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HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 74

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 541/08, Beschluss v. 18.11.2008, HRRS 2009 Nr. 74


BGH 1 StR 541/08 - Beschluss vom 18. November 2008 (LG Heilbronn)

Unbegründete Befangenheitsanträge gegen vorbefasste Mitglieder des 1. Strafsenats nach vorheriger Aufhebung eines Freispruchs wegen unzureichender Beweiswürdigung (Recht auf ein unabhängiges und unparteiliches Gericht; Vorbefassung; Besorgnis der Befangenheit).

Art. 101 Satz 2 GG; Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK; § 24 Abs. 2 StPO; § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Eine den Verfahrensgegenstand berührende Vortätigkeit eines Richters ist, soweit kein gesetzlicher Ausschließungsgrund vorliegt (vgl. § 22 Nr. 4, 5, § 23, § 148a Abs. 2 Satz 1 StPO), für sich allein nie ein Ablehnungsgrund. Auch "ein Richter, der bei einer vom Revisionsgericht aufgehobenen Entscheidung mitgewirkt hat, ist nach Zurückweisung der Sache weder kraft Gesetzes von der Mitwirkung bei der neuen Entscheidung ausgeschlossen, noch rechtfertigt seine Mitwirkung bei der früheren Entscheidung für sich allein die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit" (BGHSt 21, 142).

2. Ein verständiger Angeklagter wird von der (zutreffenden) Erwägung ausgehen, dass ein Richter sich auf Grund der ihm nach seiner Stellung, Erziehung und Ausbildung eigenen Haltung von Befangenheit frei hält und sich nicht durch dienstliche Vorentscheidungen bei künftigen Entscheidungen, namentlich dem Urteil, beeinflussen lässt. Ein Befangenheitsantrag, der lediglich damit begründet wird, der Richter sei an einer Vorentscheidung zu Lasten des Angeklagten beteiligt gewesen, ist deshalb schon unzulässig gemäß § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO.

3. Hat sich ein Richter im früheren Verfahren sachlich verhalten, so rechtfertigen auch Prozessverstöße oder Fehler bei der Anwendung des materiellen Rechts grundsätzlich nicht die Annahme seiner Voreingenommenheit gegenüber dem Angeklagten (vgl. BGH, Beschl. vom 18. Mai 1994 - 3 StR 628/93). Eine andere Beurteilung ist dann geboten, wenn darüber hinaus die Unparteilichkeit eines abgelehnten, mit der Sache vorbefassten Richters aufgrund von - das Gebot der Sachlichkeit verletzenden - Äußerungen, Maßnahmen oder Verhalten in Zweifel zu ziehen ist. Ebenso können in der Sache nicht gebotene abträgliche Werturteile über den Angeklagten oder sein Verhalten in den Urteilsgründen die Ablehnung in einem späteren Verfahren rechtfertigen (BGH, Beschl. vom 27. April 1972 - 4 StR 149/72 [= BGHSt 24, 336, 338]). Auch grobe, insbesondere objektiv willkürliche oder auf Missachtung grundlegender Verfahrensrechte von Prozessbeteiligten beruhende Verstöße gegen das Verfahrensrecht können aus der Sicht eines Angeklagten die Befangenheit eines Richters begründen (BGH, Beschl. vom 4. Oktober 1984 - 4 StR 429/84).

Entscheidungstenor

Die Befangenheitsanträge des Angeklagten vom 29. September 2008 gegen - den Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof Nack,

- den Richter am Bundesgerichtshof Dr. Wahl,

- den Richter am Bundesgerichtshof Dr. Kolz und - die Richterin am Bundesgerichtshof Elf werden als unbegründet verworfen.

Gründe

Der Senat hat über eine Revision des Angeklagten zu entscheiden. Dieser meint, die Abgelehnten seien zu seinem Nachteil voreingenommen. Dies folge aus den Gründen einer ersten Revisionsentscheidung in dieser Sache, an der die abgelehnte Richterin und die abgelehnten Richter beteiligt waren.

I.

Das Landgericht Heilbronn sprach den Angeklagten mit Urteil vom 21. April 2006 vom Vorwurf des Mordes und des zweifachen Mordversuchs frei.

