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HRRS-Nummer: HRRS 2012 Nr. 1046

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 213/10, Urteil v. 11.10.2012, HRRS 2012 Nr. 1046


BGH 1 StR 213/10 - Urteil vom 11. Oktober 2012 (LG München II)

BGHSt 58, 15; freier Warenverkehr und gewerbsmäßige unerlaubte Verwertung urheberrechtlich geschützter Werke (Rechtfertigung von nationalen Beschränkungen zum Schutz des gewerblichen und kommerziellen Eigentums bzw. des Urheberrechts: Verhältnismäßigkeit; Abschottung der Märkte; Beihilfe; Verbreitung an die Öffentlichkeit); Verbotsirrtum bei Fehleinschätzung von Unionsrecht (Beratung durch Rechtsanwälte; Gefälligkeitsgutachten); Inbegriffsrüge und Selbstleseverfahren (Auslegung des Hauptverhandlungsprotokolls; Beweiskraft; Angriffsrichtung der Rüge bei mangelnder Bescheidung eines Widerspruchs/Widerrufs).

Art. 34 AEUV; Art. 36 AEUV; Art. 267 AEUV; Art. 4 Abs. 1 RL 2001/29/EG; § 27 StGB; § 17 StGB; § 17 Abs. 1, Abs. 2 UrhG; § 106 UrhG; § 108a UrhG; § 261 StPO; § 249 Abs. 2 StPO; § 274 StPO

Leitsätze

1. Bei einem grenzüberschreitenden Verkauf liegt ein Verbreiten in Deutschland gemäß § 17 UrhG schon dann vor, wenn ein Händler, der seine Werbung auf in Deutschland ansässige Kunden ausrichtet und ein spezifisches Lieferungssystem und spezifische Zahlungsmodalitäten schafft, für sie zur Verfügung stellt oder dies einem Dritten erlaubt und diese Kunden so in die Lage versetzt, sich Vervielfältigungen von Werken liefern zu lassen, die in Deutschland urheberrechtlich geschützt sind. (BGHSt)

2. Der auf einer Auslegung der §§ 106, 108a UrhG, § 27 StGB im aufgezeigten Sinn gestützten Strafbarkeit steht nicht die unionsrechtlich garantierte Warenverkehrsfreiheit entgegen. (BGHSt)

3. Zum Verbotsirrtum. (BGHSt)

4. Der Rat eines Rechtsanwalts ist nur dann vertrauenswürdig, wenn er aus der Sicht des Anfragenden nach eingehender sorgfältiger Prüfung erfolgt und von der notwendigen Sachkenntnis getragen ist. Eher zur Absicherung als zur Klärung bestellte Gefälligkeitsgutachten scheiden als Grundlage unvermeidbarer Verbotsirrtümer aus. Auskünfte, die erkennbar vordergründig und mangelhaft sind oder nach dem Willen des Anfragenden lediglich eine „Feigenblattfunktion“ erfüllen sollen, können den Täter ebenfalls nicht entlasten. Vielmehr muss der Beratende eine vollständige Kenntnis von allen tatsächlich gegebenen, relevanten Umständen haben. Insbesondere bei komplexen Sachverhalten und erkennbar schwierigen Rechtsfragen ist regelmäßig ein detailliertes, schriftliches Gutachten erforderlich, um einen unvermeidbaren Verbotsirrtum zu begründen. (Bearbeiter)

5. Die bloße Berufung des Angeklagten auf einen Verbotsirrtum nötigt nicht dazu, einen solchen als gegeben anzunehmen. Es bedarf vielmehr einer Gesamtwürdigung aller Umstände, die für das Vorstellungsbild des Angeklagten von Bedeutung waren. Hierbei hat der Täter bereits dann ausreichende Unrechtseinsicht, wenn er bei Begehung der Tat mit der Möglichkeit rechnet, Unrecht zu tun, und dies billigend in Kauf nimmt. Es genügt mithin das Bewusstsein, die Handlung verstoße gegen irgendwelche, wenn auch im Einzelnen nicht klar vorgestellte gesetzliche Bestimmungen. (Bearbeiter)

6. Lässt sich der Angeklagte zu Geschäftsmodellen beraten, die darauf ausgelegt waren, eine als möglich erkannte Strafbarkeit zu umgehen, setzt dies eine gedankliche Auseinandersetzung mit den Grenzen strafbaren Verhaltens voraus und schließt die Möglichkeit mit ein, sich bei einer Fehlinterpretation der Gesetzeslage strafbar zu machen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn sich der Angeklagte hinsichtlich der lediglich erhofften Annahme der Straflosigkeit auf keine höchstrichterlichen Entscheidungen stützen konnte. Dem Aspekt, dass der Begriff der Verbreitung im Sinne des Art. 4 Abs. 1 RL 2001/29/EG durch den EuGH erst im Strafverfahren des Angeklagten eine weitere Auslegung erfahren hat, kommt dann für die Irrtumsfrage keine ausschlaggebende Bedeutung zu. (Bearbeiter)

7. Bei der gebotenen Gesamtwürdigung ist das Tatgericht nicht gehindert, aus dem Umstand nachteilige Schlüsse zu ziehen, dass der Angeklagte ihn zuvor beratende Rechtsanwälte nicht von der Schweigepflicht entbunden hat. Dies gilt, wenn sich der Angeklagte nach Belehrung zum Tatgeschehen geäußert, ein Beweismittel für seine Unschuld benannt und sich damit in einer bestimmten Weise zum Hergang eines Gesprächs mit einem Rechtsanwalt geäußert hat, sodann aber die Überprüfung dieser Darstellung verhindert. (Bearbeiter)

8. Unvermeidbar ist ein Verbotsirrtum erst dann, wenn der Täter alle seine geistigen Erkenntniskräfte eingesetzt und etwa aufkommende Zweifel durch Nachdenken oder erforderlichenfalls durch Einholung verlässlichen und sachkundigen Rechtsrats beseitigt hat. Dabei müssen sowohl die Auskunftsperson als auch die Auskunft aus der Sicht des Täters verlässlich sein; die Auskunft selbst muss zudem einen unrechtsverneinenden Inhalt haben. Eine Auskunft ist in diesem Sinne nur dann verlässlich, wenn sie objektiv, sorgfältig, verantwortungsbewusst und insbesondere nach pflichtgemäßer Prüfung der Sach- und Rechtslage erteilt worden ist. Bei der Auskunftsperson ist dies der Fall, wenn sie die Gewähr für eine diesen Anforderungen entsprechende Auskunftserteilung bietet, sie muss insbesondere sachkundig und unvoreingenommen sein und mit der Erteilung der Auskunft keinerlei Eigeninteresse verfolgen. (Bearbeiter)

9. Auf einem ihm günstigen Standpunkt darf der Angeklagte nicht vorschnell vertrauen. Er darf seine Augen vor gegenteiligen Ansichten und Entscheidungen nicht verschließen. Es reicht nicht aus, wenn er aufgrund der Auskunft nicht mehr als eine Hoffnung haben kann, das ihm bekannte Strafgesetz greife nicht ein. (Bearbeiter)

10. Bestand, Inhalt, Umfang und Inhaberschaft eines Schutzrechts richten sich nach dem Recht desjenigen Staates, für dessen Territorium es Wirkung entfalten soll, also nach dem Recht des Schutzlands. (Bearbeiter)

11. § 17 Abs. 1 UrhG dient der Umsetzung von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (im Folgenden RL 2001/29/EG). Es besteht deshalb die Notwendigkeit der richtlinienkonformen Auslegung dieser Norm nationalen Rechts. (Bearbeiter)

