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Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 308/02, Beschluss v. 22.10.2002, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 1 StR 308/02 - Beschluss vom 22. Oktober 2002 (LG Mannheim)

Verwertungsverbot gemäß § 252 StPO (Unmittelbarkeit; Zeugnisverweigerung; Erstreckung auf Mitangeklagte); Beruhen (geringer Beweiswert rechtskräftiger Urteile zum Tatgeschehen und zu den Beweistatsachen: Prüfungspflicht / keine Bindung).

§ 252 StPO; § 337 StPO; § 261 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Verweigert ein Zeugnisverweigerungsberechtigter in der Hauptverhandlung gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO das Zeugnis, so darf auch seine Einlassung in einem früheren, gegen ihn selbst gerichteten Verfahren nicht gegen den nunmehr angeklagten Angehörigen verwendet werden (BGHSt 20, 384; BGHR StPO § 252 Verwertungsverbot 7). Das Verwertungsverbot aus § 252 StPO erstreckt sich auch auf den wegen Beteiligung an derselben Tat Mitangeklagten (BGHSt 7, 194).

2. Selbst die Feststellungen rechtskräftiger Urteile zum Tatgeschehen und zu den Beweistatsachen binden einen neu entscheidenden Tatrichter nicht (BGHSt 43, 106, zur Verlesung nicht rechtskräftiger Urteile vgl. BGHSt 6, 141). Sie dürfen nicht ungeprüft übernommen werden. Beanstandet ein Verfahrensbeteiligter die Richtigkeit der getroffenen Feststellungen, muss der Tatrichter vielmehr prüfen, ob die Beanstandungen nach seiner Auffassung geeignet sind, die in dem Urteil gezogenen Schlüsse zu erschüttern.

Entscheidungstenor

Die Revision des Angeklagten C. gegen das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 12. März 2002 wird, soweit es ihn betrifft, als unbegründet verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum Betrug in drei Fällen sowie wegen Beihilfe zum bandenmäßigen Betrug zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Im übrigen hat es ihn freigesprochen. Der Angeklagte wendet sich mit einer Verfahrensrüge und der Sachrüge gegen die Verurteilung. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg (§ 349 Abs. 2 StPO).

Der Erörterung bedarf allein die Verfahrensrüge, die Kammer habe gegen § 252 StPO verstoßen.

Dieser Rüge lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Haupttäter von zwei Beihilfehandlungen des Angeklagten C. waren M. Sch. und dessen drei Mitangeklagte, die bei der F.-Firmengruppe in E. in leitender Stellung tätig waren. Diese vier Angeklagten wurden vom Landgericht Mannheim mit Urteil vom 18. Dezember 2001 jeweils zu langjährigen Freiheitsstrafen verurteilt. In einem weiteren Fall war Haupttäter der Mitangeklagte Ma. Sch., der seine Revision zurückgenommen hat. Die Haupttäter spiegelten Leasinggebern und Banken gemeinsam vor, die Firma F. erwerbe mit den Mitteln der Geldgeber Horizontalbohrmaschinen, aus deren Einsatz bei wirtschaftlich und rechtlich selbständigen "Servicegesellschaften" die F. stetig wachsende Umsatzerlöse in zwei bzw. dreistelliger Millionenhöhe erziele. Tatsächlich wurden mit den jeweils neu eingeworbenen Mitteln einerseits Altverpflichtungen aus früheren Geschäften erfüllt, andererseits entnahmen die Täter einen erheblichen Teil für sich selbst.

In der Hauptverhandlung gegen den Angeklagten C. und den Mitangeklagten Ma. Sch. wurde M. Sch. als Zeuge geladen. Er machte von seinem Zeugnisverweigerungsrecht aus § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO Gebrauch. Daraufhin führte die Strafkammer das Urteil vom 18. Dezember 2001 im Wege des Selbstleseverfahrens in die Hauptverhandlung ein. In den Urteilsgründen heißt es dazu, "schließlich folgten die Feststellungen zur Vorgehensweise bei FTT jeweils ergänzend aus dem Urteil des Landgerichts Mannheim vom 18.12.2001 in dem Verfahren 22 KLs 628 Js 10855/01. Anhaltspunkte, daß die dort getroffenen Feststellungen unzutreffend sein könnten, ergaben sich nicht" (UA S. 60).