Das landgerichtliche Urteil hob der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs auf die Revision der Staatsanwaltschaft mit Urteil vom 22. Mai 2007 mit den Feststellungen auf.

Die Revision der Staatsanwaltschaft hatte mit der Sachrüge wegen rechtsfehlerhafter Beweiswürdigung Erfolg. Der Strafsenat führte dazu in seinem Urteil vom 22. Mai 2007 (Rdn. 17 bis 33) aus:

"Die Beweiswürdigung hält rechtlicher Prüfung nicht stand.

1. Spricht das Gericht einen Angeklagten frei, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte. Daran ändert sich nicht einmal dann etwas, wenn eine vom Tatrichter getroffene Feststellung 'lebensfremd' erscheinen mag. Es gibt im Strafprozess keinen Beweis des ersten Anscheins, der nicht auf der Gewissheit des Richters, sondern auf der Wahrscheinlichkeit eines Geschehensablaufs beruht.

Demgegenüber ist eine Beweiswürdigung etwa dann rechtsfehlerhaft, wenn sie schon von einem rechtlich unzutreffenden Ansatz ausgeht, z.B. hinsichtlich des Umfangs und der Bedeutung des Zweifelssatzes, wenn sie lückenhaft ist, namentlich wesentliche Feststellungen nicht erörtert, wenn sie widersprüchlich oder unklar ist, gegen Gesetze der Logik oder gesicherte Verfahrenssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt sind (st. Rspr., vgl. etwa BGH NJW 2005, 1727; BGH NStZ-RR 2003, 371; BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 33, jew. m.w.N.).

2. Das Landgericht hat umfänglich und detailliert eine Vielzahl den Angeklagten belastender Indizien sowie die ihn entlastenden Umstände aufgelistet und gewürdigt. Die Abwägungen werden gleichwohl den vorstehenden Grundsätzen in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht. Die Strafkammer hat bei der Gesamtwürdigung wichtige belastende Indizien nicht hinreichend einbezogen, denen sie für sich gesehen keinen 'zwingenden' Beweiswert beigemessen hat (Buchst. a). Sie sieht erhebliche konkrete Verdachtsmomente aufgrund nicht tragfähiger Hypothesen und bloß denktheoretischer Möglichkeiten als entwertet an (Buchst. b). Einzelne belastende Beweisanzeichen hat sie überhaupt nicht erörtert (Buchst. c). Schließlich liegen Erörterungsmängel hinsichtlich entlastender Beweismittel vor (Buchst. d).

a) Die Strafkammer hatte zu prüfen, ob die beiden die Tat überlebenden Opfer, H. C. und T. M. den Angeklagten überzeugungskräftig als Täter identifiziert haben. Sie kam - sachverständig beraten - jeweils zu dem Ergebnis, dass sie wegen verbleibender Zweifel nicht feststellen könne, die Zeugen hätten den Angeklagten 'sicher' als Täter erkannt. Sie hat damit zwei wesentliche Beweisanzeichen für die Täteridentifikation einzeln unter Zugrundelegung des Zweifelssatzes als letztlich nicht überzeugend erachtet. Der Zweifelssatz, der eine Entscheidungs- und keine Beweisregel ist, darf jedoch nicht auf einzelne Indiztatsachen angewendet werden, sondern kann erst bei der Gesamtbetrachtung zum Tragen kommen (vgl. BGH NStZ 2001, 609 m.w.N.). Es ist deshalb zu besorgen, dass die Kammer nicht hinreichend bedacht hat, dass diese wichtigen Indizien, auch wenn sie sie - einzeln für sich betrachtet - nicht zum Nachweis der Täterschaft für ausreichend zu erachten vermochte, doch mit ihrem verbleibenden erheblichen Beweiswert in der Gesamtheit aller belastenden Indizien dem Gericht die entsprechende Überzeugung vermitteln könnten (st. Rspr., vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 2, 20 m.w.N.). Gerade angesichts der Häufung und gegenseitigen Durchdringung der den Angeklagten belastenden Umstände erscheint es möglich, dass die Kammer bei einer sachgerechten Gesamtschau die Überzeugung von der Täterschaft gewonnen hätte. Der formelhafte Hinweis, nach einer 'Auseinandersetzung mit allen für den Tathergang wesentlichen Umständen und Indizien' verblieben vernünftige Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten, vermag die gebotene Gesamtwürdigung unter Gewichtung der einzelnen Beweise nicht zu ersetzen (vgl. BGH NStZ 1998, 475).