12. Jede Regelung, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern, kann eine „Maßnahme gleicher Wirkung“ i.S.v. Art. 34 AEUV darstellen und daher auch im Strafrecht unzulässig sein. Solche Maßnahmen können indes aus Gründen des Schutzes des gewerblichen und kommerziellen Eigentums, wozu im Kernbereich auch das Urheberrecht zählt, gerechtfertigt sein, wenn sie weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten darstellen (Art. 36 AEUV). (Bearbeiter)

13. Die Auslegung des Sitzungsprotokolls ist durch § 274 StPO nicht ausgeschlossen. Für sie ist das tatsächliche Vorgehen des Tatgerichts zu berücksichtigen. (Bearbeiter)

14. Die allein erhobene Rüge, ein Selbstleseverfahren sei durchgeführt worden, ohne dass es zuvor angeordnet worden sei, kann nicht in die wesensverschiedene Rüge umgedeutet werden, der gegen die Anordnung eines Selbstleseverfahrens vorgebrachte Widerspruch sei nicht verbeschieden worden. (Bearbeiter)

15. Zwar sind der Einführung von in Urkunden enthaltenen umfangreichen und detaillierten Informationen über eine Auskunftsperson Grenzen gesetzt. In besonderen Fallgestaltungen steht dies der Einführung der für die Urteilsfindung bedeutsamen Umstände einzelner Lieferungen über die Einlassung des Angeklagten aber nicht entgegen. (Bearbeiter)

Entscheidungstenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 12. Oktober 2009 wird verworfen.

Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zur gewerbsmäßigen unerlaubten Verwertung urheberrechtlich geschützter Werke in 485 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Es hat festgestellt, dass in Höhe von 59.363,16 € nicht auf Verfall erkannt werde, weil Ansprüche von Verletzten entgegenstehen.

Die Revision des Angeklagten, mit der er eine Verfahrensrüge erhebt und die Verletzung materiellen Rechts beanstandet, hat keinen Erfolg.

A.

Der Verurteilung liegt zugrunde, dass der Angeklagte in Italien verkaufte Vervielfältigungsstücke von in Deutschland urheberrechtlich geschützten Einrichtungsgegenständen an deutsche Kunden mittels seiner Spedition ausgeliefert hat.

I.

1. Dazu hat das Landgericht folgende Feststellungen getroffen:

Die Firma D. mit Sitz in Bologna (nachfolgend D.) bot in Deutschland ansässigen Kunden durch Zeitschriftenanzeigen und -beilagen, durch direkte Werbeanschreiben und per deutschsprachiger Internet-Website Nachbauten von Einrichtungsgegenständen im sogenannten „Bauhausstil“ zum Kauf an, ohne über Lizenzen für deren Vertrieb in Deutschland zu verfügen. Es handelte sich - soweit verfahrensgegenständlich - um Nachbauten von:

- Stühlen der Aluminium-Group, entworfen von Charles und Ray Eames, Lizenzinhaber Firma Vitra Collections AG,

- der Wagenfeldleuchte, entworfen von Wilhelm Wagenfeld, Lizenzinhaber Firma Tecnolumen GmbH & Co. KG,

- Sitzmöbeln, entworfen von Le Corbusier, Lizenzinhaber Firma Cassina SpA,

- dem Beistelltisch „Adjustable Table“ und der Leuchte „Tubelight“, entworfen von Eileen Gray, Lizenzinhaber Firma Classicon GmbH,

- Stahlrohr-Freischwingern (Stühle), entworfen von Mart Stam, Lizenzinhaber Firma Thonet GmbH.

Für diese Gegenstände bestand im relevanten Tatzeitraum vom 1. Januar 2005 bis zum 15. Januar 2008 in Italien jedenfalls kein durchsetzbarer urheberrechtlicher Schutz. In Deutschland waren sie hingegen als Werke der angewandten Kunst urheberrechtlich geschützt.

Der Angeklagte, ein deutscher Staatsangehöriger, war Geschäftsführer und Gesellschafter zu 90 % der Firma I. (nachfolgend I. genannt), einer Spedition, die ebenfalls ihren Sitz in Bologna hatte. Er betrieb seine Geschäfte jedoch im Wesentlichen von seinem Wohnsitz in Deutschland aus.

Die Firma I. war seit mindestens April 1999 mit der Auslieferung der vorbenannten Nachbauten befasst. Der Vertrieb war zunächst in der Weise organisiert worden, dass die Möbel - ohne einzelnen Endabnehmern zugeordnet zu sein - in ein vom Angeklagten unterhaltenes Lager in Deutschland verbracht und sodann an die Kunden geliefert wurden. Das wegen dieses Sachverhalts vor dem Amtsgericht München geführte Strafverfahren gegen den Angeklagten wurde gegen Zahlung einer Geldauflage in Höhe von insgesamt 120.000 € im Dezember 2006 endgültig eingestellt. Spätestens durch dieses Strafverfahren wussten sowohl der Angeklagte als auch der Geschäftsführer der Firma D. um den urheberrechtlichen Schutz der Vervielfältigungsstücke in Deutschland.

Der Verteidiger des Angeklagten in diesem Strafverfahren, Rechtsanwalt Sk., teilte dem Angeklagten mit, dass nach seiner Auffassung die Einfuhr „EU-rechtlich auch möglich sein“ müsse. Hierzu müssten das Lager in Deutschland und die Kunden in der Auswahl der Spedition frei sein. Nachfragen des Angeklagten hierzu erfolgten nicht. Der Angeklagte wurde zudem von dem Geschäftsführer der Firma D., La. und dem italienischen Rechtsanwalt dieser Firma dahingehend informiert, dass die Gefahr einer Strafverfolgung nicht mehr bestehe, wenn das Auslieferungslager nach Italien verlegt werde. La. berief sich dabei auch auf eine ihm erteilte Auskunft eines Frankfurter Rechtsanwalts. Des Weiteren trat der Angeklagte einmal in Kontakt mit Rechtsanwalt U. aus Frankfurt. Dieser teilte ihm mit, er sehe grundsätzlich kein Problem, müsse die Frage aber abklären. Ein weiterer Kontakt erfolgte nicht.

Während des Laufs des Strafverfahrens wurde die Durchführung der Auslieferung geändert und nunmehr für den verfahrensgegenständlichen Zeitraum wie folgt durchgeführt: Die Firma D. unterhielt für ihr Warenangebot ein Auslieferungslager im italienischen Sterzing. Nach ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen waren die Kunden verpflichtet, die bestellte Ware selbst in Italien abzuholen oder abholen zu lassen. Die Bestellung der deutschen Kunden erfolgte per Fax, per E-Mail, über ein auf der Website abrufbares Bestellformular oder telefonisch bei einer deutschsprachigen Mitarbeiterin. In den verfahrensgegenständlichen Fällen wollten die Kunden die Ware weder selbst abholen noch eine Spedition benennen. Die Firma D. empfahl die Beauftragung der Firma I. und sandte dem Kunden ein Werbeschreiben der Firma I. zu, in dem diese den Transport von Italien nach Deutschland anbot. Die Kunden beauftragten die Firma I. mit dem Transport der von ihnen gekauften Ware. In Werbematerial der Firma D. war ausgeführt, der Kunde erwerbe die Möbel in Italien, zahle aber erst bei Übernahme der Ware. Die Rechnungen schickte die Firma D. direkt an die Kunden.

