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Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 394/01, Beschluss v. 26.09.2001, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 1 StR 394/01 - Beschluss vom 26. September 2001 (LG Traunstein)

Sexueller Mißbrauch von Kindern (Körperkontakt nach der alten Fassung); Strafzumessung (Unzulässig unbestimmte Moralisierung)

§ 176 StGB; § 176 Abs. 1 StGB aF; § 46 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Moralisierende Erwägungen, die nicht verdeutlichen, welchen anerkannten Strafzumessungsgesichtspunkten zur Beurteilung der Tat und des Täters sie zuzuordnen sind, sind nichtssagend und überflüssig. Sie begründen gegenüber dem Angeklagten die Gefahr einer gefühlsmäßigen, auf unklaren Erwägungen beruhenden Strafzumessung (vgl. BGH StV 1998, 76; BGH NStZ 1987, 405).

Entscheidungstenor

1. Das Verfahren wird gemäß § 206a Abs. 1 StPO eingestellt, soweit dem Angeklagten unter II. 1. der Gründe des Urteils des Landgerichts Traunstein vom 25. April 2001 sexueller Mißbrauch eines Kindes vorgeworfen wird.

Soweit das Verfahren eingestellt worden ist, trägt die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die dem Angeklagten und der Nebenklägerin insoweit entstandenen notwendigen Auslagen.

2. Auf die Revision des Angeklagten wird das vorgenannte Urteil

a) im Schuldspruch dahin geändert, daß die Verurteilung in den Fällen II. 2. und 3. der Urteilsgründe wegen tateinheitlich begangenen sexuellen Mißbrauchs einer Schutzbefohlenen entfällt.

Es wird klargestellt, daß der Angeklagte schuldig ist des sexuellen Mißbrauchs eines Kindes in zehn Fällen, davon in acht Fällen jeweils in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch einer Schutzbefohlenen sowie des sexuellen Mißbrauchs einer Schutzbefohlenen;

b) im gesamten Strafausspruch aufgehoben;

c) im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die weiteren Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagte wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern in elf Fällen, jeweils in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch von Schutzbefohlenen in Tatmehrheit mit einem Fall des sexuellen Mißbrauchs von Schutzbefohlenen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit der Sachrüge. Die Revision führt zur Teileinstellung des Verfahrens in einem Fall zur Änderung des Schuldspruchs in zwei Fällen sowie zur Aufhebung des gesamten Strafausspruchs. Die weitergehende Revision hat keinen Erfolg.

1. Auf Antrag des Generalbundesanwalts wird die Verurteilung im Fall III. 1. der Urteilsgründe aufgehoben und das Verfahren eingestellt. Nach den bisherigen Feststellungen zu der in der Zeit zwischen 1989 und Mitte 1992 vorgeworfenen Tat liegen die Voraussetzungen des § 176 Abs. 1 StGB aF nicht vor, weil die Strafvorschrift Körperkontakt erfordert (vgl. BGH, Beschl. vom 26. August 1998 - 2 StR 357/98 -, mitgeteilt bei Pfister NStZ-RR 1999, 321, 322). Ein für diesen Zeitraum in Betracht kommendes Delikt nach § 176 Abs. 5 StGB. aF könnte verjährt sein. Die Verjährungsfrist für dieses Delikt beträgt fünf Jahre (§ 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB). Die Frist könnte ab Mitte 1989 in Lauf gesetzt worden und damit Mitte 1994 abgelaufen sein. Als früheste Unterbrechungshandlung nach § 78c Abs. 1 Nr. 1 StGB kommt der Beschluß nach § 168c Abs. 3. StPO vom 2. Mai 2000 in Betracht. Da nach den Feststellungen die zeitliche Abfolge der weit zurück liegenden Taten im einzelnen ungewiß ist - darauf deuten die Ausführungen der Strafkammer auch zu den unter Ziffer II. 6. und 7. der Urteilsgründe festgestellten Taten hin - und weitere sichere Feststellungen nicht zu erwarten sind, ist der Verjährungseintritt in diesem Fall nicht auszuschließen. Die Ausführungen zur Strafverfolgungsverjährung gelten in gleicher Weise für das vorgeworfene in Tateinheit stehende Delikt nach § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB.

2. Nach den Feststellungen könnten auch die in Tateinheit stehenden Tatvorwürfe nach § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB in den Fällen II. 2. und 3. der Urteilsgründe verjährt sein, und zwar selbst dann, wenn die Geschädigte bei Begehung der Taten bereits sieben Jahre alt war. Die Verurteilungen wegen sexuellen Mißbrauchs einer Schutzbefohlenen haben deshalb in diesen Fällen zu entfallen. Der jeweils rechtsfehlerfrei festgestellte sexuelle Mißbrauch eines Kindes nach § 176 Abs. 1 StGB a.F. ist hingegen nicht verjährt (§ 78b Abs. 1 Nr. 1 StGB i. V. m. § 78 Abs. 3 Nr. 3 StGB).

3. Die weitere Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge hat im Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Der Senat hat jedoch zur Klarstellung die Urteilsformel neu gefaßt.

4. Dagegen kann der Strafausspruch keinen Bestand haben. Die Strafzumessungserwägungen sind nicht frei von rechtlichen Bedenken (§ 46 Abs. 3 StGB).

a) Die Jugendkammer hat zu Lasten des Angeklagten u.a. ausgeführt, dieser habe "die sexuelle Unbedarftheit und kindliche Unbekümmertheit von M. schamlos ausgenutzt"; er habe auch "ihre Zuneigung rücksichtslos zur Befriedigung seines Geschlechtstriebs ausgebeutet". Für solche Äußerungen bieten die bisherigen Feststellungen keine ausreichende Grundlage. Es ist zu besorgen, daß mit ihnen der Unrechts- und Schuldgehalt der Taten subjektiv stark überzeichnet worden ist. Dies gilt insbesondere für die Behauptung, der Angeklagte habe seine Autoritätsstellung als Stiefvater gegenüber dem "vaterlosen Kind" ausgenutzt. Moralisierende Erwägungen, die nicht verdeutlichen, welchen anerkannten Strafzumessungsgesichtspunkten zur Beurteilung der Tat und des Täters sie zuzuordnen sind, sind nichtssagend und überflüssig. Sie begründen gegenüber dem Angeklagten die Gefahr einer gefühlsmäßigen, auf unklaren Erwägungen beruhenden Strafzumessung (vgl. BGH StV 1998, 76; BGH NStZ 1987, 405; G. Schäfer, Strafzumessung 3. Aufl. Rdn. 332, 335).

b) Der Senat hebt den Strafausspruch insgesamt auf. Er vermag nicht auszuschließen,. daß 'die Jugendkammer angesichts des geringeren Schuldumfangs sowie ohne Verwendung der beanstandeten Strafzumessungserwägungen bei dem nicht vorbestraften und geständigen Angeklagten auf niedrigere Einzelstrafen und damit auch auf eine mildere Gesamtstrafe erkannt hätte. Der aufgezeigte Rechtsfehler berührt die dem Strafausspruch zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen nicht. Sie können bestehen bleiben; ergänzende Feststellungen sind möglich.

Bearbeiter: Karsten Gaede