b) Das Landgericht lässt der molekulargenetisch untersuchten Blutspur aus dem Fahrzeug des Angeklagten insbesondere deshalb 'allenfalls Indizwirkung' zukommen, weil weder an den Kleidungsstücken des Angeklagten noch in seinem Fahrzeug weitere entsprechende Blutspuren festgestellt wurden. Die Kammer stellt ihre Erwägung unter den Vorbehalt, dass die betroffenen Kleidungsstücke des Angeklagten gewaschen oder beseitigt worden sein könnten. Entgegen ihrer Ankündigung (UA S. 97) ist sie auf diesen Vorbehalt aber nicht mehr eingegangen. Der Senat kann daher aufgrund dieser Lücke der Urteilsfeststellungen nicht prüfen, ob diese von der Strafkammer selbst als wesentlich angesehene Möglichkeit mit rechtsfehlerfreier Begründung ausgeschlossen wurde. Im Übrigen ändert die Tatsache, dass keine weiteren Blutspuren festgestellt wurden, grundsätzlich nichts an dem Beweiswert der tatsächlich gefundenen Spur mit ihrem molekulargenetisch festgestellten Aussagewert.

Weiterhin hat das Landgericht den Beweiswert des nach der Tat in einem Steinbruch abgebrannten Feuers in Frage gestellt, weil aus zeitlichen Gründen erhebliche Zweifel daran bestünden, dass es dem Angeklagten möglich gewesen sein könnte, das Feuer zu entzünden. Die Kammer hat sich jedoch bei dieser eher nachrangigen Frage den Blick dafür verstellt, dass in dem Brandschutt tatsächlich sowohl Reste von Gegenständen des Angeklagten als auch Reste eines Jagdgummistiefels der Marke Le Chameau gefunden wurden. Nimmt man hinzu, dass der Angeklagte zweimal ein Paar dieser wenig verbreiteten Stiefel erworben hatte, am Tattage Stiefel trug und dass die am Tatort gefundenen Abdruckfragmente von einem Stiefel der Marke Le Chameau stammen, wird auch hier deutlich, dass gerade in der Kombination dieser einzelnen Fakten ein besonderer Beweiswert liegt. Dem hat die Kammer nicht hinreichend Rechnung getragen, indem sie isoliert auf die Einzelindizien abgestellt hat. Wenn die Kammer im Übrigen angesichts des Umstandes, dass die Stiefelreste erst 13 Monate nach der Tat an der Brandstelle gefunden wurden, die Gefahr einer Manipulation durch Dritte in Rechnung stellt, wird nicht erkennbar, warum es sich dabei um mehr als eine nur theoretische Erwägung handeln könnte, die keinen realen Anknüpfungspunkt hat. Die Kammer stellt selbst fest (UA S. 166), dass der Stiefel verbrannt worden war, bevor die Öffentlichkeit über die Bedeutung von Stiefeln der Marke Le Chameau für das vorliegende Verfahren erfahren hatte.

c) Die Beweiswürdigung weist zudem Lücken auf.

Allerdings können und müssen die Gründe auch eines freisprechenden Urteils nicht jeden irgendwie beweiserheblichen Umstand ausdrücklich würdigen. Das Maß der gebotenen Darlegung hängt von der jeweiligen Beweislage und insoweit von den Umständen des Einzelfalles ab. Dieser kann so beschaffen sein, dass sich die Erörterung bestimmter einzelner Beweisumstände erübrigt. Um einen solchen Fall handelt es sich hier aber nicht. Das Tatgericht hat vielmehr auf Freispruch erkannt, obwohl eine Fülle erheblicher Belastungsindizien vorlag. Bei solcher Sachlage muss es in seine Beweiswürdigung und deren Darlegung alle wesentlichen für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände und Erwägungen einbeziehen und in einer Gesamtwürdigung betrachten (vgl. BGH NStZ-RR 2002, 338 m.w.N.). Dem wird das angefochtene Urteil trotz der umfangreichen Beweiserwägungen nicht gerecht:

Die Würdigung der Belastungsindizien erstreckt sich zum einen nicht auf den Umstand, dass der Angeklagte nach mehreren mit Nachdruck ausgesprochenen Mahnungen des Filialleiters der Volksbank selbst davon ausging, bis spätestens zu dem von ihm als 'Endtermin' angesehenen 7. Oktober 2004 - dem Tattag - eine größere Summe einzahlen zu müssen.

