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HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 803

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 20/11, Urteil v. 26.05.2011, HRRS 2011 Nr. 803


BGH 1 StR 20/11 - Urteil vom 26. Mai 2011 (LG München II)

Rücktritt vom Versuch (unbeendeter Versuch; ernsthaftes Bemühen; Freiwilligkeit; Behindern der Rettung); Grenzen der Revisionsbegründung (urteilsfremder Vortrag; Augenschein).

§ 24 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 StGB; § 212 StGB; § 22 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Ein ernsthaftes Bemühen um die Verhinderung der drohenden Tatvollendung kann auch vorliegen, wenn der Angeklagte die Polizei telefonisch zur Rettung seines Opfers aufgefordert hat, und er zuvor bereits einen Nachbarn über seine Tat informiert hat, der die Polizei informierte, welche daraufhin bereits die für die Rettung entscheidenden Beamte und Rettungskräfte geschickt hatte. Dies gilt auch dann, wenn der Angeklagte beim Eintreffen der Polizei und Rettungskräfte "auf Zuruf nicht sofort alle Gegenstände aus den Händen" legte, so dass die Polizei zur Eigensicherung Pfefferspray einsetzte.

2. Ob ein Versuch unbeendet oder beendet ist, hängt von der Vorstellung des Täters nach der letzten Ausführungshandlung (Rücktrittshorizont) ab. Hält er für den Taterfolg noch weitere Handlungen für (möglich und) nötig, ist der Versuch unbeendet, er kann durch Untätigkeit zurücktreten (§ 24 Abs. 1 Satz 1 StGB erste Alternative). Hält er dagegen den Eintritt des Taterfolgs für möglich, ist der Versuch beendet; ein Rücktritt erfordert eine Verhinderung des Erfolgs durch eigene Tätigkeit (§ 24 Abs. 1 Satz 1 StGB zweite Alternative) oder entsprechende Bemühungen (§ 24 Abs. 1 Satz 2 StGB), wenn der Erfolg ohne sein Zutun ausgeblieben ist (BGHSt <GS> 39, 221, 229 mwN).

3. Ein Rücktritt vom unbeendeten Versuch liegt nicht vor, wenn der Angeklagte, der seine Frau zuvor mit der Machete geschlagen hat, davon ausgeht, dass sie bereits an diesem Schnitt sterben könne. Allein der Verzicht auf eine (gewisse) Beschleunigung ihres von ihm ohnehin erwarteten verletzungsbedingten Todes stellt keinen Rücktritt gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 StGB erste Alternative dar.

4. Bemerkt der Angeklagte, dass sein Opfer entgegen einer ersten Annahme doch noch lebte, wird nicht der Rücktrittshorizont korrigiert, sondern es entsteht vielmehr erstmals ein Rücktrittshorizont.

5. Freiwillig ist ein Rücktritt, wenn weder eine äußere Zwangslage noch seelischer Druck den Täter an der Vollendung der Tat hindert (st. Rspr., BGHSt 7, 296, 299); eine vorherige Entdeckung der Tat kann aber gegen Freiwilligkeit sprechen.

6. Urteilsfremder Vortrag kann die Sachrüge nicht begründen (BGHSt 35, 238, 241). Über das Ergebnis eines Augenscheins - hierunter fällt auch das Abhören eines Tonbands (BGHSt 27, 135) - hat allein der Tatrichter zu befinden (BGHSt 29, 18). Ebenso wenig kann die Sach- oder eine Verfahrensrüge auf einen Abgleich von Urteilsgründen und Akteninhalt, etwa dem von der Revision vorgetragenen Vermerk, gestützt werden.

Entscheidungstenor

Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 24. August 2010 wird als unbegründet verworfen. Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Gründe

Der Angeklagte wurde wegen gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil seiner Frau zu Freiheitsstrafe verurteilt. Die auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft führt aus, es läge versuchter Totschlag vor. Das vom Generalbundesanwalt nicht vertretene Rechtsmittel bleibt erfolglos.

I.

1. Die Strafkammer hat festgestellt: Der angetrunkene Angeklagte hatte seine Frau mit (bedingtem) Tötungsvorsatz durch eine Machete schwer verletzt und meinte, er hätte sie getötet. Das sagte er auch einem Nachbarn, der dann ohne Wissen des Angeklagten telefonisch die Polizei informierte, die Beamte und Rettungskräfte schickte.

Noch bevor sie eintrafen, rief auch der Angeklagte die Polizei an und sagte, er habe seine Frau getötet. Dies berichtigte er, als er während des Gesprächs merkte, dass sie noch lebte, und forderte, bald einen Arzt zu schicken, sonst verblute sie. Als Polizei und Rettungskräfte kamen, legte er "auf Zuruf nicht sofort alle Gegenstände aus den Händen". Daher setzte die Polizei zur Eigensicherung Pfefferspray ein. Die Frau wurde gerettet.