Im Auslieferungslager in Sterzing wurden die aus Deutschland bestellten Einrichtungsgegenstände in verpacktem Zustand bereitgehalten. Auf der Verpackung waren Name und Adresse des Bestellers oder zumindest die Auftragsnummer angegeben. Die Fahrer der Firma I. holten die den Kunden konkret zugeordneten Gegenstände in Sterzing ab, bezahlten den jeweiligen Kaufpreis an die Firma D. und zogen bei Ablieferung an den Besteller in Deutschland Kaufpreis und Frachtlohn vom Kunden ein. Wenn ein Kunde bei der Auslieferung der Einrichtungsgegenstände diese nicht bezahlte, wurde die Ware nicht herausgegeben, sondern mit einem entsprechenden Kommentar an die Firma D. zurückgesandt. Diese erstattete der Firma I. den zuvor entrichteten Kaufpreis im Wege der Verrechnung und bezahlte die Frachtkosten. Von den 2.399 Lieferungen im Tatzeitraum erfolgten 484 Lieferungen durch den Angeklagten selbst, die übrigen durch angestellte Fahrer. Für die Lieferungen ab dem 1. Januar 2007 erhielt die Firma I. Frachtlöhne in Höhe von mindestens 59.363,16 €.

2. Das Landgericht hat die Verurteilung des Angeklagten auf §§ 106, 108a UrhG, § 27 StGB gestützt.

Die Firma D., vertreten durch den Geschäftsführer La., habe Vervielfältigungsstücke der Werke in Deutschland durch Inverkehrbringen verbreitet. Zum Verbreiten sei neben der bereits am Lager in Sterzing erfolgten Eigentumsübertragung ein Wechsel der Verfügungsgewalt vom Verkäufer auf den Käufer erforderlich. Die Firma D. habe - entgegen einem beabsichtigten Anschein - ihre Verfügungsgewalt bis zur Ablieferung an den Käufer gegen Kaufpreiszahlung trotz erfolgter Übereignung nicht aus der Hand gegeben. Sie sei daher erst in Deutschland mit Hilfe des Angeklagten auf den Kunden übergegangen. Der Angeklagte sei zwar davon ausgegangen, dass eine Strafverfolgung in Deutschland unter den praktizierten Lieferbedingungen entfalle. Dieser Verbotsirrtum sei jedoch vermeidbar gewesen, da er zu dem Geschäftsmodell keinen ausreichenden Rechtsrat eingeholt habe.

Der Strafbarkeit des Angeklagten stehe auch die Warenverkehrsfreiheit nicht entgegen, da die sich aus den nationalen Regelungen zum Urheberrecht ergebende Beschränkung derselben zum Schutz des gewerblichen und kommerziellen Eigentums gerechtfertigt sei.

II.

Der Senat hat aufgrund Beschlusses vom 8. Dezember 2010 dem Gerichtshof der Europäischen Union (im folgenden EuGH) gemäß Art. 267 Abs. 1 lit. a), Abs. 3 AEUV folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Sind die den freien Warenverkehr regelnden Art. 34, 36 AEUV dahin auszulegen, dass sie einer aus der Anwendung nationaler Strafvorschriften resultierenden Strafbarkeit wegen Beihilfe zum unerlaubten Verbreiten urheberrechtlich geschützter Werke entgegenstehen, wenn bei einem grenzüberschreitenden Verkauf eines in Deutschland urheberrechtlich geschützten Werkes kumulativ - dieses Werk aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union nach Deutschland verbracht und die tatsächliche Verfügungsgewalt an ihm in Deutschland übertragen wird, - der Eigentumsübergang aber in dem anderen Mitgliedstaat erfolgt ist, in dem urheberrechtlicher Schutz des Werkes nicht bestand oder nicht durchsetzbar war? Daraufhin hat der EuGH in seinem Urteil vom 21. Juni 2012 (Rechtssache C 5/11, EuZW 2012, 663) entschieden:

1. Ein Händler, der seine Werbung auf in einem bestimmten Mitgliedstaat ansässige Mitglieder der Öffentlichkeit ausrichtet und ein spezifisches Lieferungssystem und spezifische Zahlungsmodalitäten schafft oder für sie zur Verfügung stellt oder dies einem Dritten erlaubt und diese Mitglieder der Öffentlichkeit so in die Lage versetzt, sich Vervielfältigungen von Werken liefern zu lassen, die in dem betreffenden Mitgliedstaat urheberrechtlich geschützt sind, nimmt in dem Mitgliedstaat, in dem die Lieferung erfolgt, eine „Verbreitung an die Öffentlichkeit“ im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft vor.

2. Die Art. 34 AEUV und 36 AEUV sind dahin auszulegen, dass sie es einem Mitgliedstaat nicht verbieten, die Beihilfe zum unerlaubten Verbreiten von Vervielfältigungsstücken urheberrechtlich geschützter Werke in Anwendung seiner nationalen Strafvorschriften strafrechtlich zu verfolgen, wenn Vervielfältigungsstücke solcher Werke in dem betreffenden Mitgliedstaat im Rahmen eines Verkaufsgeschäfts an die Öffentlichkeit verbreitet werden, das speziell auf die Öffentlichkeit in diesem Mitgliedstaat ausgerichtet ist und von einem anderen Mitgliedstaat aus abgeschlossen wird, in dem ein urheberrechtlicher Schutz der Werke nicht besteht oder nicht durchsetzbar ist.

B.

Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

I.

Die Verfahrensrüge, § 261 StPO sei verletzt, weil das Landgericht den Inhalt der im Urteil als „verlesen“ wiedergegebenen Lieferlisten und -scheine (UA S. 11 bis 108) nicht in zulässiger Form in die Hauptverhandlung eingeführt habe, dringt - ungeachtet der Frage ihrer Zulässigkeit - in der Sache nicht durch.

1. Die Revision trägt vor, aus dem Protokoll der Hauptverhandlung ergebe sich, dass die besagten Lieferlisten und -scheine nicht im Wege eines ordnungsgemäß angeordneten Selbstleseverfahrens gemäß § 249 Abs. 2 StPO zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht worden seien. Sie seien auch sonst nicht eingeführt worden.

2. Das Hauptverhandlungsprotokoll vom 3. August 2009 enthält folgende Eintragung:

„Es wurde sodann in die Beweisaufnahme eingetreten. Die Verfahrensbeteiligten erhielten eine Liste mit aufgeführten Urkunden ausgehändigt, welche die Kammer gemäß § 249 II StPO in die Verhandlung einführen will.

- Anlage II zum Protokoll - Der Verteidiger des Angeklagten Do. … widersprach, soweit die in seinem Antrag aufgeführten Unterlagen betreffe.“

In Anlage II zum Protokoll vom 3. August 2009 befindet sich ein Abdruck der „Urkundenliste gem. § 249 Abs. 2 StPO“, die u.a. einen Beweismittelordner umfasst, der die Lieferlisten und -scheine beinhaltet, die laut Urteil in den Tabellen UA S. 11 bis 108 wiedergegeben sind.

Im Protokoll vom 22. September 2009 Seite 4 oben ist sodann ausgeführt:

„Es wurde festgestellt, dass das Gericht einschließlich der Schöffen von dem Wortlaut der Urkunden gemäß übergebenen Listen Kenntnis genommen hat und die übrigen Verfahrensbeteiligten Gelegenheit hatten hiervon Kenntnis zu nehmen.“

3. Der Senat folgt schon nicht der Auffassung der Revision, das Selbstleseverfahren sei lediglich angekündigt, nicht aber angeordnet worden. Vielmehr ergibt die Beweiskraft des Protokolls, dass der Inhalt der Lieferlisten im Wege des Selbstleseverfahrens in zulässiger Form in die Hauptverhandlung eingeführt worden ist.