Darüber hinaus ist nicht erkennbar in die Beweiswürdigung einbezogen, dass die Tatbeute 15 Scheine im Wert von je 500 € enthielt und der Angeklagte bei der Volksbank 14 Scheine in diesem Wert eingezahlt hat. Der Angeklagte will das eingezahlte Geld in nebenher durchgeführten Schwarzgeldgeschäften - Verkauf von Wild und Ausschlachtungsarbeiten auf einer staatlichen Liegenschaft - verdient haben. Es erscheint nicht ohne weiteres plausibel, dass er aus diesen Geschäften weit überwiegend allein 500-Euro-Scheine erlangt hat.

Nicht erörtert ist auch - gerade vor dem Hintergrund der von der Strafkammer erörterten These, ein Fremder hätte die Bank überfallen können -, dass es dem nicht maskierten Täter darum ging, die in der Bank anwesenden Personen zu töten, und er zu diesem Zweck sogar die Eheleute C. vom Eingangsbereich zurück in den Kundenraum drängte, um sie dort geradezu hinrichtungsartig zu töten. Dies legt den erörterungsbedürftigen Schluss sehr nahe, dass die Opfer den Täter gekannt haben und dieser von seiner Identifizierung ausgehen musste, wenn sie am Leben blieben.

d) Von der Zuverlässigkeit der Aussage des Alibizeugen B. - dem zentralen Entlastungsbeweismittel - hat sich das Landgericht in einer für den Senat nicht nachprüfbaren Weise vorschnell überzeugt. Daher hat es auch dessen Zeitangabe bei der Abwägung mit den übrigen Beweisanzeichen rechtsfehlerhaft als bereits feststehend behandelt.

aa) Das Landgericht hält die Angabe des Zeugen B. für glaubhaft, er habe den Angeklagten mit seinem Fahrzeug um exakt 13.54 Uhr gesehen, als dieser - aus der L.gasse kommend - nach rechts stadtauswärts abgebogen sei. Die Zeitangabe habe der Zeuge deshalb so präzise machen können, weil er dabei von seinem Hofeingangsbereich aus auf die katholische Kirchturmuhr gesehen habe, die er immer kontrolliere.

Wäre diese Zeitangabe des Zeugen auf die Minute genau zuverlässig, dann wäre es - wie das Landgericht ausgehend von dieser Prämisse zu Recht folgert - dem Angeklagten in der Tat zeitlich nicht möglich gewesen, vor dem Eintreffen der Eheleute C. um 13.55 Uhr die Bank zu betreten und es wäre auch ausgeschlossen, dass der Angeklagte zu dem davor liegenden Zeitpunkt, als der Bankangestellte M. die Bank betrat, schon an der Bank gewesen sein konnte.

bb) Von dem Blick auf die Kirchturmuhr hat der Zeuge in der Hauptverhandlung berichtet, jedoch ergibt sich aus dem Urteil nicht, wie er sich dazu bei seinen polizeilichen Vernehmungen geäußert hatte. Das Landgericht bewertet die Aussageentstehung jedenfalls dahin, dass 'keine gravierenden Widersprüche hinsichtlich seiner Angaben in der Hauptverhandlung und bei seinen polizeilichen Vernehmungen' vorhanden seien.

Ob diese Bewertung zutrifft, kann der Senat anhand der Urteilsausführungen (vgl. UA S. 144 ff.) nicht überprüfen: Bei seiner ersten Befragung am 8. Oktober 2004 (dem Tag nach der Tat) hatte der Zeuge offenbar nur bekundet, er sei 'kurz vor zwei' losgefahren; dass er den Angeklagten zuvor gesehen habe, scheint er nicht erwähnt zu haben ('Ansonsten sei ihm im Bereich der Sparkasse nichts aufgefallen.'). Bei der zweiten Vernehmung, am Vormittag des 9. Oktober 2004, berichtete er davon, den Angeklagten 'fünf bis sechs Minuten vor 14.00 Uhr' gesehen zu haben. Bei seiner dritten Vernehmung, am Nachmittag dieses Tages, präzisierte er den Zeitpunkt auf 13.54 Uhr. Unklar bleibt danach, ob, wann und wie der Zeuge bei diesen polizeilichen Vernehmungen seine Erinnerung mit dem Blick auf die Kirchturmuhr begründet oder den Zeitpunkt, zu dem er den Angeklagten sah, gar anderweitig rekonstruiert hat (etwa allein durch den mitgeteilten Blick auf die Küchenuhr um 13.45 Uhr).

