestellten Mitwirkungsgrundsätze hätten nicht den gesetzlichen Anforderungen genügt, da sie die Zusammensetzung der Richterbank nicht im voraus abstrakt bestimmten.

Der hierüber zur Entscheidung berufene X. Zivilsenat ist der Auffassung, daß die Klagen in zulässiger Weise erhoben seien und daß der Wiederaufnahmegrund des § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO vorliege. Nach seiner Meinung gebietet § 21g Abs. 2 GVG dem Vorsitzenden, vor Beginn des Geschäftsjahres allgemeine Grundsätze aufzustellen, nach denen sich mit hinreichender Bestimmtheit für die jeweilige Sache im voraus die zur Entscheidung berufene Spruchgruppe ergibt. Das Verfassungsgebot des gesetzlichen Richters und der mit den Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes verfolgte gesetzgeberische Zweck, den gesetzlichen Richter auch im Einzelfall möglichst genau bestimmen zu können, wären an entscheidender Stelle durchbrochen, wenn dem Vorsitzenden eines überbesetzten Spruchkörpers die Befugnis eingeräumt wäre, die Rechtsprechungsaufgaben nach seinem Ermessen von Fall zu Fall zu verteilen. Die Mitwirkungsgrundsätze müßten wegen ihrer Bedeutung für die Bestimmung des gesetzlichen Richters nach Art. 101 GG und aus Beweisgründen jedenfalls in ihren wesentlichen Grundzügen schriftlich niedergelegt sein. Daher sei es für die rechtliche Beurteilung ohne Belang, wenn sich auf der Basis schriftlicher Mitwirkungsgrundsätze durch mündliche Absprachen oder eine ständige Übung Regeln herausgebildet hätten, die das einzelne Verfahren im voraus einer bestimmten Spruchgruppe zuordnen.

Die vom Vorsitzenden des I. Zivilsenats für die Jahre 1989, 1991 und 1992 aufgestellten schriftlichen Mitwirkungsgrundsätze genügten diesen Anforderungen nicht. Sie legten zwar die Sitzungstage mit den jeweils mitwirkenden Richtern fest, ordneten aber nicht allgemein im voraus das einzelne Verfahren einer bestimmten Richterbank zu. Vielmehr bleibe es dem - durch die Sachgebietsaufteilung nur unwesentlich beschränkten - Ermessen des Vorsitzenden überlassen, im Wege der Terminierung zu bestimmen, durch welche Richter die Sache entschieden wird. Auf eine etwaige über die schriftlich niedergelegten Mitwirkungsgrundsätze hinausgehende Übung komme es nicht an.

Das könne mit der Nichtigkeitsklage auch gerügt werden, ohne daß es darauf ankäme, ob die Regeln des § 21g Abs. 2 GVG bei der Aufstellung der Mitwirkungsgrundsätze willkürlich oder sonst mißbräuchlich nicht beachtet wurden oder der Besetzungsmangel zugleich einen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG darstellt. Denn § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO entspreche dem absoluten Revisionsgrund des § 551 Nr. 1 ZPO und könne nicht anders als diese Vorschrift ausgelegt werden. Danach aber sei allein entscheidend, daß der gerügte Mangel objektiv vorliegt.

2. Der X. Zivilsenat hat gemäß § 590 Abs. 2 ZPO vorab über Grund und Zulässigkeit der Wiederaufnahme verhandelt. Er möchte dahin erkennen, daß die Nichtigkeitsklagen zulässig und die geltend gemachten Wiederaufnahmegründe gegeben seien. So zu entscheiden sieht er sich durch die Urteile des 1. Strafsenats vom 15. Juni 1967 - 1 StR 516/66 (BGHSt 21, 250) und des 4. Strafsenats vom 13. Dezember 1979 - 4 StR 632/79 (BGHSt 29, 162) gehindert.

Der 1. Strafsenat hatte in seinem Urteil vom 15. Juni 1967 auf Grund einer Verfahrensrüge die Frage zu beurteilen, ob bei einer mit einem Richter überbesetzten Strafkammer die mündliche Anordnung des Vorsitzenden, daß wochenweise ein im voraus bestimmter Beisitzer aussetze, den Anforderungen des § 69 Abs. 2 (jetzt § 21g Abs. 2) GVG genügt. Er hat die Frage bejaht und ausgeführt, das Gesetz verlange keine vorgeplante Verteilung der Geschäfte innerhalb des Spruchkörpers, wie sie das Präsidium hinsichtlich der dem Gericht obliegenden Aufgaben vorzunehmen habe. Diese Beschränkung habe guten Grund. Die auf längere Zeit im voraus nicht übersehbaren tatsächlichen Gegebenheiten wirkten sich bei der Erledigung der einzelnen Geschäfte noch erheblich stärker auf den einzelnen Spruchkörper aus als bei der Verteilung der nach Erfahrungszahlen geschätzten Aufgabengruppen auf die gesamten Kammern oder Senate des Gerichts. Das habe zur Folge, daß der Vorsitzende die Geschäfte innerhalb einer Kammer oder eines Senats gar nicht auf längere Zeit im voraus verteilen könne, wenn er zugleich seiner weiteren Aufgabe gerecht werden wolle, darauf hinzuwirken, daß die Arbeit in dem Spruchkörper geordnet, stetig und sinnvoll abläuft und daß dabei den Besonderheiten jeder Sache Rechnung getragen wird. Dem Zweck des Gesetzes genüge es, wenn der Vorsitzende eines mit einem Richter überbesetzten Spruchkörpers bestimmt, daß jeweils ein Richter während eines kalendermäßig bestimmten Zeitabschnitts im Sitzungsdienst aussetzt und in welcher Reihenfolge das geschieht. Das Gesetz schreibe für diese Anordnung auch keine bestimmte Form vor. Ihre schriftliche Niederlegung sei zwar zweckmäßig. Die Schriftform könne jedoch ausnahmsweise entbehrlich sein, wenn es sich - wie im zu beurteilenden Fall - um eine verhältnismäßig einfache und übersichtliche Anordnung handelt, die sich auch auf andere Weise zuverlässig feststellen läßt. Auf die Nichteinhaltung der Mitwirkungsgrundsätze im Einzelfall könne die Revision nur bei Willkür oder sonst mißbräuchlichem Vorgehen gestützt werden.

Der 4. Strafsenat hatte in seinem Urteil vom 13. Dezember 1979 einen Fall zu beurteilen, in dem der Vorsitzende einer Strafkammer in einem Einzelfall von den Mitwirkungsgrundsätzen, die er aufgestellt hatte, abgewichen war. Hierzu hat der 4. Strafsenat ausgeführt, daß der Vorsitzende auf die Voraussetzungen, unter denen er nach § 21g Abs. 2, 2. Halbsatz GVG die Anordnung ändern kann, bei einer Abweichung im Einzelfall nicht beschränkt sei. Es genüge vielmehr das Vorliegen eines sachlichen Grundes.