Hier ist bei der - durch § 274 StPO nicht ausgeschlossenen, vielmehr bei zweifelhaftem Sinn des Protokolls gebotenen (Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 274 Rn. 5 mwN) - Auslegung maßgeblich auch das tatsächliche Vorgehen der Strafkammer zu berücksichtigen. Den Verfahrensbeteiligten wurde nämlich nicht nur mitgeteilt, die Strafkammer wolle Urkunden im Selbstleseverfahren einführen, sondern diese Urkunden wurden durch die aufgenommene „Urkundenliste gem. § 249 Abs. 2 StPO“ im Protokoll im Einzelnen bezeichnet. Zudem erhielten die Verfahrensbeteiligen zugleich einen Abdruck dieser Liste ausgehändigt. Danach kann in der protokollierten Mitteilung nicht mehr eine bloße Absichtserklärung gesehen werden; sie ist vielmehr als Anordnung des Selbstleseverfahrens durch das Gericht auszulegen, auch wenn das Wort Anordnung darin nicht vorkommt. Das Wort „will“ deutet lediglich auf die übrigen zur Umsetzung erforderlichen Handlungsakte - wie Kenntnisnahme bzw. Gelegenheit zur Kenntnisnahme - hin. Dass die Verfahrensbeteiligten hierin auch eine eindeutige Anordnung gesehen haben, wird belegt durch den vom Instanzverteidiger daraufhin - neben einem bereits zu einem früheren Zeitpunkt erhobenen Verwertungswiderspruch - eingelegten Widerspruch gemäß § 249 Abs. 2 Satz 2 StPO. Tragfähige Anhaltspunkte, die zu einer anderen Bewertung führen könnten, sind nicht ersichtlich.

Die Revision weist in diesem Zusammenhang allerdings darauf hin, dass der Widerruf des Verteidigers nicht beschieden worden ist. Daraus schließt der Senat jedoch nicht, dass die Strafkammer davon überzeugt gewesen wäre, dass die Voraussetzungen für ein Selbstleseverfahren nicht vorgelegen haben und auf der Grundlage dieser Überzeugung dann dennoch ein solches durchgeführt hat. Freilich ist die Bescheidung des Widerspruchs rechtsfehlerhaft unterbleiben. Die allein erhobene Rüge, ein Selbstleseverfahren sei durchgeführt worden, ohne dass es zuvor angeordnet worden sei, kann jedoch nicht in die wesensverschiedene Rüge umgedeutet werden, der gegen die Anordnung eines Selbstleseverfahrens vorgebrachte Widerspruch sei nicht verbeschieden worden (vgl. zur Bedeutung der Angriffsrichtung einer Verfahrensrüge BGH, Beschluss vom 29. August 2006 - 1 StR 371/06, NStZ 2007, 161, 162; BGH, Beschluss vom 14. September 2010 - 3 StR 573/09, NJW 2011, 1523, 1525).

Folgerichtig hat der Vorsitzende hinsichtlich der bezeichneten Urkundenliste die Feststellung gemäß § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO getroffen. Hierdurch wird beweiskräftig der Hinweis an die Verfahrensbeteiligten belegt, dass insoweit der Urkundsbeweis im Selbstleseverfahren außerhalb der Hauptverhandlung erhoben wurde und als Inbegriff der Hauptverhandlung im Sinne des § 261 StPO der Überzeugungsbildung des Gerichts zugrunde gelegt werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Juli 2010 - 3 StR 76/10, NJW 2010, 3382, 3383; BGH, Beschluss vom 14. September 2010 - 3 StR 131/10, NStZ-RR 2011, 20).

4. Im Übrigen wurden die für die Urteilsfindung relevanten Informationen aus den Lieferlisten und -scheinen auch auf andere Weise Gegenstand der Hauptverhandlung.

a) Denn der Angeklagte hat - was die Revision nicht mitteilt - ausweislich der Urteilsfeststellungen die Durchführung der Lieferungen entsprechend geschildert (UA S. 110, 126, 127). Zwar sind der Einführung von in Urkunden enthaltenen umfangreichen und detaillierten Informationen über eine Auskunftsperson Grenzen gesetzt (vgl. BGH, Beschluss vom 30. August 2011 - 2 StR 652/10, NJW 2011, 3733; BGH, Urteil vom 7. Februar 2006 - 3 StR 460/98, NJW 2006, 1529, 1531; BGH, Beschluss vom 5. April 2000 - 5 StR 226/99, NStZ 2000, 427; BGH, Beschluss vom 13. April 1999 - 1 StR 107/99, NStZ 1999, 424). Angesichts von Besonderheiten der Fallgestaltung steht dies hier der Einführung der für die Urteilsfindung bedeutsamen Umstände der Lieferungen über die Einlassung des Angeklagten nicht entgegen. Hierfür war zum einen von Bedeutung, dass es sich um aus den Geschäftsunterlagen des Angeklagten ergebende Informationen handelte, die zudem schon Gegenstand der Anklageschrift waren. Deren Richtigkeit konnte der Angeklagte also bereits zuvor im Hinblick auf das Strafverfahren prüfen. Zum anderen waren unter Berücksichtigung dieser vorherigen Prüfungsmöglichkeit die für die Urteilsfindung belangvollen Informationen - vor allem Anzahl und Zeitraum der Transportfahrten sowie hierfür erhaltener Frachtlohn - sehr wohl einer zusammenfassenden Schilderung zugänglich.

Dies gilt entsprechend für die Einführung der relevanten Informationen durch die Angaben der Zeuginnen Sc. und H., beide gemäß den Urteilsgründen Sachbearbeiterinnen des Zolls, die die Listen und -scheine vorab gesichtet und ausgewertet haben. So stellt die Strafkammer ausdrücklich fest, dass die Angaben zur Höhe des Frachtlohns auf den Angaben der Zeugin Sc. beruhen. Dass diese Informationen zu komplex sein sollten, um auch in einer nur 23 Minuten währenden Zeugeneinvernahme geklärt werden zu können, erschließt sich dem Senat nicht.

b) Soweit die Urteilsgründe daneben unter Verweis auf die Verlesung der Lieferlisten und -scheine eine Vielzahl der sich daraus ergebenden Details, wie z.B. die Namen der belieferten Kunden und der im Einzelnen gelieferten Einrichtungsgegenstände, enthalten, war dies für die Urteilsfindung ohne Belang und ersichtlich nur der Vollständigkeit und Genauigkeit wegen bei unstreitigem und unzweifelhaftem Sachverhalt aufgenommen worden. Insoweit wäre jedenfalls ein Beruhen des Urteils auf dem geltend gemachten Verstoß auszuschließen (vgl. BGH, Urteil vom 30. April 2009 - 1 StR 342/08, wistra 2009, 359; BGH, Beschluss vom 22. September 2006 - 1 StR 298/06, NStZ 2007, 235, 236; vgl. schon zum Ausschluss eines Verfahrensverstoßes BGH, Urteil vom 7. Februar 2006 - 3 StR 460/98, NJW 2006, 1529).

II.

Auch die sachlich-rechtliche Prüfung zum Schuld-und Strafausspruch hat keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben.

Zutreffend hat das Landgericht auf der Grundlage der ohne den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler getroffenen Feststellungen strafbare Taten nach § 106 Abs. 1, § 108a Abs. 1 UrhG bejaht, zu denen der Angeklagte Beihilfe geleistet hat (nachfolgend 1.). Die den freien Warenverkehr regelnden Art. 34, 36 AEUV stehen einer Strafbarkeit nicht entgegen (nachfolgend 2.). Der Angeklagte handelte auch schuldhaft. Denn jedenfalls ist das Landgericht in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise von der Vermeidbarkeit eines - allerdings eher fernliegenden - Verbotsirrtums ausgegangen (nachfolgend 3.).

