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HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 748

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 278/13, Beschluss v. 10.07.2013, HRRS 2013 Nr. 748


BGH 1 StR 278/13 - Beschluss vom 10. Juli 2013 (LG Stuttgart)

Beschränkung der Revision gegen ein ausschließlich Zuchtmittel anordnendes Urteil (Anforderungen an Revisionsantrag; Klarstellung des Angriffsziels; Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz).

Art. 20 Abs. 3 i.V.m. Art. 19 Abs. 4 GG; § 55 Abs. 1 Satz 1 JGG; § 13 Abs. 2 Ziffer 3 JGG; § 344 Abs. 1 JGG

Leitsätze des Bearbeiters

1. Ein Urteil, das ausschließlich ein Zuchtmittel (§ 13 Abs. 2 Ziffer 3 JGG) gegen den Angeklagten anordnet, kann gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 JGG nicht wegen des Umfangs der Maßnahme und nicht deshalb angefochten werden, weil andere Erziehungsmaßregeln oder (andere) Zuchtmittel hätten angeordnet werden sollen. Dementsprechend kann ein Rechtsmittel gegen ein allein derartige Rechtsfolgen des Jugendstrafrechts verhängendes Urteil lediglich darauf gestützt werden, dass die Schuldfrage aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen falsch beurteilt oder die verhängte Sanktion selbst rechtswidrig ist.

2. Diese gesetzliche Beschränkung in dem zulässigen Angriffsziel eines gegen ein solches Urteil gerichteten Rechtsmittels wirkt sich bei der Revision auf die aus § 344 Abs. 1 StPO resultierenden Anforderungen an den vom Gesetz verlangten Revisionsantrag aus. Um eine Umgehung der Begrenzung der im Rahmen von § 55 Abs. 1 Satz 1 JGG zulässigen Angriffsziele einer Revision zu verhindern, ergibt sich vor dem Hintergrund von § 344 Abs. 1 StPO, im Revisionsantrag anzugeben, inwieweit das Urteil angefochten werde, für den Revisionsführer die Notwendigkeit, eindeutig (vgl. BVerfG NStZ-RR 2007, 385, 386) klarzustellen, dass mit dem Rechtsmittel ein zulässiges Ziel verfolgt wird.

3. Mit diesem aus § 55 Abs. 1 Satz 1 JGG i.V.m. § 344 Abs. 1 StPO abgeleiteten Erfordernis ist eine Verletzung des Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz (Art. 20 Abs. 3 i.V.m. Art. 19 Abs. 4 GG) nicht verbunden (vgl. BVerfG NStZ-RR 2007, 385, 386).

Entscheidungstenor

1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 20. November 2012 wird auf seine Kosten als unzulässig verworfen.

2. Über seine sofortige Beschwerde gegen die Entscheidung über die Versagung einer Entschädigung im Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 20. November 2012 hat das Oberlandesgericht Stuttgart zu entscheiden.

Gründe

I.

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in mehreren Fällen verurteilt und gegen ihn einen Jugendarrest von vier Wochen verhängt. Eine Entschädigung für die Untersuchungshaft sowie für weitere gegen ihn durchgeführte Ermittlungsmaßnahmen hat es ihm versagt.

Der Angeklagte wendet sich mit der Revision gegen das Urteil sowie mit der sofortigen Beschwerde gegen die dort getroffene Entscheidung über die Versagung von Entschädigungsansprüchen.

II.

Die Revision bleibt ohne Erfolg. Sie ist unzulässig (§ 349 Abs. 1 StPO), weil sie nicht in einer den Anforderungen aus § 344 Abs. 1 StPO genügenden Weise erkennen lässt, in welchem Umfang das tatrichterliche Urteil angefochten wird.

Im Hinblick auf die Unzulässigkeit der Revision ist der Senat für die Entscheidung über die sofortige Beschwerde gegen die Entschädigungsentscheidung in dem angefochtenen Urteil nicht zuständig.

1. Ein Urteil, das - wie hier mit der Verhängung von Jugendarrest - ausschließlich ein Zuchtmittel (§ 13 Abs. 2 Ziffer 3 JGG) gegen den Angeklagten anordnet, kann gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 JGG nicht wegen des Umfangs der Maßnahme und nicht deshalb angefochten werden, weil andere Erziehungsmaßregeln oder (andere) Zuchtmittel hätten angeordnet werden sollen. Dementsprechend kann ein Rechtsmittel gegen ein allein derartige Rechtsfolgen des Jugendstrafrechts verhängendes Urteil lediglich darauf gestützt werden, dass die Schuldfrage aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen falsch beurteilt oder die verhängte Sanktion selbst rechtswidrig ist (OLG Celle, NStZ-RR 2001, 121 mwN; OLG Dresden, Beschluss vom 31. Januar 2003 - 1 Ss 708/02 - zitiert nach juris; Laue in Meier/Rössner/Trüg/Wulf, JGG, 2011, § 55 Rn. 29; siehe auch BVerfG NStZ-RR 2007, 385, 386).