Beide Senate haben auf Anfrage erklärt, daß sie an ihrer Rechtsauffassung festhalten. Der X. Zivilsenat war ihr hinsichtlich der Zulässigkeit der Abweichung im Einzelfall bislang gefolgt (Beschluß vom 8. Mai 1980 - X ZB 15/79, GRUR 1980, 848). Er hält die Frage, welche Anforderungen § 21g Abs. 2 GVG an die Mitwirkungsgrundsätze in überbesetzten Senaten stellt und ob in Fällen der vorliegenden Art die Nichtigkeitsklage gegeben ist, aber für grundsätzlicher Natur und hat die Sachen "gemäß § 132 Abs. 2-4 GVG zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung" den Vereinigten Großen Senaten des Bundesgerichtshofes vorgelegt (NJW 1993, 1596). Die Vorlegungsfragen hat er wie folgt formuliert:

1. Sind Grundsätze des Vorsitzenden eines überbesetzten Zivilsenates beim Bundesgerichtshof mit § 21g Abs. 2 GVG vereinbar, die vor Beginn des Geschäftsjahres für dessen Dauer aufgestellt worden sind, aber nicht im voraus abstrakte Regeln über die Mitwirkung aller Richter an den einzelnen Verfahren enthalten?

2. Falls die erste Frage verneint wird, bedeutet das, daß nach § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ein Urteil eines Zivilsenates des Bundesgerichtshofes binnen der Klagefrist nach § 586 ZPO mit der Nichtigkeitsklage anfechtbar ist?

3. Der Generalbundesanwalt hält die Vorlegung der ersten Frage für zulässig, da das Urteil des 1. Strafsenats vom 15. Juni 1967 auf allgemeingültigen Erwägungen beruhe, über die sich der X. Zivilsenat hinwegsetzen müsse, wollte er so entscheiden wie beabsichtigt. Daß die Entscheidung zu § 69 GVG a.F. ergangen sei, sei unerheblich, weil § 21g Abs. 2 GVG eine inhaltsgleiche Regelung treffe. Dagegen hätten die Strafsenate des Bundesgerichtshofes bisher nicht zu der Frage Stellung genommen, welche Folgen inhaltliche Mängel der Mitwirkungsgrundsätze nach sich ziehen. Das erwähnte Urteil des 1. Strafsenats befasse sich nicht damit, da es in dem von ihm entschiedenen Fall einen Verstoß gegen § 69 GVG a.F. verneint habe. Die Voraussetzungen für die Vorlegung der zweiten Frage seien daher nicht gegeben. Insoweit beantragt der Generalbundesanwalt, die Sachen an den X. Zivilsenat zurückzugeben. Zur ersten Frage beantragt er zu beschließen:

§ 21g Abs. 2 GVG gebietet nicht, daß der Vorsitzende eines Zivilsenats beim Bundesgerichtshof vor Beginn des Geschäftsjahres allgemeine Regeln aufstellt, die die einzelnen Verfahren von vornherein bestimmten Richtern zuweisen. Der Vorschrift ist genügt, wenn die Richter festgelegt werden, die an den einzelnen Sitzungen teilnehmen. Er führt aus, der Vorschrift des § 21g Abs. 2 GVG sei genügt, wenn der Vorsitzende vor Beginn des Geschäftsjahres die jeweiligen Sitzgruppen festlegt und auf die einzelnen Sitzungstage verteilt. Daß er durch die Terminierung Einfluß auf die Zusammensetzung der zur Entscheidung berufenen Richterbank nehmen kann, sei im Interesse eines geordneten Arbeitsablaufs hinzunehmen. Der Gesetzeswortlaut ergebe, daß § 21g Abs. 2 GVG keine abschließende und ins einzelne gehende Zuweisung der Geschäfte verlange, denn der Begriff der "Grundsätze" lasse Raum für auf den Einzelfall bezogene Entscheidungen. Die Gesetzesfassung weiche auch auffallend von der Regelung in § 21e Abs. 1 Satz 1 GVG über den vom Präsidium zu beschließenden Geschäftsverteilungsplan des Gerichts ab. Der Zusammenhang beider Vorschriften lasse erkennen, daß die senatsinternen Mitwirkungsgrundsätze nicht die gleiche Regelungsdichte wie ein Geschäftsverteilungsplan aufweisen müßten. Dieses Verständnis der Bestimmung werde durch ihre Entstehungsgeschichte gestützt. Die Einteilung von Spruchgruppen für bestimmte Sitzungstage sei darüber hinaus ein herkömmliches Verfahren zur Auswahl der zur Entscheidung berufenen Richter. Die Verfahrensgesetze aller Gerichtszweige sähen vor, daß die ehrenamtlichen Richter für den jeweiligen Sitzungstag im voraus ausgelost oder bestimmt werden; erst die Terminierung ergebe dann, an welchen Sachen sie im einzelnen mitwirken. Dagegen hätten sich bisher keine Bedenken erhoben. Praktikable Vorschläge, welche zu einem Mehr an Bestimmtheit führen und zugleich einen zügigen und geordneten Verfahrensablauf gewährleisten, seien auch von kritischen Stimmen in der Literatur nicht unterbreitet worden. Aus der verfassungsrechtlichen Verbürgung des gesetzlichen Richters sei jedenfalls nicht herzuleiten, daß die Mitwirkungsgrundsätze konkretere Regelungen enthalten müßten als die gesetzlichen Vorschriften über die Zuweisung der ehrenamtlichen Richter.

4. Die Vereinigten Großen Senate haben die Vorlagesachen zu gemeinsamer Beratung und Entscheidung verbunden.

II.

Die Vorlage der ersten Frage ist zulässig; ihre Beantwortung erledigt die zweite gestellte Frage.

1. Die Frage bedarf jedoch der Präzisierung. Nach der Auffassung des vorlegenden Senats ist § 21g Abs. 2 GVG verletzt, wenn der Senatsvorsitzende nach dem schriftlich niedergelegten Text seiner Mitwirkungsgrundsätze die Möglichkeit hat, im Wege der Terminierung die im Einzelfall entscheidende Spruchgruppe nach seinem Ermessen zu bestimmen. Auf ergänzende mündliche Anordnungen komme es nicht an. Dieser besondere Gesichtspunkt trägt die Vorlagen, er kommt in der Vorlegungsfrage aber nicht zum Ausdruck. Sie ist daher sinngemäß zu ergänzen (BGHZ 6, 270, 273; BGHSt 30, 320, 323). Die hiernach gestellte Frage, in welcher Ausführlichkeit und Vollständigkeit der Vorsitzende die Grundsätze über die Mitwirkung der Richter an den Verfahren schriftlich fixieren muß, ist allerdings untrennbar mit der vorrangigen nach dem notwendigen Inhalt dieser Grundsätze verbunden. Sie kann daher nicht unbeantwortet bleiben und ist ebenfalls Gegenstand der Vorlage (vgl. BGHSt 32, 115, 119, 127; 34, 171, 175).

2. Die Vorlagen ergeben, daß der X. Zivilsenat beabsichtigt, mit der so gefaßten Frage von der Rechtsprechung der Strafsenate abzuweichen. Seine Beurteilung der Divergenzfrage ist zutreffend. Das Verfahren nach § 132 Abs. 3 GVG hat er eingehalten.

Ergänzend ist zu bemerken, daß der 1. Strafsenat seine Auffassung durch Urteil vom 14. August 1973 - 1 StR 239/73 - in nicht tragenden Ausführungen bekräftigt hat. Der 3. Strafsenat ist ihm mit seinem Urteil vom 11. Juni 1975 - 3 StR 59/73 - für den Fall einer Änderung der Mitwirkungsgrundsätze im Laufe des Geschäftsjahres gefolgt und hat ausgesprochen, daß die Änderung keiner Schriftform bedürfe, diese aber vorzuziehen sei. Die Entscheidung beruht auf dieser Erwägung. Ob sie ebenfalls eine Pflicht zur Vorlage ausgelöst hätte, können die Vereinigten Großen Senate im Hinblick auf die beabsichtigte Abweichung von der Rechtsprechung des 1. Strafsenats offenlassen.