cc) Bei der zentralen Bedeutung der Aussage des Entlastungszeugen B. hätte die Aussageentstehung - offenbar von einer zunächst vagen zu einer schließlich ganz präzisen Zeitangabe - näherer Wiedergabe und Erörterung bedurft. Es erscheint nämlich eher fern liegend, dass der zeitnah zur Tat vernommene Zeuge eine derart markante Besonderheit - wie den Kontrollblick auf die Kirchturmuhr - zunächst nicht erwähnt, obwohl es schon bei der ersten Befragung auf minutengenaue Zeitangaben angekommen war. Danach kommt ernsthaft in Betracht, dass der Zeuge, der sich darauf festgelegt hat, dass der Angeklagte nicht der Täter sein könne (UA S. 147), sich nicht konkret an die Uhrzeit erinnert, sondern diesen Zeitpunkt lediglich rekonstruiert hat.

Wegen dieses Erörterungsmangels besorgt der Senat, dass das Landgericht die - möglicherweise nur scheinbar präzise - Zeitangabe des Zeugen B. allein aufgrund dessen eigener Aussage, also vorschnell und damit rechtsfehlerhaft, als feststehenden zeitlichen Fixpunkt im Beweisgebäude angesehen hat. Die Frage, ob die Zeitangabe des Zeugen B. zur Überzeugung des Landgerichts zuverlässig war, durfte vielmehr erst im Rahmen der abschließenden Gesamtschau mit den übrigen Beweisanzeichen beantwortet werden. Wäre dies geschehen, dann ist nicht auszuschließen, dass die Alibibekundung des Zeugen B. als nicht hinreichend zuverlässig eingestuft worden wäre. In diesem Fall wäre es dem Angeklagten zeitlich doch möglich gewesen, die Tat zu begehen."

Der Senat verwies die Sache an eine Schwurgerichtskammer des Landgerichts Stuttgart zurück. Dieses hat den Angeklagten nach erneuter Hauptverhandlung am 10. April 2008 wegen Mordes in Tateinheit mit räuberischer Erpressung, mit zweifachem Mordversuch und mit zweifacher gefährlicher Körperverletzung zu lebenslanger Freiheitsstrafe unter der Feststellung besonderer Schuldschwere verurteilt. Hiergegen revidiert nunmehr der Angeklagte.

Darüber haben nach dem GVG, dem Geschäftsverteilungsplan des Bundesgerichtshofs und dem internen Geschäftsverteilungsplan des 1. Strafsenats im Grundsatz dieselben Richter zu befinden, die bereits die erste Revisionsentscheidung getroffen haben, soweit nicht Hinderungsgründe, wie etwa Eintritt in den Ruhestand, Urlaub oder Krankheit, zum Entscheidungszeitpunkt entgegenstehen.

Nach dem Eintritt von Richter am Bundesgerichtshof Dr. Boetticher, der ebenfalls am Senatsurteil vom 22. Mai 2007 mitwirkte, in den Ruhestand sind dies aus gegenwärtiger Sicht die verbleibenden vier mit der Sache vorbefassten Senatsmitglieder, gegen die sich die Befangenheitsanträge richten. Hinzu tritt dann ein weiteres Senatsmitglied.

II.

