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HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 128

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 236/15, Urteil v. 15.12.2015, HRRS 2016 Nr. 128


BGH 1 StR 236/15 - Urteil vom 15. Dezember 2015 (LG Deggendorf)

Tatrichterliche Beweiswürdigung (Grenzen der Revisibilität).

§ 261 StPO

Entscheidungstenor

1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Deggendorf vom 26. Februar 2015 wird verworfen.

2. Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Gewährung einer Entschädigung des Angeklagten für in dieser Sache erlittene Strafverfolgungsmaßnahmen wird als unbegründet verworfen.

3. Die Staatskasse hat die Kosten der Rechtsmittel und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, jeweils als Bandenmitglied handelnd, freigesprochen. Dagegen wendet sich die Revision der Staatsanwaltschaft, die - gestützt auf eine Verfahrensrüge sowie die Rüge der Verletzung materiellen Rechts - in erster Linie die Beweiswürdigung der Strafkammer angreift. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.

Die Anklage hatte dem Angeklagten vorgeworfen, er habe im Zeitraum von Jahresende 2011 bis zum 4. Juli 2013 in sechs Fällen Betäubungsmittel verkauft, indem er MDMA, Kokain, Amphetamin, Heroin und Cannabis aus den Niederlanden nach Deutschland einführte und dann mittels Paketpost dem Zeugen F. übersandte, welcher im Gegenzug ebenfalls per Paketpost den Kaufpreis in Banknoten an DHL-Paketstationen in E. und K. geschickt habe, wo diese dann vom Angeklagten oder dessen Beauftragten abgeholt worden seien. Die hierzu erforderliche Kommunikation sei entweder über eine Internetplattform oder den Kommunikationsdienst WhatsApp geführt worden. Bei den vom Angeklagten gelieferten Betäubungsmitteln habe es sich um insgesamt 6 kg MDMA mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 10 % MDMA-Base, 5 kg Haschisch mit einer Gesamtwirkstoffmenge von mindestens 150 g THC, 850 g Kokain mit einem Wirkstoffgehalt von 50 % Cocainhydrochlorid, 300 g Heroin mit einem Wirkstoffgehalt von 10 % Heroinhydrochlorid sowie 8 kg Amphetamin mit einem Wirkstoffgehalt von 15 % Amphetaminbase gehandelt. Des Weiteren habe der Angeklagte noch weitere Betäubungsmittel im Bereich von mehreren Kilogramm an unterschiedliche Abnehmer verkauft, wobei Bestellungen und Lieferungen jeweils über den Zeugen F. erfolgt seien.

II.

Das Landgericht hat sich nicht von der Täterschaft des Angeklagten hinsichtlich der ihm vorgeworfenen Straftaten zu überzeugen vermocht und ihn daher aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Zu den ihm zur Last gelegten Taten hat es folgende Feststellungen getroffen:

Der anderweitig verfolgte deutsche Staatsangehörige F. betrieb seit 2011 über die Internetplattform „Silkroad“ unter dem Account „Pfandleiher“ und später unter dem Account „Pfandleiher reloaded“ einen zunehmend florierenden Handel mit Betäubungsmitteln. Auf seine Veranlassung hin ließ sich seine Lebensgefährtin D. im April 2012 bei der Firma DHL als Kundin registrieren und eine DHL-Kundenkarte zuteilen. Mit dieser Karte sowie einer - im Einzelfall vom Transportunternehmen DHL auf ein Mobiltelefon des Kunden per SMS übermittelten - Transaktionsnummer (TAN) ist es möglich, Paketsendungen an beliebige Paketstationen / Packstationen im Bundesgebiet zu versenden bzw. von dort abzuholen. Die genannte Karte überließ D. in der Folge ihrem Lebensgefährten F. Auf dessen Veranlassung hin teilte sie die in der Folge wiederholt eingegangenen TAN über WhatsApp an niederländische Mobilfunknummern mit, deren Anschlussinhaber nicht näher bekannt sind. F. verfügte zudem über eine eigene DHL-Kundenkarte.

Am 9. Januar 2013 wurde von den Ermittlungsbehörden in E. ein Paket mit etwa 7 kg Amphetamin mit einer Wirkstoffmenge von 1.075 g Amphetaminbase sichergestellt. Dieses Paket war an F., Packstation Fr., adressiert. Da die Kundennummer des Empfängers nicht - wie zwingend erforderlich - angegeben war, ging das Paket an den angeblichen Absender S. in E. zurück, der jedoch von nichts wusste und sich schließlich an die Polizei wandte.

Am 4. März 2013 wurde eine an D. adressierte Paketsendung, Absender unbekannt, an der Packstation in E. von drei nicht näher bekannten Personen abgeholt. Die Personen benutzten den auf den Angeklagten zugelassenen PKW Audi A5 mit dem niederländischen Kennzeichen , mit dem sie das Paket anschließend in die Niederlande verbrachten. Den genannten PKW hatte der Angeklagte im September 2012 vom anderweitig verfolgten W. erworben, wobei offen ist, ob dies in einem Zusammenhang mit Betäubungsmittelgeschäften stand.