3. Die Vereinigten Großen Senate bejahen im Rahmen ihrer nur begrenzten Prüfungsbefugnis die Erheblichkeit der gestellten Frage für die Entscheidungen, welche der vorlegende Senat zu treffen hat.

a) Ihre Erheblichkeit zu bezweifeln besteht Anlaß. Nicht jeder Fehler bei der Bestimmung der mitwirkenden Gerichtspersonen führt zu einer vorschriftswidrigen Besetzung des Gerichts im Sinne des § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO. Beruht diese auf einer letztlich irrigen, aber vertretbaren Auslegung einer nicht eindeutigen Gesetzesbestimmung, so kann ein Verfahrensverstoß zu verneinen sein (so schon BGHSt 12, 227, 233) und die bloß irrtümliche Abweichung von den Zuweisungen des Geschäftsverteilungsplans vermag die Revision nicht zu begründen (BGHSt 11, 106, 110). Daran anknüpfend fordert die Rechtsprechung für die Beachtlichkeit einer Besetzungsrüge allgemein, daß die Gesetzesverletzung klar zutage liegt, schwer oder "qualifiziert" ist, auf einer nicht mehr hinnehmbaren Rechtsansicht, letztlich auf objektiver Willkür beruht.

- BGHSt 25, 66, 71; 27, 105, 107; 29, 283, 287; 33, 290, 292; 34, 121, 122 (überholt BGH JR 1978, 210); BGH GA 1976, 141; StV 1981, 271; BGH, Urt. v. 8.1.1974 - 1 StR 529/73; Urt. v. 15.1.1976 - 4 StR 585/75; Übersichten auch bei Rieß DRiZ 1977, 289; Niemöller StV 1987, 311; BGHZ 37, 125, 129 f; BGH NJW 1976, 1688;

- BAGE 43, 258, 262;

- BFHE 168, 508, 510; BFH-NV 1988, 307; 1989, 442; 1990, 511; BFH DriZ 1989, 380;

- BSozGE 47, 13, 16;

- BVerwGE 20, 39, 41; BVerwG NJW 1974, 1885; 1987, 2031, 2032; 1988, 219; 1991, 1370, 1371; BVerwG Buchholz 310 § 138 Ziff. 1 VwGO Nr. 24.

Zwar hat die Rechtsprechung bei Besetzungsfehlern, welche aus dem gerichtlichen Geschäftsverteilungsplan hergeleitet werden, zwischen inhaltlichen Fehlern des Plans und Anwendungsfehlern unterschieden; Fehler bei der Aufstellung des Plans sollten stets beachtlich sein (BGHSt 3, 353, 355; 25, 239, 241; BVerwG NJW 1987, 2031, 2032; BGH NJW 1988, 1921). Diese Unterscheidung hat die Rechtsprechung später nicht mehr stets aufgegriffen (BGHSt 33, 303; BVerwG NJW 1988, 1339). Es versteht sich nicht von selbst, daß sie auf die Mitwirkungsgrundsätze nach § 21g Abs. 2 GVG übertragen werden müßte.

b) Indessen sind die Sachen deswegen nicht dem vorlegenden Senat zurückzugeben.

Zwar ist die Entscheidungserheblichkeit der gestellten Frage Zulässigkeitsvoraussetzung jeder Vorlage (GemSenat BGHZ 88, 353, 357; BGHSt 33, 356, 359; May DRiZ 1983, 305, 309). Was entscheidungserheblich ist, bestimmt aber grundsätzlich der vorlegende Senat. Der Bundesgerichtshof setzt bei Vorlagen anderer Gerichte (vgl. § 121 Abs. 2 GVG, § 79 Abs. 3 OWiG, § 29 EGGVG, § 28 Abs. 2 FGG, § 79 Abs. 2 GBO) voraus, daß es vom Standpunkt des vorlegenden Gerichts aus für die Entscheidung auf die streitige Rechtsfrage ankommt (BGHZ 112,´127, 129; 117, 217, 221; BGHSt 33, 183, 186).

Der vorlegende Senat hat zur Erläuterung der zweiten vorgelegten Rechtsfrage ausgeführt, daß er Unzulänglichkeiten von Mitwirkungsgrundsätzen nach § 21g Abs. 2 GVG in einem weiten Umfang als revisibel und damit als Wiederaufnahmegrund gemäß § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO betrachtet. Das reicht hier aus.

III.

In der Sache selbst vermögen die Vereinigten Großen Senate der Ansicht des vorlegenden Senates nicht uneingeschränkt zu folgen. Nach ihrer Auffassung entsprach die vom vorlegenden Senat beanstandete Handhabung des § 21g Abs. 2 GVG durch Zivilsenate des Bundesgerichtshofes dem bisherigen Verständnis des Gesetzes. Sie stimmen mit dem vorlegenden Senat allerdings im Ergebnis darin überein, daß die Rechtsprechung der Präzisierung und Weiterentwicklung bedarf.

1. Für die Auslegung des § 21g Abs. 2 GVG sind folgende Gesichtspunkte zu berücksichtigen.

a) § 21g GVG regelt in seinem ersten Absatz, daß innerhalb des mit mehreren Richtern besetzten Spruchkörpers der Vorsitzende die Geschäfte auf die Mitglieder verteilt. Gemäß Absatz 2 der Vorschrift hat dieser ferner vor Beginn des Geschäftsjahres für dessen Dauer zu bestimmen, nach welchen Grundsätzen die Mitglieder an den Verfahren mitwirken; die Anordnung kann nur geändert werden, wenn dies wegen Überlastung, ungenügender Auslastung, Wechsels oder dauernder Verhinderung einzelner Mitglieder des Spruchkörpers nötig wird.

Während Absatz 1 für alle mit mehreren Richtern besetzten Spruchkörper gilt und insbesondere die Bestellung des Berichterstatters betrifft, hat Absatz 2 Bedeutung für die sog. überbesetzten Spruchkörper, also für Kammern und Senate, denen eine über die jeweilige Spruchbesetzung hinausgehende Zahl von Richtern zugewiesen ist. Deren Mitwirkung an den Verfahren hat der Vorsitzende durch Grundsätze zu regeln.