Zur Besorgnis der Befangenheit wird vorgetragen:

Als der Beschuldigte über die voraussichtliche Mitwirkung der vier vorbefassten Senatsmitglieder bei der Entscheidung über seine Revision erfahren habe, habe er dies mit der resignierenden Bemerkung quittiert, dass man deren Meinung dazu, ob er der Täter sei, doch bereits kenne. Dies wird von der Verteidigung dann mit der Bewertung der Beweiswürdigung des Landgerichts im Hinblick auf die Aussage des Zeugen B. im Urteil des Senats vom 22. Mai 2007 begründet:

Die Verteidigung habe zwar versucht, dem Angeklagten zu erklären, weshalb er - unter revisionsrechtlichen Gesichtspunkten - zu Unrecht über den Senat verärgert sei. Damit sei sie gescheitert. "Selbst wenn man es für zulässig hält, die Inhalte der" - im Rahmen von Verfahrensrügen dem Senat zur Kenntnis gebrachten - "polizeilichen Vernehmungen zu verwerten, ist es der Verteidigung nicht möglich, dem Angeklagten zu erklären, weshalb der Senat zum Befund kommen konnte, dass es bereits bei der ersten Befragung auf die minutengenaue Zeitangabe (und den Blick auf die Kirchturmuhr) angekommen war (oben unter cc). Eine solche Bewertung stand dem Senat - als Revisionsgericht - nicht zu. Sie ist überdies falsch". Nach weiteren Ausführungen hierzu kommt die Verteidigung zu dem Schluss: "Daher ist es dem Angeklagten nicht abzusprechen, dass er der Ansicht ist, die von ihm abgelehnten Richter seien ihm nicht mehr neutral entgegengetreten, sondern hätten sich bereits im ersten Revisionsverfahren festgelegt, dass der Zeuge B. nicht zu seiner Entlastung heranzuziehen sei".

Ergänzend führt die Verteidigung mit Schriftsatz vom 30. Oktober 2008 im Hinblick auf die Stellungnahmen des Generalbundesanwalts vom 23. Oktober 2008 u.a. noch aus:

"Hätten sich die abgelehnten Richter im Rahmen der ersten Revisionsentscheidung darauf beschränkt eine eigene Beweiswürdigung vorzunehmen, so wäre das sicherlich 'lediglich' ein Rechtsfehler. Hätten die abgelehnten Richter die Beweise zudem noch fehlerhaft gewürdigt, so könnte man auch insoweit noch daran denken, dass es 'nur' ein (tatsächlicher) Fehler ist.

Diese Fehler bilden aber nur den Auftakt. Die Komposition erreicht ihren Höhepunkt, wenn die abgelehnten Richter dem Instanzgericht eine Beweiswürdigung ans Herz legen, der ein Denkfehler innewohnt. Ein Denkfehler, der nicht nur ein Fehler ist, sondern zeigt, welch Geistes Kind derjenige ist, der ihn formuliert: Der Zeuge B. musste bei seiner ersten Aussage den Angeklagten nur dann mit dem Bankraub in Verbindung bringen, wenn er gewusst hätte oder davon ausgegangen wäre, dass der Angeklagte der Täter ist oder sein soll. Das konnte der Zeuge B. zu diesem Zeitpunkt aber nicht wissen. Ihm zuzuschreiben, dass er es aber hätte wissen oder vermuten müssen, kann nur, wer selbst davon ausgeht, dass der Angeklagte der Täter ist".

III.

Die Befangenheitsanträge sind unbegründet. Es liegen keine Gründe vor, die geeignet sind, Misstrauen in die Unparteilichkeit des Vorsitzenden Richters am Bundesgerichtshof Nack, der Richter am Bundesgerichtshof Dr. Wahl und Dr. Kolz sowie der Richterin am Bundesgerichtshof Elf zu rechtfertigen (§ 24 Abs. 2 StPO).

a) Eine den Verfahrensgegenstand berührende Vortätigkeit eines Richters ist, soweit kein gesetzlicher Ausschließungsgrund vorliegt (vgl. § 22 Nr. 4, 5, § 23, § 148a Abs. 2 Satz 1 StPO), für sich allein nie ein Ablehnungsgrund (vgl. BGH, Beschl. vom 9. März 2000 - 4 StR 513/99; BVerfG [1. Kammer des 2. Senats], Beschl. vom 29. März 2007 - 2 BvR 412/07; EGMR [Fünfte Sektion, Kammer], Urt. vom 10. August 2006 - 75737/01 - Schwarzenberger ./. Deutschland).