Die Revision sieht darin mit Recht einen Verstoß gegen § 252 StPO. Verweigert ein Zeugnisverweigerungsberechtigter in der Hauptverhandlung gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO das Zeugnis, so darf auch seine Einlassung in einem früheren, gegen ihn selbst gerichteten Verfahren nicht gegen den nunmehr angeklagten Angehörigen verwendet werden (BGHSt 20, 384; BGHR StPO § 252 Verwertungsverbot 7, insoweit in StV 1992, 500 nicht abgedruckt). Das Verwertungsverbot aus § 252 StPO erstreckt sich auch auf den wegen Beteiligung an derselben Tat Mitangeklagten C. (BGHSt 7, 194). Der Senat kann jedoch ausschließen, daß das Urteil auf diesem Fehler beruht. Der Angeklagte C. hat seinen objektiven Tatbeitrag eingeräumt und lediglich bestritten, vorsätzlich gehandelt zu haben. Das Landgericht hat das Urteil vom 18. Dezember 2001 nur im Zusammenhang mit den Feststellungen zur Vorgehensweise bei der F.-Gruppe herangezogen. Zu diesem Beweisthema stützt sich die Strafkammer auch auf umfangreiche andere Beweismittel. So hat der Mitangeklagte Ma. Sch. Angaben zum Beginn und zur Funktionsweise der Horizontalbohrtechnik sowie zum Anfang der Straftaten bei der F.-Gruppe gemacht. Zu Umfang und Inhalt der über Horizontalbohrsysteme abgeschlossenen Leasingverträge hat die Kammer einen Zeugen vernommen, der Unterlagen der F.-Gruppe dazu und ergänzende Auskünfte der geschädigten Leasinggesellschaften ausgewertet hatte. Außerdem wurden Fallakten, die zu jedem einzelnen Horizontalbohrsystem angelegt worden waren, in der Hauptverhandlung erörtert. Über die Anzahl der demgegenüber tatsächlich vorhandenen Horizontalbohrmaschinen verschaffte sich die Kammer durch Einvernahme zweier Zeugen Gewißheit, die den Wareneinkauf der F. bei sämtlichen Lieferanten überprüft hatten. Darüber hinaus wurde ein Mitarbeiter der F. vernommen, der für die Verwaltung der Maschinen verantwortlich war. Zur Beweiserhebung über die Vorspiegelung des Geschäftserfolges der F. bei den Geldgebern zog die Kammer die Jahresabschlüsse der F. heran und vernahm bei ihr tätige Wirtschaftsprüfer sowie Vertreter der betroffenen Leasinggesellschaften. Schließlich wurde ein weiterer Zeuge zu den Verflechtungen zwischen den beteiligten Firmen vernommen, der die Zahlungsströme im Auftrag der Insolvenzverwalter untersucht hatte.

Gegenüber diesen Beweismitteln, die alle tatbestandlich relevanten Aspekte des betrügerischen Vorgehens der F.-Gruppe abdeckten, kam den Feststellungen aus dem Urteil vom 18. Dezember 2001 ein geringer Beweiswert zu, weil selbst die Feststellungen rechtskräftiger Urteile zum Tatgeschehen und zu den Beweistatsachen einen neu entscheidenden Tatrichter nicht binden (BGHSt 43, 106, zur Verlesung nicht rechtskräftiger Urteile vgl. BGHSt 6, 141). Sie dürfen nicht ungeprüft übernommen werden. Beanstandet ein Verfahrensbeteiligter die Richtigkeit der getroffenen Feststellungen, muß der Tatrichter vielmehr prüfen, ob die Beanstandungen nach seiner Auffassung geeignet sind, die in dem Urteil gezogenen Schlüsse zu erschüttern. Dieses geringen Beweiswertes war sich die Kammer bewußt. Vor diesem Hintergrund kann ausgeschlossen werden, daß das von der Revision angefochtene Urteil auf der Verwertung des Urteils vom 18. Dezember 2001 beruht.

Externe Fundstellen: NStZ 2003, 217; StV 2003, 5

Bearbeiter: Karsten Gaede