Noch im März 2013 wurde ein weiteres - an D. adressiertes - Paket unbekannten Inhalts von nicht näher bekannten Personen von der Packstation in E. abgeholt.

Am 4. April 2014 wurde ein Paket des anderweitig verfolgten Absenders W. von den Ermittlungsbehörden in E. im Rahmen einer durchgeführten Postbeschlagnahme sichergestellt. In dem Paket, das ebenfalls an D., Packstation in E., adressiert war, befanden sich 100.500 EUR in bar.

Am 11. April 2013 wurde ein weiteres an D., Packstation in E., adressiertes Paket des W. von den Ermittlungsbehörden angehalten. In dem Paket befanden sich 60.000 EUR in bar. Das Paket wurde schließlich wieder verschlossen in die Packstation eingelegt, die in der Folge überwacht wurde. Noch am gleichen Tag wurde das Paket von einer männlichen Person aus der Packstation entnommen und zu einem PKW Toyota mit niederländischem Kennzeichen gebracht. Der Abholer fuhr daraufhin mit seinem Fahrzeug eine Schleife und begab sich zu einem Parkplatz, an dem ein Geländewagen KIA Sportage mit ebenfalls niederländischem Kennzeichen stand. Dort übergab der Fahrer des Toyota an die beiden Insassen des KIA das Paket. Sodann fuhren beide Fahrzeuge nach A. (NL), wo sie zwei Adressen ansteuerten, die in keinem ersichtlichen Zusammenhang zum Angeklagten stehen.

Am 9. Mai 2013 wurde durch polizeiliche Observationsmaßnahmen festgestellt, dass sich der anderweitig verfolgte L., der in Begleitung einer weiblichen Person war, auf dem Bahnhofsvorplatz in E. mit den nicht näher bekannten Insassen des auf den Angeklagten zugelassenen PKW Audi A5 traf. Bei einer später durchgeführten Fahrzeugkontrolle bei L. wurde ein leeres Paket aufgefunden, das an L. adressiert war und als Absender den Namen der Mutter des anderweitig verfolgten W. nannte.

Am 23. Mai 2013 wurde ein weiteres Paket mit 10 kg Amphetamin mit einer Wirkstoffmenge von 2.014,8 g Amphetaminbase durch die Ermittlungsbehörden angehalten. Das Paket war von (einer) nicht näher bekannten Person(en) in der Nähe der niederländischen Grenze aufgegeben worden. Es war an D., Packstation in B., adressiert. Das Paket wurde durch Falschware befüllt und wieder verschlossen der Packstation in B. zugeführt, die in der Folge polizeilich observiert wurde. Am 24. Mai 2013 öffneten die anderweitig verfolgten T. und X. mit Hilfe der DHL-Kundenkarte der D. und der TAN-Nummer die Packstation, entnahmen das Paket und verstauten dieses im Kofferraum ihres PKWs. Die beiden Personen wurden daraufhin festgenommen. Das Fahrzeug des X. war auf die Lebensgefährtin des H. zugelassen, bei der es sich um die Cousine des X. handeln soll. Zu den möglichen Hinterleuten des X. und des T. bestehen keine näheren Erkenntnisse.

Das Landgericht vermochte hinsichtlich der festgestellten Sachverhalte sowie der im Tatumfang darüber hinausgehenden Anklagevorwürfe sich nicht davon zu überzeugen, dass der Angeklagte in konkret feststellbaren Fällen in einen Betäubungsmittelhandel involviert war. Die Kammer sah sich auch im Übrigen nicht in der Lage, zu den Anklagevorwürfen weitere Feststellungen objektiver Art zu treffen, aus welchen sich eine unerlaubte Einfuhr von Betäubungsmitteln durch den Angeklagten nach Deutschland oder seine Täterschaft oder Beteiligung in Bezug auf unerlaubte Betäubungsmittelgeschäfte innerhalb Deutschlands ergab.

III.

Die Verfahrensrüge, mit der die Staatsanwaltschaft die mangelhafte Ablehnung eines Beweisantrags rügt, dringt nicht durch. Sie ist nicht in einer § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO entsprechenden Weise ausgeführt.