Auch "ein Richter, der bei einer vom Revisionsgericht aufgehobenen Entscheidung mitgewirkt hat, ist nach Zurückweisung der Sache weder kraft Gesetzes von der Mitwirkung bei der neuen Entscheidung ausgeschlossen, noch rechtfertigt seine Mitwirkung bei der früheren Entscheidung für sich allein die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit" (BGH, Urt. vom 9. September 1966 - 4 StR 261/66 [= BGHSt 21, 142]; vgl. auch EGMR, Urteile [Kammer] vom 16. Juli 1971 - Ringeisen ./. Österreich - Ser. A, Bd. 13, S. 40 Nr. 97 und vom 26. September 1995 - 25/1994/472/553 - Diennet ./. Frankreich - Ser. A, Bd. 325-A, S. 16, Nr. 38). Denn ein verständiger Angeklagter wird von der (zutreffenden) Erwägung ausgehen, dass ein Richter sich auf Grund der ihm nach seiner Stellung, Erziehung und Ausbildung eigenen Haltung von Befangenheit frei hält und sich nicht durch dienstliche Vorentscheidungen bei künftigen Entscheidungen, namentlich dem Urteil, beeinflussen lässt (Siolek in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl. § 24 Rdn. 40 m.w.N.). Ein Befangenheitsantrag, der lediglich damit begründet wird, der Richter sei an einer Vorentscheidung zu Lasten des Angeklagten beteiligt gewesen, ist deshalb schon unzulässig gemäß § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO (BGH, Beschl. vom 10. August 2005 - 5 StR 180/05 [= BGHSt 50, 216, 221]).

Hat sich ein Richter im früheren Verfahren sachlich verhalten, so rechtfertigen auch Prozessverstöße oder Fehler bei der Anwendung des materiellen Rechts grundsätzlich nicht die Annahme seiner Voreingenommenheit gegenüber dem Angeklagten (vgl. BGH, Beschl. vom 18. Mai 1994 - 3 StR 628/93).

Eine andere Beurteilung ist dann geboten, wenn darüber hinaus die Unparteilichkeit eines abgelehnten, mit der Sache vorbefassten Richters aufgrund von - das Gebot der Sachlichkeit verletzenden - Äußerungen, Maßnahmen oder Verhalten in Zweifel zu ziehen ist. Ebenso können in der Sache nicht gebotene abträgliche Werturteile über den Angeklagten oder sein Verhalten in den Urteilsgründen die Ablehnung in einem späteren Verfahren rechtfertigen (BGH, Beschl. vom 27. April 1972 - 4 StR 149/72 [= BGHSt 24, 336, 338]). Auch grobe, insbesondere objektiv willkürliche oder auf Missachtung grundlegender Verfahrensrechte von Prozessbeteiligten beruhende Verstöße gegen das Verfahrensrecht können aus der Sicht eines Angeklagten die Befangenheit eines Richters begründen (BGH, Beschl. vom 4. Oktober 1984 - 4 StR 429/84).

Dabei ist die subjektive Sicht des Angeklagten nicht ausschlaggebend. Auf einen objektiven Maßstab kann nicht verzichtet werden, wie schon aus dem Begriff (das Misstrauen) "rechtfertigen" in § 24 Abs. 2 StPO folgt. Abzustellen ist auf die verständige, die vernünftige Würdigung aller Umstände (vgl. BGH, Urt. vom 9. Februar 1951 - 3 StR 48/58 [= BGHSt 1, 34, 39]; BGH, Urt. vom 10. November 1967 - 4 StR 512/66 [= BGHSt 21, 334, 341]). Es kommt darauf an, dass die Befürchtung [der Befangenheit] objektiv gerechtfertigt ist (EGMR [Fünfte Sektion, Kammer] Urt. vom 10. August 2006 - 75737/01 - Schwarzenberger ./. Deutschland).

b) Von diesen Grundsätzen geht wohl auch die Verteidigung aus. Damit ist aber selbst aus deren Sicht die Ablehnung der Senatsmitglieder, die an der ersten Revisionsentscheidung mitwirkten, wegen Besorgnis der Befangenheit nicht gerechtfertigt, wenn sie - zutreffend - anmerkt, unter revisionsrechtlichen Gesichtspunkten sei der Angeklagte zu Unrecht über den Senat verärgert. Darauf, dass dies dem Mandanten nicht zu vermitteln war, kommt es nicht an.

c) Darüber hinaus kann den inhaltlichen Ausführungen zu den Gründen des Urteils des Senats vom 22. Mai 2007 und deren Bewertungen seitens der Verteidigung nicht gefolgt werden.