b) Was das Gesetz mit dem Begriff "Grundsätze" meint, erläutert es nicht. Im allgemeinen Sprachgebrauch hat das Wort Grundsatz verschiedene Bedeutungen. Es bezeichnet einmal eine feste Regel, die jemand zur Richtschnur seines Handelns macht, zum anderen das allgemeingültige Prinzip, das Grundprinzip, welches einer Sache zugrunde liegt (Duden, Wörterbuch der deutschen Sprache Bd. 3 1977 S. 1096). Vielfach wird mit dem Wort "Grundsatz" oder "grundsätzlich" die Vorstellung verbunden, daß der Grundsatz noch näherer Ausfüllung bedarf und im Einzelfall gewissen Spielraum läßt. Auch die Rechtssprache verwendet es nicht in einem einheitlichen Sinne. So sind z.B. die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums (Art. 33 Abs. 5 GG) der überlieferte "Kernbestand von Strukturprinzipien" der Institution Berufsbeamtentum (BVerfGE 8, 332, 343; 64, 323, 351). Die "Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung" (§ 238 Abs. 1 HGB) hingegen sind die Regeln, nach denen der Kaufmann zu verfahren hat, um zu einer dem gesetzlichen Zweck entsprechenden Bilanz zu gelangen (BFHE 95, 31, 34); nach verbreiteter Meinung handelt es sich um Rechtsnormen, die ggf. durch Richterspruch zu konkretisieren sind (Hüffer in Staub HGB 4. Aufl. 1988 § 238 Rdn. 36 ff, 43). Öffentliche Körperschaften wiederum haben bei Aufstellung und Ausführung des Haushaltsplans die "Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit" zu beachten (§ 7 BHO). Einen ähnlichen Rückgriff auf allgemeine wirtschaftliche Handlungsmaximen enthalten § 1365 Abs. 2, §§ 1642, 1811 BGB, wo auf die "Grundsätze ordnungsmäßiger Verwaltung" und die "Grundsätze wirtschaftlicher Vermögensverwaltung" abgehoben ist.

Der nur kursorische Überblick ergibt, daß eine abschließende Ermittlung des Bedeutungsgehalts des § 21g Abs. 2 GVG allein an Hand einer Wortinterpretation nicht möglich ist. Nach seinem allgemeinen Wortsinn hat er einerseits eine über den Rahmen einer unverbindlichen Richtlinie hinausgehende Vorausbestimmung zum Inhalt, verlangt andererseits aber auch keine völlig lückenlose Regelung und schließt die Möglichkeit einer Abweichung im Einzelfall aus besonderen Gründen nicht von vornherein aus.

c) Einen gewissen Aufschluß vermittelt die Entstehungsgeschichte der Vorschrift, die auf die Verwaltungsgerichtsordnung in ihrer ursprünglichen Fassung zurückgeht.

aa) Der Bundestag hatte beschlossen, § 8 VwGO wie folgt zu fassen: "Innerhalb der Kammer verteilt der Vorsitzende die Geschäfte auf die einzelnen Richter. Er bestimmt vor Beginn des Geschäftsjahres für dessen Dauer die Reihenfolge, in welcher die Mitglieder an den Sitzungen teilnehmen; diese Anordnung kann nur geändert werden, wenn dies wegen notwendiger außerordentlicher Sitzungen oder infolge Wechsels oder Verhinderung einzelner Mitglieder der Kammer erforderlich wird." Zur Begründung war ausgeführt, es sei ein besonderes Anliegen des Rechtsausschusses gewesen, die Besetzung der Richterbank für den Einzelfall von Zufällen unabhängig zu machen und bei Überbesetzung mit Richtern eine gesetzliche Regelung darüber vorzusehen, welche Richter bei jeder Sache mitzuwirken haben. Damit solle Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG Genüge getan werden (Schriftl. Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages, 3. Wahlp. Drucks. 1094 S. 3).

Der Bundesrat rief den Vermittlungsausschuß mit dem Ziel an, den zweiten Satz der Vorschrift zu streichen. Er war der Auffassung, dieser Satz sei aus rechtlichen Gründen nicht erforderlich und nicht praktikabel (Bundestagsdrucks. 3. Wahlp. 1456). Auf Vorschlag des Vermittlungsausschusses erhielt § 8 VwGO die Fassung, die sachlich in § 21g GVG geltendes Recht ist (Verwaltungsgerichtsordnung vom 21. Januar 1960, BGBl. I S. 17). In das Gerichtsverfassungsgesetz wurde die Regelung als § 69 durch das Strafprozeßänderungsgesetz 1964 (Gesetz vom 19. Dezember 1964, BGBl. I S. 1067) übernommen; ihren heutigen Standort erhielt sie durch das Gesetz zur Änderung der Amtsbezeichnungen der Richter und der Präsidialverfassung der Gerichte vom 26. Mai 1972 (BGBl. I S. 841).

Auch gegen diese Gesetzesbeschlüsse des Deutschen Bundestages hat der Bundesrat den Vermittlungsausschuß angerufen; er konnte sich mit seinem Begehren nach Streichung aber in beiden Fällen nicht durchsetzen (Bundestags-Drucksachen IV/2699; VI/3246).

bb) Anläßlich der Verabschiedung der Verwaltungsgerichtsordnung erklärte der Berichterstatter des Vermittlungsausschusses im Bundestag, das Merkmal der Gesetzlichkeit des Richters gebiete es, daß im Falle der Überbesetzung des Spruchkörpers der Vorsitzende an Stelle des Präsidiums und in entsprechender Weise wie das Präsidium im voraus allgemeine Grundsätze aufstelle, die eine normative Bestimmbarkeit der zur Mitwirkung berufenen Richter gewährleisten (Deutscher Bundestag, 3. Wahlp., 94. Sitzung am 11.12.1959, Stenogr. Berichte S. 5185). Der Berichterstatter des Vermittlungsausschusses im Bundesrat führte aus, nach der beschlossenen Formulierung habe der Vorsitzende lediglich die allgemeinen Grundsätze festzulegen, nach denen die einzelnen Mitglieder zu den Sitzungen herangezogen werden sollen. Diese Regelung gebe der Vorschrift die notwendige Elastizität. Andererseits sei in ausreichendem Maße vorhersehbar, welcher Richter im einzelnen Fall mitwirkt (Bundesrat, 213. Sitzung am 18.12.1959, Stenogr. Berichte S. 246).

Anläßlich der Verabschiedung des Gesetzes zur Änderung der Amtsbezeichnungen der Richter und der Präsidialverfassung der Gerichte äußerte der Berichterstatter des Vermittlungsausschusses im Bundestag und Bundesrat, der Grundsatz des gesetzlichen Richters fordere bei überbesetzten Spruchkörpern, daß der Vorsitzende in abstrakter Weise vor Beginn des Geschäftsjahres festlegt, wie die Richterbank im konkreten Fall auszusehen hat (Deutscher Bundestag, 6. Wahlp., 178. Sitzung am 16.3.1972, Stenogr. Berichte S. 10326; Nachw. auch bei Sangmeister BB 1993, 761).

cc) Die Gesetzesgeschichte gestattet gewisse Schlußfolgerungen aus der Änderung des Wortlauts, welche der Vermittlungsausschuß zu § 8 VwGO beschlossen hat. Der Vorsitzende ist nicht gehalten, eine starre Regelung durch die Festlegung einer Reihenfolge der mitwirkenden Richter zu treffen. Auch nach der strengsten Auffassung genügt die "normative Bestimmbarkeit" der im Einzelfall berufenen Richter. Zumindest über die Bewertung der neuen gesetzlichen Regelung herrschten bei der damaligen Beschlußfassung im Vermittlungsausschuß offenbar unterschiedliche Vorstellungen, die auch in den Erklärungen der Berichterstatter zum Ausdruck kamen. Während der Berichterstatter im Bundestag vor allem an die Gewährleistung des gesetzlichen Richters anknüpfte und Vergleiche zu den Aufgaben des Präsidiums zog, legte der Berichterstatter im Bundesrat die Betonung darauf, daß nur "allgemeine" Grundsätze gefordert seien, welche der Regelung die notwendige Elastizität verschaffen. Die grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten über den Sinn der Vorschrift ließen sich in der Folgezeit nicht ausräumen, wie aus dem ungewöhnlichen Vorgang ersichtlich wird, daß der Bundesrat wegen derselben Vorschrift noch zwei weitere Male den Vermittlungsausschuß anrief.