a) Diese gesetzliche Beschränkung in dem zulässigen Angriffsziel eines gegen ein solches Urteil gerichteten Rechtsmittels wirkt sich bei der Revision auf die aus § 344 Abs. 1 StPO resultierenden Anforderungen an den vom Gesetz verlangten Revisionsantrag aus (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., § 344 Rn. 3a; siehe auch bereits BGH, Beschluss vom 6. Oktober 1998 - 4 StR 312/98, bei Böhm NStZ-RR 1999, 289, 291 zu Ziffer VI.). Um eine Umgehung der Begrenzung der im Rahmen von § 55 Abs. 1 Satz 1 JGG zulässigen Angriffsziele einer Revision zu verhindern, ergibt sich vor dem Hintergrund von § 344 Abs. 1 StPO, im Revisionsantrag anzugeben, inwieweit das Urteil angefochten werde, für den Revisionsführer die Notwendigkeit, eindeutig (vgl. BVerfG NStZ-RR 2007, 385, 386) klarzustellen, dass mit dem Rechtsmittel ein zulässiges Ziel verfolgt wird (OLG Celle und OLG Dresden jeweils aaO; Meyer-Goßner aaO; Laue in Meier/Rössner/Trüg/Wulf, JGG, § 55 Rn. 29 aE).

Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 4. Juni 2013 zutreffend ausgeführt hat, ist ein solches Erfordernis der Angabe eines zulässigen Angriffsziels in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für die in § 400 Abs. 1 StPO enthaltenen Beschränkungen bei Rechtsmitteln des Nebenklägers seit langem anerkannt (etwa BGH, Beschlüsse vom 6. März 2001 - 4 StR 505/00, bei Becker NStZ-RR 2002, 97, 104; vom 11. März 2004 - 3 StR 493/03, bei Becker NStZ-RR 2005, 257, 262; und vom 27. Januar 2009 - 3 StR 592/08, NStZ-RR 2009, 253). Wie bei dem sachlich begrenzten Rechtsmittel des Nebenklägers kann auch bei dem gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 JGG beschränkt zulässigen Anfechtungsumfang die Einhaltung der Beschränkung durch das Rechtsmittelgericht wirksam vor allem über die aus § 344 Abs. 1 StPO resultierenden Anforderungen an den Revisionsantrag überprüft werden.

b) Mit diesem aus § 55 Abs. 1 Satz 1 JGG i.V.m. § 344 Abs. 1 StPO abgeleiteten Erfordernis ist eine Verletzung des Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz (Art. 20 Abs. 3 i.V.m. Art. 19 Abs. 4 GG) nicht verbunden. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits entschieden, dass mit dem Verlangen der eindeutigen Mitteilung eines zulässigen Angriffsziels als Mittel zur Verhinderung der Umgehung von § 55 Abs. 1 Satz 1 JGG ein legitimes Ziel verfolgt wird (BVerfG aaO). Ebenso ist der von dem Gesetzgeber mit der genannten Regelung verfolgte Zweck der Beschleunigung des Jugendstrafverfahrens vor dem Hintergrund der von einer zügig herbeigeführten rechtskräftigen Entscheidung erwarteten erzieherischen Wirkung (dazu BT-Drucks. 1/3264 S. 46; siehe auch Schaumann, Die Rechtsmittelbeschränkung des § 55 JGG, 2001, S. 33-37; Ostendorf, JGG, 8. Aufl., Grdl. z. §§ 55 und 56 Rn. 3) von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden (BVerfG aaO).

c) Den vorgenannten Anforderungen an einen Revisionsantrag bei einem gegen ein in den Anwendungsbereich von § 55 Abs. 1 Satz 1 JGG fallendes Rechtsmittel genügt die Revision des Angeklagten nicht.

Dessen Verteidiger hat zunächst mit Schriftsatz vom 27. November 2012 lediglich die Revision als solche eingelegt. Klarstellungen in Bezug auf ein zulässiges Angriffsziel finden sich dort nicht. Gleiches gilt für den Schriftsatz des Verteidigers vom 8. April 2013, mit dem sowohl die Revision gegen das angefochtene Urteil als auch die sofortige Beschwerde gegen die Versagung einer Entschädigung begründet worden sind. Es wird zwar mit der Revision die Aufhebung des Urteils einschließlich der Feststellungen sowie die Zurückverweisung beantragt und allgemein die Verletzung sachlichen Rechts, mit dem ausdrücklichen Hinweis, eine weitere Begründung dazu nicht abzugeben, gerügt. Weder der Revisionsantrag als solcher noch die Revisionsbegründung oder die Zusammenschau beider genügt aber den Anforderungen des § 344 Abs. 1 StPO bei gesetzlich im Angriffsziel begrenzten Rechtsmitteln.