2. Die Strafkammer nimmt einen Rücktritt vom Totschlagsversuch nach Korrektur des Rücktrittshorizonts an; der Angeklagte habe seine Frau nicht mit einem möglichen neuen Machetenangriff getötet, als er merkte, dass sie noch lebte (§ 24 Abs. 1 Satz 1 StGB). "Selbst wenn man ... (einen) ... beendeten Versuch annehmen würde", sei er "zudem" wegen seiner Forderung nach einem Arzt zurückgetreten. Weil dieser schon allein wegen des Anrufs des Nachbarn gekommen sei, habe er objektiv nichts zur Rettung beigetragen, sich aber freiwillig und ernsthaft um die Abwendung der "auch ohne weiteren Schlag" weiterhin "akut drohende(n) Gefahr der Vollendung" bemüht (§ 24 Abs. 1 Satz 2 StGB).

II.

Die rechtsfehlerfreien Feststellungen (1.) begründen zwar keinen Rücktritt gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 StGB (2.); wohl aber den (auch bejahten) Rücktritt gemäß § 24 Abs. 1 Satz 2 StGB (3.). Im Übrigen ist das Urteil rechtsfehlerfrei (4.).

1. Die Feststellungen sind insgesamt rechtsfehlerfrei. Die Angriffe der Revision gegen die im Zusammenhang mit der Forderung nach einem Arzt getroffenen Feststellungen versagen.

a) Da der Angeklagte schon gesagt hatte, er habe seine Frau getötet, wäre, so die Revision, zu erörtern gewesen, ob er auch ohne konkrete Kenntnis vom Anruf des Nachbarn für möglich hielt, dass ohnehin ein Arzt käme. Warum der angetrunkene Angeklagte dies in der konkreten Lage erwogen haben sollte, ist nicht erkennbar. Nur theoretische Möglichkeiten sind nicht zu behandeln.

b) Die Strafkammer, die hierzu insbesondere den Nachbarn und einen Polizeibeamten vernommen hat, konnte einen Versuch des Angeklagten zur Behinderung von Polizei und Rettungskräften nicht feststellen. Dies, so die Revision, sei rechtsfehlerhaft, er habe die Tür(en) nicht geöffnet (1) und (mit Pfefferspray) "überwältigt" werden müssen (2).

(1) Die Urteilsgründe ergeben nicht, dass der Angeklagte die Tür(en) nicht geöffnet hätte. Die Revision trägt hierzu vielmehr die Abschrift des in der Hauptverhandlung abgehörten Mitschnitts vom - bei Eintreffen der Polizei noch nicht beendeten - Anruf des Angeklagten sowie einen dort angebrachten polizeilichen Vermerk vor. Urteilsfremder Vortrag kann die Sachrüge nicht begründen (BGH, Beschluss vom 17. März 1988 - 1 StR 361/87, BGHSt 35, 238, 241; Kuckein in KK 6. Aufl., § 337 Rn. 28 mwN). Im Übrigen wäre aber auch eine entsprechende Verfahrensrüge erfolglos. Über das Ergebnis eines Augenscheins - hierunter fällt auch das Abhören eines Tonbands (BGH, Beschluss vom 3. März 1977 - 2 StR 390/76, BGHSt 27, 135; Pfeiffer/Hannich in KK 6. Aufl., Einl. Rn. 113 mwN) - hat allein der Tatrichter zu befinden (BGH, Beschluss vom 7. Juni 1979 - 4 StR 441/78, BGHSt 29, 18). Ebenso wenig kann die Sach- oder eine Verfahrensrüge auf einen Abgleich von Urteilsgründen und Akteninhalt, etwa dem von der Revision vorgetragenen Vermerk, gestützt werden (vgl. zusammenfassend Wahl in NJW-SH f. G. Schäfer, 73 mwN).

(2) Die Annahme der Strafkammer, der sofortige Einsatz von Pfefferspray belege keine vom Angeklagten verursachte oder erstrebte nennenswerte Verzögerung des Einsatzes, ist rechtsfehlerfrei. Die Strafkammer musste dies auch nicht breiter als geschehen ausführen, da Gründe für einen entsprechenden Sinneswandel des Angeklagten weder aufgezeigt noch sonst erkennbar sind.

