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HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 422

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 549/08, Urteil v. 18.03.2009, HRRS 2009 Nr. 422


BGH 1 StR 549/08 - Urteil vom 18. März 2009 (LG Regensburg)

Rechtsfehlerhaft begründeter Freispruch (mangelnde Gesamtwürdigung und rechtsfehlerhafte Anwendung des Zweifelsgrundsatzes auf Indizien; fernliegende Deutungen des Tatrichters; überspannte Anforderungen bei der Überzeugungsbildung).

§ 261 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. In der Beweiswürdigung selbst muss der Tatrichter sich mit allen festgestellten Indizien auseinandersetzen, die geeignet sind, das Beweisergebnis zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen. Dabei muss sich aus den Urteilsgründen selbst ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung einbezogen wurden. Denn die Indizien können in ihrer Gesamtheit dem Gericht die entsprechende Überzeugung vermitteln, auch wenn eine Mehrzahl von Beweisanzeichen jeweils für sich allein nicht zum Nachweis der Täterschaft eines Angeklagten ausreicht (BGH NStZ-RR 2003, 369, 370 m.w.N.).

2. Zwar ist es die Aufgabe des Tatrichters, die Bedeutung und das Gewicht der einzelnen be- und entlastenden Indizien in einer Gesamtwürdigung des Beweisergebnisses zu bewerten (BGH NStZ 2008, 146, 147). Verwirft er jedoch die nahe liegenden Deutungsmöglichkeiten und führt zur Begründung seiner Zweifel an der Täterschaft eines Angeklagten nur Schlussfolgerungen an, für die es nach der Beweisaufnahme entweder keine tatsächlichen Anhaltspunkte gibt oder die als eher fern liegend zu betrachten sind, so muss er im Rahmen der Gesamtwürdigung erkennbar erwägen, dass er sich dieser besonderen Konstellation bewusst war. Anderenfalls kann nämlich nicht ausgeschlossen werden, dass der Tatrichter überspannte Anforderungen an seine Überzeugungsbildung gestellt hat.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers wird das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 2. Mai 2008 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des Mordes in Tateinheit mit Raub mit Todesfolge aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Nach der Anklage lag ihm zur Last, zu einem nicht genau feststellbaren Zeitpunkt zwischen dem 21. Februar 2007 gegen 18.00 Uhr und dem 22. Februar 2007 gegen 15.00 Uhr seinen Onkel K. H. aus Habgier und heimtückisch erdrosselt zu haben.

Gegen diesen Freispruch richten sich die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklage, mit denen sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügen. Die Rechtsmittel, die vom Generalbundesanwalt vertreten werden, haben mit der Sachrüge Erfolg. Auf die Verfahrensrügen kommt es daher nicht mehr an.

I.

1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:

Der wegen Diebstahls und Betrugs vorbestrafte arbeitslose Angeklagte, der seit seiner Jugend Kampf- und Ausdauersportarten betreibt, befand sich seit Jahren in finanziellen Schwierigkeiten. Im Februar 2007 lebte er mit seiner Frau, die sich von ihm trennen wollte, und seinem kleinen Sohn in einem Motel in Straubing. An regelmäßigen Einkünften hatten sie nur das Erziehungs- und Kindergeld, das für die Deckung ihrer Lebenshaltungskosten - der Angeklagte hatte neben dem Motelzimmer auch einen Mietwagen (einen schwarzen Audi A3) zu zahlen - nicht ausreichte. In dieser Zeit hatte der Angeklagte engen Kontakt zu seinem in Bogen wohnenden Onkel, dem 48 Jahre alt gewordenen K. H., dem späteren Opfer der Tat. Er besuchte ihn zu Hause, fuhr ihn zum Einkaufen und ging gelegentlich mit ihm aus. Außerdem stellte er den Kontakt zu einem Gebrauchtwagenhändler her, der K. H. s Auto, das durch einen Unfall beschädigt worden und nicht mehr fahrtauglich war, kaufen wollte. Am Nachmittag des 21. Februar 2007 war der Angeklagte bei seinem Onkel in Bogen zu Besuch. Gegen 17.00 Uhr holte der Gebrauchtwagenhändler das Auto bei K. H. ab und zahlte diesem 2.700,-- Euro in bar, davon 2.500,-- Euro in fünf 500-Euro-Scheinen. Das letzte Lebenszeichen, das zweifelsfrei K. H. zugeordnet werden konnte, war eine SMS mit persönlichem Inhalt, die dieser um 18.50 Uhr an die Lebensgefährtin seines Bruders verschickte.

Am späten Nachmittag des folgenden Tages, dem 22. Februar 2007, zahlte der Angeklagte einen Teil seiner Schulden zurück. So überbrachte er dem Zeugen M. einen Umschlag, in dem sich ein 500-Euro-Schein und ein 100-Euro-Schein befanden. Das Geld hatte er sich von diesem mit dem Versprechen geliehen, es umgehend wieder zurück zu zahlen. An dieses Versprechen hatte er sich jedoch nicht gehalten und der Zeuge M. hatte ihn zuletzt massiv zur Rückzahlung des Darlehens gedrängt. Gegen 16.30 Uhr zahlte er mit weiteren zwei 500-Euro-Scheinen zudem einen Teil seiner Motel-Rechnung, nachdem er auch hier bereits mehrfach zur Zahlung aufgefordert worden war. Am 23. Februar 2007 zahlte er noch 500,-- Euro auf seinem Konto bei der Postbank ein.

An diesem Tag fiel erstmals auch das Verschwinden von K. H. auf. Sein Bruder, der Zeuge F. H., und dessen Lebensgefährtin, die Zeugin E. W., konnten ihn nicht mehr erreichen. Sein Mobiltelefon war ausgeschaltet und auch zuhause konnte er nicht mehr angetroffen werden. Im Rahmen ihrer Suche befragten F. H. und E. W. auch den Angeklagten nach dem Verbleib von K. H. Dieser gab dabei an, dass er nicht wisse, wo dieser sei. Am 25. Februar 2007 fand eine Aussprache zwischen diesen Personen auf dem "Bogenberg" statt, in deren Verlauf der Angeklagte von F. H. und E. W. erneut zu dem Verbleib von K. H. befragt wurde. Dabei gab der Angeklagte unter anderem an, dass er am späten Vormittag des 22. Februar 2007 bei K. H. zu Besuch gewesen sei und ihn zum Einkaufen gefahren habe. Als er den Onkel danach verlassen habe, sei dieser noch am Leben gewesen.

Am 26. Februar 2007 gegen 14.30 Uhr fand eine Feldarbeiterin die Leiche K. H. s zwischen Strohballen auf einem Feld nahe der Bundesstraße B 8 in Straubing Lerchenhaid. An der Vorderseite seines Halses fand sich eine nahezu waagrecht verlaufende Strangfurche. Bei der anschließenden Obduktion wurde zudem an der Vorderseite der Halswirbelsäule eine klaffende Spaltbildung festgestellt. Als Todesursache wurde daraufhin ein zentrales Regulationsversagen infolge Strangulation im Sinne des Drosselns ermittelt, wobei die Einwirkung von hinten mit einer Überstreckung des Kopfes erfolgte. Geldbörse, Handy und Schlüsselbund von K. H. waren ebenso verschwunden wie die 2.700,-- Euro, die er anlässlich des Verkaufs seines Autos erhalten hatte.

Der gegen den Angeklagten sprechende Tatverdacht beruht auf folgenden Erkenntnissen:

a) Der Angeklagte, der sich in finanziellen Schwierigkeiten befand, gab am Nachmittag des 22. Februar und am 23. Februar 2007 insgesamt einen Betrag von 2.100,-- Euro aus, wobei er mit vier 500-Euro-Scheinen und einem 100-Euro-Schein zahlte. Einer der von dem Angeklagten verauslagten 500-Euro-Scheine konnte von der Polizei sichergestellt werden. Bei einem Vergleich der Seriennummer dieses Scheines mit den Seriennummern von fünf weiteren 500-Euro-Scheinen, die bei dem Bruder des Gebrauchtwagenhändlers sichergestellt werden konnten und die, wie die an K. H. übergebenen und nach dessen Tod verschwundenen Geldscheine, aus einem Autoverkauf in Wuppertal stammten, konnte festgestellt werden, dass alle diese Scheine aus einer Serie stammten, die im Jahr 2004 an die Filiale der Deutschen Bundesbank in Mainz ausgegeben worden waren.

b) Zur Herkunft des von ihm am 22. und 23. Februar 2007 verausgabten Geldes bei seiner Beschuldigtenvernehmung befragt, gab der Angeklagte an, dass ein Teil davon von einem spanischen Boxtrainer stamme, den er an dem Wochenende vor dem 2. Februar 2007 in einem Hotel in München getroffen habe und von dem er 2.800,-- Euro in bar erhalten habe. Den anderen Teil des Geldes habe er von seinen Konten in der Schweiz abgehoben. Bei den anschließenden polizeilichen Ermittlungen stellte sich heraus, dass der Angeklagte im Februar 2007 und davor keine Guthaben auf seinen Konten in der Schweiz hatte. Der spanische Boxtrainer konnte ebenfalls nicht ermittelt werden.

Anfragen der Polizei in dem Hotel in München, bei verschiedenen spanischen Boxverbänden und unter der von dem Angeklagten bezeichneten Wohnadresse in Spanien verliefen negativ. Die von dem Angeklagten angegebene E-Mail-Adresse des Trainers war früher einmal existent, aber seit dem 27. Februar 2007 nicht mehr gültig.

c) Bei der Auswertung der Telefonverbindungsdaten wurde festgestellt, dass das Handy des Opfers am 22. Februar 2007 um 12.42 Uhr in dem Funkzellenbereich "Straubing Alburg" eingebucht war, in dem sich auch der Leichenfundort befindet. Kurz zuvor um 12.25 Uhr fand ein Telefongespräch mit dem Handy des Opfers, das sich zu diesem Zeitpunkt in einem Funkzellenbereich im Norden von Straubing befand, und dem Handy des Bruders des Angeklagten statt. Da K. H. kaum Kontakt zu dem Bruder des Angeklagten gehabt hatte, war der Angeklagte, der in seiner Beschuldigtenvernehmung zudem angegeben hatte, um die Mittagszeit des 22. Februar 2007 bei K. H. gewesen zu sein, als potentieller Anrufer in Betracht gekommen, zumal sein eigenes Handy zum Zeitpunkt des Telefonanrufs bei seinem Bruder um 12.25 Uhr kein Gesprächsguthaben mehr aufwies und deshalb bereits um 11.24 Uhr ein Telefonanruf auf dem Handy des Opfers nicht mehr zustande gekommen war.

d) Bei der kriminaltechnischen Untersuchung der Opferbekleidung wurde schließlich in der rechten Gesäßtasche der Hose eine DNA-Mischspur festgestellt, die in sechs Merkmalen mit dem Erbgut des Angeklagten identisch war. An der linken Schulterinnenseite der Jacke des Opfers wurde zudem eine stark ausgeprägte DNA-Spur nachgewiesen, die der Ehefrau des Angeklagten zugeordnet werden konnte.

3. Das Landgericht hat den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen.

a) Im Rahmen seiner umfangreichen Beweiswürdigung hat es insbesondere dargelegt, dass es nicht feststehe, dass sich der Angeklagte das von ihm am 22. und 23. Februar 2007 verauslagte Geld gewaltsam oder gar durch die Tötung seines Onkels verschafft habe. So könnte es ihm von diesem auch freiwillig überlassen worden sein, beispielsweise im Wege eines Verwandtendarlehens oder durch Betrug. Der Angeklagte sei einschlägig vorbestraft und habe in der Vergangenheit immer wieder Vermögensvorteile durch Versprechungen erlangt, die er glaubhaft vorgetragen, aber letztlich nicht gehalten habe.

b) Dass der Angeklagte bei der Polizei behauptete, dass er das Geld nicht von dem Tatopfer erhalten habe, sondern dass dieses teilweise von einem spanischen Boxtrainer, dessen Existenz in der Beweisaufnahme nicht nachgewiesen werden konnte, bzw. von seinen Konten in der Schweiz stammen würde, die jedoch nach den Erkenntnissen aus der Hauptverhandlung im Februar 2007 und davor keine Guthaben aufwiesen, sieht das Landgericht nicht als ein für die Annahme der Schuld des Angeklagten ausreichendes Indiz an. Es sei nämlich nicht auszuschließen, dass der Angeklagte bei seiner polizeilichen Vernehmung zu einer Lüge gegriffen habe, nachdem ihm die Erlangung des von ihm verauslagten Geldes von der Polizei als Mordmotiv vorgehalten worden sei, um sich nicht selbst einem Verdacht auszusetzen.

c) Nach den Ausführungen des Landgerichts sei es auch "nicht ausschließbar zutreffend", dass das Opfer, wie dies der Angeklagte anlässlich einer Aussprache mit F. H. am 25. Februar 2007 behauptet habe, den Anruf am 22. Februar 2007 um 12.25 Uhr auf das Handy des Bruders des Angeklagten noch selbst getätigt habe. Bedingung hierfür sei, dass der Angeklagte - entgegen seinen eigenen Angaben gegenüber F. H. und der Polizei - nicht durchgängig vom Vormittag bis zum Nachmittag des 22. Februar 2007 bei K. H. in Bogen gewesen sein könne. Als Erklärung für die abweichende Einlassung des Angeklagten führt das Landgericht an, dass er damit möglicherweise einen Besuch am Morgen des 22. Februar 2007 bei E. W. habe verschleiern wollen, indem er insbesondere einen Besuch bei dem Tatopfer nur deshalb behauptet habe, "um entstehende Zeitlücken" zu füllen. Auch wenn anhand der erhobenen Verbindungsdaten feststehe, dass K. H. niemals die Handynummer des Angeklagten benutzt habe, könne nicht ausgeschlossen werden, dass K. H. dennoch über die Rufnummer des Bruders des Angeklagten verfügt habe. Der Angeklagte soll nämlich gegenüber F. H. und E. W. behauptet haben, dass er K. H. einmal mit dem Handy seines Bruders angerufen habe, so dass es bei dieser Gelegenheit - im Fall der Richtigkeit dieser Angaben - zu einer Übertragung der Rufnummer gekommen sein könnte. Eine nähere Aufklärung sei in diesem Punkt aber nicht zu erzielen gewesen, weil K. H. s Handy nicht mehr zur Auswertung zur Verfügung gestanden habe.

d) Das Landgericht hat weiterhin ausgeführt, dass es auch keine sonstigen "tragfähigen" Erkenntnisse für die Täterschaft des Angeklagten gebe. Eine bei der kriminaltechnischen Untersuchung in der rechten Gesäßtasche der Hose des Opfers festgestellte DNA-Mischspur sei zwar in sechs Merkmalen mit dem Erbgut des Angeklagten identisch. Nach den Ausführungen des Sachverständigen sei diese Mischspur aber auch als eine Kombination aus der DNA von bis zu vier Personen oder als eine indirekte Antragung durch das Opfer selbst denkbar. Eine an der linken Schulterinnenseite der Jacke des Opfers stark ausgeprägte DNA-Spur, die der Ehefrau des Angeklagten zugeordnet werden konnte, könnte entweder direkt anlässlich eines Besuchs des Angeklagten und seiner Familie bei K. H. am Faschingssonntag, dem 18. Februar 2007, oder indirekt durch den Angeklagten selbst angetragen worden sein, ohne dass dies aber in Bezug zu der konkreten Tat stehen müsse.

e) Das Landgericht hat schließlich dargelegt, dass eine zusammenfassende Würdigung aller Beweise und Indizien zu dem Ergebnis führen würde, dass erhebliche Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten verbleiben würden, da seine Einlassung im Wesentlichen stimmig sei, ein unmittelbarer Tatnachweis fehle und die vorhandenen Beweisanzeichen mehrdeutig und "mit real fundierten Argumenten zu Gunsten des Angeklagten interpretierbar" seien.

II.

Die Beweiswürdigung hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Spricht das Gericht einen Angeklagten frei, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters. Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders würdigt oder Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten überwunden hätte.

Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung von einem rechtlich unzutreffenden Ansatz ausgeht, etwa hinsichtlich des Umfangs und der Bedeutung des Zweifelssatzes, wenn sie lückenhaft ist, wenn sie widersprüchlich oder unklar ist, gegen Gesetze der Logik oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt werden (Senat, Urt. vom 22. Mai 2007 - 1 StR 582/06; BGH NJW 2005, 1727; BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 25 und 33).

Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.

1. In der Beweiswürdigung selbst muss der Tatrichter sich mit allen festgestellten Indizien auseinandersetzen, die geeignet sind, das Beweisergebnis zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen. Dabei muss sich aus den Urteilsgründen selbst ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung einbezogen wurden. Denn die Indizien können in ihrer Gesamtheit dem Gericht die entsprechende Überzeugung vermitteln, auch wenn eine Mehrzahl von Beweisanzeichen jeweils für sich allein nicht zum Nachweis der Täterschaft eines Angeklagten ausreicht (BGH NStZ-RR 2003, 369, 370 m.w.N.).

Diesen Anforderungen genügt die vom Landgericht vorgenommene Gesamtwürdigung der für und gegen den Angeklagten sprechenden Indizien nicht.

a) Bereits die in diesem Zusammenhang gewählte Formulierung des Landgerichts, wonach die vorhandenen Beweisanzeichen mehrdeutig und "mit real fundierten Argumenten zu Gunsten des Angeklagten interpretierbar" seien, lässt nicht erkennen, inwieweit das Landgericht die vorhandenen gewichtigen belastenden Indizien tatsächlich im Zusammenhang gewürdigt hat.

b) Die Urteilsgründe lassen zudem besorgen, dass das Landgericht die betreffenden Beweisanzeichen nur isoliert bewertet und nicht in die erforderliche Gesamtwürdigung eingestellt hat. Das Landgericht stellt die - sich in Teilbereichen widersprechenden - Angaben des Angeklagten gegenüber der Polizei bzw. gegenüber F. H. und E. W. nicht im Zusammenhang dar, sondern legt seiner Beweiswürdigung jeweils nur die einzelnen von dem Angeklagten genannten Tatsachen zugrunde und überprüft diese nacheinander auf ihre Glaubhaftigkeit. Die den Angeklagten belastenden Umstände würdigt es dabei nur isoliert im Kontext der jeweiligen Tatsachenbehauptung des Angeklagten und erörtert diese lediglich auf die Frage hin, ob sie dazu geeignet sind, die Angaben des Angeklagten zu widerlegen. Dabei kommt das Landgericht jeweils zu dem Ergebnis, dass auch Deutungen dieser einzelnen Beweisanzeichen möglich sind, die den Angeklagten nicht belasten würden.

Diese Vorgehensweise legt die Annahme nahe, dass das Landgericht den Zweifelsgrundsatz rechtsfehlerhaft schon auf einzelne Indiztatsachen angewandt und so den Blick dafür verloren hat, dass auch Indizien, die einzeln nebeneinander stehen, aber jeweils für sich einen Hinweis auf die Täterschaft des Angeklagten enthalten, zwar nicht quantitativ, wovon das Landgericht zutreffend ausgeht, aber doch in ihrer Gesamtheit die Überzeugung des Tatrichters von dessen Schuld begründen können (vgl. BGH NStZ-RR 2000, 45). Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass das Landgericht diese und weitere Indizien, die es aufgrund der von ihm in den Raum gestellten Deutungsmöglichkeiten als nicht ausreichend erachtet hat, um die Angaben des Angeklagten in ihren jeweiligen Einzelheiten zu widerlegen, bei der Gesamtwürdigung rechtsfehlerhaft nicht berücksichtigt hat, obwohl ihnen im Zusammenhang mit den übrigen belastenden Indizien ein belastender Beweiswert zukommen kann (vgl. BGH, Urt. vom 29. August 2007 - 2 StR 284/07).

2. Eine ausführliche Gesamtwürdigung war im vorliegenden Fall auch gerade deshalb erforderlich, weil das Landgericht seine Überzeugung, wonach die Einlassung des Angeklagten "im Wesentlichen stimmig" sei und die "vorhandenen Beweisanzeichen mehrdeutig und zu Gunsten des Angeklagten interpretierbar" seien, durchgängig auf Deutungsmöglichkeiten stützt, die als eher fern liegend betrachtet werden müssen.

a) Der Senat verkennt dabei nicht, dass es die Aufgabe des Tatrichters ist, die Bedeutung und das Gewicht der einzelnen be- und entlastenden Indizien in einer Gesamtwürdigung des Beweisergebnisses zu bewerten (BGH NStZ 2008, 146, 147). Allein, dass ein bestimmtes Ergebnis dabei nicht fern liegt, schließt nicht aus, dass der Tatrichter im Einzelfall auch rechtsfehlerfrei zu einem anderen Ergebnis kommen kann (BGH, Urt. vom 3. Juni 2008 - 1 StR 59/08 m.w.N.). Verwirft er jedoch die nahe liegenden Deutungsmöglichkeiten und führt zur Begründung seiner Zweifel an der Täterschaft eines Angeklagten nur Schlussfolgerungen an, für die es nach der Beweisaufnahme entweder keine tatsächlichen Anhaltspunkte gibt oder die als eher fern liegend zu betrachten sind, so muss er im Rahmen der Gesamtwürdigung erkennbar erwägen, dass er sich dieser besonderen Konstellation bewusst war. Anderenfalls kann nämlich nicht ausgeschlossen werden, dass der Tatrichter überspannte Anforderungen an seine Überzeugungsbildung gestellt hat.

b) Im vorliegenden Fall ist das Landgericht in seiner Beweiswürdigung mehrfach von Hypothesen ausgegangen, für die es nach der Beweisaufnahme keine oder nur unzureichende Anhaltspunkte gab und die damit eher fern liegend waren.

aa) So erörtert die Kammer in Bezug auf die Herkunft der von dem Angeklagten verausgabten 500-Euro-Scheine, dass er diese möglicherweise durch ein Verwandtendarlehen oder - worauf seine Vorstrafen hindeuten könnten - durch einen Betrug von dem Getöteten bekommen haben könnte, obwohl der Angeklagte dies nicht einmal selbst behauptet hat.

bb) Das Landgericht hält es zudem auf der Grundlage der Aussage des Zeugen S., eines Nachbarn des Getöteten, nicht für ausgeschlossen, dass dieser am Vormittag des 22. Februar 2007 von einem unbekannten Audifahrer abgeholt worden sein könnte. Der Zeuge S. hatte nach den Ausführungen des Landgerichts berichtet, dass in der Zeit von 10.15 Uhr bis 10.45 Uhr ein dunkelblauer Audi A3 oder A4 vor dem Wohnhaus des Opfers gestanden habe, in dem ein ihm unbekannter Mann gesessen und im Handschuhfach gekramt habe. Das Fahrzeug sei dann eine zeitlang weg gewesen und habe gegen 12.30 Uhr erneut vor dem Wohnhaus des Getöteten gestanden.

Die Schlussfolgerung, die von der Kammer aus dieser Beobachtung gezogen wird, nämlich dass das Opfer noch am 22. Februar 2007 mit einem unbekannten Mann unterwegs gewesen sein könnte, ist vor dem Hintergrund des übrigen Beweisergebnisses ebenfalls als eher fern liegend anzusehen. Der Angeklagte fuhr zu dieser Zeit ein Fahrzeug, wie es von dem Zeugen S. beschrieben wurde, nämlich einen schwarzen Audi A 3, den er erst am 21. Februar 2007 angemietet hatte. Nach den mitgeteilten Telefonverbindungsdaten befand sich sein Handy um 11.01 Uhr zudem in dem Funkzellenbereich, in dem auch das Wohnhaus des Opfers liegt. Diese Feststellungen deuten darauf hin, dass es sich bei dem unbekannten Fahrer um den Angeklagten gehandelt haben könnte, ohne dass diese Möglichkeit von dem Landgericht bei seiner Würdigung in Betracht gezogen wird.

cc) Auch in Bezug auf den Telefonanruf von dem Handy des Getöteten auf das Handy des Bruders des Angeklagten ist die Kammer von einer eher fern liegenden Hypothese ausgegangen. So erwägt sie, dass der Getötete diesen Anruf selbst getätigt haben könnte, weil nicht auszuschließen sei, dass der Angeklagte, wie er dies gegenüber den Zeugen H. und W. angegeben haben soll, einmal in der Vergangenheit mit dem Handy seines Bruders bei dem Getöteten angerufen habe, so dass bei dieser Gelegenheit die Telefonnummer übertragen worden sein könnte. Vor dem Hintergrund, dass der Getötete, was nach den erhobenen Telefonverbindungsdaten feststeht, bis zu seinem Tod nicht einmal auf dem Handy des Angeklagten angerufen hatte, obwohl er zu diesem seit Januar 2007 in wesentlich engerem Kontakt stand, als zu dessen Bruder, sind die Erwägungen der Kammer zu der Person des Anrufers damit ebenfalls als fern liegend anzusehen. Dies gilt vor allem auch deshalb, weil nach den Feststellungen der Kammer das Prepaid-Handy des Angeklagten zum Zeitpunkt des fraglichen Telefonanrufs kein Guthaben mehr aufwies und er damit, wie ein gescheiterter Anrufversuch um 11.24 Uhr zeigt, nicht mehr telefonieren konnte. Dies legt letztlich die Schlussfolgerung nahe, dass es sich bei der Person des Anrufers um den Angeklagten gehandelt haben könnte, der mit dem Handy des Getöteten seinen Bruder anrief und der sich zum Zeitpunkt der letzten Funkzellenaufschaltung des Handys des Opfers somit im Funkzellenbereich des späteren Leichenfundorts aufhielt.

dd) Aus den dargelegten Umständen wird somit ersichtlich, dass das Landgericht im Rahmen seiner Beweiswürdigung in mehrfacher Hinsicht trotz des Vorliegens gewichtiger Indizien, die eine Täterschaft des Angeklagten nahe legen, von Deutungsmöglichkeiten ausgegangen ist, die aufgrund des Beweisergebnisses als eher fern liegend zu betrachten sind. Bei der Gesamtabwägung hätte es deshalb erkennbar erwägen müssen, dass es sich dieser besonderen Beweissituation bewusst war, und darlegen müssen, dass es sich dennoch nicht in der Lage sah, bestehende Zweifel an der Schuld des Angeklagten zu überwinden. Da es dies nicht getan hat, ist nicht auszuschließen, dass es überspannte Anforderungen an die eigene Überzeugungsbildung gestellt hat, die sich in rechtsfehlerhafter Weise zu Gunsten des Angeklagten ausgewirkt haben.

3. Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist zudem lückenhaft. Nach den Feststellungen teilte der Angeklagte am 25. Februar 2007 anlässlich einer Aussprache auf dem "Bogenberg", bei der auch der Bruder des Angeklagten zugegen war, den Zeugen F. H. und E. W. mit, dass er am späten Vormittag des 22. Februar 2007 bei dem Tatopfer gewesen und mit ihm zum Einkaufen gefahren sei. In derselben Unterredung gab der Angeklagte hiervon abweichend an, dass er sich um die Mittagszeit bei seinem Bruder aufgehalten habe. In diesem Zusammenhang erwähnte er auch den Anruf, der von dem Handy des Getöteten auf dem Handy seines Bruders eingegangen sei.

Sein Bruder habe das Handy an ihn, den Angeklagten weitergereicht, und K. H. habe ihn gefragt, ob er Zeit habe, was er zu diesem Zeitpunkt verneint habe. Erst am Nachmittag habe er den Getöteten dann doch besucht. In diesem Zusammenhang erörtert die Kammer nicht, dass es sich bei diesen Angaben des Angeklagten zu dem Telefonanruf um eine Vorwegverteidigung gehandelt haben könnte, die darauf gerichtet war, einen Tatumstand, der bislang nur ihm bekannt war und von dem er befürchten musste, dass er zu seiner Überführung dienen könnte, schon im Vorfeld zu entkräften. Solches Täterwissen könnte den Schluss auf die Täterschaft begründen, so dass der Tatrichter in Fällen dieser Art gehalten ist, die Umstände des Vorbringens einer möglicherweise falschen Alibibehauptung besonders darzulegen und sich mit diesen im Einzelnen, insbesondere was die Entstehungsgeschichte und den Anlass der konkreten Äußerung angeht, im Einzelnen auseinanderzusetzen (vgl. BGH NStZ 1999, 423, 424). Auch diesen Anforderungen an eine lückenlose Beweiswürdigung wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Das Landgericht gibt lediglich die Äußerungen des Angeklagten bei der Aussprache am "Bogenberg" wieder. Was im Verlauf des Gesprächs letztendlich den Anlass dazu gab, dass der Angeklagte nicht nur den Anruf des Getöteten auf dem Handy seines Bruders preisgab, sondern darüber hinaus sich nunmehr auch abweichend von seinen ursprünglichen Angaben dahingehend äußerte, dass er über die Mittagszeit nicht bei dem Getöteten gewesen sei, sondern sich in Gesellschaft seines Bruders befunden habe, bleibt unerörtert. Dies wäre aber erforderlich gewesen.

Es ist nämlich durchaus vorstellbar, dass sich der Angeklagte aufgrund einer Äußerung F. H. s darüber bewusst wurde, dass bei der Suche nach dem Getöteten auch dessen Handyverbindungsdaten ausgewertet werden könnten und dass sich dabei der Anruf auf dem Handy seines Bruders als auffällig erweisen könnte. Das Landgericht wäre deshalb gehalten gewesen, sich eingehend mit den Einzelheiten des Gesprächsverlaufs auseinanderzusetzen, so dass die Beweiswürdigung in diesem Punkt lückenhaft und damit ebenfalls rechtsfehlerhaft ist.

4. Im Übrigen wird zur weiteren Begründung auf die Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift vom 21. Oktober 2008 Bezug genommen.

III.

Die Sache muss somit neu verhandelt und entschieden werden. Einer Entscheidung über die von der Staatsanwaltschaft eingelegte sofortige Beschwerde gegen die im Urteil bewilligte Entschädigung für die erlittene Untersuchungshaft bedurfte es daher nicht mehr.

HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 422

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2009, 248

Bearbeiter: Karsten Gaede