d) Maßstäbe für den notwendigen Inhalt der Mitwirkungsgrundsätze ergeben sich aus deren Wesen und Funktion.

aa) § 21g Abs. 2 GVG hat das Ziel zu verhindern, daß der Vorsitzende die mitwirkenden Richter für das einzelne Verfahren aussucht und so die Zusammensetzung des Spruchkörpers bestimmt. Dieses Verbot kann sich auf das sachliche Ergebnis in verschiedener Weise auswirken; seine Befolgung führt nicht zwangsläufig zu einem potentiell richtigeren Urteil. Ihrem Wesen nach ist die Bestimmung vielmehr Teil des Regelwerks, welches das Vertrauen der Rechtsuchenden und der Öffentlichkeit in eine nach allen Seiten unabhängige, unparteiische und von sachfremden Einflüssen freie Rechtsprechung sichert. Dies kommt auch darin zum Ausdruck, daß das Gesetz die Befugnis des Vorsitzenden zur Abänderung der Mitwirkungsgrundsätze während des Geschäftsjahres einschränkt und an dieselben Voraussetzungen knüpft, die für die Abänderung des gerichtlichen Geschäftsverteilungsplans gelten. Aus diesem Umstand lassen sich zwar keine Schlüsse auf den notwendigen Inhalt der Grundsätze ziehen (a.A. Schlothauer StV 1993, 147, 149); das Ausmaß der Abänderungsbefugnis besagt schon beim Geschäftsverteilungsplan nichts über die an ihn zu stellenden inhaltlichen Anforderungen und rechtfertigt im Rahmen des § 21g Abs. 2 GVG keine weiterreichenden Folgerungen. Aber die Regelung verstärkt das Element der Vorhersehbarkeit bei der Besetzung der Richterbank und dient damit dem Vertrauen in die Rechtspflege.

Daraus ergeben sich Verbindungen zur Gewährleistung des gesetzlichen Richters in Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Das Bundesverfassungsgericht hat ausgesprochen, daß § 21g Abs. 2 GVG über das verfassungsrechtlich Gebotene hinausgeht und eine zusätzliche Sicherung gegen sachfremde Einflüsse darstellt (BVerfGE 18, 344, 352; 22, 282, 286; 69, 112, 120; BVerfG DRiZ 1970, 269). Es hat zugleich betont, daß die Vorschrift durchaus der Tendenz des Grundgesetzes entspricht (BVerfGE 18, 344, 352). Sie ist im Licht der Verfassung zu betrachten. Die Mitwirkungsgrundsätze sind nicht als unverbindlicher Rahmen oder als bloße Ermessensrichtlinie anzusehen; verlangt sind bindende Regelungen. Andererseits wäre ein gewisses Maß an Unbestimmtheit auch bei rein verfassungsrechtlicher Betrachtung unbedenklich (BVerfGE 82, 286, 301; BGHSt 21, 40, 43; BGH NJW 1965, 875, 876). Weitergehende Auffassungen des Schrifttums, die die in § 21g Abs. 2 GVG vorgeschriebenen Mitwirkungsgrundsätze als Teil der verfassungsrechtlich gebotenen Gewährleistung des gesetzlichen Richters betrachten, gehen hiernach von unzutreffenden Voraussetzungen aus.

bb) Daher besagt die Berücksichtigung des Verfassungsrechts auch nicht, daß die Mitwirkungsgrundsätze ohne weiteres dem Vorbild des gerichtlichen Geschäftsverteilungsplans zu folgen hätten. Die vom Präsidium bei der Aufstellung des Geschäftsverteilungsplans zu beachtenden Gesichtspunkte können gänzlich anderer Natur sein als die Probleme, denen der Vorsitzende bei der Organisation der Rechtsprechung seines Spruchkörpers begegnet. Deshalb müssen die Absätze 1 und 2 des § 21g GVG in ihrem Zusammenhang gesehen werden.

§ 21g Abs. 1 GVG, wonach der Vorsitzende die Geschäfte auf die Mitglieder des Spruchkörpers verteilt, stellt nicht eine bloße Kompetenzzuweisung dar. Er enthält zugleich den Auftrag darauf hinzuwirken, daß die Arbeit im Spruchkörper geordnet, stetig und sinnvoll abläuft und daß dabei auch den Besonderheiten jeder Sache Rechnung getragen wird (BGHSt 21, 40, 43; 250, 254; BGH NJW 1965, 875, 876). Daraus erhellt der Wille des Gesetzes, die inhaltlichen Anforderungen an die Mitwirkungsgrundsätze nicht dergestalt zu überspannen, daß ihre Anwendung in der Praxis mit dem Gebot sachgerechter Erledigung der Geschäfte nicht mehr zu vereinbaren ist.

Die Anforderungen, die sich hieraus ergeben, können in den Spruchkörpern sehrverschieden sein. Sie hängen insbesondere von Art, Inhalt, Zahl, unterschiedlicher Größe und Schwierigkeit der anfallenden Sachen, der Zahl der erforderlichen Sitzungstage und von der Größe des Spruchkörpers ab. Die Auslegung des § 21g Abs. 2 GVG muß auf diese Verschiedenartigkeiten Bedacht nehmen, und zwar auf die unterschiedlichen Verhältnisse sowohl der Zivil- und Strafsenate des Bundesgerichtshofes wie auch auf die Verhältnisse bei den anderen Gerichten aller Ebenen und Gerichtszweige. So verlangt in Verfahren vor der großen Strafkammer des Landgerichts die Organisation einer Hauptverhandlung heute oftmals die Beachtung einer Vielzahl von Gesichtspunkten. In Großverfahren ist schon der Zeitbedarf für das Aktenstudium selten zuverlässig abschätzbar. In allen Sachen bedarf es regelmäßig einer Terminsabsprache mit Verteidigern und Sachverständigen. Sind, wie dies häufig der Fall ist, Zeugen im Ausland zu laden oder von dort herbeizuschaffen, muß der Vorsitzende die Zeitspanne für die Erledigung der Rechtshilfeersuchen und den Rücklauf der Ladungsnachweise berücksichtigen. Während des Laufs einer länger andauernden Hauptverhandlung hat er auf die Erledigung der anderen Geschäfte der Kammer Bedacht zu nehmen und die Kammermitglieder, z.B. in Haftsachen, mitunter auch kurzfristig heranzuziehen. Einbuße an Flexibilität bedeutet hier Einbuße an Effektivität.

Die Mitwirkungsgrundsätze müssen hiernach zwei Ziele in sich vereinigen. Sie sollen gewährleisten, daß die Zusammensetzung der Richterbank ausreichend vorherbestimmt ist, darüber hinaus aber auch die Rechtsprechungstätigkeit des Spruchkörpers reibungslos und effektiv gestalten. Die beiden Ziele sind nicht deckungsgleich und können einander widerstreiten. Indessen werden sich bei zweckentsprechender Gestaltung der Mitwirkungsgrundsätze die Schwierigkeiten in Grenzen halten lassen.