2. Die Strafkammer nimmt in erster Linie einen Rücktritt vom unbeendeten Versuch des Totschlags an, da der Angeklagte seine Frau nicht mittels eines erneuten Angriffs getötet hat, als er merkte, dass sie noch lebte. Ob ein Versuch unbeendet oder beendet ist, hängt von der Vorstellung des Täters nach der letzten Ausführungshandlung (Rücktrittshorizont) ab. Hält er für den Taterfolg noch weitere Handlungen für (möglich und) nötig, ist der Versuch unbeendet, er kann durch Untätigkeit zurücktreten (§ 24 Abs. 1 Satz 1 StGB erste Alternative). Hält er dagegen den Eintritt des Taterfolgs für möglich, ist der Versuch beendet; ein Rücktritt erfordert eine Verhinderung des Erfolgs durch eigene Tätigkeit (§ 24 Abs. 1 Satz 1 StGB zweite Alternative) oder entsprechende Bemühungen (§ 24 Abs. 1 Satz 2 StGB), wenn der Erfolg ohne sein Zutun ausgeblieben ist (BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 - GSSt 1/93, BGHSt <GS> 39, 221, 229 mwN).

Hier liegt kein Rücktritt vom unbeendeten Versuch vor; wie der Hinweis des Angeklagten, ohne Arzt werde seine Frau verbluten, zeigt, hielt er ihren Tod für möglich. Dem entsprechend ist allein der Verzicht auf eine (gewisse) Beschleunigung ihres von ihm ohnehin erwarteten verletzungsbedingten Todes kein Rücktritt gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 StGB erste Alternative. Darüber hinaus bemerkt der Senat, dass der Angeklagte nicht seinen Rücktrittshorizont korrigierte (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 19. Juli 1989 - 2 StR 270/89, BGHSt 36, 224; Lilie/Albrecht in LK 12. Aufl., § 24 Rn. 178 ff. mwN). Als er bemerkte, dass seine Frau doch noch lebte, entstand vielmehr erstmals ein Rücktrittshorizont, nachdem er sie zuvor für tot gehalten hatte und er daher zuvor noch keinen Rücktrittshorizont gehabt haben konnte.

3. Auf der Annahme eines Rücktritts vom unbeendeten Versuch beruht das Urteil aber nicht, da rechtsfehlerfrei (auch) ein Rücktritt gemäß § 24 Abs. 1 Satz 2 StGB bejaht ist (vgl. I 2).

a) Zu Unrecht hält die Revision dem gegenüber das Verhalten des Angeklagten nicht für freiwillig, da die Tat, wie er wusste, schon entdeckt gewesen sei. Freiwillig ist ein Rücktritt, wenn weder eine äußere Zwangslage noch seelischer Druck den Täter an der Vollendung der Tat hindert (st. Rspr., vgl. schon BGH, Beschluss vom 14. April 1955 - 4 StR 16/55, BGHSt 7, 296, 299; zusammenfassend Lilie/Albrecht aaO Rn. 222, 248 f., 319 mwN); eine vorherige Entdeckung der Tat kann gegen Freiwilligkeit sprechen (BGH, Beschluss vom 29. Januar 1982 - 3 StR 496/81, StV 1982, 219 mwN). Für die Freiwilligkeit von Rücktrittsbemühungen gilt all dies entsprechend (Lilie/Albrecht aaO Rn. 359).

Hier hatte der Angeklagte vor seiner Forderung nach einem Arzt gegenüber dem Nachbarn und (zu Beginn des Gespräches) der Polizei ein hinsichtlich einer Gewaltanwendung zum Nachteil seiner Frau zwar zutreffendes, hinsichtlich ihres dadurch verursachten Todes aber objektiv falsches "Geständnis" abgelegt. Nach Erkenntnis seines Irrtums hat er sich bemüht, diese zwar drohende, aber entgegen seinem bisherigen "Geständnis" noch nicht eingetretene Folge seiner Tat zu verhindern. Es ist nicht zu erkennen, dass dies aus seiner Sicht auf äußerem oder innerem Druck beruht hätte und daher unfreiwillig wäre.

b) Auch die Bewertung der Bemühungen des Angeklagten als ernsthaft ist rechtsfehlerfrei. Die, wie dargelegt (II 1 b), rechtsfehlerfreien Urteilsfeststellungen ergeben entgegen der Auffassung der Revision insbesondere auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte sein Verhalten für die Verhinderung des Todes seiner Frau selbst für nicht erforderlich gehalten, sondern geglaubt hätte, sie würde auch ohne sein Zutun gerettet (vgl. hierzu BGH b. Holtz MDR 1978, 988; Lilie/Albrecht aaO Rn. 331, 332 mwN), oder dass er sogar die Rettung behindert (vgl. hierzu Lilie/Albrecht aaO Rn. 343) oder dies jedenfalls versucht hätte.

4. Im Übrigen hat die auf Grund der Sachrüge gebotene Überprüfung des Urteils weder im Schuldspruch noch im Strafausspruch einen Rechtsfehler zu Gunsten oder zu Lasten (§ 301 StPO) des Angeklagten ergeben.

HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 803

Externe Fundstellen: NStZ 2011, 688

Bearbeiter: Karsten Gaede

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