1. Nach den Urteilsfeststellungen hat der Angeklagte dabei geholfen, in Deutschland geschützte Werke der angewandten Kunst gewerbsmäßig im Schutzland zu verbreiten (zum Territorialitätsprinzip vgl. BGH, Urteil vom 3. März 2004 - 2 StR 109/03, BGHSt 49, 93 mwN; BGH, Urteil vom 16. Juni 1994 - I ZR 24/92, BGHZ 126, 252 Rn. 17ff.; Dreier in Dreier/Schulze, UrhG, 3. Aufl. vor §§ 120 ff. Rn. 32).

a) Die genannten Einrichtungsgegenstände genießen in Deutschland als Werke der angewandten Kunst urheberrechtlichen Schutz gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 UrhG (vgl. BGH, Urteil vom 27. Februar 1961 - I ZR 127/59, GRUR 1961, 635 - Stahlrohrstuhl I; BGH, Urteil vom 27. Mai 1981 - I ZR 102/79, GRUR 1981, 820 - Stahlrohrstuhl II; BGH, Urteil vom 10. Dezember 1986 - I ZR 15/85, GRUR 1987, 903 - Le-Corbusier-Möbel; OLG Düsseldorf GRUR 1993, 903 - Bauhausleuchte). Bestand, Inhalt, Umfang und Inhaberschaft eines Schutzrechts richten sich nach dem Recht desjenigen Staates, für dessen Territorium es Wirkung entfalten soll, also nach dem Recht des Schutzlands (vgl. BGH, Urteil vom 3. März 2004 - 2 StR 109/03, BGHSt 49, 93 mwN; Dreier in Dreier/Schulze, UrhG, 3. Aufl. vor §§ 120 ff. Rn. 28, 30 mwN; Katzenberger in Schricker/Loewenheim, UrhG, 4. Aufl., Vor §§ 120 ff. Rn. 129 ff.).

b) Die Vervielfältigungsstücke der geschützten Werke wurden ohne Einwilligung der Berechtigten von dem Verantwortlichen der Firma D. gemäß § 106 Abs. 1, § 108a Abs. 1 UrhG in Deutschland verbreitet.

aa) Zu Recht hat das Landgericht wegen der Urheberrechtsakzessorietät dieser Strafvorschriften den Verbreitungsbegriff des § 17 UrhG zugrunde gelegt (BGH, Urteil vom 3. März 2004 - 2 StR 109/03, BGHSt 49, 93; Hildebrandt in Wandtke/Bullinger, Urheberrecht, 3. Aufl. § 106 Rn. 17).

bb) § 17 Abs. 1 UrhG dient der Umsetzung von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (im Folgenden RL 2001/29/EG). Es besteht deshalb die Notwendigkeit der richtlinienkonformen Auslegung dieser Norm nationalen Rechts (vgl. BGH, Urteil vom 22. Januar 2009 - I ZR 247/03, NJW 2009, 2960; BGH, Urteil vom 15. Februar 2007 - I ZR 114/04, BGHZ 171, 151 Rn. 32 f. Wagenfeld-Leuchte; Oppermann/Classen/ Nettesheim, Europarecht, 5. Aufl., 3. Teil Rn. 99).

cc) Für die Auslegung des Verbreitungsbegriffs gemäß Art. 4 Abs. 1 RL 2001/29/EG wiederum - und nicht etwa zur Anwendung des Unionsrechts auf den konkreten Fall, was allein den nationalen Gerichten obliegt (vgl. dd) - war die Vorabentscheidung durch den EuGH bestimmend (zur Urteilswirkung Kotzur in Geiger/Khan/Kotzur, AEUV EUV, 5. Aufl., § 267 Rn. 37).

Der EuGH hat zur Begründung der oben unter A.II. wiedergegebenen Beantwortung der Vorlagefrage zu 1. ausgeführt, dass die RL 2001/29/EG dazu diene, den Verpflichtungen nachzukommen, die der Union nach dem WIPO-Urheberrechtsvertrag (WCT; UNTS Bd. 2186, S. 121; ABl Nr. L 89 [2000], S. 6; BGBl 2003 II S. 754; vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 19. Juli 2011 - 1 BvR 1916/09) obliegen und Bestimmungen des Unionsrechts nach Möglichkeit im Lichte des Völkerrechts auszulegen seien. Deswegen sei „Verbreitung durch Verkauf“ in Art. 4 Abs. 1 RL 2001/29/EG im Einklang mit Art. 6 Abs. 1 WCT auszulegen und gleichbedeutend mit der dort verwandten Formulierung „durch Verkauf … der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden“ (EuGH aaO Rn. 23 f. mwN).

Um einen wirksamen Schutz des Urheberrechts entsprechend der Intention der RL 2001/29/EG zu sichern, so der EuGH, müsse der darin verwandte Begriff der Verbreitung eine autonome Auslegung im Unionsrecht erfahren, die nicht von dem Recht abhängen könne, das auf die Geschäfte anwendbar sei, in deren Rahmen eine Verbreitung erfolge und über das die Parteien verfügen könnten (EuGH aaO Rn. 25). Zur weiteren Begründung insoweit verweist er auf die Schlussanträge des Generalanwalts in dieser Sache, der weitergehend ausführt, dass es dem Urheber möglich sein müsse, die kommerzielle Nutzung seiner Werke von der Vervielfältigung über die Vertriebswege tatsächlich und wirksam zu kontrollieren (Nrn. 50 bis 53 der Schlussanträge, zur Vereinbarkeit mit Art. 8 Abs. 3 der Rom-II-Verordnung vgl. dort Nr. 51).

Dementsprechend hat der EuGH weiter ausgeführt, dass sich die Verbreitung an die Öffentlichkeit durch eine Reihe von Handlungen auszeichne, die zumindest vom Abschluss eines Kaufvertrags bis zu dessen Erfüllung durch die Lieferung an ein Mitglied der Öffentlichkeit reichten. Bei einem grenzüberschreitenden Verkauf könnten Handlungen, die zu einer „Verbreitung an die Öffentlichkeit“ i.S.v. Art. 4 Abs. 1 RL 2001/29/EG führten, in mehreren Mitgliedstaaten stattfinden. Ein Händler sei daher für jede von ihm selbst oder für seine Rechnung vorgenommene Handlung verantwortlich, die zu einer „Verbreitung an die Öffentlichkeit“ in einem Mitgliedstaat führe, in dem die in Verkehr gebrachten Waren urheberrechtlich geschützt seien. Ihm könne ebenfalls jede derartige von einem Dritten vorgenommene Handlung zugerechnet werden, wenn der betreffende Händler speziell die Öffentlichkeit des Bestimmungsstaats ansprechen wollte und ihm das Verhalten dieses Dritten nicht unbekannt sein konnte (EuGH, aaO Rn. 26 f.).

dd) Entsprechend diesem Schutzniveau des Gemeinschaftsrechts legt der Senat den Begriff des Verbreitens gemäß § 17 UrhG so aus, dass bei einem grenzüberschreitenden Verkauf ein Verbreiten in Deutschland gemäß § 17 UrhG schon dann vorliegt, wenn ein Händler, der seine Werbung auf in Deutschland ansässige Kunden ausrichtet und ein spezifisches Lieferungssystem und spezifische Zahlungsmodalitäten schafft, für sie zur Verfügung stellt oder dies einem Dritten erlaubt und diese Kunden so in die Lage versetzt, sich Vervielfältigungen von Werken liefern zu lassen, die in Deutschland urheberrechtlich geschützt sind.