2. Unter Berücksichtigung der vorstehend dargestellten Gesichtspunkte sind die Anforderungen, die § 21g Abs. 2 GVG an den Inhalt der Mitwirkungsgrundsätze stellt, nach Auffassung der Vereinigten Großen Senate wie folgt zu bestimmen.

Erforderlich und genügend ist, daß die Mitwirkungsgrundsätze mit abstrakten Merkmalen regeln, welche Richter an der Entscheidung mitzuwirken haben. Sie müssen - nach Maßgabe der folgenden Ausführungen - ein System in der Weise ergeben, daß die Besetzung des Spruchkörpers bei der einzelnen Entscheidung aus ihnen ableitbar ist und Ermessensentscheidungen des Vorsitzenden im Regelfall entbehrlich sind. Weiteres fordert das Gesetz nicht. Vielmehr steht es dem Vorsitzenden im übrigen frei, die nach den Verhältnissen seines Spruchkörpers am geeignetsten erscheinende Methode zur Bewältigung des Geschäftsanfalls zu wählen.

a) Für die Bestimmung, welche Richter an der Entscheidung mitzuwirken haben, sind verschiedene Systeme möglich.

Die Mitwirkungsgrundsätze können von vornherein die Verfahren nach feststehenden Merkmalen bestimmten Richtern (der Spruchgruppe) zuordnen. Diese Richter müssen dann an der einzelnen Entscheidung mitwirken.

Möglich ist es aber auch, daß der Vorsitzende zunächst bestimmt, welche Richter an bestimmten Sitzungstagen tätig werden. Die Terminierung der einzelnen Sache auf einen Sitzungstag bewirkt dann zugleich die Zuordnung dieser Sache zu der an jenem Tag tätig werdenden Spruchgruppe. In manchen Spruchkörpern wird dieses System als zweckmäßig erachtet, so u.a. dann, wenn die Mitglieder zu den Sitzungstagen anreisen müssen (z.B. in Kammern und Senaten für Baulandsachen, §§ 220, 229 BauGB, Richterdienstgerichten, § 77 DRiG, oder Berufsgerichten der Rechtsanwälte, § 102 Abs. 1 Satz 2 BRAO).

Es kann auch sachgerecht sein, wenn der Vorsitzende eine Regelung trifft, daß bestimmte Beisitzer, etwa wegen spezieller Kenntnisse und Erfahrungen, an Sachen teilnehmen, die ihren Schwerpunkt auf einem bestimmten Rechtsgebiet haben. Das hat sich beim Bundesgerichtshof in vielen Senaten bewährt.

Der Vorsitzende kann auch an die Bestellung des Berichterstatters anknüpfen. Die Bestellung des Berichterstatters zählt zu den Aufgaben, welche dem Vorsitzenden nach § 21g Abs. 1 GVG obliegen, sofern die Auswahl aus dem Kreis der Spruchgruppe erfolgt, die durch Mitwirkungsgrundsätze festgelegt ist. Wenn die Auswahl des Berichterstatters aber zugleich eine Bestimmung bewirkt, welcher oder welche Richter an der Sache mitzuwirken haben, gilt § 21g Abs. 2 GVG.

Bei jedem dieser Systeme muß der Vorsitzende durch Mitwirkungsgrundsätze gemäß § 21g Abs. 2 GVG sicherstellen, daß die Zusammensetzung der Spruchgruppe aus abstrakten Merkmalen ableitbar ist, also nicht offen bleibt, aus welchen Gründen gerade sie tätig wird. Dafür gibt es verschiedene Wege. Folgt die endgültige Zusammensetzung der Spruchgruppe erst aus der Terminsanberaumung, muß der Vorsitzende sich in dieser Frage binden; folgt sie aus der Bestellung des Berichterstatters, bedarf es einer Festlegung, nach welchen Kriterien er ausgewählt wird. Ergibt sich die Besetzung der Richterbank erst aus einem Zusammenspiel dieser beiden Kriterien, müssen sie beide abstrakt vorherbestimmt sein.

b) Nicht nur in der Wahl des Systems, sondern auch in seiner näheren Ausgestaltung läßt das Gesetz dem Vorsitzenden Gestaltungsfreiheit. Der Vorsitzende kann auch abstrakte Merkmale wählen, welche eine Wertung erforderlich machen. Wie das vom Gesetzgeber mit Bedacht gewählte Wort "Grundsätze" in § 21g Abs. 2 GVG ergibt, ist es ferner nicht ausgeschlossen, daß die Merkmale dem Vorsitzenden bei der Ausführung der Grundsätze einen gewissen Spielraum lassen. So wäre es unangemessen, Merkmale wie diejenigen des Sachzusammenhangs oder der Eilbedürftigkeit als ungeeignet von der Verwendung in Mitwirkungsgrundsätzen auszuschließen; sie sind ausreichend bestimmt. Daß sie die Richterbank in der einzelnen Sache nicht automatisch festlegen, sondern einen wertenden Zuweisungsakt des Vorsitzenden erfordern, der sich freilich an dem abstrakten Merkmal zu orientieren hat, nimmt ihnen ihre Eignung nicht. Merkmale dieser Art werden häufig, aber nicht ausschließlich, dazu verwandt, um Ausnahmen von den Festlegungen des generell gewählten Systems zu ermöglichen. Beim Bundesgerichtshof hat es sich als zweckmäßig erwiesen, rechtlich oder tatsächlich zusammenhängende Fälle möglichst bei einer Spruchgruppe oder einem Berichterstatter zusammenzufassen. Auf diese Weise können die entscheidenden Senatsmitglieder sich die notwendige Breite des Anschauungsmaterials verschaffen und leichter einen Überblick über die rechtlichen und tatsächlichen Folgen ihrer Entscheidung gewinnen. Sogenannte "Rückläufer" - Verfahren, die nach einer Revisionsentscheidung erneut zum Bundesgerichtshof gelangen - werden üblicherweise ebenso behandelt, weil die Bearbeitung einer bereits bekannten Sache einen geringeren Zeitaufwand erfordert.

Merkmale wie der Sachzusammenhang, eine frühere Befassung oder besondere Eilbedürftigkeit können allerdings auch miteinander konkurrieren. Bei einer solchen Sachlage macht die Zuordnung einer Sache zu einer bestimmten Richterbank im Einzelfall eine Abwägung durch den Vorsitzenden erforderlich. Dagegen ist nichts einzuwenden, soweit dies zur sachgerechten Erledigung erforderlich ist und das Ergebnis nicht einem ungebundenen Ermessen gleichkommt.

c) Möglich ist, daß sich das die Zuordnung begründende Kriterium erst im Laufe des Verfahrens verwirklicht. Daraus folgt, daß nicht schon bei Eingang der Sache festliegen muß, welche Richter an der Entscheidung mitzuwirken haben. Es genügt vielmehr, wenn sich ihre Person in dem Zeitpunkt aus den Grundsätzen ergibt, in dem sie tätig werden müssen. Dieser Zeitpunkt ist auch maßgebend, wenn der Spruchkörper mehrfach in derselben Sache tätig werden muß. Das Gesetz fordert nicht, daß die Zivilsenate des Bundesgerichtshofes etwa über das Gesuch um Prozeßkostenhilfe, über die Annahme der Revision und über die angenommene Revision stets in ein und derselben Besetzung entscheiden. Dies ist zwar erstrebenswert, auch deshalb, damit sich nicht mehr Senatsmitglieder in die Sache einarbeiten müssen als erforderlich. Aber rechtlich ist es nicht geboten, daß im Laufe eines Verfahrens stets dieselben Personen mitwirken; der von § 21 g Abs. 2 GVG geforderten Bestimmbarkeit ist genügt, wenn sich aus den Mitwirkungsgrundsätzen ergibt, welche Richter zur Mitwirkung an der jeweils zu treffenden Entscheidung berufen sind.

d) § 21g Abs. 2 GVG verlangt damit nicht die Aufstellung eines perfektionistischen Regelwerks, das ohnehin nie vollkommen wäre und in nicht vorherbedachten Einzelfällen der sachgerechten Lösung weichen müßte; geboten sind "Grundsätze". Das setzt lediglich voraus, daß Maßstäbe zur Sachbehandlung für die gewöhnlich vorkommenden und zu erwartenden Fallgestaltungen vorhanden sind. Im übrigen sind die herkömmlichen Methoden der Auslegung - gegebenenfalls der ergänzenden Auslegung - auch für die Mitwirkungsgrundsätze nach § 21g Abs. 2 GVG verwendbar, weil diese, beschränkt auf ihren Bereich, Bestimmungen allgemeinen Inhalts darstellen. Nicht ausgeschlossen ist hierbei, daß eine ständige Übung des Vorsitzenden Bedeutung für die Auslegung der Grundsätze erlangt. Erweist sich im Laufe des Geschäftsjahres, daß sie ausfüllungsbedürftige, aber durch Auslegung nicht zu schließende Lücken haben, so ist die Beseitigung solcher Unzulänglichkeiten zulässig, ohne daß die einschränkenden Voraussetzungen des § 21g Abs. 2, 2. Halbsatz GVG vorliegen müssen. Denn eine solche im Interesse der Rechtspflege liegende Ergänzung ist keine Änderung des vorhandenen Bestandes an Regeln, die nach dem Sinn der Vorschrift von der genannten Einschränkung erfaßt würde. Andererseits muß in die Grundsätze nicht aufgenommen werden, was vom Recht ohnehin geregelt oder nach den tatsächlichen Verhältnissen selbstverständlich ist. So kann der Rechtsbegriff der Verhinderung vorausgesetzt werden. Nicht ausgeschlossen ist schließlich, im Einzelfall aus einem bestimmten besonderen Grund von den Mitwirkungsgrundsätzen abzuweichen; das Urteil des 4. Strafsenats vom 13. Dezember 1979 (BGHSt 29, 162) wird von der Entscheidung der Vereinigten Großen Senate nicht berührt.

e) Nicht erforderlich ist, daß das gewählte System der Mitwirkungsgrundsätze ein nach den Verhältnissen des Spruchkörpers größtmögliches Maß an Vorherbestimmtheit bei der Zusammensetzung der Richterbank gewährleistet. Zwar wird in vielen Kammern und Senaten eine Spruchgruppenbildung an Hand starrer Merkmale wie Aktenzeichen, Anfangsbuchstaben oder Herkunft der Sache ohne Beeinträchtigung des Geschäftsganges durchführbar sein. Eine rechtliche Verpflichtung dazu besteht aber, wie dargelegt, nicht; sie ergibt sich auch nicht im Blick auf die Ausstrahlungen der Gewährleistung des gesetzlichen Richters in Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Daß nach dieser Verfassungsvorschrift der zur Entscheidung des Einzelfalls berufene Richter von vornherein so eindeutig wie möglich bestimmt sein soll (BVerfGE 18, 344, 349), ist eine allgemeine Anweisung an die mit Besetzungsfragen befaßten Justizorgane. Sie fordert nicht, für jeden einzelnen Spruchkörper zu untersuchen, welches die unter Bestimmtheitsgesichtspunkten am weitesten gehende Lösung wäre. Eine solche Forderung würde vielmehr die Beurteilung der Verhältnisse des Spruchkörpers durch den Vorsitzenden einer exzessiven nachträglichen Kontrolle unterwerfen und revisionsrechtlich eine schwer überschaubare Kasuistik nach sich ziehen. Weder das eine noch das andere fände eine Rechtfertigung in dem Zweck des § 21g Abs. 2 GVG. Denn der rechtsuchende Bürger wird in seinem Vertrauen in die Justiz nicht enttäuscht, wenn ihm die Maßnahmen des Vorsitzenden mit sachbezogenen Gründen erklärt werden können, die von den niedergelegten Grundsätzen gedeckt sind.

3. Nach bisheriger Auffassung, u.a. der Zivil- und Strafsenate des Bundesgerichtshofes, waren an die Mitwirkungsgrundsätze geringere Anforderungen zu stellen. Das ist für die Vergangenheit nicht zu beanstanden.

a) Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes hat nicht gefordert, daß der Vorsitzende sich in der Terminierung durch Grundsätze nach § 21g Abs. 2 GVG binden müsse, wenn davon die Zusammensetzung der Spruchgruppe beeinflußt wird. Auch in dem Urteil des 1. Strafsenats vom 15. Juni 1967 (BGHSt 21, 250) finden sich hierzu keine Ausführungen, obwohl der Sachverhalt solche nahegelegt hätte, wenn der Senat eine Bindung für rechtlich geboten erachtet hätte.

Diese Auffassung konnte sich u.a. darauf berufen, daß der Gesetzgeber mit dem Begriff der Grundsätze ein Wort gewählt hat, das nicht unbedingt eine abgeschlossene Regelung verlangt. In vielen Spruchkörpern wurde das seit langem überlieferte System angewandt, die Mitwirkung der Richter an bestimmten Sitzungstagen festzulegen; dabei hat man angenommen, daß es mit der Forderung nach Grundsätzen nicht unvereinbar sei, dem Vorsitzenden bei der Terminierung einen Raum zu lassen, den er nach pflichtgemäßem Ermessen ausfüllte. Dies fand eine zusätzliche Stütze in den Gesetzesvorschriften über die Heranziehung ehrenamtlicher Richter. So wird die Reihenfolge, in der die Schöffen an den einzelnen ordentlichen Sitzungen des Schöffengerichts und der Strafkammern des Landgerichts teilnehmen, durch Auslosung bestimmt (§§ 45, 77 GVG). Wann die Schöffen tätig werden, steht damit vor Beginn des Geschäftsjahres fest; in welchen Sachen dies geschieht, bestimmt der Vorsitzende durch die Terminierung. Der Generalbundesanwalt weist mit Recht auf entsprechende Regelungen in den anderen Gerichtszweigen hin.