Zwar reicht außerhalb solcher gesetzlicher Beschränkungen sowohl der Aufhebungsantrag als auch - ohne ausdrücklichen entsprechenden Antrag - die Erhebung der allgemeinen Sachrüge aus, um den Voraussetzungen des § 344 Abs. 1 StPO zu entsprechen. Für die hier fragliche Konstellation der Begrenzung des zulässigen Angriffsziels bedarf es aber wegen der Kontrollierbarkeit der Einhaltung eines solchen Ziels höherer Anforderungen an den Revisionsantrag. Die Erhebung der allgemeinen, nicht ausgeführten Sachrüge genügt - wie bei der Revision des Nebenklägers (Meyer-Goßner aaO § 400 Rn. 6 mwN) - gerade nicht (OLG Celle aaO; siehe auch BVerfG aaO). Es lässt sich dem nämlich nicht mit der gebotenen Eindeutigkeit die Anfechtung des Schuldspruchs entnehmen. Insoweit bleibt die Möglichkeit offen, dass entgegen dem durch § 55 Abs. 1 Satz 1 JGG eröffneten Anfechtungsumfang das Rechtsmittel sich lediglich gegen die Art und/oder die Höhe des verhängten Zuchtmittels richtet.

Jedenfalls in der hier vorliegenden Konstellation führt der auf Aufhebung des Urteils unter Einschluss der Feststellungen lautende Revisionsantrag nicht die erforderliche Eindeutigkeit über ein zulässiges Angriffsziel herbei. Der vorgenannte Antrag könnte zwar in Richtung auf eine angestrebte Änderung des Schuldspruchs deuten (vgl. insoweit BGH, Beschluss vom 11. März 2004 - 3 StR 493/03, bei Becker NStZ-RR 2005, 257, 262). Allerdings ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu den Anforderungen an eine zulässige Revision des Nebenklägers anerkannt, dass ein auf vollständige Aufhebung des angefochtenen Urteils gerichteter Revisionsantrag nicht ohne Weiteres den gesetzlichen Zulässigkeitsanforderungen genügt (BGH, Beschlüsse vom 17. Juni 1998 - 1 StR 247/98, bei Kusch NStZ-RR 1999, 33, 39; vom 9. November 2000 - 4 StR 425/00, bei Becker NStZ-RR 2001, 257, 266 f.; vom 8. Oktober 2002 - 4 StR 360/02, StraFo 2003, 15; siehe auch BGH, Beschluss vom 11. März 2004 - 3 StR 493/03, bei Becker NStZ-RR 2005, 257, 262). Vielmehr ist es erforderlich, das Verfolgen eines zulässigen Angriffsziels ausreichend deutlich zu machen.

In der bisherigen obergerichtlichen Rechtsprechung zu den Anforderungen an einen § 344 Abs. 1 StPO entsprechenden Revisionsantrag bei Rechtsmittelbeschränkung gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 JGG sind zudem zur Klärung der Eindeutigkeit des Ziels des Rechtsmittels auch außerhalb der Rechtsmittelerklärung selbst liegende Umstände berücksichtigt worden (vgl. OLG Celle aaO sowie BVerfG aaO). So ist - verfassungsrechtlich unbedenklich (BVerfG aaO) - u.a. dem Umstand Bedeutung zugemessen worden, dass zwar die Aufhebung des Urteils begehrt wurde, die den Schuldspruch tragenden Feststellungen ausweislich des angefochtenen Urteils aber auf der Einlassung des die Revision erhebenden Angeklagten beruhten (OLG Celle aaO).

So verhält es sich auch hier. Der Angeklagte hat die Begehung der Taten, wegen derer er verurteilt worden ist, eingeräumt (UA S. 38). Gerade auf dieser geständigen Einlassung beruhen die Feststellungen, in Bezug auf die Rechtsfehler nicht ersichtlich sind. Bei dieser Sachlage hätte es einer Klarstellung bedurft, dass ungeachtet dieser Grundlagen des angefochtenen Urteils der Schuldspruch und nicht lediglich (unzulässig) der Rechtsfolgenausspruch angegriffen werden soll. Daran fehlt es. Die Revision hat auf nähere Ausführungen zu der erhobenen Sachrüge gerade ausdrücklich verzichtet.

2. Für die Entscheidung über die sofortige Beschwerde (§ 8 Abs. 3 Satz 1 StrEG) des Angeklagten gegen die Versagung einer Entschädigung ist der Senat nicht zuständig. Über diese hat das Revisionsgericht bei einer Entschädigungsentscheidung im Urteil lediglich dann zu befinden, wenn es zugleich über eine vom Beschwerdeführer eingelegte zulässige Revision zu entscheiden hat, weil nur in diesem Fall der erforderliche enge Zusammenhang zwischen den beiden Rechtsmitteln besteht (BGH, Beschlüsse vom 25. November 2008 - 4 StR 414/08, NStZ-RR 2009, 96; vom 27. Januar 2009 - 3 StR 592/08, NStZ-RR 2009, 253; und vom 9. Mai 2012 - 4 StR 649/11).

Für die Entscheidung über das Rechtsmittel aus § 8 Abs. 3 Satz 1 StrEG ist das Oberlandesgericht Stuttgart als Beschwerdegericht zuständig.

HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 748

Externe Fundstellen: NStZ 2013, 659; StV 2013, 772

Bearbeiter: Karsten Gaede