Danach ist weder ein Eigentumsübergang noch ein Wechsel der Verfügungsgewalt in Deutschland zwingend erforderlich. Bei Nutzung eines gezielten und eingespielten Vertriebsweges hierher ist beim grenzüberschreitenden Verkauf hinreichend, dass eine dem Händler zuzurechnende Vertriebshandlung in Deutschland stattfindet, um das Tatbestandsmerkmal des § 106 Abs. 1 UrhG zu erfüllen.

ee) In diesem Sinne sind die Einrichtungsgegenstände von der Firma D., also dem Verantwortlichen La. in Deutschland verbreitet worden. Zwar war die Firma D. unmittelbar nur in Italien, mithin nicht im Schutzland tätig. Jedoch sind dieser Firma die in Deutschland erfolgten Lieferungen durch die Firma I. als ihre Vertriebshandlung zuzurechnen. Denn die Urteilsfeststellungen belegen eine gezielte Ausrichtung der Vertriebstätigkeit der Firma D. auf in Deutschland ansässige Kunden und spezifisch für diese geschaffene Liefer- und Zahlungsmodalitäten.

So wurden die von der Firma D. ohne Lizenz vertriebenen Vervielfältigungsstücke in Deutschland durch Zeitschriftenanzeigen und -beilagen, durch direkte Werbeanschreiben, durch zu Werbezwecken versandte, deutschsprachige Kataloge sowie mittels einer auch deutschsprachigen Internetseite beworben und zum Kauf angeboten. Für die Abwicklung stand deutschsprachiges Personal zur Verfügung. Dies lässt den Schluss zu, dass die Firma D. gezielt in Deutschland ansässige Kunden ansprechen und unter ihnen die Einrichtungsgegenstände verbreiten wollte. Zum anderen schuf sich die Firma D. für den Transport zu deutschen Kunden durch die seit Jahren bestehende, enge Zusammenarbeit mit der Spedition des Angeklagten einen eingespielten Vertriebsweg von Italien nach Deutschland.

Darüber hinaus hat das Landgericht zu Recht auf die spezifischen Zahlungsmodalitäten abgestellt, wie die Herausgabeverweigerung bei Nichtzahlung des Kunden, die Rücksendung der Ware an D. und die Erstattung von Kaufpreis und Frachtlohn an I. durch D. Daraus durfte es folgern, die Firma D. mache im Zusammenwirken mit der Firma I. trotz der bereits erfolgten Übereignung die Übergabe der Ware von der Bezahlung des Kaufpreises durch den Kunden abhängig. Dass das Landgericht diese Feststellung zur Grundlage genommen hat, um zu belegen, dass die Ware die betriebliche Sphäre des Verkäufers erst mit Auslieferung an die in Deutschland ansässigen Kunden verließ, also erst dort der Kunde die Verfügungsgewalt erlangte, beruht auf der Anwendung eines seiner rechtlichen Würdigung zugrunde gelegten engeren Verbreitungsbegriffs. Die Annahme dieser engeren Voraussetzungen durch das Landgericht - Zurechnung der Handlungen des Angeklagten zur betrieblichen Sphäre der Firma D. - belegt zwanglos auch die nach der Entscheidung des EuGH nur mehr erforderliche Verantwortlichkeit des Händlers für die ihm aufgrund eingespielter Vertriebswege bekannte Mitwirkung Dritter an deren Umsetzung.

c) Die Annahme, der Angeklagte, dem die gezielte Tätigkeit der Firma I. zur Verbreitung urheberrechtlich geschützter Waren in Deutschland ebenso bekannt war, wie seine bei der Verbreitung nicht nur untergeordnete Rolle, sei lediglich Teilnehmer und nicht sogar Mittäter, beschwert den Angeklagten nicht.

d) Auch die Annahme gewerbsmäßigen Handelns im Sinne des § 108a UrhG begegnet keinen Bedenken.

2. Der auf einer Auslegung der §§ 106, 108a UrhG, § 27 StGB im aufgezeigten Sinn gestützten Strafbarkeit steht nicht die unionsrechtlich garantierte Warenverkehrsfreiheit entgegen.

Zwar kann jede Regelung, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern, eine „Maßnahme gleicher Wirkung“ i.S.v. Art. 34 AEUV darstellen und daher unzulässig sein (vgl. EuGH, Urteil vom 11. Dezember 2003 - C 322/01, Deutscher Apothekerverband/DocMorris, GRUR 2004, 174 Rn. 66; EuGH, Urteil vom 11. Juli 1974 - C 8/74, Dassonville, NJW 1975, 515 Rn. 5). Solche Maßnahmen können indes aus Gründen des Schutzes des gewerblichen und kommerziellen Eigentums, wozu im Kernbereich auch das Urheberrecht zählt (EuGH, Urteil vom 24. Januar 1989 - Rs 341/87, EMI Electrola/Patricia Im- und Export, GRUR Int. 1989, 319, Rn. 12; EuGH, Urteil vom 22. Januar 1981 - Rs 55/80, Musik-Vertrieb Membran/GEMA, EuGHE 1981, 147, 162; Ulrich/Konrad in Dauses, Hdb. EU-WirtschaftsR C.III Rn. 8 mwN), gerechtfertigt sein, wenn sie weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten darstellen (Art. 36 AEUV ab 1. Dezember 2009, vormals Art. 30 EGV).

Beschränkungen, die auf dem Unterschied in den nationalen Regelungen über die Schutzfristen beruhen, sind gerechtfertigt, wenn diese untrennbar mit dem Bestehen der ausschließlichen Rechte verknüpft sind (vgl. etwa EuGH aaO, Urteil vom 24. Januar 1989 - Rs 341/87, EMI Electrola/Patricia Im- und Export, GRUR Int. 1989, 319, Rn. 12). Das muss dann erst recht gelten, wenn an sich bestehende Schutzrechte nur unterschiedlich durchsetzbar sind, denn die Beschränkung, die für einen Händler aufgrund des strafrechtlich sanktionierten Verbreitungsverbots besteht, beruht in derartigen Fällen ebenfalls nicht auf einer Handlung oder auf der Zustimmung des Rechtsinhabers, sondern darauf, dass die Bedingungen des Schutzes der betreffenden Urheberrechte von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich sind, wie der EuGH in der Vorabentscheidung in dieser Sache klargestellt hat (EuGH, Urteil vom 21. Juni 2012, Rechtssache C 5/11, Rn. 34, EuZW 2012, 663).

Dies muss auch nicht zu einer unzulässigen, weil unverhältnismäßigen und künstlichen Abschottung der Märkte führen (vgl. EuGH, Urteil vom 24. Januar 1989 - Rs 341/87, EMI Electrola/Patricia Im und Export, GRUR Int. 1989, 319, Rn. 7 f.). Denn von den Mitgliedstaaten kann zum Schutz des Urheberrechts auch eine Strafbarkeit als erforderlich angesehen werden; die sich daraus ergebende Beschränkung des freien Warenverkehrs ist gerechtfertigt und verfolgt einen legitimen Zweck, wenn sich der Beschuldigte absichtlich oder zumindest wissentlich an Handlungen beteiligt hat, die zur Verbreitung geschützter Werke an die Öffentlichkeit in einem Mitgliedstaat führen, in dem das Urheberrecht in vollem Umfang geschützt ist, und so das ausschließliche Recht des Inhabers dieses Rechts beeinträchtigen (EuGH aaO Rn. 36).

So verhält es sich im vorliegenden Fall. Das dem Urheberrechtsinhaber nach § 17 UrhG zustehende ausschließliche Verbreitungsrecht gilt unterschiedslos für inländische und eingeführte Erzeugnisse. Für die geschützten Werke bestand in Italien im Tatzeitraum entweder nur eine verkürzte Schutzfrist oder der an sich bestehende urheberrechtliche Schutz war nicht durchsetzbar. Zudem wurden die Vervielfältigungsstücke der geschützten Werke unter Beteiligung des Angeklagten im Rahmen eines Verkaufsgeschäfts in Deutschland verbreitet, welches speziell auf Kunden in Deutschland ausgerichtet war (II. 1.) und von Italien aus abgeschlossen wurde. Die Beschränkung des italienischen Anbieters durch ein sanktioniertes Verbreitungsverbot in Deutschland beruht somit ausschließlich auf den unterschiedlichen Schutzvoraussetzungen des deutschen und des italienischen Urheberrechts und ist mithin gerechtfertigt.

3. Der Angeklagte handelte auch schuldhaft.

Das Landgericht hat sich von einem schuldhaften Handeln des Angeklagten überzeugt. Entgegen der fehlerhaften, den sich eindeutig ergebenden Sinn indes nicht in Frage stellenden Formulierung im Urteil handelte der Angeklagte nicht „ohne Schuld“. Denn der angenommene Verbotsirrtum ist - wie das Landgericht insoweit zutreffend ausführt - jedenfalls vermeidbar gewesen (§ 17 Satz 2 StGB).

a) Zwar begegnet die Annahme eines Verbotsirrtums Bedenken, indes ist der Angeklagte hierdurch nicht beschwert.

Das Landgericht legt seiner Würdigung zugrunde, der Angeklagte sei davon ausgegangen, mit der Verlegung des Lagers nach Italien würde eine Strafbarkeit in Deutschland entfallen. Dies gründet es auf die unwiderlegte Einlassung, er sei in diese Richtung beraten worden.

Die bloße Berufung des Angeklagten auf einen Verbotsirrtum nötigt nicht dazu, einen solchen als gegeben anzunehmen. Es bedarf vielmehr einer Gesamtwürdigung aller Umstände, die für das Vorstellungsbild des Angeklagten von Bedeutung waren (vgl. BGH, Urteil vom 18. August 2009 - 1 StR 107/09, NStZ-RR 2010, 85; BGH, Urteil vom 8. September 2011 - 1 StR 38/11, NStZ 2012, 160).

Zu einer solchen Gesamtwürdigung aller für das Vorstellungsbild des Angeklagten relevanten Umstände hätte indes hier Anlass bestanden. Dass dies unterblieben ist, lässt besorgen, dass die Strafkammer bei der Frage, ob dem Angeklagten die Einsicht fehlte, Unrecht zu tun, von einem unzutreffenden Maßstab ausgegangen ist.

Denn der Täter hat bereits dann ausreichende Unrechtseinsicht, wenn er bei Begehung der Tat mit der Möglichkeit rechnet, Unrecht zu tun, und dies billigend in Kauf nimmt. Es genügt mithin das Bewusstsein, die Handlung verstoße gegen irgendwelche, wenn auch im Einzelnen nicht klar vorgestellte gesetzliche Bestimmungen (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 3. April 2008 - 3 StR 394/07, NStZ-RR 2009, 13; BGH, Beschluss vom 24. Februar 2011 - 5 StR 514/09, NJW 2011, 1236, 1239 mwN). Für ein solches Vorstellungsbild sprechende Indizien lässt das Landgericht unerörtert.

So war dem Angeklagten aus dem ersten Strafverfahren bewusst, dass er sich in einem rechtlichen Grenzbereich bewegte. Die ihm zuteil gewordene rechtliche Beratung erfolgte zu Geschäftsmodellen, die darauf ausgelegt waren, eine als möglich erkannte Strafbarkeit zu umgehen. Dies setzt aber eine gedankliche Auseinandersetzung mit den Grenzen strafbaren Verhaltens voraus und schließt die Möglichkeit mit ein, sich bei einer Fehlinterpretation der Gesetzeslage strafbar zu machen (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 8. Dezember 2009 - 1 StR 277/09, BGHSt 54, 243, 258; BGH, Urteil vom 8. September 2011 - 1 StR 38/11, NStZ 2012, 160). So lag es hier, denn der Angeklagte konnte sich für die lediglich erhoffte Annahme der Straflosigkeit auf keine höchstrichterlichen Entscheidungen stützen. Deswegen kommt auch dem Aspekt, dass der Begriff der Verbreitung im Sinne des Art. 4 Abs. 1 RL 2001/29/EG durch den EuGH erst in diesem Verfahren eine weitere Auslegung erfahren hat, für die Irrtumsfrage keine ausschlaggebende Bedeutung zu.

In diesem Zusammenhang hätte zudem nicht unbeachtet bleiben dürfen, dass die vom Angeklagten praktizierten Lieferbedingungen entgegen einem beabsichtigten Anschein darauf ausgerichtet waren, Einwirkungsmöglichkeiten der Firma D. bis zur Zahlung durch den Kunden aufrecht zu erhalten. Diese Verfahrensweise hätte Anlass sein müssen, zu prüfen, ob der Angeklagte nicht von einer gewissen Wahrscheinlichkeit der Strafbarkeit des praktizierten Geschäftsmodells ausgegangen ist, weil anderenfalls kein Erfordernis für die festgestellte Verschleierung bestanden hätte.

Bei der gebotenen Gesamtwürdigung wäre das Landgericht überdies nicht gehindert gewesen, aus dem Umstand, dass der Angeklagte die Rechtsanwälte U. und D’. nicht von der Schweigepflicht entbunden hat, dem Angeklagten nachteilige Schlüsse zu ziehen. Zwar darf aus zulässigem Prozessverhalten grundsätzlich kein dem Angeklagten nachteiliger Schluss gezogen werden. Hat sich der Angeklagte aber - wie hier - nach Belehrung zum Tatgeschehen geäußert und ein Beweismittel für seine Unschuld benannt und sich damit in einer bestimmten Weise zum Hergang des Gesprächs mit dem Rechtsanwalt geäußert, sodann aber die Überprüfung dieser Darstellung verhindert, kann der Tatrichter hieraus Schlüsse auch zum Nachteil des Angeklagten ziehen (BGH, Urteil vom 3. Dezember 1965 - 4 StR 573/65, BGHSt 20, 298 mwN; vgl. Miebach NStZ 2000, 234, 239).

b) Jedenfalls ist das Landgericht in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise von der Vermeidbarkeit eines solchen Irrtums ausgegangen.

Unvermeidbar ist ein Verbotsirrtum erst dann, wenn der Täter alle seine geistigen Erkenntniskräfte eingesetzt und etwa aufkommende Zweifel durch Nachdenken oder erforderlichenfalls durch Einholung verlässlichen und sachkundigen Rechtsrats beseitigt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Januar 1966 - KRB 2/65, BGHSt 21, 18, 20; BGH, Urteil vom 3. April 2008 - 3 StR 394/07, NStZ-RR 2009, 13). Dabei müssen sowohl die Auskunftsperson als auch die Auskunft aus der Sicht des Täters verlässlich sein; die Auskunft selbst muss zudem einen unrechtsverneinenden Inhalt haben. Eine Auskunft ist in diesem Sinne nur dann verlässlich, wenn sie objektiv, sorgfältig, verantwortungsbewusst und insbesondere nach pflichtgemäßer Prüfung der Sach- und Rechtslage erteilt worden ist (vgl. Vogel in LK 12. Aufl. § 17 Rn. 78, 85). Bei der Auskunftsperson ist dies der Fall, wenn sie die Gewähr für eine diesen Anforderungen entsprechende Auskunftserteilung bietet, sie muss insbesondere sachkundig und unvoreingenommen sein und mit der Erteilung der Auskunft keinerlei Eigeninteresse verfolgen (vgl. BGH, Urteil vom 15. Dezember 1999 - 2 StR 365/99, BGHR StGB § 17 Vermeidbarkeit 4; BGH, Urteil vom 13. September 1994 - 1 StR 357/94, BGHSt 40, 257, 264).

Auf der Grundlage dessen durfte das Landgericht die vom Angeklagten entfalteten Bemühungen zur Klärung der Rechtslage als nicht ausreichend werten.

Zum einen boten einige Auskunftspersonen nicht die Gewähr für eine verlässliche Auskunft. Zu Recht hat das Landgericht darauf abgestellt, dass die Auskunft des Geschäftsführers der Firma D. und deren Anwalt D‘. im Interesse der Firma D. erfolgte, was für den Angeklagten ohne weiteres erkennbar war. Abgesehen von einer ungewissen Sachkunde zu Fragen des deutschen Urheberrechts, hätte er daher berücksichtigen müssen, dass diese Auskunftspersonen möglicherweise voreingenommen waren und mit der Auskunft Eigeninteressen verfolgten, nämlich durch seine weitere Mitwirkung an dem Geschäftsmodell Einnahmen unter Verletzung der Urheberrechte in Deutschland zu erzielen.

Zum anderen waren die Auskünfte der anderen Rechtsanwälte für den Angeklagten, der aufgrund des ersten Strafverfahrens um das Risiko einer Strafbarkeit bei dem Handel von unlizensierten Vervielfältigungsstücken urheberrechtlich geschützter Werke nach Deutschland wusste, nicht hinreichend verlässlich.

Der Rat eines Rechtsanwalts ist nicht ohne weiteres bereits deshalb vertrauenswürdig, weil er von einer kraft ihrer Berufsstellung vertrauenswürdigen Person erteilt worden ist. Maßgebend ist vielmehr, ob der Rechtsrat - aus der Sicht des Anfragenden - nach eingehender sorgfältiger Prüfung erfolgt und von der notwendigen Sachkenntnis getragen ist (BGH, Urteil vom 15. Dezember 1999 - 2 StR 365/99, BGHR StGB § 17 Vermeidbarkeit 4). Eher zur Absicherung als zur Klärung bestellte Gefälligkeitsgutachten scheiden als Grundlage unvermeidbarer Verbotsirrtümer aus (vgl. Fischer, StGB, 59. Aufl. § 17 Rn. 9 a). Auskünfte, die erkennbar vordergründig und mangelhaft sind oder nach dem Willen des Anfragenden lediglich eine „Feigenblattfunktion“ erfüllen sollen, können den Täter ebenfalls nicht entlasten. Vielmehr muss der Beratende eine vollständige Kenntnis von allen tatsächlich gegebenen, relevanten Umständen haben. Insbesondere bei komplexen Sachverhalten und erkennbar schwierigen Rechtsfragen ist regelmäßig ein detailliertes, schriftliches Gutachten erforderlich, um einen unvermeidbaren Verbotsirrtum zu begründen (BGH, Urteil vom 3. April 2008 - 3 StR 394/07, NStZ-RR 2009, 13 mwN).

Der Verweis des Geschäftsführers der Firma D. auf den Rechtsrat eines Frankfurter Rechtsanwalts bot keine Gewähr für eine derart verlässliche Auskunft. Schon ungeachtet der Einbindung La. s und dessen Eigeninteresse durfte der Angeklagte nicht auf diese ganz pauschale Auskunft vertrauen.

Auch der vom Angeklagten nur einmal kontaktierte Rechtsanwalt U. konnte keine Auskunft aufgrund sorgfältiger Prüfung und Kenntnis aller Umstände erteilen. Denn er hatte den Angeklagten darauf hingewiesen, dass die Frage einer Urheberrechtsverletzung genauerer Abklärung bedürfe, welche aber nicht erfolgte. Zutreffend folgert das Landgericht hieraus, dass dies keine ausreichende Grundlage für einen unvermeidbaren Irrtum des Angeklagten bot.

Zudem hätte berücksichtigt werden dürfen, dass der Angeklagte sich einerseits darauf beruft, er habe auf den Rechtsrat Rechtsanwalts U. s und des auch von ihm bezahlten Rechtsanwalts der Firma D. vertraut, andererseits aber eine Überprüfung der Substanz dieser Auskünfte durch Nichtentpflichtung von der Schweigepflicht der Rechtsanwälte nicht ermöglicht hat (hierzu oben unter a.).

Mit nicht zu beanstandenden Erwägungen hat das Landgericht die Auskunft des Rechtsanwalt Sk. als nicht verlässlich gewertet, da diese weder „eindeutig“ oder „klar“, sondern lediglich eine allgemeine und ohne konkrete Prüfung und Kenntnis der Ausgestaltung des geänderten Geschäftsmodells geäußerte Rechtsauffassung gewesen sei. Dies wird von den Feststellungen getragen, denn Rechtsanwalt Sk. hat dem Angeklagten ungefragt lediglich seine - ohne Wissen um die genauen Umständen des praktizierten Geschäftsmodells ersichtlich wenig substantiierte - Auffassung bei Kenntnis um den kontroversen Meinungsstand bekundet. Eine solche Auskunft hat schon keinen hinreichend unrechtsverneinenden Inhalt. Auf diesem ihm günstigen Standpunkt durfte der Angeklagte nicht vorschnell vertrauen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Juni 1985 - 3 StR 82/85) und seine Augen nicht vor gegenteiligen Ansichten und Entscheidungen verschließen. Denn es reicht nicht aus, wenn er aufgrund der Auskunft nicht mehr als eine Hoffnung haben kann, das ihm bekannte Strafgesetz greife nicht ein (vgl. BGH, Urteil vom 3. April 2008 - 3 StR 394/07, NStZ-RR 2009, 13 mwN). Nachfragen seitens des Angeklagten erfolgten aber nicht.

c) Soweit die Revision sich darauf beruft, dem Angeklagten hätte auch bei weitergehenden Bemühungen angesichts der erst in diesem Verfahren erfolgten Entscheidung des EuGH zur Auslegung des Art. 4 Abs. 1 der RL 2001/29/EG kein der jetzigen Rechtslage entsprechender Hinweis erteilt werden können, führt dies zu keiner anderen Beurteilung. Angesichts des schon vor der Vorabentscheidung des EuGH bestehenden strafrechtlich abgesicherten Urheberrechtsschutzes war das vom Angeklagten praktizierte Geschäftsmodell mit dem Risiko der Strafbarkeit behaftet, wie die Entscheidung des Landgerichts in dieser Sache belegt (vgl. hierzu Vorlagebeschluss des Senats in dieser Sache vom 8. Dezember 2010). Eine den dargestellten Anforderungen an Verlässlichkeit genügende, insbesondere auf der Grundlage einer dem Angeklagten obliegenden umfassenden Darstellung des Geschäftsmodells erfolgende Auskunft hätte auf dieses Risiko hingewiesen und spätestens hierdurch beim Angeklagten die Einsicht geweckt, es bestehe die Möglichkeit der Strafbarkeit. Ob das Verbreiten dabei entsprechend der Vorabentscheidung des EuGH weit ausgelegt oder - enger - an das hier gegebene Erfordernis des Übergangs der tatsächlichen Verfügungsgewalt geknüpft wird, ist für das Vorstellungsbild unerheblich.

III.

Die Feststellung nach § 111i Abs. 2 StPO ist rechtlich nicht zu beanstanden. Der Angeklagte hat aus den Taten nach dem 1. Januar 2007 (vgl. zur Nichtanwendbarkeit des § 111i Abs. 2 StPO auf zuvor bereits beendete Taten gemäß § 2 Abs. 5 i.V.m. Abs. 3 StGB, BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2008 - 1 StR 535/08, NStZ-RR 2009, 56) den ihm vom Kunden ausbezahlten Frachtlohn erlangt; einer Verfallsanordnung stehen die den verletzten Lizenzinhabern aus den Taten erwachsenen Ansprüche (§ 97 UrhG, § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB) entgegen.

HRRS-Nummer: HRRS 2012 Nr. 1046

Externe Fundstellen: BGHSt 58, 15; NJW 2013, 93

Bearbeiter: Karsten Gaede