Unzutreffend ist die Ansicht, der Vorsitzende kenne die Schöffen in der Regel nicht, daher gewinne die Mitwirkung ehrenamtlicher Richter im vorliegenden Zusammenhang kein Gewicht (Sangmeister JZ 1993, 943). Gerade Schöffen mit bestimmten, akzentuierten Auffassungen werden schnell bekannt. Im übrigen sah auch der Gesetzesbeschluß des Bundestages zu § 8 VwGO ursprünglich lediglich vor, daß der Vorsitzende die Reihenfolge bestimmen müsse, in welcher die Mitglieder des Spruchkörpers an den Sitzungen teilnehmen; eine Bindung in der Frage der Terminierung war nicht verlangt. Daß die Praxis diesen Gegebenheiten entnommen hat, das Gesetz fordere insoweit eine Selbstbindung des Vorsitzenden nicht, lag daher nicht fern. Für sie sprachen zwar keine rechtlich zwingenden, aber doch gewichtige, wenn auch aus heutiger Sicht nicht mehr ausreichende Argumente. Die langjährige Handhabung kann daher nicht als rechtsfehlerhaft bezeichnet werden. Vielmehr muß in rückschauender Betrachtung die Zuordnung der einzelnen Sache zu einer bestimmten Richterbank im Wege der Terminierung bereits dann als genügend angesehen werden, wenn sie nicht willkürlich, sondern in Ausübung pflichtgemäßen richterlichen Ermessens aus sachgerechten Gründen (insbes. z.B. Alter und Dringlichkeit der einzelnen Sachen, Spezialkenntnisse und Belastung der einzelnen Richter) erfolgte.

b) Gleiches gilt für die ähnliche Frage, ob der Vorsitzende sich in der Bestellung des Berichterstatters einer Bindung unterwerfen mußte, wenn er der Bestellung Einfluß auf die Zusammensetzung der Spruchgruppe in der einzelnen Sache einräumte. Die Berichterstatterbestellung fällt, wie dargelegt, grundsätzlich unter Absatz 1, nicht unter Absatz 2 des § 21g GVG. Die Erwägung, daß unter bestimmten Umständen auch Absatz 2 eingreifen könne, gewann erst in neuerer Zeit an Boden. Oberste Bundesgerichte haben die Frage unterschiedlich beantwortet (vgl. BVerwGE 24, 315, 317; BFHE 165, 492 einerseits, BVerwG NJW 1968, 811 andererseits).

c) Indessen hat sich die Rechtsordnung fortentwickelt, und die Anschauungen über die Bedeutung des förmlichen Rechts haben sich gewandelt. Der Gesichtspunkt, daß die Zusammensetzung der Richterbank hinreichend vorhersehbar sein müsse, hat an Gewicht gewonnen - auch im Spannungsverhältnis gegenüber der anderen Forderung, daß der Spruchkörper bei der Erledigung seiner Aufgaben möglichst effektiv und deshalb flexibel sein sollte. Dadurch hat sich das Verhältnis der ersten beiden Absätze des § 21g GVG zueinander verschoben. Der Forderung, daß auch nur entfernte Möglichkeiten einer manipulierten Auswahl der mitwirkenden Richter für eine bestimmte Sache ausgeschlossen werden sollten, wird heute mehr Gewicht beigemessen. Sie wird nicht mehr aufgewogen durch den Hinweis, daß der Gesetzgeber bei den Prozeßparteien ein Mindestmaß an Vertrauen in die Integrität der Rechtsprechung voraussetzen durfte (BVerfG DRiZ 1970, 269). Den veränderten Gewichtungen der verschiedenen Gesichtspunkte entspricht es, den Inhalt der Anforderungen an die Mitwirkungsgrundsätze neu zu bestimmen. Das bedeutet aber nicht, daß die hier behandelte Praxis im Nachhinein als rechtswidrig beanstandet werden muß.

4. Die Mitwirkungsgrundsätze müssen darüber hinaus in dem durch § 21g Abs. 2 GVG umrissenen Umfang künftig vollständig schriftlich abgefaßt und den Parteien zugänglich sein.

a) Daß die Rechtsprechung bisher davon abgesehen hat, für die Mitwirkungsgrundsätze des Vorsitzenden durchgehend die Schriftform zu verlangen, entsprach dem Gesetz. § 21g Abs. 2 GVG fordert sie nach seinem Wortlaut nicht. Zwar war es der ausdrücklich geäußerte Wille des Vermittlungsausschusses bei der Verabschiedung der Verwaltungsgerichtsordnung, daß die Mitwirkungsgrundsätze den Prozeßbeteiligten ebenso zur Einsicht zur Verfügung stehen müßten wie der Geschäftsverteilungsplan des Gerichts (Mündl. Bericht des Berichterstatters, Deutscher Bundestag 3. Wahlp., 94. Sitzung am 11.12.1959, Stenogr. Berichte S. 5185). Diese Erwartung konnte mangels eines Anhalts im Wortlaut der Bestimmung aber keine rechtliche Verbindlichkeit entfalten. Sie erscheint auch nicht zwingend, da sich die Prozeßbeteiligten durch mündliche oder schriftliche Auskünfte des Gerichts Gewißheit über den Inhalt der Grundsätze verschaffen konnten.

Entgegen der Ansicht des vorlegenden Senats kann es somit für die Beurteilung von Bedeutung sein, ob der Vorsitzende des I. Zivilsenats des Bundesgerichtshofes in anderer Weise als allein durch die schriftlich abgefaßten Mitwirkungsgrundsätze gebunden war. Waren formfreie Anordnungen beachtlich, so konnten sie auch konkludent getroffen werden.

b) Auch was das Formerfordernis anbelangt, ist jedoch durch veränderte Gewichtungen der einschlägigen Gesichtspunkte eine Rechtsfortentwicklung eingetreten. Die Grundsätze müssen ein System bilden, dessen einzelne Merkmale nicht isoliert voneinander gesehen werden können. Diese sind gleichwertig. Das legt es nahe, nicht nach Regelungen, welche schriftlich niedergelegt sein müssen, und anderen zu unterscheiden. Der Funktion der Vorschrift wird besser entsprochen, wenn Vorsorge getroffen ist für die umfassende und zuverlässige Unterrichtung der Prozeßbeteiligten, die jederzeit erbeten werden kann. Das setzt voraus, daß die Grundsätze schriftlich fixiert und zur Einsicht vorrätig gehalten werden. Das entspricht auch dem Anliegen, daß es nicht um konkret festgestellte oder befürchtete Manipulationen, sondern darum geht, von vornherein jeden Verdacht einer möglichen Manipulation zu vermeiden.

IV.

1. Die Vereinigten Großen Senate beantworten die erste Vorlegungsfrage daher wie aus der Beschlußformel ersichtlich. Soweit mit der Antwort eine Änderung der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes verbunden ist, wird sie bei der Aufstellung der Mitwirkungsgrundsätze für das kommende Geschäftsjahr zu beachten sein; bis dahin verbleibt eine Übergangszeit (vgl. BGHSt 33, 303, 306; 39, 121, 125; BGHZ 71, 353, 357; 114, 127, 137).

2. Von einer Beantwortung der zweiten vorgelegten Frage sehen die Vereinigten Großen Senate ab, da die Bedingung, unter der sie gestellt war, nicht eingetreten ist.

3. Einer Vorlage an den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes bedarf es nicht. Soweit die Ausführungen dieses Beschlusses von der Rechtsansicht des Bundesfinanzhofes abweichen (BFHE 165, 492), erübrigt sich eine Vorlage, weil bei der Beurteilung in der Vergangenheit liegender Fälle kein Widerspruch besteht. Die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. Juli 1966 (BVerwGE 24, 315) und vom 8. November 1967 (NJW 1968, 811) sind vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Juni 1968 (BGBl. I S. 661) ergangen und führen aus diesem Grunde nicht zu einer Vorlagepflicht (BFHE 165, 569, 576; BVerwGE 66, 359).

Externe Fundstellen: BGHSt 40, 168; NJW 1994, 1735; NStZ 1994, 443; StV 1994, 416

Bearbeiter: Rocco Beck