Der Senat befand ausweislich dieser Urteilsgründe weder direkt noch indirekt, auch nicht andeutungsweise, über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten. Ebenso wenig gab der Senat dem Tatgericht Hinweise, auch keine versteckten, dazu, ob oder in welchem Umfang die Angaben des Zeugen B. vom Tatrichter letztlich als zuverlässig angesehen werden können. Der Senat nahm weder eine eigene Beweiswürdigung vor, noch legte er dem neuen Tatgericht eine bestimmte Beweiswürdigung "ans Herz". Der Senat sah lediglich revisionsrechtliche Mängel in der Beweiswürdigung der Strafkammer. Diese sei schon deshalb lückenhaft, da sie wesentliche Indizien zum Nachteil des Angeklagten außer Betracht gelassen habe. Unter Verkennung des Grundsatzes "in dubio pro reo" habe das Landgericht diesen schon auf einzelne belastende Indizien angewendet, statt dies erst am Schluss einer Gesamtbetrachtung in Erwägung zu ziehen. In der Konsequenz fehle es an einer Gesamtwürdigung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Gesichtspunkte. Die Strafkammer habe deshalb vorschnell allein auf die - den Angeklagten entlastende - Angabe des Zeugen B. zum genauen Zeitpunkt seiner Beobachtung des vorbeifahrenden Angeklagten abgestellt, die eine Täterschaft des Angeklagten ausschließt. Dabei fehle es - eine weitere Lücke in der Beweiswürdigung - hinsichtlich dieser Angaben an einer - revisionsrechtlicher Überprüfung zugänglichen - Darstellung der Aussageentwicklung während des Verfahrens - "offenbar von einer zunächst vagen zu einer schließlich ganz präzisen Zeitangabe" -, die ebenfalls in die Gesamtwürdigung hätte einbezogen werden müssen. Diese Erwägungen des Senats sind weder fehlerhaft, beinhalten insbesondere keinen "Denkfehler", noch ist dem Senat ein Irrtum unterlaufen und schon gar nicht hat der Senat eine "Komposition" gefertigt.

Vielmehr irrt der Antragsteller, wenn er meint, den Gründen des Senatsurteils entnehmen zu können, der Senat habe festgeschrieben, die Zeitangabe des Zeugen B. in der Hauptverhandlung vor dem Landgericht Heilbronn sei unzuverlässig. Zwar führte der Senat aus, es erscheine fern liegend, dass der kurz nach der Tat vernommene Zeuge eine derart markante Besonderheit - wie den Kontrollblick auf die Kirchturmuhr - zunächst nicht erwähnt, obwohl es schon bei der ersten Befragung auf minutengenaue Zeitangaben angekommen sei, und es komme deshalb ernsthaft in Betracht, dass der Zeuge, da er sich nach den Feststellungen im Urteil des Landgerichts Heilbronn darauf festgelegt habe, dass der Angeklagte nicht der Täter sein könne, sich nicht konkret an die Uhrzeit erinnert, sondern diesen Zeitpunkt lediglich rekonstruiert habe. Damit hat der Senat aber nicht "festgelegt, dass der Zeuge B. nicht zu seiner [des Angeklagten] Entlastung heranzuziehen sei". Der Senat hatte lediglich zu prüfen, ob das Urteil des Landgerichts Heilbronn - ausgehend von den darin getroffenen Feststellungen - auf der fehlerhaften Beweiswürdigung beruht (§ 337 Abs. 1 StPO), d.h. ob das Landgericht Heilbronn bei Vermeidung der Rechtsfehler möglicherweise eine andere Entscheidung getroffen hätte. Und das komme - so der Senat - "ernsthaft in Betracht". Mehr beinhaltet diese Passage nicht. Sie steht insbesondere einer unbefangenen Prüfung bei der neuerlichen Urteilsfindung nicht entgegen.

d) Die Befangenheitsanträge sind nach allem unbegründet.

HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 74

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2009, 85

Bearbeiter: Karsten Gaede