1. Folgendes Verfahrensgeschehen liegt dem zugrunde:

In der Sitzung vom 26. Februar 2015 hatte die Staatsanwaltschaft den Antrag gestellt, den Vorsitzenden der Strafkammer zu hören, vor welcher das Strafverfahren gegen den Zeugen F. durchgeführt wurde, zum Beweis der Tatsache, dass der Zeuge in seinem Strafverfahren Käufe von Betäubungsmitteln beim Angeklagten eingeräumt habe. Diesen Beweisantrag hat das Landgericht als für die Entscheidung ohne Bedeutung abgelehnt und sich darauf gestützt, dass aus der unter Beweis gestellten Tatsache mehrere Schlüsse gezogen werden könnten und die Strafkammer nach dem Ergebnis der bislang durchgeführten Beweiserhebungen nicht gewillt sei, den Schluss zu ziehen, der Angeklagte habe dem Zeugen Betäubungsmittel verkauft.

2. Unter den maßgeblichen Umständen des konkreten Einzelfalles ist die erhobene Rüge nicht in einer § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden Weise ausgeführt, weil bei der Begründung der Verfahrensrüge in Bezug genommene Aktenstellen nicht mitgeteilt werden, so dass der Senat allein unter Heranziehung der Revisionsschrift und ohne Rückgriff auf die Akten nicht prüfen kann, ob der geltend gemachte Verfahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen bewiesen werden (vgl. Senat, Beschlüsse vom 8. Januar 2013 - 1 StR 602/12, NStZ 2013, 672 und vom 11. März 2014 - 1 StR 711/13, NStZ 2014, 532 f. jeweils mwN).

IV.

Der angefochtene Freispruch hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung noch stand.

1. Die Beweiswürdigung ist dem Tatgericht vorbehalten (§ 261 StPO). Spricht das Tatgericht einen Angeklagten frei, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies vom Revisionsgericht grundsätzlich hinzunehmen, da die Beweiswürdigung Sache des Tatgerichts ist. Der Beurteilung durch das Revisionsgericht unterliegt nur, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, wenn sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder das Gericht überspannte Anforderungen an die Überzeugungsbildung gestellt hat (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 10. Dezember 2014 - 5 StR 136/14 mwN). Dabei hat das Revisionsgericht die tatrichterliche Überzeugungsbildung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013 - 4 StR 371/13, NStZ-RR 2014, 87; Sander in LR-StPO, 26. Aufl., § 261 Rn. 182 mwN).

Daran gemessen ist die Beweiswürdigung nicht durchgreifend rechtsfehlerhaft. Entgegen der Ansicht der der Revision beigetretenen Generalstaatsanwaltschaft in München hat das Landgericht die erforderliche Gesamtwürdigung der be- und entlastenden Umstände in den tatgegenständlichen Fällen vorgenommen und sich mit den erhobenen Beweisergebnissen auseinandergesetzt. Die Schlussfolgerungen und Wertungen des Landgerichts entsprechen den möglichen Feststellungen, lassen insoweit keine Rechtsfehler erkennen und halten sich im tatgerichtlichen Beurteilungsspielraum.

Soweit die Revision eine detaillierte Darstellung der den Angeklagten belastenden Aussage des Zeugen F. vermisst, ist dies noch hinreichend durch die Bezugnahme auf den im Urteil wiedergegebenen und auf dessen Aussage beruhenden Anklagesatz gewährleistet. Hinzu kommt, dass die polizeiliche Aussage des Zeugen F. ebenso wie dessen Einlassung in seinem eigenen Strafverfahren schon deshalb durch die Strafkammer einer kritischen Würdigung unterzogen werden musste, weil er im vorliegenden Strafverfahren gegen den Angeklagten gemäß § 55 StPO die Auskunft auch im Hinblick auf eine falsche Verdächtigung durch seine vorangegangenen Aussagen verweigert hatte (UA S. 9).

2. Im Übrigen hat das Landgericht bei der durchgeführten Gesamtwürdigung ohne ersichtlichen Rechtsfehler neben der Wertung der Widersprüche zwischen Angaben der Zeugen F. und W., welcher zudem im Ermittlungsverfahren ein weitreichendes Geständnis abgelegt und als seinen Betäubungsmittellieferanten einen gewissen G. angegeben hatte, eingestellt, dass der Zeuge F. in seiner eigenen Hauptverhandlung ein Interesse haben konnte, mit dem Angeklagten einen falschen Hintermann bzw. Drogenlieferanten zu nennen; außerdem hatten auch die beiden Observationen des PKWs Audi A5 des Angeklagten (UA S. 13) keinerlei belastenden Hinweise ergeben. Schließlich gab es auch keine Hinweise darauf, dass die über den Internet-Nachrichtendienst WhatsApp ausgetauschten Nachrichten tatsächlich vom Angeklagten herrührten (UA S. 11).

V.

Die sofortige Beschwerde gegen die Gewährung einer Entschädigung gemäß § 2 Abs. 1 und Abs. 3 StrEG ist zu verwerfen, da Ausschluss- oder Versagungsgründe gemäß §§ 5, 6 StrEG entsprechend den Ausführungen des Landgerichts in der angefochtenen Entscheidung nicht vorliegen.

HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 128

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede