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HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 744

Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 152/15, Beschluss v. 19.05.2015, HRRS 2015 Nr. 744


BGH 1 StR 152/15 - Beschluss vom 19. Mai 2015 (LG München I)

Aussetzung des Strafrestes bei lebenslanger Freiheitstrafe (keine besondere Schwere der Schuld: Berücksichtigung sonstiger strafrechtlich relevanter Verhaltensweisen ohne gesonderte Anklage).

§ 57a Abs. 1 Nr. 1 StGB; § 46 Abs. 2 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Bei der Bewertung sonstiger strafrechtlich relevanter Verhaltensweisen ohne gesonderte Anklage - bei Beachtung der Unschuldsvermutung und der Vermeidung einer Doppelbestrafung - kann es in aller Regel nur darum gehen, Umstände festzustellen, die wegen ihrer engen Beziehung zur Tat als Anzeichen für Schuld oder Gefährlichkeit des Täters verwertbar sind. Diese durch Sinn und Zweck von § 46 Abs. 2 StGB gezogene Grenze ist jedenfalls dann überschritten, wenn es an dem notwendigen inneren Zusammenhang mit dem angeklagten Tatvorwurf fehlt (vgl. BGH NStZ 2014, 202 mwN).

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 11. November 2014 im Ausspruch über die besondere Schuldschwere aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt und festgestellt, dass die Schuld besonders schwer wiegt (§ 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB). Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt. Er beanstandet insbesondere die Annahme des Mordmerkmals der Heimtücke und die Bejahung der besonderen Schuldschwere. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

Der Schuldspruch wegen Mordes weist keinen Rechtsfehler auf. Die Feststellungen tragen die Annahme des Mordmerkmals der Heimtücke. Mit rechtsfehlerfreier Begründung schließt das Landgericht aus den Umständen unmittelbar vor der Tat darauf, dass die Geschädigte nicht mit einem tätlichen Angriff gerechnet hat und sich gegen den von ihr unbemerkten Angriff nicht hat wehren können, was der Angeklagte bewusst ausgenutzt hat. Auch der Ausspruch über die lebenslange Freiheitsstrafe ist ohne Rechtsfehler.

Jedoch hält die Begründung, mit der das Landgericht die besondere Schuldschwere im Sinne des § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB bejaht hat, rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Zwar obliegt es dem Tatrichter, unter Würdigung aller hierfür erheblichen Umstände die Schuld des Angeklagten im Sinne der §§ 46, 57a StGB zu gewichten; das Revisionsgericht darf seine Wertung nicht an die Stelle derjenigen des Tatrichters setzen (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 20. August 1996 - 4 StR 361/96, BGHSt 42, 226, 227; BGH, Beschluss vom 5. April 2001 - 4 StR 106/01, NStZ-RR 2001, 296 jeweils mwN). Doch auch nach diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab erweist sich die tatrichterliche Entscheidung als rechtsfehlerhaft.

Das Landgericht hat schulderschwerend gewertet, dass der auch wegen Diebstahls vorgeahndete Angeklagte noch während der Unterbringung in der Entziehungsanstalt im Rahmen der gewährten Vollzugslockerungen Diebstahlstaten begangen hat. Das wegen der dahingehenden Vorwürfe geführte Ermittlungsverfahren ist nach § 154 Abs. 1 StPO eingestellt worden.

Zwar hat sich das Landgericht davon überzeugt, dass die eingestellten Diebstahlsvorwürfe zutreffen. Dennoch erweist sich die Berücksichtigung dieser Taten zu Lasten des Angeklagten bei der Gewichtung der Schwere der Mordschuld als rechtsfehlerhaft. Bei der Bewertung sonstiger strafrechtlich relevanter Verhaltensweisen ohne gesonderte Anklage - bei Beachtung der Unschuldsvermutung und der Vermeidung einer Doppelbestrafung - kann es in aller Regel nur darum gehen, Umstände festzustellen, die wegen ihrer engen Beziehung zur Tat als Anzeichen für Schuld oder Gefährlichkeit des Täters verwertbar sind. Diese durch Sinn und Zweck von § 46 Abs. 2 StGB gezogene Grenze ist jedenfalls dann überschritten, wenn es an dem notwendigen inneren Zusammenhang mit dem angeklagten Tatvorwurf fehlt (BGH, Beschluss vom 19. November 2013 - 4 StR 448/13, NStZ 2014, 202 mwN). Eine solche enge Beziehung der Diebstahlstaten zum Mord ist hier nicht dargetan (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 8. August 2001 - 3 StR 162/01). Denn es handelt sich bei diesen Taten weder um vergleichbare bzw. gleichartige Schuldvorwürfe, aus denen sich unmittelbare Rückschlüsse auf die Tatschuld des Angeklagten ableiten ließen, noch waren die Diebstahlstaten Anlass für die Tötung der Geschädigten oder standen dazu in einem sonstigen inneren Zusammenhang.

Der Senat kann trotz der anderen gewichtigen Gründe für die Annahme der besonderen Schwere der Schuld nicht sicher ausschließen, dass das Tatgericht ohne die Berücksichtigung der Diebstahlstaten zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre. Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung der Feststellung besonders schwerer Schuld. Die tatsächlichen Feststellungen hierzu können aber bestehen bleiben, da es sich um einen reinen Wertungsfehler handelt.

Das neue Tatgericht kann ergänzende, zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehende Feststellungen treffen.

HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 744

Externe Fundstellen: NStZ 2015, 635; StV 2015, 694

Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel